Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REPORT


INTERVIEW/279: Meeresnutzung - Überfischung ...    Francisco Marí im Gespräch (SB)




Mit Mikrophon in der Hand beim Podiumsgespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Francisco Marí
Foto: © 2018 by Schattenblick

Obwohl der Pazifik der größte Kontinent der Erde ist - wenngleich ein "flüssiger Kontinent", wie die dort lebenden Menschen ihn nennen -, wird ihm und den anderen Ozeanen vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt. Auch Nichtregierungsorganisationen kümmern sich eher um Landfragen als um Fragen des Meeresschutzes. Nochmals geringer ist die Zahl derjenigen, die Meeresschutz und Entwicklungspolitik zusammenbringen. Ausnahmen davon bilden die drei Organisationen Fair Oceans, Brot für die Welt und Forum Umwelt & Entwicklung, die am 8. Juni zum "Tag der Ozeane" eine Konferenz abgehalten haben, die unter dem Titel "Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung" stand. Veranstaltet in der Bremer Landesvertretung in Berlin war die Konferenz in drei Panels geteilt: Internationale Meerespolitik, Tiefseebergbau und Fischereimanagement.

Zu letztgenanntem Themenkomplex hielt Francisco Marí, beim Evangelischen Entwicklungsdienst Brot für die Welt Referent für Welternährung, einen Vortrag über "Kleinfischerei in der internationalen Fischereipolitik" und ordnete in diesem Kontext die Tätigkeit seiner Organisation ein. Mit der Umsetzung der Fischereiverträge der Europäischen Union ist Marí durchaus zufrieden. Vieles werde erfüllt, vieles allerdings noch nicht. Und was die Leitlinien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO angeht, so seien diese zwar freiwillig, würden aber breit diskutiert, berichtete er. Es habe sich etwas getan, auch wenn es nun an den Staaten sei, sie in nationale Gesetzgebung umzusetzen.

Marí unterstützt die "Fischerei-Transparenzinitiative", die sich an die Transparenzinitiative von extraktiven Industrien, Fisheries Transparency Initiative FiTI genannt, anlehnt, da die meisten Länder es an Transparenz mangeln lassen. Brot für die Welt versucht, die Regierungen darauf zu verpflichten, daß sie alle Aktivitäten und Ereignisse, die in ihren Gewässern geschehen, sowie die Fischereigesetzgebung offenlegen.

"Transparenz" war auch eines der Themen, über das der Referent im Anschluß an die Konferenz mit dem Schattenblick sprach.

Schattenblick (SB): Bei der heutigen Diskussion über Fischereimanagement fiel auf, daß das Thema Brexit nicht aufgegriffen wurde. Ändert sich etwas an der Fischereipolitik durch den Abschied des Vereinigten Königreichs von der Europäischen Union?

Francisco Marí (FM): Dafür bin ich zwar kein Experte, aber aus entwicklungspolitischer Sicht ändert sich wenig, außer vielleicht, daß Entwicklungsgelder wegfallen. Die Fernfangflotte der Briten war eher in Richtung Nordsee und Nordostatlantik vor Grönland und Island unterwegs, für die Entwicklungspolitik spielt das keine Rolle. Die meisten britischen Fischer waren vom Brexit begeistert, weil sie erwarteten, daß sie dann nicht mehr von der EU gegängelt werden und keine fremden Schiffe mehr in ihren Gewässern fischen.

Wobei letzteres nur bedingt relevant ist, denn die vereinbarte europäische Stabilität hat es beispielsweise Spaniern gar nicht erlaubt, in der Nordsee zu fischen. Insofern gewinnen die britischen Fischer durch den Brexit nicht viel, umgekehrt könnten sie aber Gewässer wie zum Beispiel jene vor Grönland verlieren, in denen sie bislang fischen durften. Es sei denn, man würde im Falle eines weichen Brexits eine Ausnahmeregelung treffen.

Ansonsten ist der Brexit ein Problem für die britischen Fischer, weil sich der Fisch nicht an Grenzen hält. So wird der Kabeljau zum Beispiel weiter nördlich gefangen, und wenn die Briten ihre Managementpläne nicht mehr mit der EU absprechen, dann ist der Kabeljau mal da, dann wieder weg. Oder wenn sie ihn abfischen, gehen andere leer aus, da keine gemeinsame Verwaltung besteht. Richtige Probleme sehe ich vor allem in der Irlandfrage. Irland bleibt in der EU, und die Irische See ist Durchzugsgebiet von Fischen. Da könnten Konflikte entstehen.


