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WALD/009: Hambacher Forst - Faust auf Faust (SB)


Hambacher Forst - 15. November 2012, 16.00 Uhr

Wer gefährdet wessen Leben?

Inmitten des Waldes steht eine mehrstöckige Holzhütte, drumherum Zelte -Quelle: http://de.indymedia.org/2012/11/337919.shtml, CC BY-SA 2.0

So sah das im Hambacher Forst errichtete Camp vor der Räumung aus
Quelle: http://de.indymedia.org/2012/11/337919.shtml, CC BY-SA 2.0

Für die Aktivisten und Aktivistinnen des im Hambacher Forst errichteten Camps stellt der bisherige Verlauf ihrer Aktion bzw. der polizeilichen Räumung in gewisser Weise einen Erfolg dar. "Inzwischen ist dies die längste Räumung dieser Art aller Zeiten auf dem Fleckchen Erde den sie Deutschland nennen", heißt es auf einer Web-Seite von Braunkohlegegnern und RWE-Kritikern, auf der über die aktuellen Ereignisse hinaus ein Ausblick auf das weitere Vorgehen bzw. die zukünftige Entwicklung gegeben wird [1]:

Die Aktivist_innen nehmen diese Strapazen auf sich, um die Rodung des Waldes zu verhindern - oder sie zumindest herauszuzögern - und um Öffentlichkeit zu erzeugen, um im nächsten Jahr genug Aktive zu sein, um den nächsten Rodungsabschnitt komplett zu verhindern. Hier geht es aber nicht nur um einen tausend Jahre alten Wald, sondern auch um ein Wirtschafts- und ein Herrschaftssystem, das für dieser Zerstörung stehen, wie dieser Polizeieinsatz deutlich macht.

Tag 3 der Räumung des von Gegnern der Braunkohleverstromung im Tagebau Hambach seit April besetzt gehaltenen Areals steht aus Sicht der Polizei offenbar ganz im Zeichen eines technischen Problems, nämlich der Suche nach einem für den letzten, im Tunnel ausharrenden Besetzer wie auch die beteiligten Bergungskräfte gefahrlosen Weg, zu diesem vorzudringen - womit allerdings, wiederum aus dem Blickwinkel der sogenannten Sicherheitskräfte, noch nicht viel gewonnen wäre, da sich der letzte Waldbesetzer in dem in sechs Metern Tiefe gelegenen Erdloch an einem Betonblock festgekettet hat, von dem er sich aus eigener Kraft nicht wieder losmachen kann.

Es hat den Anschein, als könnten die (deutschen) Behörden dieses Problem zur Zeit nicht in der zu Gebote stehenden Weise lösen. Möglicherweise müßte ein britisches Expertenteam zu Hilfe gerufen werden. In Großbritannien wird in ähnlich gelagerten Fällen, um die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten, so vorgegangen, daß der Tunnelgang Meter für Meter nachgebaut, verbreitert und neu abgestützt wird. Die Waldbesetzer und -besetzerinnen und ihre Unterstützer fordern deshalb, daß die Polizei die Räumung abbricht, wenn sie selbst kein Team hat, das eine solche Aktion durchführen kann [2].

Ein quadratisches Erdloch, das senkrecht in die Tiefe führt, mit Leiter und Kabeln -Quelle: http://de.indymedia.org/2012/11/337912.shtml, CC BY-SA 2.0

Unterhalb dieses Eingangs befindet sich der letzte Waldbesetzer
Quelle: http://de.indymedia.org/2012/11/337912.shtml, CC BY-SA 2.0

Nachdem in den frühen Morgenstunden zunächst gemeldet worden war, die Bergwacht sei zu dem festgeketteten Aktivisten vorgedrungen und wieder abgereist, weil ein weiterer Einsatz ihrer Ansicht nach zu gefährlich sei, hieß es in Vormittagsstunden, die Grubenwehr aus Herne habe die Arbeiten am Tunnel übernommen. Diese Experten sollen erklärt haben, daß der Raum, in dem sich der Aktivist befindet, nicht einsturzgefährdet sei [2]. Wie seitens der Braunkohlegegner verlautbart wurde, gibt es in Hinsicht auf den Zugangstunnel gegensätzliche Einschätzungen der Einsturzgefahr. Die Aktivisten erklärten demnach - auch gegenüber der Polizei -, daß der Tunnel einsturzsicher gebaut wurde und dies auch nach wie vor sei, solange sich die Polizei an die Sicherheitsvorkehrungen halte.

Die Polizei hingegen versuche, die beabsichtigte Räumung des letzten Protestlers als eine zu dessen Rettung durchgeführte Aktion darzustellen. Sie hat zu ihrer Unterstützung Geologen angefordert, die gegen Mittag mit einem kleinen Bagger in zehn Metern Entfernung des über dem Tunnelsystem gelegenen Küchenhauses eine Bodenprobe genommen haben. Unterdessen setzte die Polizei den Abbau des Küchenhauses fort, das Balken für Balken per Hand mit der zu Gebote stehenden Vorsicht abgetragen werde. Von einer Hebebühne aus werden die Äste der Baumkronen der beiden großen Bäume, in die das Küchenhaus hineingebaut worden war, einzeln abgesägt und heruntergetragen.

