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BERICHT/087: Humanismus macht Schule (MIZ)


MIZ - Materialien und Informationen zur Zeit
Politisches Magazin für Konfessionslose und AtheistInnen - Nr. 3/08

Humanismus macht Schule

Die erste humanistische Weltanschauungsschule
Deutschlands hat ihren Betrieb aufgenommen

Von Gunnar Schedel


Es war ein langer Weg und hat allen Beteiligten wohl viel mehr Arbeit gemacht als erwartet. Nun aber ist es soweit: mit Beginn des Schuljahres hat der Humanistische Verband Nürnberg in Fürth eine humanistische Weltanschauungsschule eröffnet - die erste ihrer Art in Deutschland. Dass dies erst im zweiten Anlauf und nur mit einem veränderten Konzept gelang, trübt die Freude über das erfolgreich angelaufene Projekt kaum.


Dabei sah es zunächst nicht danach aus, dass die bayerischen Behörden die Schule des Humanistischen Verbands genehmigen würden. Im Februar 2004 war erstmals ein Antrag, eine reformpädagogisch ausgerichtete Ersatzschule eröffnen zu dürfen, gestellt worden. Dieser wurde von der Regierung Mittelfrankens im Dezember des Jahres mit einer fadenscheinigen Begründung abgelehnt, die Klage gegen diese Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht Ansbach blieb erfolglos (vgl. MIZ 1/07). Der HVD Nürnberg reagierte und fuhr schließlich zweigleisig: beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde Berufung gegen die Ansbacher Entscheidung eingelegt und zugleich wurde die Gründung einer humanistischen Weltanschauungsschule vorbereitet.

Dieser Weg wurde dann auch weiter verfolgt, als das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gewonnen wurde. Denn die bayerischen Behörden zeigten sich entschlossen, den Gang vor das Bundesverwaltungsgericht anzutreten. Auch wenn sich der HVD dort gute Chancen ausrechnete, wäre eine erneute Verschiebung des Schulstarts allein aufgrund der zu erwartenden Dauer des Verfahrens unvermeidbar gewesen. Da die HVD-Verantwortlichen mittlerweile den Eindruck gewonnen hatten, dass die Widerstände gegen eine Weltanschauungsschule geringer sein würden, entschieden sie sich für diese Option und ließen das ursprüngliche Konzept fallen.

So gelang es noch, die ersten beiden Klassen zum Schuljahresbeginn 2008/09 einzurichten. Da die Vorlaufzeit sehr knapp war, findet der Unterricht erst ab November im eigenen Gebäude statt; bis dahin kommt die Humanistische Schule in den Räumen einer staatlichen Schule unter. Auch sind nicht mehr alle der ursprünglich rund 50 angemeldeten Schülerinnen und Schüler mit von der Partie; einige Eltern hatte ihre Sprösslinge aufgrund der unsicheren Situation mittlerweile woanders untergebracht. Doch immerhin führt dieser Schülerschwund dazu, dass die Klassen mit jeweils 16 Kindern traumhaft klein sind.

Im Schulalltag wird die weltanschauliche Ausrichtung vor allem am neuen Schulfach "Humanistische Lebenskunde" erkennbar sein. In die Unterrichtspraxis fließen Elemente unterschiedlicher reformpädagogischer Ansätze ebenso ein wie neue wissenschaftliche Erkenntnisse (z.B. der Hirnforschung). Ziel ist, möglichst genau auf das Bedürfnis des jeweiligen Kindes einzugehen - insofern gibt der Humanismus mit seiner Vorstellung, der Mensch stehe im Mittelpunkt, die Leitlinie für das pädagogische Vorgehen ab, ohne ideologische Vorgaben im engeren Sinne zu machen. Den Kindern soll keine "Patentlösung" übergestülpt werden, betont HVD-Geschäftsführer Michael Bauer. Auch die Eltern müssen nicht Mitglied im HVD sein, um ihre Kinder in die Humanistische Schule zu geben; es genügt, wenn sie unterschreiben, dass sie eine Erziehung ihres Kindes nach weltlich-humanistischen Grundsätzen wünschen. Die Kinder sind ohnehin nicht "unter sich", denn der Schule ist ein Hort zur Nachmittagsbetreuung angeschlossen, der auch von "Externen" besucht wird. Dies signalisiert nicht nur den offenen Charakter der Humanistischen Schule, sondern trägt auch dazu bei, das Projekt auf eine breitere finanzielle Basis zu stellen.