Beide Schiffe dicht beieinander auf offener See - Foto: Isaac Newton, CC BY-SA 2.5 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en]

Krieg um Fisch - Kollision zwischen der britischen Fregatte HMS Scylla und dem isländischen Patrouillenboot Odinn am 23. Februar 1976.
Island und Großbritannien führten zwischen 1958 und 1973 drei "Kabeljaukriege". Islands Forderung nach einer 200-Seemeilen-Fischereizone wurde vom Internationalen Seerechtsübereinkommen übernommen und gilt heute für alle Küstenstaaten.
Foto: Isaac Newton, CC BY-SA 2.5 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en]

SB: Wenn große Fischtrawler vor Mauretanien die Meere durchpflügen und alles abfangen, dann ist das nicht nachhaltig, das ist klar. Ist die Kleinfischerei per se davor gefeit, Bestände zu überfischen, oder sind dir Beispiele bekannt, wonach massenhafte Kleinfischerei ähnliche Effekte haben kann?

FM: Das gibt es durchaus, aber zuvor noch ein Kommentar zu dem Trawler vor Mauretanien. Das ist zumindest kein europäischer und auch kein russischer Trawler. Die fischen dort nicht mehr. Die Überwachung in Mauretanien funktioniert halbwegs, so daß ich den Satz so nicht unterschreiben würde. Wir von Brot für die Welt sind ja vor Ort und haben gegen diese Art der Fischerei wirklich einiges erreicht, auch und gerade über die Medien. Das einzige, was man sagen könnte, ist, daß die Wertschöpfung immer noch bei der europäischen und russischen Industrie liegt - wobei dort auch die Chinesen eine Rolle spielen.

Was deine Frage betrifft: Ja, diese Mengen könnten auch von Kleinfischern gefangen werden, allerdings nicht von mauretanischen, denn die sind gar nicht so viele. Auch vor der Küste von Mauretanien stammen die meisten Fischer aus Senegal. Es gab einmal ein Fischereiabkommen zwischen diesen beiden Staaten, das 300 bis 1000 Pirogen aus Senegal erlaubt hat, in Mauretanien zu fischen, weil es in den Küstengewässern dieses Landes viel Fisch, aber vor Ort nur wenige einheimische Fischer gibt. Dann hat Mauretanien aus politischen Gründen die Senegalesen hinausgeworfen und vierzehn halbgroße Boote aus der Türkei zugelassen.

Auch von der Kleinfischerei kann ein so großer Befischungsdruck ausgeübt werden, daß sich die Bestände nach jahrzehntelanger Plünderung - übrigens auch durch die EU - nicht mehr erholen. Es gibt tatsächlich zu viele Pirogen da unten. Manche sprechen von 20.000, andere sogar von 25.000 an der Zahl. Wobei die Schiffe natürlich nicht alle zur gleichen Zeit und jeden Tag rausfahren.

Ansonsten finden Dorf- und Fischereigemeinschaften immer Wege, die Bestände zu schonen. Beispielsweise indem ein Teil des Dorfes nur jeden zweiten Tag rausfahren darf. Außerdem ist für Muslime aus traditionellen Gründen der Dienstag kein Fischereitag; Christen halten sich ebenfalls daran, denn letztlich sehen sie in dem Meer eine Seele, die ihnen den Fisch gibt, und lassen den Dienstag in Ruhe. Darüber hinaus werden Schonzeiten von einigen Monaten eingehalten, da die Leute wissen, daß sich bestimmte Arten erholen müssen. Sollten sich einzelne Fischer nicht daran halten, dann werden sie womöglich bestraft, manchmal etwas derber, als wir das bei uns machen würden. Dann kann es dazu kommen, daß ihnen das Boot abgefackelt wird. Das heißt, es gibt eine Kontrolle, auch wenn diese aufgrund der Armut der Menschen dort und der Konkurrenz nicht immer durchsetzbar ist.

