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FORSCHUNG/532: Gefahr für Lebensgemeinschaften in Grundwasser und Bachläufen (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1140 vom 15. Dez. 2018, 38. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)


Kipppunkte im Grundwasser: Wenn's zu warm wird

Immer häufiger werden Gebäude mit Grundwasser im Sommer gekühlt. Dabei wird die Abwärme der Gebäude ins Grundwasser abgeführt. Wenn mehrere Gebäude "in Reihe" in einem Grundwasserstrom liegen, kann es zu einer merklichen Erhöhung der Wassertemperatur in dieser Grundwasserzunge kommen. Das kann dann unerwartete Wirkungen haben: Denn Grundwasser ist nicht nur von Mikroorganismen bewohnt, sondern in vielen Fällen auch von Wirbellosen - beispielsweise kleinen Krebsen. Die Uni Landau hat u.a. in der Oberrheinebene die Lebensgemeinschaften im Grundwasser ausführlich untersucht. Die dort lebenden Grundwasserbewohner sind nach der letzten Eiszeit ins Grundwasser eingewandert - und sind seither kühle Grundwassertemperaturen gewohnt. Die Kleinkrabbeltiere die im kühlen Grundwasser beheimatet sind, mögen keine Wassertemperaturen über 14 Grad. 14 Grad sind in Deutschland die Obergrenze. Oberhalb von 14 Grad "kippen" die Lebensgemeinschaften. Abseits der klimatisch begünstigten Oberrheinebene liegt der Kipppunkt noch ein oder zwei Grade niedriger. Was die Wirbellosen auch nicht mögen, sind starke Temperaturschwankungen in ihrem Grundwasserlebensraum. Wenn sowohl mit Grundwasser gekühlt wird, als auch mit Wärmepumpen dem Grundwasser zum Heizen Wärme entzogen wird, kann die Amplitude der Temperaturschwankungen im Grundwasser beträchtlich zunehmen - und das in einem Lebensraum, der sich gerade durch äußerst konstante Temperaturverhältnisse auszeichnet. Wie sich stark schwankende Grundwassertemperaturen auf die dort hausenden Kleinkrabbeltiere auswirken, ist noch nicht einmal im Ansatz erforscht.

Temperaturmanagement für's Grundwasser

Mit den grundwasserbewohnenden Lebensgemeinschaften hat sich der Bundesarbeitskreis Wasser im BUND auf seiner Sitzung am 15. Dez. 2018 in Fulda befasst. Die WasserexepertInnen des BUND wollen erreichen, dass für sensible Grundwasserleiter ein Temperaturmanagement eingeführt wird. Bei der Genehmigung von Gebäudekühlungen mit Grundwasser soll künftig nicht nur gecheckt werden, ob hierfür genügend Grundwasser zur Verfügung steht. Es soll auch geprüft werden, ob die Temperaturlimits für die wärmeempfindlichen Lebensgemeinschaften nicht überschritten werden. Denn die Kleinkrabbeltiere und die mikrobiellen Lebensgemeinschaften sind wichtig für die Selbstreinigungskraft im Grundwasser. Organische Stoffe, die ins Grundwasser von oben eingetragen werden, werden von Wirbellosen und Bakterien weggefuttert (verstoffwechselt). Rechtliche Regelungen zum Schutz der Grundwasserbiozönosen gibt es bis jetzt nicht. Die Wasserfachleute des BUND wollen sich dafür stark machen, dass zunächst geprüft wird, ob im Wasserhaushaltsgesetz oder in der Grundwasserschutzrichtlinie Schutzvorschriften für die Grundwasserbiozönosen eingeführt werden können. Ein entsprechendes Temperaturmanagement zum Schutz der Wirbellosen ist vor allem in den sauerstoffführenden Grundwasserleitern notwendig. In den reduzierten Grundwasserleitern der norddeutschen Tiefebene gibt es nicht genügend Sauerstoff für die Wirbellosen. Dort bestehen die Lebensgemeinschaften überwiegend nur aus Bakterien, die auch mit anaeroben Bedingungen zu Streich kommen. Allerdings ist nicht völlig ausgeschlossen, dass auch bakterielle Lebensgemeinschaften auf Temperaturerhöhungen reagieren. So wird spekuliert, dass neben einer steigenden Vermehrungsrate auch zunehmende Schleimausscheidungen eine Folge von deutlichen Temperaturerhöhungen im Grundwasser sein könnten. Dann bestünde die Gefahr, dass Grundwasserleiter zuschleimen, so dass die Fließgeschwindigkeiten im Grundwasser abnehmen könnten.