So geht Helmut Fink, Vorsitzender des HVD Nürnberg, denn auch davon aus, dass die erste Schulgründung des HVD nicht die letzte sein wird: "Auch in anderen Städten gibt es schließlich Bedarf an humanistischen Grundschulen." Er freut sich darüber, dass sich der "Gleichbehandlung der Weltanschauungen ... eine neue Tür geöffnet" habe. "Es wurde höchste Zeit, dass im Spektrum der freien Schulträger in Bayern auch säkulare Humanisten vertreten sind. Wir bereichern nach der Kindergarten- und Kinderkrippenlandschaft jetzt endlich auch die Schullandschaft." Dass das ursprüngliche Konzept am Widerstand der Behörden scheiterte, sieht er nicht als Verlust; viele reformpädagogische Ansätze können problemlos mit der humanistischen Grundausrichtung kombiniert werden.

Vom Interesse in der Bevölkerung darf sich der HVD ermutigt fühlen. Es gehen bereits Anmeldungen fürs kommende Schuljahr und auch schon für die fernere Zukunft ein. Manche Eltern fragen sogar an, ob nicht die Eröffnung einer weiterführenden Schule ins Auge gefasst werde. Beim HVD kann man sich einen solchen Schritt vorstellen, wenn die Grundschule erfolgreich aufgebaut worden ist. Doch zunächst steht erst einmal der Umzug in die eigenen Räumlichkeiten an, die bis November bezugsfertig sein müssen.

Bei aller Freude über die gute Resonanz weiß Helmut Fink jedoch auch, dass die ersten beiden Jahre die schwersten werden. Denn in diesem Zeitraum fallen nicht nur beachtliche Investitionskosten an (trotz der Beihilfen von Stadt und Freistaat), auch die staatlichen Zuschüsse zum laufenden Betrieb erreichen noch nicht die volle Höhe. Erst wenn die Schule sich etabliert hat, werden die (pauschalierten) Kosten für den Lehrkörper zu 100% und die "anerkennungsfähigen Sachkosten" zu 80% durch das Land übernommen. Bis dahin ist die Humanistische Schule auch auf die Solidarität der säkularen Szene angewiesen.


Wer die Humanistische Schule unterstützen möchte, kann dies durch einmalige oder regelmäßige Spenden, aber auch durch eine Darlehensgabe tun. Spendenkonto: HVD-Nürnberg, Kto. 1031 937, Sparkasse Nürnberg (BLZ 760 501 01); Verwendungszweck: Schulzentrum.

Nähere Informationen unter www.humanistischeschule.de oder über die Geschäftsstelle des HVD Nürnberg, Fon (0911) 43 10 40.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Im Moment noch Zukunftsmusik: Skizze des dreistöckigen Schulgebäudes, das bis 2010 fertiggestellt sein soll. (Graphik: HVD Nürnberg).


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Quelle:
MIZ - Materialien und Informationen zur Zeit
Nr. 3/08, S. 24-25, 37. Jahrgang
Herausgeber: Internationaler Bund der Konfessionslosen
und Atheisten (IBKA e.V.), Postfach 1745, 58017 Hagen
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Erscheinungsweise: vierteljährlich,
jeweils Anfang April, Juli, Oktober und Januar.
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Bezugskosten Abonnement: 15,- Euro (Inland),
20,- Euro (Ausland) jeweils inkl. Porto.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2008