SB: Du befaßt dich ja schon seit langem mit Fischereipolitik. Als Laie ist es oft schwer einzuschätzen, ob sich die Fischbestände weltweit erholen oder immer mehr Arten überfischt werden. Da liest man schon mal, daß die Bestände stabil sind und ähnliches. Wäre das dann eine Stabilität auf einem niedrigen Niveau oder wie lassen sich solche Meldungen einordnen?

FM: Ich war heute auch erstaunt, denn seit sechs, sieben Monaten hört man, wie schlimm es dem Dorsch geht. Vor vier Jahren war Dorsch DAS Beispiel dafür, wie gut er sich in der Ostsee erholt hat. Gut, man muß einräumen, daß die Bestände nicht nur durch Überfischung, sondern immer auch durch meeresbiologische oder klimatische Ursachen dezimiert werden können. Außerdem treten manchmal Krankheiten auf, so daß beispielsweise in ganzen Schwärmen die Fische ihre Geschlechtsreife nicht erreichen.

Jedenfalls sind die Zahlen zur Fischerei umstritten. Der Fischereiexperte Daniel Pauly aus Vancouver bestreitet, daß die Zahlen der FAO, die alle zwei Jahre herauskommen, zutreffen. Er geht davon aus, daß viel mehr von der Biomasse abgefangen wird und die Überfischung größer ist als angenommen. Pauly hat nicht die Bestände abgeschätzt, sondern ist historisch zurückgegangen und hat gefragt, was täglich gefischt wurde. Die mit großem Aufwand gewonnenen Zahlen hat er mit denen der FAO kontrastiert und für manche Gebiete riesige Unterschiede festgestellt. Bezogen auf die Biomasse wurden manche Gebiete dreimal so stark befischt. Das ist natürlich gefährlich.

Außerdem beobachten wir enorme Volatilitäten aus Gründen, die wir nicht kennen. Wir wissen zum Beispiel nicht, warum der Kabeljau vor Neufundland nicht wieder zurückkommt. Der wird dort schon seit zehn, zwölf Jahren nicht mehr befischt, doch er bleibt weg. Solche Beispiele zeigen dann auch, daß wir nicht so einfach mit den Zahlen umgehen und sagen können: Wir fischen drei Jahre nicht, dann geht es dem Fisch wieder gut. Oder wie Rainer Froese (Anm. d. SB-Red.: Dr. Rainer Froese, Leiter des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften in Kiel [1]) immer sagt: Gebt den Fischern in der Ostsee vier Jahre lang Hartz IV, so daß sie nicht fischen gehen, und anschließend haben wir mehr Fisch als vorher. Statistisch verbleiben wir schon seit zehn Jahren weltweit gesehen bei 80 Millionen, und es wird nicht eine Million mehr oder weniger ...

SB: 80 Millionen von was?

FM: 80 Millionen Tonnen Fisch, darüber geht nichts. Das ist schon mal ein Zeichen dafür, daß wir an irgendeiner Grenze sind. Ob das jetzt so ist, wie die FAO sagt, daß nur 30 Prozent überfischt und 40 Prozent nahe an der Überfischung dran sind oder davon doch ein Teil schon darüber ist, das ist sehr schwer zu sagen. Ich glaube, es ist auf jeden Fall Zeit, mehr zu tun. Und es wird auch etwas getan. Andererseits entsteht auch immer wieder mehr Druck. Besonders was China betrifft. Ich halte es für unverantwortlich, was dort für Überkapazitäten geschaffen wurden. Auch wenn im chinesischen Fischereiministerium inzwischen ein Umdenken zu beobachten ist, wie sogar Greenpeace bestätigt. Die Umweltorganisation hat mit den zuständigen Behörden lange Gespräche geführt. Man ist sich bewußt, daß man sich selber großen Schaden zufügt, wenn man die gesamte Fangflotte von der Leine läßt.

SB: Aber muß sich China nicht an die jeweils in den Regionen festgelegten Fangquoten halten?

FM: Ja, sicherlich. Aber wenn zum Beispiel die EU Verträge abschließt, dann verlangt sie von dem Partnerland, daß alle Verträge offengelegt werden. Deswegen wissen wir, wieviel Tonnen Fisch in Marokko gefangen, wie viele Schiffe dort eingesetzt werden, um welche Arten Fisch es sich handelt, und so weiter. Wegen dieser Transparenz fordern inzwischen schon die Kleinfischer in Senegal, daß ihre Regierung entsprechende Verträge abschließt.

