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MASSNAHMEN/193: Plastik - weniger ist Meer (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2015
Kreislaufwirtschaft
Ist Recycling eine Illusion?

Plastik - weniger ist Meer

Der Plastik-Boom und seine Folgen

von Nadja Ziebarth


Inzwischen gehört zu einem ausgedehnten Strandspaziergang anscheinend nicht nur das Kreischen der Möwen und der Wind, sondern auch das Plastik zu unseren Füßen. Jährlich gelangen etwa 10 Millionen Tonnen Müll in die Meere. Ein Großteil davon besteht aus Plastik. Die Plastikabfälle kommen von Land, sowie auch von See und treiben Jahre bis Jahrhunderte an der Wasseroberfläche und in der Wassersäule. Von der gesamten Müllmenge im Meer landen nur 15% wieder an unseren Küsten, 15% bleiben in der Wassersäule und schätzungsweise 70% akkumulieren sich auf dem Meeresboden. Im Anbetracht dieser Zahlen und hinsichtlich der Müllmengen am Strand, ist die Vorstellungen der Müllmengen im Meer erschreckend. Dass auch an den deutschen Küsten viel Müll angespült wird, ist am besten im Winter zu sehen, wenn keine Strandreinigungen stattfinden. Die Kosten für die Strandreinigungen tragen in der Regel die Insel- und Küstengemeinden. Unbewirtschaftete Strandabschnitte werden nur durch ehrenamtliche Aktionen von Müll befreit oder gar nicht.


Der überwiegend aus Erdöl hergestellte Kunststoff ist so selbstverständlich in unserem Leben, dass wir meist nicht darüber nachdenken, wo wir ihn überall benutzen. Rund 35% des in Deutschland eingesetzten Kunststoffs geht in den Verpackungsbereich, 24% in den Baubereich, 10% in die Automobilbranche und 6% in die Elektro-/Elektronikindustrie [1]. Kein Wunder - Produkte und Verpackungen aus Plastik sind langlebig, billig und leicht. Doch die extreme Haltbarkeit ist am Ende der Fluch: Denn landen Plastikteile nicht in der gelben Tonne, sondern auf der Straße und im Meer, braucht es mehrere hundert Jahre, bis sich das Material in winzigste Teilchen zersetzt hat. Und dennoch bleiben sie in der Umwelt und richten Schaden an.


Unsere Spuren im Meer

Die Abfälle gelangen über die Küstenregionen, Flüsse, durch Überschwemmungen oder direkt auf See in die Meere. Hier verteilen die Strömungen den Müll dann weiter. Jede Ware, die in Kunststoffen verpackt ist, birgt die Gefahr, dass das Verpackungsmaterial in die Umwelt gelangt. Der seeseitige Müllanteil gelangt von Schiffen, Fischerbooten sowie aus Aquakulturen, Offshore Öl- und Gas-Plattformen ins Meer. Plastikpellets können beim Containerverlust auf See oder beim Verladen in die Meeresumwelt gelangen. Es ist zwar nach internationalen Regularien (IMO, Internationale Maritime Organisation) verboten, Abfälle über Bord zu werfen, allerdings können einige Fundstücke bei Strandräumungsaktionen eindeutig auf die Schifffahrt zurückgeführt werden. Die vielen Netzteile, die an Küsten der Nordsee gefunden werden, dürften auf einen erheblichen Anteil des Plastikmülls aus der Fischerei hindeuten. Bis die Netze am Strand gefunden werden, sind sie schon meist über längere Zeiträume als sogenannte »Geisternetze« durchs Wasser getrieben.


Veheddert, verletzt, verhungert

Aber auch größere Abfälle aus Plastik haben dramatische, sichtbare Folgen.

Weltweit sterben jährlich eine Millionen Vögel und 100.000 Meeressäuger durch Strangulation in abgerissenen Fischereinetzen, an plastikgefüllten Mägen oder abgetrennten Gliedmaßen. Die Tiere verheddern sich darin oder verwechseln die im Meer schwimmenden Plastikteile mit Nahrung. Somit können Seevögel mit plastikgefüllten Mägen verhungern.

Die Mikroplastik-Partikel werden von den Meeresorganismen mit der Nahrung aufgenommen, wobei auch Kleinstlebewesen betroffen sind. Partikulärer Kunststoff kann Schleimhautverletzungen bei Tieren hervorrufen und dazu führen, dass diese bei vollem Magen verhungern. Auch die Aufnahme in umliegende Gewebe ist bekannt. Infolgedessen besteht die Gefahr, dass sich das Mikroplastik mit seinen Schadstoffen über das Nahrungsnetz anreichert. Um wieder saubere Meer zu erhalten, benötigen wir Maßnahmen.


Staatliche Abfallvermeidung

Zum einen müssen HerstellerInnen auch für die Verpackungen ihrer Produkte in die Verantwortung gezogen werden. Dies beinhaltet die Förderung eines nachhaltigen Produktdesigns und die Schaffung von Anreizen für die Wiederbenutzung und das Recycling von Plastik.

Auf der Basis des Kreislaufwirtschaftsgesetzes muss die Produktverantwortung auch dazu führen, dass Produkte von vornherein langlebiger konzipiert werden. Unter Umweltschutzgesichtspunkten kann nicht hingenommen werden, dass Produkte kurz nach dem Ende der Gewährleistungsfrist von zwei Jahren ohne Eigenverschulden der Kundschaft unbrauchbar werden und nicht mehr repariert werden können.