Weitere Auskunft zu den Forschungen der Uni Landau über die Temperaturempfindlichkeit der grundwasserbewohnenden Lebensgemeinschaften:
Institut für Grundwasserökologie IGÖ GmbH An der Universität Landau www.groundwaterecology.de

Wenn die Wasserassel aus dem Wasserhahn schaut

Mit den zuvor genannten Fragestellungen wird sich auch eine wissenschaftliche Tagung vom 19. bis 21. März 2019 an der Uni Landau befassen. Unter dem Titel "Neue biologische Verfahren im Trink- und Grundwassermanagement - Rechtliche Anforderungen und praktische Anwendung" wird u.a. erläutert, wie man die Lebensgemeinschaften in den Wassereinzugsgebieten von Wasserwerken auch als Frühwarnindikatoren für drohende Rohwasserverschlechterungen heranziehen kann. Um den Anforderungen im Risikomanagement und in der Qualitätssicherung im Trink- und Grundwasserschutz - entsprechend dem DVGW-Arbeitsblatt W 271 - entsprechen zu können, wird es künftig auch auf die Kenntnisse der Grundwasserbiozönosen ankommen. Beim Abhaken des Water Safety Plans mit seinen Prüfpunkten vom Einzugsgebiet bis zur "Wasseruhr" spielt zunehmend auch die Kontrolle der Wirbellosenfauna im Grundwasser eine Rolle - wobei einige dieser Grundwasserbewohner (insbesondere die Wasserasseln) durchaus den Weg bis zum Wasserhahn finden (s. RUNDBR. 926/3-4, 920/3-4, 820/3, 416/2).

Weitere Auskunft zu dieser Tagung unter
www.trinkwasserkonferenz.de

Citizen Science: Bürger erforschen Grundwasserlebensgemeinschaften

Im Vorfeld der Landesgartenschau 2022 im südbadischen Neuenburg am Rhein ist ein Citizen Science-Projekt angelaufen. Citizen Science bedeutet, dass sich auch interessierte "Normalos" bei der Erforschung von Grundwasserlebensräumen beteiligen können. In einem Projektprospekt heißt es u.a.: "Grundwasser ist nicht nur unsere wichtigste Ressource für sauberes Trinkwasser, sondern auch ein Lebensraum, der von außergewöhnlichen Tieren besiedelt ist, die an der Reinigung des Grundwassers beteiligt sind. Die wenigsten Menschen kennen seine bizarren, oft exotisch aussehenden Bewohner. Dieses Forschungsfeld weist immer noch große Wissenslücken auf. So ist u.a. zur Verbreitung und den Standortansprüchen einzelner Arten sowie zur Biodiversität vieler Regionen wenig bekannt. Nur wenige Experten gehen diesen Wissenslücken auf den Grund. Erste Daten zeigen, dass Südbaden ein besonders interessantes Gebiet für die Untersuchung von Grundwassertieren ist. Südbaden zeichnet sich, auch im europäischen Vergleich, durch eine besonders hohe Biodiversität im Grundwasser aus."

Im Rahmen des Citizen Science-Projektes "Grundwasser - der verborgene Lebensraum" sind Schulklassen und Studis sowie EhrenamtlerInnen aus den Umweltverbänden eingeladen, sich an der Erforschung der südbadischen Grundwasserlebensräume zu beteiligen. Da der regionale Wasserversorger - die badenova AG - das Projekt sponsert, können alle notwendigen Gerätschaften den Interessenten kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Wer sich beteiligen will, wird zunächst in einem Workshop für die Erforschung der Grundwasserlebensräume fit gemacht. Die erhobenen Daten der LaienWissenschaftlerInnen sollen in wissenschaftliche Folgeprojekte einfließen und auf der Landesgartenschau in Neuenburg am Rhein 2022 im Rahmen einer Ausstellung präsentiert werden.

Weitere Auskunft zu diesem Projekt bei:
Institut für Grundwasserökologie IGÖ GmbH
D-76829 Landau
Homepage: www.groundwaterecology.de

Kolmatierung: Den guten ökologischen Zustand kannste vergessen!