Aber dort, wo das nicht passiert, wo keine vertragliche Absicherung besteht - es gibt ja nur elf Staaten mit EU-Verträgen -, da sind solche Angaben schwerer zu bekommen. China fischt auch unter Privatlizenzen. Die chinesische Regierung sagt selbst, sie wisse zum Teil gar nicht, wieviel Fisch gefangen wird. Man vergibt eine Lizenz an ein Schiff, doch das Dokument wird womöglich fünfmal gedruckt. Dann gibt es fünf Schiffe mit derselben Schiffsnummer. Wenn dann festgestellt wird, daß da irgend etwas schiefgegangen ist, wird das abgestempelt. Dann liegt eines der fünf Schiffe vielleicht jahrelang in Conakry und ein weiteres vor Guinea-Bissau und niemand in China weiß, daß die Schiffe noch existieren.

Ich will hier aber kein reines China-Bashing betreiben. Man würde es sich zu einfach machen, wenn man sagt, die Chinesen sind die Bösen und die Europäer die Guten. Weil die Europäer andere Tricks anwenden. Beispielsweise fahren sie an jenes chinesische Boot in Westafrika heran, übernehmen den illegal gefangenen Fisch, mischen ihn unter ihren eigenen, legal gefangenen Fisch, weil sie vielleicht eine schlechte Quote haben, und fahren damit nach Las Palmas, um den Fisch anzulanden. Das kann keiner nachweisen. Es ist also nicht so, daß bei der europäischen Fischerei nicht noch große Schlupflöcher bestehen. Zudem zahlt die Europäische Union den Schiffseignern Subventionen. Dadurch werden chinesische und russische Schiffseigner unfair behandelt, denn sie erhalten keine staatlichen Hilfen. Da wissen wir, daß wir die bösen Buben sind.

Es gibt natürlich Superoptimisten wie den WWF, die sagen, wenn sich alle an die Fangquoten halten würden, könnten wir sogar irgendwann 180 Millionen Tonnen pro Jahr fischen. Theoretisch ist das tatsächlich möglich, denn wenn sich alle immer an die MSY (Anm. d. SB-Red.: Maximum Sustainable Yield - maximale nachhaltige Menge. Das ist der höchstmögliche Dauerertrag an Fisch, der entnommen werden kann) halten würden, dann reproduziert sich der Fisch. Dann hätten wir in zehn Jahren mehr Fisch als heute. Denn in den Weltmeeren lebten früher einmal mehr Fische als heute, das ist klar. Hätte man vor, sagen wir mal, 200 Jahren gefischt, hätte man sicherlich an die 300, 400 Millionen Tonnen anlanden können.


Strandszene mit vielen Menschen, einzelnen Fischhaufen auf dem Boden, auf dem Meer einige Pirogen und Fischer - Foto: pixabay

Fischerei ist für Senegal ein wichtiger Wirtschaftszweig
Foto: pixabay

SB: Ein Begriff, der heute häufiger fiel: Kohärenz des Meeresschutzes. Die miteinander kollidierenden Rechtssysteme sollen einander angeglichen werden. Könnte es der handwerklichen Fischerei nicht auch Nachteile einbringen, sobald sie einem übergreifenden Rechtssystem unterworfen wird?

FM: Zunächst einmal finde ich es gut, daß die Weltgemeinschaft überhaupt auf die Meere schaut. Es wurden zahlreiche Initiativen gestartet, neue Organisationen mit neuen Rechtssystemen geschaffen und es finden Konferenzen ohne Ende statt. Auch die SDGs (Anm. d. SB-Red.: Sustainable Development Goals, z. Dt. Nachhaltigkeitsziele), selbst wenn sie nicht rechtebasiert sind, halte ich für gut. Dennoch muß sich die Weltgemeinschaft entscheiden, was Meere eigentlich sein sollen. Sollen sie tatsächlich das neue Wirtschaftswunder bringen, wie mit dem Begriff Blue Economy gesagt wird? Und das in einem belasteten System? Seit Jahren warnen wir, wie schlimm es den Meeren geht, doch von Bremen bis zu den Vereinten Nationen wird zu diesem Thema nicht ein Papier herausgegeben, das nicht überschrieben wäre mit: Blue Economy - Blue Growth (Anm. d. SB-Red.: Z. Dt. Blaue Ökonomie - Blaues Wachstum).