Nach Angaben des WDR [3] wiederum habe die aus Herne angeforderte Grubenwehr erklärt, daß der Tunnel, der zu dem angeketteten Mann führe, zu dem sie einen Blickkontakt habe herstellen können, "akut einsturzgefährdet" sei. Ein Polizeisprecher habe am heutigen Mittag erklärt, nicht auf demselben Weg, den der Mann genommen hat, zu ihm vordringen zu können, weil dies für alle Beteiligten lebensgefährlich und deshalb nicht zu verantworten wäre.

Nach Darstellung des WDR will die Polizei, wenn sie, was derzeit geschieht, das über dem Eingang zum Tunnelsystem liegende Haus abgetragen hat, mit "erschütterungsarmen Baggern" einen Schacht graben, um an den letzten Tunnelaktivisten heranzukommen. Der Betroffene sei mehrfach auf die damit verbundene Einsturzgefahr hingewiesen worden, habe aber, wie ein Polizeisprecher sagte, erklärt, dies in Kauf nehmen und unten bleiben zu wollen. Am frühen Nachmittag solle das Haus abgebaut sein, wie lange es dann dauern werde, den Schacht zu bauen, sei laut WDR nicht abzusehen.

Unterdessen hat sich der Mann, um den sich nun allem Anschein nach alles dreht, zum ersten Mal selbst zu Wort gemeldet und eine Erklärung abgegeben zu seiner, wie er es nannte, Aktion eines "praktizierten Klimaschutzes von unten":

Ich wundere mich ein Bisschen über die große Aufmerksamkeit dafür, dass die Polizei mit dem Räumungsversuch mein Leben aufs Spiel setzt - gleichzeitig interessiert sich scheinbar kein Mensch dafür, dass die Lebensgrundlagen von Millionen zerstört werden: Täglich sterben Hunderte an Hunger, Durst und Vertreibung als direkte Folgen des menschengemachten Klimawandels. Hier unten ist es riskant und ungemütlich, aber RWE riskiert die Zukunft unseres Planeten. Wenn nicht endlich mehr Menschen selber handeln, um den Braunkohleabbau zu stoppen, macht RWE die Erde nicht nur ungemütlich, sondern unbewohnbar. [2]

Um 15.49 Uhr wurde auf der Aktivisten/Aktivistinnen-Web-Seite "Hambacher Forst" bekanntgegeben, daß die Polizei offenbar daran festhält, sich von der Oberfläche aus zu dem Aktivisten vorbuddeln zu wollen. Demnach würden alle Warnungen und Experteneinschätzungen, daß der einzig sichere Weg ein Tunnelnachbau nach britischem Vorbild wäre, in den Wind geschlagen werden. Am Nachmittag wurde ein spezielles Sauggerät herangeschafft, mit dem sich lockerndes Erdreich abgesaugt werden kann. Sollte dieses den Tunnelzugang verstopfen, wäre sehr schnell die Luftzufuhr für den in sechs Metern Tiefe angeketteten Aktivisten versperrt.

Dieser hat in seiner Erklärung die Polizei aufgefordert, nicht von oben aus zu baggern, sondern ein spezielles Räumungsteam aus Großbritannien mit dem Namen "uk evict" anfordern. Es gehe ihm gut und er sei auch keiner Gefahr ausgesetzt, wenn nicht die Polizei "unverantwortliche Maßnahmen zur Räumung durchführt" und er müsse auch nicht, wie die Polizei behauptet hätte, "gerettet" werden. Die Polizei soll behauptet haben, daß der Aktivist mit seiner Aktion das Leben der Spezialeinheiten gefährden würde. [2]

Im Vordergrund Wald, im Hintergrund Braunkohletagebau mit Fördergerätschaften - Foto: Johannes Fasolt, gemeinfrei [4]

Braunkohletagebau Hambach (bei Köln), 6. August 2006
Foto: Johannes Fasolt, gemeinfrei [4]

Fußnoten:
[1] Tunnel wird geräumt / längste Räumung aller zeiten, 15. November 2012
https://stopptrwe.crowdmap.com

[2]Quelle: Meldungen vom 15.11.2012, 06.30-16.00 Uhr
Hambacher Forst
E-Mail: hambacherforst@riseup.net
Internet: http://hambacherforst.blogsport.de/kontakt/

[3] Polizei will Demonstranten ausgraben, WDR.de, 15.11.2012, 12.15 Uhr
http://www1.wdr.de/themen/wirtschaft/hambacherforst122.html

[4] Bildquelle:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/06/Surface_Mining_Hambach_200800806.jpg/120px-Surface_Mining_Hambach_200800806.jpg


15. November 2012