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INTERVIEW/299: Klima auf der Kippe - sanfte Hand, neues Land ...    Matthias Miersch im Gespräch (SB)


Gespräch am 21. August 2019 in Hamburg


Der Jurist Dr. Matthias Miersch aus Laatzen ist Fachanwalt für Strafrecht. Seit 2005 vertritt er den Wahlkreis Hannover-Land II im Deutschen Bundestag. Dort ist er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für die Bereiche Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Tourismus sowie Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion.

Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Klima in der Krise. Welchen Preis braucht CO2?", die auf Einladung des BUND am 21. August 2019 in der Freien Akademie der Künste Hamburg stattfand [1], machte Miersch deutlich, daß der CO2-Ausstoß teurer werden muß, dies aber kein Allheilmittel sei, sondern nur eine von vielen Klimaschutzmaßnahmen sein könne. Die Koalition müsse in den kommenden Wochen ein schlüssiges und wirksames Gesamtkonzept liefern. Dazu gehören das Klimaschutzgesetz, der Kohleausstieg und die gesetzliche Verankerung des Ausbaus der erneuerbaren Energien auf mindestens 65 Prozent in 2030.


Stehend beim Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Matthias Miersch
Foto: © 2019 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Wir haben heute abend sehr viele Vorschläge und Ideen gehört, die dazu beitragen könnten, der Klimakrise etwas entgegenzusetzen. Es bleiben jedoch nur noch wenige Jahre, um das zu schaffen. Inwieweit kann man der Fülle dieser Möglichkeiten überhaupt gerecht werden und müßte man sich nicht verstärkt auf bestimmte Schwerpunkte fokussieren?

Matthias Miersch (MM): Wir benötigen nicht jeden Tag neue Einzelvorschläge, sondern vielmehr ein Gesamtkonzept. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass beispielsweise aufgrund der deutschen Wiedervereinigung im Energiesektor durch die Erneuerung des Kraftwerkparks der ehemaligen DDR Einsparungen erreicht werden konnten. Aber in anderen Bereichen, insbesondere beim Verkehr, in der Landwirtschaft und bei Gebäuden ist viel zu wenig passiert. Deswegen brauchen wir ein Gesamtkonzept, um in den nächsten 30 Jahren die große Transformation auf den Weg zu bringen. Das hat sich die internationale Staatengemeinschaft in Paris zum Ziel gesetzt, und ich hoffe, dass die Bundesrepublik Deutschland einen großen Anteil dazu beitragen wird.

SB: In der vorangegangenen Diskussion auf dem Podium war immer wieder von einer Verkopplung von sozialen und ökologischen Fragen die Rede. In welchem Maße kann die Umverteilung, über die wir dabei gesprochen haben, überhaupt nennenswert dazu beitragen, die soziale Ungerechtigkeit zu mildern und die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen?

MM: Wir Sozialdemokraten sprechen deshalb auch immer von einer sozialökologischen Transformation. Wir haben die Riesenchance, die Frage der Solidarität im 21. Jahrhundert neu zu stellen, indem wir nämlich sagen, was der Staat und was die Gemeinschaft zukünftig für den Einzelnen garantiert. Nehmen wir den Bereich Mobilität, wo ohnehin riesige Investitionen in den öffentlichen Personenverkehr notwendig sind. Wenn wir das als zentrales Element öffentlicher Daseinsvorsorge definieren, jedem Menschen Mobilität zu garantieren, können wir ganz neue Verkehrssysteme erschließen. Davon profitieren die Menschen und der Klimaschutz. Das gleiche gilt für Förderprogramme für Gebäude oder auch die Förderung von neuen Technologien, etwa zur Energiespeicherung. Wir brauchen ein neues Bewusstsein, dass diese Transformation nur gemeinschaftlich zu stemmen sein wird. Und dann müssen die, die mehr haben, auch mehr dazu beitragen.

SB: Viele Vorschläge, die eingebracht werden, beruhen darauf, daß das Wirtschaftswachstum mehr oder weniger so weitergeht wie bisher. Ist eine Klimawende überhaupt in einer Wachstumsgesellschaft möglich?

MM: Ich glaube, dass wir uns auch sehr grundsätzlichen Fragen stellen müssen, beispielsweise über die möglichen Grenzen des Wachstums diskutieren, wie es der Club of Rome seit langer Zeit tut. Wir brauchen eine Debatte über das Wirtschaftssystem der Zukunft, und die heutige Veranstaltung war gewissermaßen ein erster Schritt dafür. Wie können wir etwa die volkswirtschaftlichen Folgekosten einpreisen, ihnen einen Wert geben. Und wer trägt diese Kosten? Ich halte nichts davon, lediglich eine Diskussion um Verzicht zu führen. Denn diese Transformation kann auch ein Gewinn sein, indem wir zum Beispiel unendliche Energiequellen wie Sonne und Wind für uns nutzbar machen. Die Transformation kann auch die Lebensqualität steigern, wenn ich nicht mehr im Stau stehen muss, weil wir uns eine effiziente und flächendeckende Verkehrsinfrastruktur geschaffen haben. Ob die Transformation ein Gewinn für uns wird, das haben wir selbst in der Hand.

SB: Die AfD behauptet, daß es keinen menschengemachten Klimawandel gibt, und verspricht den Leuten Zugewinn und Durchsetzungsfähigkeit, wenn wir die knapper werdenden Ressourcen uns Deutschen vorbehalten und andere Menschen ausgrenzen, die wir als nicht deutsch definieren. Ist dieses Argument möglicherweise für viele Menschen als vermeintlich einfache Lösung attraktiv?

MM: Aus diesem Grund ist die Frage der sozialökologischen Transformation eine Riesenherausforderung für diese Demokratie und ich warne auch vor Polarisierung. Wir müssen versuchen, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Deshalb ist es mir so wichtig, nicht einzelne, isolierte Vorschläge zu machen, die am Ende einige überfordern. Wir müssen die großen gesellschaftspolitischen Fragestellungen miteinander lösen. Ein Beispiel, für das ich sehr lange gekämpft habe, ist die Kohlekommission. Dort hatten wir vom BUND über Prof. Schellenhuber aus dem Potsdamer Klimainstitut bis zur Industriegewerkschaft IG BCE und dem Bund der Deutschen Industrie alle zusammen an einem Tisch. Jeder hätte allein für sich anders entschieden. So aber haben sich alle auf einen Kompromiss verständigt, der über Jahrzehnte tragen kann. Das Ergebnis der Kohlekommission zeugt vorbildhaft, wie Gesellschaft gemeinsam Probleme lösen kann.

SB: Heißt das, daß Ihre Auffassung auch innerhalb der eigenen Partei und in der Bundespolitik keine isolierte Position ist?

MM: Davon bin ich fest überzeugt, denn wir haben viele dieser Dinge in den Koalitionsvertrag geschrieben. Natürlich werden sie teilweise anders interpretiert, aber wir sehen jetzt bei der Einigung der Kohlekommission zum sogenannten Kohleausstieg, dass hier mühselige Arbeit Früchte trägt. Das gibt Mut, dass wir tatsächlich diese großen Herausforderungen als Gesellschaft stemmen werden.

SB: Herr Miersch, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:


[1] www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0152.html


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11. September 2019


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