Die Meere sollen immer mehr liefern - ja, wovon denn? Auch dieser ganze Multi-Stakeholder-Ansatz mit den "Commitments". Das ist die neumodische Art, sich zu nichts zu verpflichten. Auf jeder Konferenz das gleiche, angefangen von Privatleuten, die erklären, daß sie ab übermorgen keinen Fisch mehr essen, bis zur australischen Regierung, die Millionen Dollar für nachhaltige Fischerei ausgeben will: Man "committet" sich. Das ist weniger als "verpflichtend", man "verspricht" lediglich. Und so etwas nennt sich dann "Beschluß". Ich denke oft bei mir: Ja, gut, vielleicht wird das ja diesmal überprüft.

Sicherlich besteht die Gefahr, daß die Schwächsten darunter leiden. Es ist ja sehr schön, daß die Kleinfischerei inzwischen beachtet wird, zum Beispiel im Rahmen der SDGs. Aber dann heißt es wieder: Wir wollen den ärmsten Staaten dazu verhelfen, mehr an ihrem Dasein im Ozean zu verdienen. In Klammern dahinter: Kleinfischerei, Tourismus. Und dann sage ich mir: Hm, das ist ja wohl ein Unterschied.

Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es ist richtig, daß das Seerechtsübereinkommen die Mutter aller Verträge auf der See genannt wird, aber es hat auch große Schwächen. Nicht alles wird darin geregelt, vor allem nicht die Wassersäule. Es regelt die Fläche und den Boden, doch was dazwischen passiert, wird nicht behandelt, sieht man von den AWZ ab (Anm. d. SB-Red.: Ausschließliche Wirtschaftszone, auch 200-Meilen-Zone genannt).

SB: Wie stehst du zu dem Vorschlag, eine Weltmeeresbehörde einzurichten?

FM: Damit könnten wir gleich in Deutschland anfangen, wenn man bedenkt, daß für Meeresbelange acht Ministerien zuständig sind. Es wäre nicht schlecht, wenn man quasi alles, was die Meere berührt, zusammenfaßt, damit zumindest gemeinsame Entscheidungen getroffen werden. Aber wenn ich allein an die WTO-Debatte um Subventionen denke, komme ich zu dem Schluß, daß es niemals eine Weltmeeresbehörde geben wird. Man hatte sich bei der WTO auf einen einzigen Satz geeinigt: Man verbietet Subventionen, die zu illegalem Fischfang führen. (lacht) Hallo? Welches Land wird zur WTO gehen und erklären: Ich zahle 100.000 Euro für illegalen Fischfang! Das ist kompletter Blödsinn. Dem Satz konnte natürlich jeder zustimmen, denn niemand vergibt illegale Subventionen. Schließlich war es Indien, das die Reißleine gezogen und die Farce beendet hat.

Alles in allem wird die Politik durchaus sensibler dafür, daß Probleme mit den Meeren bestehen. Das sieht man an den Themen Meeresmüll und Plastik. Das anzusprechen ist gut und wichtig. Dennoch muß man aufpassen, daß dieses Problem nicht alle anderen übertüncht. Es wäre zu schön, wenn es nur um Plastik ginge! Wobei das schon schlimm genug ist. Jetzt endlich wird zu dem Plastikproblem eine Wirtschaftsdebatte geführt. Es geht hier um die Konzerne, und es geht um die Kohlenstoffchemie. Ich hoffe nur, es wird nicht wieder alles über Commitments abgewickelt.

Daß wir mit Verve die Atomkraft abschaffen, aber die Kohlenstoffchemie überleben lassen, die uns ja einen Großteil der Probleme bereitet - das geht mit dem Klimawandel los und endet beim Plastikmüll im Meer -, halte ich für einen Fehler. Die Konzerne müssen angegangen werden, damit sie das Zeugs nicht mehr produzieren. Das könnte ganz schnell gehen, indem man eine Verordnung erläßt, nach der zum Beispiel Mikroplastik verboten ist. Einfach Schluß. Nicht mehr produzieren. Aber nicht so, wie es jetzt die EU macht: Man darf es nicht verwenden. Oder die Plastiktütenkampagne. Nichts dagegen, aber wer produziert denn die Tüten?

