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FORSCHUNG/377: Was moderne Wasserforschung leisten muss (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser

Was moderne Wasserforschung leisten muss


Ob Wasser in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung steht, ist für den Menschen und die natürlichen Ökosysteme eine überlebenswichtige Frage. Obwohl Wasser global betrachtet scheinbar im Überfluss vorhanden ist (mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt), so ist nur ein sehr kleiner Teil davon als Trinkwasser direkt aus Seen, Flüssen und Grundwasser nutzbar (etwa 0,3 Prozent). Wasser ist zudem weltweit ungleich verteilt und wird je nach Jahreszeit und Region unterschiedlich stark genutzt - als Trinkwasser, als Brauchwasser für die Industrie, zur Energieerzeugung oder für die Pflanzenproduktion in der Landwirtschaft. Und oft wird das Wasser gerade dort für besonders wasserintensive Nutzungen beansprucht, wo es ohnehin bereits knapp ist. Mit der weltweit wachsenden Bevölkerung verstärkt sich nicht nur direkt der Druck auf die Ressource Wasser, sondern er wächst auch indirekt durch die steigende Nahrungsmittel- und Konsumgüterproduktion und den höheren Energiebedarf. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels mit sich ausweitenden Extremen wie Hochwasser und Dürren.


Wassermanagement: Global denken - regional handeln

Um den zukünftigen Herausforderungen zur Deckung der Wassernachfrage gewachsen zu sein, müssen integrierte Ansätze für die nachhaltige Nutzung und Bewirtschaftung von Wasserressourcen entwickelt und um gesetzt werden. Diese müssen angepasst sein an die unterschiedlichen regionalen Wasservorkommen, die unterschiedlichen Beanspruchungen und die zu erwartenden Änderungen in Verfügbarkeit und Bedarf. In diesem Sinne hat das bekannte Motto "think globally, act locally" eine ganz konkrete Bedeutung. So müssen die Nutzungen mit der jeweils verfügbaren Menge, der Qualität und den ökologischen Funktionen der Oberflächengewässer und des Grundwassers in Balance gebracht werden, um sie nachhaltig zu sichern.

Nicht nur die Wasserressourcen an sich, sondern auch die natürlichen Funktionen der aquatischen Systeme haben einen essenziellen Wert für den Menschen. Unsere Gewässer erbringen ökologische Dienstleistungen, wie Trinkwasser- und Energiebereitstellung, Transport- und Selbstreinigungskapazität, Nahrungsressourcen, ästhetische und kulturelle Werte und viele andere. Kein anderes System und keine Technologie können diese Funktionen ersetzen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Zwölf Prozent aller weltweit bekannten Tier- und Pflanzenarten leben in den Binnengewässern, obwohl diese nicht einmal ein Zehntausendstel des Wasservolumens der Erde beinhalten und nur einen proportional sehr geringen Teil der Erdoberfläche bedecken. Und zirka 41 Prozent der Fischarten und 25 Prozent aller Wirbeltierarten sind mehr oder minder direkt von Süßwasserökosystemen abhängig.

Ein modernes und nachhaltiges Management von Wasserressourcen kann somit nicht isoliert und nur bezogen auf den Sektor Wasserwirtschaft entwickelt und umgesetzt werden. Der Schlüssel liegt in Anpassungsstrategien, flexiblen Infrastrukturen und einer wesentlich höheren Ressourceneffizienz aller Wassernutzungen.


Wasserforschung: Mehr disziplinäre Forschung oder mehr Interdisziplinarität?

Was muss eine moderne Wasserforschung leisten? Kann sie sich den Herausforderungen der sich weltweit verschärfenden Wasserkrise(n) ernsthaft stellen? Im Prinzip ja: Sie ist sehr gut aufgestellt in ihren Einzeldisziplinen aus den Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Hier liegt gleichzeitig das Dilemma: in den "klassischen" Disziplinen der Wasserforschung. Die Wasserforschung hat ein her vorragendes Analyse- und Modellverständnis physikalischer Prozesse oder biogeochemischer Reaktionen auf kleiner Skala, in einzelnen Gewässern oder unter kontrollierten Laborbedingungen. Sie entwickelt anspruchsvollste Messtechnik und produziert Messdaten in einer zeitlichen oder räumlichen Auflösung und in einer Menge, für die die Auswertungsmethoden noch gar nicht vorhanden sind. In der Gewässeranalytik können Stoffe in einer fast beliebigen Anzahl und in unvorstellbar geringen Mengen analysiert werden. Solche Entwicklungen in der Forschung sind für das Verständnis grundlegender Prozesse äußerst wichtig. Jedoch sind zur nachhaltigen Lösung der regionalen und globalen Wasserprobleme weiterführende, interdisziplinäre Ansätze notwendig. Ganz gleich, ob es um die Entstehung und Dynamik von Hochwasser, die effizientere Nutzung oder Speicherung des sogenannten grünen Wassers, das in Boden und Pflanzen steckt, den Transport und Verbleib von Nähr- und Schadstoffen, die Funktionen von aquatischen Ökosystemen oder das Management von Wasserquantität und -qualität unter den Bedingungen des globalen Wandels geht: Es handelt sich immer um komplex strukturierte und gesteuerte Umweltsysteme, in denen vielfältige Prozesse, Wechselwirkungen und Rückkopplungen stattfinden. Denn der Wasserkreislauf als Ganzes ist eben mehr als die Summe seiner Teile (siehe S. 16/17).