Wenn sich trotz aller Renaturierungsbemühungen der guten ökologische Zustand im Bach oder Fluss nicht einstellt, dann kann das mindestens zwei Ursachen haben: Eine zu hohe Belastung mit Mikroverunreinigungen aus oberhalb liegenden Kläranlagen und/oder die Kolmatierung der Bachsohle. Letztere kann wiederum mindestens zwei Ursachen haben: Die Erosion von Ackerflächen, so dass Feinmaterial die Bachsohle verklebt und/oder schlecht funktionierende Nachklärbecken in den oberhalb liegenden Kläranlagen: Dann wird "Suspensa" aus der Nachklärung in die Bäche ausgeschwemmt. Supensa - also kleinste Belebtschlammflöckchen - verkleben ebenfalls die Bachsohle. Die Bachsohle kann dadurch betonhart werden. Kieslaicher wie Bachforellen haben dann keine Chance mehr für eine erfolgreiche Fortpflanzung. Auch wenn es nicht so weit kommt, kann die Kolmatierung durch organische Stoffe zu einer beträchtlichen Sauerstoffzehrung im Sandlückensystem der Bachsohle ("hyporheisches Interstitial") führen (siehe auch Kasten, siehe auch RUNDBR. 1008/2 sowie insbes. 585/3, 543/3 und 503).

Die kolmationsbedingte Vernichtung der Lebensräume im Sandlückensystem ist deshalb schwerwiegend, weil 90 Prozent und mehr der Kleinkrabbeltiere des Bachs ("Makrobenthosfauna") nicht im Bach oder auf der Bachsohle, sondern im hyporheischen Interstitial beheimatet sind. Das Sand- und Kieslückensystem kann viele Meter beiderseits des Bachs und in die Tiefe reichen. Das Sand- oder Kieslückensystem verbindet damit die oben genannten Grundwasserlebensräume mit den Lebensräumen im Bach. Wenn auf Grund der Kolmatierung die Bachsohle und die Sand/Kies-Lückensysteme verklebt und verstopft sind, kann sich folglich kein »guter ökologischer Zustand« - wie er in der EG-Wasserrahmenrichtlinie vorgeschrieben ist - einstellen.

Die auf S. 1 genannte Sitzung der Wasserfachleute des BUND in Fulda hat sich auch der Kolmatierung gewidmet. Die WasserexpertInnen des BUND sind auf der Suche nach Möglichkeiten, wie die Kolmatierung stärker als bislang beim Gewässermonitoring erfasst werden kann. Die Erfassung von Struktur und Substrat an der Gewässersohle ist zwar in der Oberflächengewässerverordnung zwar vorgesehen. Aber an der Bachsohle endet in der Regel das Gewässermonitoring. Rein in das Sand/Kies-Lückensystem geht die Strukturgütekartierung nicht. Die Kolmatierung wird damit nicht qualifiziert erfasst. Die BUND-WasserexpertInnen wollen das ändern. Dazu sollen zunächst einmal Gespräche mit der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) geführt werden. Im Meinungsaustausch mit den Wasserfachleuten der Länderumweltministerien soll geklärt werden, ob man Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz und/oder in der Oberflächengewässerverordnung anstreben sollte. Ferner will man beim BUND noch stärker als bislang der Erosion in der Landwirtschaft problematisieren. Im Durchschnitt werden vier Tonnen Ackerkrume pro Jahr und Hektar wegerodiert - im Extremfall können es aber auch mal 400 Tonnen sein. Soweit die Bundesländer überhaupt eine Erosionsschutzverordnung haben, fehlt diesen Verordnungen die Durchschlagskraft (s. Fußzeilen auf Seite 4!).

Weitere Auskunft zu den Aktivitäten des Bundesarbeitskreises Wasser des BUND bei:
BUND-Bundesgeschäftsstelle Berlin

Auch die Wasserkraftnutzung kann zur Kolmatierung beitragen

In einem Bach mit natürlichem Geschiebetrieb werden bei Hochwässern viel Kies und Steine ("Geschiebe") den Bach hinunter transportiert. Die auf der Bachsohle rollenden Kiesel und Steine raspeln dann immer wieder die Bachsohle auf. Der Geschiebetrieb öffnet also die verklebte und verstopfte Bachsohle, so dass wieder frisches, sauerstoffreiches Wasser in das Sand/Kies-Lückensystem einfließen kann. Der Stau von Wasserkraftanlagen wirkt allerdings in vielen Fällen als Sedimentsenke oder -falle. Oberhalb der Stauanlage bleiben Kies und Steine liegen. Unterhalb des Staus fehlt dann das Geschiebe zum Aufraspeln der kolmatierten Bachsohle. Und im Rückstaubereich der Wehranlage des Wasserkraftwerkes bleiben nicht nur Kiesel und Steine liegen, sondern auch sehr viel Feinmaterial. So kommt es in der Regel auch zu einer Kolmatierung des Rückstaubereichs.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1140
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Alfred-Döblin-Platz 1, 79100 Freiburg
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Quellenangabe (!) erwünscht!
© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2019

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