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SCHADSTOFFE/087: "Niedersachsens Wasser ist voll scheiße" (PROVIEH)


PROVIEH Ausgabe 03/2012
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

"Niedersachsens Wasser ist voll scheiße"

von Sievert Lorenzen



"Niedersachsens Wasser ist voll scheiße" titelte die Berliner Tageszeitung (taz), als sie über das Fachsymposium "Nährstoffmanagement und Grundwasserschutz" am 8. Juni 2012 in Hannover berichtete. Dort musste der niedersächsische Umweltminister Stefan Birkner (FDP) zugeben, dass sein Land die Vorgaben für Nitratwerte der EU-Wasserrahmenrichtlinie nicht fristgerecht erreichen könne. In Niedersachsen sind die Werte aus zwei Gründen vielerorts überhöht: 1. Vor allem in den Landkreisen Vechta, Cloppenburg, Emsland und der Grafschaft Bentheim werden weit mehr Tiere gehalten als für die regionale Nutzung von deren Gülle tragbar ist. 2. Zusätzlich importiert Niedersachsen Gülleüberschüsse aus den Niederlanden.

Im März 2012 hat der niedersächsische Grünen-Abgeordnete Christian Meyer das Problem in einer Kleinen Anfrage in Zahlen so ausgedrückt: Gelte die von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen angegebene maximale Phosphat-Düngemenge von 80 Kilogramm pro Hektar und Jahr, dann haben allein die Landkreise Vechta und Cloppenburg eine Eigenversorgung mit organischem Dünger (Gülle, Festmist und Trockenkot) von 246 beziehungsweise 209 (statt nur 100) Prozent Kunstdünger. Gärreste aus Biogasanlagen sind im Zahlenbeispiel nicht berücksichtigt. Der Überschuss wiegt 3.260.000 Tonnen und müsste zur Einhaltung der Düngevorgaben in vieharme Regionen transportiert werden. Dafür wären über 100.000 Transportfahrten nötig mit LKWs, die 25.000 Liter fassen - eine enorme Belastung für die Straßen. Die Verunreinigung der Wasserressourcen allein mit Nitrat zeigt an, dass bisher viel zu wenig organischer Dünger fortgeschafft wurde.

Jahrelang verschärfte Niedersachsen das Problem durch die Genehmigung weiterer Mastanlagen für Schweine und Geflügel. Erst jetzt leitete das Land eine Entschärfung ein mit der neuen Gülle-Verordnung, die ab 1. Juli 2012 gilt. Sie schreibt den Tierhaltern vor, zweimal im Jahr die anfallende und die auf die Felder verbrachte Gülle an die Landwirtschaftskammer zu melden. Verkaufen die Tierhalter Gülle, müssen auch die Transporteure und Abnehmer zweimal im Jahr alle Mengen genau melden. Die Grünen im niedersächsischen Landtag fordern zusätzlich die Einführung eines Güllekatasters, das die Ausbringungen von organischem Dünger flurgenau festhält. Dieses Kataster würde alle zu düngenden Flächen und ihren Nährstoffbedarf angeben mit dem Ziel, Flächen vor Überdüngung zu schützen.

Anders als in Deutschland arbeitet die niederländische Regierung schon länger an der Beseitigung der Umweltbelastung durch organischen Dünger. Hühnermist, der sich leicht trocknen und dadurch gut transportieren lässt, wird gern auch über längere Strecken exportiert. Schweinegülle dagegen ist flüssig und verursacht deshalb höhere Transportkosten. Daher wird sie eher über kürzere Distanzen transportiert, zum Beispiel nach Niedersachsen. An einem Verfahren zur Trocknung und anschließender Pelletierung von Schweinegülle für den Transport wird in den Niederlanden geforscht.

Seit Jahren hat die niederländische Regierung maximale Tierzahlen pro Fläche vorgeschrieben und eine Verschmutzungsgebühr pro Schweinemastplatz erhoben. Diese Regelung soll aber 2015 auslaufen. Das ist bedauerlich; denn die handelbaren Verschmutzungsgebühren sind ein markttauglicher Ansatz für eine effiziente Umsetzung des europaweit angestrebten Verursacherprinzips. Damit das System funktioniert, müssten aber alle EU-Länder mitmachen, damit nicht das geschieht, womit Deutschland noch lange zu kämpfen haben wird: Mit staatlicher Hilfe bauen einige niederländische Investoren seit Jahren riesige Schweinemastanlagen und Sauenhaltungen in den neuen Bundesländern. Die Gülle fällt jetzt dort an und nicht mehr in den Niederlanden. Das Problem wurde also nur exportiert statt gelöst, 1:0 für Holland. In Deutschland hat sich kein regierungsseitiger Widerstand dagegen geregt. Nur Nichtregierungsorganisationen, zu denen Bürgerinitiativen, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und PROVIEH gehören, leisten ihn.

Das Gülle-Problem könnte am besten durch eine europaweite Flächenbindung von Tierzahlen gelöst werden. Dann nämlich können nur so viele Tiere gehalten werden, wie für die regionale Nutzung des anfallenden organischen Düngers sinnvoll ist. Auf diese Weise würden die Tierzahlen sinken, weniger Viehfutter müsste importiert werden und weniger Antibiotika würden eingesetzt. Den Wasserressourcen würde das alles gut tun.

Der verringerte Antibiotikaeinsatz würde sogar die Schädlichkeit von Gülle verringern, wie Professor Manfred Grote von der Universität Paderborn herausfand: Antibiotika und antibiotikaresistente Keime, bisher mit der Gülle auf die Äcker verbracht, sind nicht nur auf der Oberfläche des dort gewachsenen Gemüses zu finden, sondern können auch in die Pflanzen hineingelangen. Auch Jahre nach dem Ausbringen belasteter Gülle sei dies noch möglich. Eine akute Warnung vor dem Gemüseverzehr sprechen Grote und andere Experten dennoch nicht aus. Weiterhin bleibe Gemüseverzehr gesund und ein gutes Mittel, riesige Tierbestände überflüssig zu machen.

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Quelle:
PROVIEH Ausgabe 03/2012, Seite 8-9
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Dezember 2012