Interdisziplinarität ist aber kein Selbstzweck und bedeutet nicht, dass "alles mit allem" zu verbinden ist, bevor Aussagen getroffen werden können. Vielmehr besteht die Kunst interdisziplinärer Wasserforschung darin, eine integrative Betrachtung so anzulegen, dass diejenigen Systemstrukturen und -eigenschaften identifiziert und quantifiziert werden können, die für die Funktionen des Gesamtsystems bzw. für die jeweilige Fragestellung entscheidend sind. Das bedeutet weder, sich in den vielfältigen Detailprozessen zu verlieren, noch durch grobe Abstraktion unzulässige Vereinfachungen zu treffen. Vielmehr sind intelligente und vertrauenswürdige Synthesen gefragt, denn nur so können rationale Entscheidungsgrundlagen für das Wasser- und Umweltmanagement zur Verfügung gestellt werden. Und die sind zwingend notwendig, wenn es gilt, Lösungen zu finden, beispielsweise zur Steigerung der Effizienz verschiedener Wassernutzungen - ob in der Landwirtschaft (als "Wassernutzer Nr. 1"), der Trinkwasserversorgung, bei der Rohstoffgewinnung, in der industriellen Produktion oder bei der Abwasserreinigung.


Lösungsansätze einer modernen Wasserforschung

Für die so verstandene interdisziplinäre Wasserforschung bedeutet das, dass unsere wissenschaftlichen Methoden in der Lage sein müssen, zukünftige Entwicklungen globaler Wandelprozesse und deren Konsequenzen für unterschiedliche Skalen widerspruchsfrei, mit höherer Genauigkeit und größerer Verlässlichkeit vorherzusagen, als dies bisher möglich ist. Dazu ist es notwendig, einzelne dominante Prozesse so zu beobachten und zu analysieren, dass zuverlässige Prognosen für das Verhalten des ganzen Systems - z. B. als Reaktion auf Änderungen des Klimas oder der Landnutzung - getroffen werden können. Dabei spielen Modelle und Simulationswerkzeuge eine entscheidende Rolle. Sie sind unverzichtbar bei der Entwicklung und Überprüfung wissenschaftlicher Hypothesen und müssen zukünftig noch sehr viel stärker als bisher für System- und Prozessstudien genutzt werden. Um die dominanten Prozesse zu identifizieren und Modelle zu entwickeln, ist die Beobachtung von Umweltvariablen auf unterschiedlichen Skalen in Raum und Zeit die Grundlage - zum Beispiel mithilfe langer Beobachtungszeitreihen an entsprechend instrumentierten Beobachtungsstandorten (wie im Rahmen der Beobachtungsplattform TERENO, siehe S. 6/7)(*). Von besonderem Interesse sind dabei nicht nur die klassischen Umweltkompartimente wie Luft, Wasser und Boden, sondern insbesondere die Übergangszonen zwischen Vegetationswasser, Boden- und Grundwasser sowie Oberflächengewässern. Denn hier finden auf kleinen Skalen verschiedene Schlüsselprozesse statt, die z. B. zur Entwicklung eines Hochwassers oder zur Verschlechterung der Wasserqualität beitragen.

Dass die naturwissenschaftliche Forschung mit sozialwissenschaftlichen Aspekten verknüpft werden muss, ist in der Wasserforschung inzwischen unbestritten. Dabei geht es um die entscheidende Fragen eines wirksamen Managements von Wasser. Welche Akteure, Institutionen und Verwaltungen sind an welchen Entscheidungsprozessen beteiligt und welche Rolle spielen sie dabei? Welche rechtlichen und ökonomischen Instrumente gibt es für die Steuerung einzelner Wassernutzungen (z. B. Regulierung der Wasserpreise)? Wie können sie besser aufeinander abgestimmt und wirksamer angewendet werden? Welche Rolle spielt der mehr oder weniger umweltbewusste Verbraucher? Welche Handhabungen und Anreize gibt es, Kostendeckungs- oder Verursacherprinzipien konsequenter einzusetzen? Wie funktioniert die Zusammenarbeit in internationalen Flussgebieten und wie kann der Interessenausgleich zwischen Anliegern am Ober- und Unterlauf von Flüssen organisiert werden? Die weltweit und regional sehr unterschiedlichen Wasserprobleme erfordern vielfältiges und anspruchsvolles Wissen, um effektiv handeln zu können. Dabei darf Eines nicht vergessen werden: Den Schlüssel, die Wasserprobleme nach haltig zu lösen, haben letztendlich die Menschen und Zivilgesellschaften selbst in der Hand. Entsprechend wichtig sind die Aus- und Fortbildung sowie der Wissenstransfer aus der Wasserforschung in die relevanten gesellschaftlichen Bereiche. In diesem Sinne sind "Wasserforschung" und "Wasserwissen" eine untrennbare Einheit.


UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dietrich Borchardt Leiter Dept. Aquatische Ökosystemanalyse und Management
Sprecher des UFZ-Forschungsbereiches "Nachhaltiges Management von Wasserressourcen"
e-mail: dietrich.borchardt[at]ufz.de


(*) Anmerkung der SB-Redaktion:
siehe unter www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Fakten →
FORSCHUNG/763: Mit TERENO die Umwelt beobachten (UFZ-Spezial)


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Quelle:
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser, S. 4-5
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2011