Zu all dem muß man aufpassen, daß man nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet. Denn mit dem Ende der Kohlenstoffchemie käme als Ersatz die Bioökonomie. Dann würden womöglich in den Meeren riesige Algenfelder angelegt, nur um Ersatzplastik zu produzieren. Deshalb drängen wir darauf, was auch Marie-Luise (Anm. d. SB-Red.: Marie-Luise Abshagen, Forum Umwelt & Entwicklung) schon zum Tiefseebergbau gesagt hat: Das ist vor allem eine Frage unseres Lebensverhaltens. Ob wir wirklich immer alles sofort brauchen und ob die Konzerne bereit sind, auch langlebigere Produkte zu schaffen, und einmal mit dem Gewinn zufrieden zu sein und nicht alle fünf Minuten riesige Gewinne generieren wollen - wie bei allen Dingen ist das am Ende auch eine Frage des kapitalistischen Verwertungssystems, das als Lösung - in diesem Fall des Rohstoffmangels - auf die Meere übertragen wird.

Leider ist auch die Ökonomisierung des Gemeingutes bei manchen NGOs beliebt. Man will uns weismachen: "Wenn ihr mehr darauf achtet, habt ihr mehr Geld." Aber ich will nicht das Geld, ich will das Gemeingut erhalten, so wie ich die Luft und andere Dinge erhalten will, auch ohne daß sie etwas wert sind, und zwar für alle Menschen.

SB: Die EU hat eine Beifangregelung verabschiedet. Greift diese Regelung oder wird sie unterlaufen?

FM: Im Jahr 2013 mußte ich die Begriffe Rückwurfverbot und Anlandegebot auch erstmal lernen. Das ist gar nicht so lange her und heute redet keiner mehr darüber. Ich habe heute Kim (Anm. d. SB-Red.: Kim Detloff, Bundesverband des NABU, Berlin [2]) gefragt, er arbeitet inzwischen gar nicht mehr zum Beifang. Man hat versucht, die Beifangregelung mittels Kameras an den Seiten der Schiffe zu überwachen, aber das brachte Scherereien. Da hieß es auf einmal, es werde das Recht auf Privatsphäre verletzt. Meiner Meinung nach wurden bei dieser Regelung noch keine großen Fortschritte erzielt, ebensowenig wie bei dem zweiten großen Anliegen, nämlich bis 2020 die Fangmengen wieder aufzubauen.

SB: Francisco, vielen Dank für das Gespräch.


Ein Mann, eine Plastikschlappe in der Hand haltend, steht am Strand vor ca. zehn Plastikkörben voll mit Schuhen, im Hintergrund weitere Berge mit Plastikmüll - Foto: NOAA/NMFS/Pacific Islands Fisheries Science Center Blog, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

"Brauchen wir das wirklich?"
(Marie-Luise Abshagen, 8. Juni 2018, Berlin)
Eingesammelter Plastikmüll von der Küste des Midway-Atoll, Hawaii, im APril 2013
Foto: NOAA/NMFS/Pacific Islands Fisheries Science Center Blog, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]


Fußnoten:


[1] Ein Schattenblick-Interview mit Dr. Rainer Froese finden Sie hier:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0146.html

[2] Schattenblick-Interviews mit Dr. Kim Detloff finden Sie hier:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0028.html
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0146.html


Bisher im Schattenblick zur Konferenz anläßlich des "Tags der Ozeane 2018" unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/140: Meeresnutzung - Schutzaufwände ungenügend ... (SB)
BERICHT/142: Meeresnutzung - scheingeschützter Tiefseeboden ... (SB)
INTERVIEW/277: Meeresnutzung - Recycling und andere Auswege ...    Marie-Luise Abshagen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/278: Meeresnutzung - Sofortmaßnahmen unverzichtbar ...    Friederike Sorg im Gespräch (SB)


5. Juli 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang