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BERICHT/060: Sextourismus in der Dominikanischen Republik (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 99, 1/07


Die Erotik von Pässen und Frauen ohne Migräne
Sextourismus in der Dominikanischen Republik

Von Ulla G. Ebner

Boca Chica, ein kleiner Ort an der Südostküste der Dominikanischen Republik. Vor den All-Inclusive-Hotelanlagen ein paradiesisch weißer Sandstrand, von Palmen gesäumt, mit kristallklarem, türkisfarbenem Wasser. Doch sobald es dunkel wird, verlagert sich das Leben in die Bars und Tanzclubs der Hauptstraße, der Calle Duarte, wo die allnächtliche Suche beginnt. Westliche Touristen begeben sich auf die Suche nach dunkler Haut und nach exotischer Erotik zu einem möglichst niedrigen Preis; dominikanische und haitianische Sexarbeiterinnen wiederum nach möglichst großzügigen Klienten und im besonderen Glücksfall vielleicht sogar nach einem Ticket in die Erste Welt.


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Boca Chica ist, neben dem im Norden der Insel gelegenen Sosua, die bekannteste Sextourismusdestination der Dominikanischen Republik.

Einschlägige Websites und Männerforen preisen dieses exotische Urlaubsparadies mit seinen angeblich so heißblütigen Frauen. Sextouristen tauschen dort detailliert ihre Erfahrungen aus - oft ergänzt mit heimlich geschossenem Foto- oder Videomaterial. Generell gilt die Dominikanische Republik unter den weltweiten Sextourismusdestinationen jedoch als Billigland. Dominikanerinnen werden aber prinzipiell als "hypersexuell" angesehen, die weiße Männer prinzipiell unwiderstehlich fänden. Man(n) solle sich bloß nicht von der "überragenden Geilheit der Mädchen anstecken lassen", warnte etwa ein anonymer User aus Deutschland im Mai 2005 und betonte weiters: "Dominikanische Frauen sind das Beste, was es gibt!!! Vergesst die deutschen Frauen. [...] Wer keinen Bock auf Geschlechtsverkehr hat, sondern Sex will [...]: ab in die Dominikanische!" Denn Dominikanerinnen würden niemals unter Migräne leiden ...

Und dies ist offensichtlich Motivation genug für viele Männer, um die halbe Welt zu fliegen, um dort gegen Barzahlung Körperflüssigkeiten auszutauschen.


Vom Durchschnittsmann zum Märchenprinz

Der typische Sextourist in der Dominikanischen Republik gehört meist der unteren Mittelschicht bis Unterschicht an. In seinem Heimatland könnte er sich den Genuss käuflicher Liebe eher nur schwerlich leisten. Zumindest nicht regelmäßig. Doch hier ist ja zum Glück alles billiger. Und nicht nur das: Auf einmal wird er von seiner Umwelt als eine Person mit Geld und sozialem Status wahrgenommen und von den karibischen Schönheiten behandelt wie ein Märchenprinz. Die Erfüllung rassistisch gefärbter sexueller Phantasien gepaart mit dem Gefühl "kolonialer" Macht, Sonne und jeder Menge Alkohol stellen offensichtlich eine verführerische Mischung dar. So verführerisch, dass viele auf Dauer in ihrem Inselparadies bleiben.

Die dominikanischen Sexarbeiterinnen wissen natürlich genau um den Ruf, den sie bei westlichen Männern genießen und pflegen diesen geschickt. Den meisten geht es weniger darum, in Akkordarbeit so viele Klienten wie möglich abzufertigen, sondern eher darum, längerfristige Verbindungen zu finden - im Idealfall sogar einen Ehemann. Denn der Wunschtraum der meisten DominikanerInnen ist ein Leben im Wohlstandsparadies Europa oder Nordamerika. Und viele haben es auch schon geschafft. Tatsächlich sind jene Gelder, die migrierte DominikanerInnen aus dem Ausland nach Hause schicken, die zweitgrößte Einnahmequelle des Landes - nach dem Tourismus. Jedoch ins westliche Paradies kommt frau leider fast nur über einen europäischen oder nordamerikanischen Ehegatten.


Selbstbestimmt durch Auswahlmöglichkeit

Dass feste Beziehungen mit ausländischen Männern jedoch nicht immer zu einer Verbesserung der ökonomischen Situation führen, stellte Denise Brennan im Rahmen ihrer Feldforschungen über Sextourismus in Sosua fest. Auch der Grad an Selbstbestimmung wird durch die ökonomische Abhängigkeit von nur einem Mann meist stark eingeschränkt. Denn die Sexarbeiterinnen in Boca Chica und Sosua sind ihre eigenen Herrinnen. Sie haben für gewöhnlich keinen Zuhälter, bestimmen selbst ihre Arbeitszeiten, ihre Klienten sowie ihren Preis und verfügen frei über ihr selbstverdientes Geld. Wobei die Situation hier nicht beschönigt werden soll. Die Arbeit ist gefährlich, denn frau weiß nie in welchen Psychopathen sich der gerade noch so nette Österreicher verwandelt, sobald die Zimmertür geschlossen ist. Ganz zu schweigen von den ständigen Schikanen durch die Polizei, die oft willkürliche Verhaftungen durchführt und die Festgenommenen nur gegen Bezahlung eines saftigen Bestechungsgeldes wieder auf freien Fuß setzt. In Sosua gilt es als offenes Geheimnis, dass Polizisten durch Schmiergelder wesentlich höhere Einkünfte haben als durch ihr offizielles Gehalt.


Begrenzter Arbeitsmarkt

Die Frauen, die an dominikanischen Strandorten der Sexarbeit nachgehen, stammen meist aus dem Landesinneren aus bildungsfernen Schichten und, wie Denise Brennan feststellte, handelt es sich so gut wie immer um allein erziehende Mütter, die keinerlei finanzielle Unterstützung von den Kindsvätern bekommen. Zwar gibt es in der Dominikanischen Republik durchaus ein Gesetz, das Väter zu Unterhaltszahlungen verpflichten würde, jedoch wird dieses in der Praxis kaum angewandt und auch von den Frauen selbst kaum eingefordert.

Und so entscheiden sich eben viele für die Sexarbeit, denn der Arbeitsmarkt für Frauen aus ärmeren Gesellschaftsschichten ist beschränkt. Weder die Arbeit als Hausmädchen, noch die als Fabriksarbeiterin in einer der Freien Exportzonen, den so genannten Zonas Francas, bringt genug Einkommen, um selbst davon leben zu können, geschweige denn auch noch die Kinder zu ernähren. Eine Sexarbeiterin in einer Touristenzone wiederum kann mit Glück in wenigen Nächten soviel verdienen, wie eine Fabriksarbeiterin in einem Monat.


"All exclusive"

Die Tourismusindustrie gilt als der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Dominikanischen Republik. Jedoch wie so oft haben diese wirtschaftsstatistischen Daten nichts mit der Lebensrealität der Menschen zu tun. Denn tatsächlich bekommt die dominikanische Bevölkerung kaum etwas von den touristischen Geldflüssen zu sehen. Die dominikanische Tourismusindustrie wird von All-inclusive-Clubs internationaler Reisekonzerne dominiert. In diesen Urlaubsghettos können die Gäste essen und trinken soviel sie wollen - Surfen, Tennisspielen und tägliche Animation ist im Preis inbegriffen. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, die Clubanlage zu verlassen.

Dadurch wird jedoch die einheimische Bevölkerung von den Gewinnen ausgeschlossen. Selbst die Nahrungsmittel für die TouristInnen werden häufig aus den Industriestaaten importiert. Und auch die kleinen, oft schmuddeligen, singlemännerfreundlichen Hotels der Sextourismusorte sind fest in den Händen von Deutschen, Holländern, Italienern oder Österreichern. Denn jene waren es auch, die den Sextourismus in Boca Chica ins Rollen gebracht haben, wie die dominikanische Soziologin Clara Baez betont, die die Auswirkungen des Tourismus auf die Bevölkerung von Boca Chica untersuchte. Gleichzeitig kritisiert sie die mangelnde Planung der Tourismusentwicklung in der Region durch die dominikanische Regierung.


Unkontrollierte Entwicklung mit Kalkül

Nachdem sich die Weltbank geweigert hatte, in ein geplantes Tourismusprojekt in Boca Chica zu investieren, weil die Strände dort öffentliches Gut sind, das nicht privatisiert werden darf, startete die Tourismusentwicklung in den 1980ern auf Betreiben internationaler Konzerne. Ohne Normen und Regelungen durch die dominikanische Regierung. Die lokale Bevölkerung und ihre Wirtschaftstätigkeit wurden von Anfang an als "Störfaktor" gesehen. Traditionelle Einkommensquellen wie Hafen- oder Zuckerrohrindustrie wurden zurückgedrängt, ohne dass dabei ausreichend neue Arbeitsplätze in der Tourismusindustrie geschaffen wurden. Zumindest nicht für die schlecht ausgebildeten Menschen der Region. Vergeblich forderte die Bevölkerung von Boca Chica jahrelang eine Tourismusschule.

Manche Einheimische vermuten darunter Kalkül, wie etwa ein Künstler aus Sosua, der der Ethnologin Denise Brennan erklärte: "Die Regierung macht es den Jugendlichen vom Land sehr schwierig, etwas zu lernen. Und warum? Weil eine gebildete Bevölkerung Schwierigkeiten machen würde, mehr Forderungen stellen würde."

Forderungen, wie etwa nach dem Ausbau der Infrastruktur. Während nämlich für die TouristInnenenklaven in Boca Chica und um Sosua Dinge wie Strom- und Wasserversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung geregelt werden konnten, lebt die lokale Bevölkerung nach wie vor unter denselben "Dritte-Welt-Bedingungen" wie vor 40 Jahren.


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Literaturtipp:
Darren, Denise: What's love got to do with it?
Transnational desires and sex tourism in the Dominican Republic
(Durham and London 2004).

Hörtipp:
Sonne - Sex - Exotik. Sextourismus in der Dominikanischen Republik.
Ulla Ebner im Gespräch mit der dominikanischen Soziologin Clara Baez.
In: www.noso.at (http://cba.fro.at/show.php?eintrag_jd=4170)

Zur Autorin:
Ulla Ebner ist Präsidentin der Österreichisch-Dominikanischen Gesellschaft ÖDG (www.wuk.at/austrodominic) und arbeitet als freie Filmemacherin sowie als Radioredakteurin bei "Women on Air". Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 99, 1/2007, S. 8-9
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2007