Zum anderen müssen staatliche Stellen (Bund, Länder und Kommunen) Abfallvermeidungsprogramme aufstellen, in denen sie konkrete Ziele (z.B. die Förderung von Mehrwegverpackungen) und Maßnahmen zu benennen haben. Dazu gehören ebenfalls die Verankerung des Themas Meeresmüll in Lehrzielen, -plänen und -material sowie bundesweite Müllsammelaktionen. Außerdem muss es einen besonderen Fokus auf Plastiktüten geben. Diese dürfen nicht mehr kostenfrei ausgegeben werden, nur noch gegen angemessen hohe Gebühren. Die Einführung von Pfand- und Rückgabesystemen ist zu prüfen. Gleichzeitig muss für die Nutzung von Mehrwegtaschen und anderen umweltverträglichen Alternativen in der Öffentlichkeit geworben werden.


Verbot von Mikroplastik in Kosmetika

Eine freiwillige Vereinbarung mit den HerstellerInnen ist keine Sicherheit, dass Mikroplastik in der Zukunft nicht wieder eingeführt wird. Der Markt ist ständig im Wandel und neue Produkte werden kreiert. Um sicher zu stellen, dass Mikroplastik nicht wieder Eingang in Kosmetika findet, bedarf es eines Verbotes auf EU-Ebene. Die Bundesregierung muss hier eine Vorreiterrolle einnehmen.


Verbot von Klärschlammausbringung

Bundesweit werden 30% des Klärschlamms auf Felder ausgebracht. Klärwerke, die in der Lage sind Mikroplastik aus den Abwässern zu filtern, dürfen das Mikroplastik nicht durch eine Ausbringung des Klärschlamms wieder in die Umwelt eintragen. Da davon ausgegangen werden muss, dass alle kommunalen Abwässer Mikroplastik enthalten, sollte auch grundsätzlich die Klärschlammausbringung verboten werden.


Vermeidung des Verlustes von Fischernetzen

Der Eintrag von Fischernetzen in die Meere, sei es vorsätzlich oder bedingt durch Unfälle und den operativen Einsatz, muss weitestgehend reduziert werden. Potentielle Maßnahmen sind die Kennzeichnung und Besenderung der Netze, um Sanktionen und Bergungsoperationen zu ermöglichen oder Mechanismen zur Abgabe gebrauchter Netze in den Häfen. Gleichzeitig muss die Forschung und Entwicklung alternativer Materialien und Methoden intensiviert werden, um z.B. schädliche Auswirkungen des planmäßigen Verschleißes von Scheuernetzen (engl. Dolly Ropes) in der grundberührenden Fischerei zu unterbinden. Der Einsatz von abbaubaren Materialien für Netze muss geprüft und gegebenfalls eingeführt werden.


Müll auf See

Die Müllentsorgung auf See wird im Mülltagebuch dokumentiert. Dabei ist eine legale Entsorgungsmöglichkeit die Verbrennung an Bord, die allerdings nicht kontrollierbar ist. Daher muss, um eine illegale Müllentsorgung auf See kontrollieren zu können, die Verbrennung von Müll auf See verboten werden. Nur so kann das Mülltagebuch eine effektive Überprüfung der Müllentsorgung bieten. Dazu müssen auch eine effektivere Strafverfolgung und höhere Strafen bei illegaler Abfallentsorgung auf See möglich sein.


Müllreinigung am Strand

Die Kommunen der Küstenbundesländer reinigen während der Saison die touristisch genutzten Strände und Küstenabschnitte. Allerdings ist die Reinigung der nicht touristisch genutzten Gebiete nicht sichergestellt, sondern dem Einsatz von Ehrenamtlichen, meist Umweltorganisationen überlassen. Besonders auf den Nordseeinseln sind das große Flächen, die somit nur unzulänglich gereinigt werden. Programme der Bundesländer sollten diese ehrenamtlichen Aktivitäten koordinieren und sicherstellen, dass alle Gebiete berücksichtigt werden. Wo keine Ehrenamtlichen aktiv sind, müssen staatliche Stellen die Reinigung übernehmen.

Die Problematik der Vermüllung der Meere ist inzwischen in der Gesellschaft angekommen. JedeR hat schon mal ein Müll-Foto gesehen oder selber am Strand Müll gefunden. Kunststoff ist in unserem Alltag allgewärtig. Um es allerdings wieder als Rohstoff auf der Basis von Öl zu begreifen und nicht als Müll, braucht es einen Strauß von Maßnahmen. Hier müssen Industrie, Politik aber auch die BürgerInnen aktiv werden. Im Rahmen der Umsetzung der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie sind die EU Staaten sogar verpflichtet, Maßnahmen gegen die Vermüllung der Meere umzusetzen. Der BUND [2] wird darauf drängen, dass die politischen Ankündigungen auch wirklich umgesetzt werden.


Die Autorin ist BUND-Meeresschutzexpertin.


Anmerkungen

[1] Plastic Europe, Geschäftsbericht 2014.

[2] www.bund.net/msrl.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2015, S. 9-10
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2015

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