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INTERVIEW/273: A Plastic Ocean - ins Schwarze getroffen ...    Ingrid Boitin im Gespräch (SB)


Interview mit der Greenpeace-Aktivistin Ingrid Boitin am 5. Juni in Hamburg


Vor kurzem hat die Umweltschutzorganisation Greenpeace in der Antarktis Mikroplastik und chemische Rückstände aus Textilien gefunden. Zuvor hatten Forscher des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts in der Arktis größere Mengen Mikroplastik entdeckt. Am 5. Juni, anläßlich des Weltumwelttages, hat das GeoKino*Kollektiv am Geomatikum der Universität Hamburg die aufrüttelnde Netflix-Dokumentation "A Plastic Ocean" vorgeführt. Daran schloß sich eine Diskussion unter Leitung von Ingrid Boitin, einer Greenpeace-Aktivistin aus Lübeck, an. Sie machte sich bei dieser Gelegenheit dafür stark, Plastik wegen der darin enthaltenen Giftstoffe gesetzlich zum Gefahrengut zu erklären, weil dies positive Konsequenzen, einschließlich eines Rückgangs der Produktion, hätte. Nach der Diskussion beantwortete Frau Boitin dem Schattenblick einige Fragen.


Ein Strand übersät mit jeder Art von Plastiktüten und -behältern - Foto: © 2009 by U. S. Fish & Wildlife Service HQ, via Wikimedia Commons freigegeben als CC-BY-2.0-Lizenz

Statt Paradies eine Müllkippe
Foto: © 2009 by Fish & Wildlife Service HQ, via Wikimedia Commons freigegeben als CC-BY-2.0 Lizenz

Schattenblick: Frau Boitin, was hat Sie dazu veranlaßt, sich vor 30 Jahren bei Greenpeace zu engagieren?

Ingrid Boitin: Das erste Mal, daß ich überhaupt etwas von Greenpeace gehört habe, war in den 80er Jahren, als die Robben in Kanada totgeschlagen wurden. Daß die jungen Robben wegen ihres Fells grausam getötet wurden, fand ich ganz schlimm. Deswegen habe ich mich Greenpeace angeschlossen.

SB: Wie hat sich Greenpeace Ihrer langjährigen Erfahrung nach seither entwickelt?

IB: Wir sind wohl eine Riesenorganisation geworden, die inzwischen in den meisten Ländern der Welt vertreten ist und die praktisch wie eine richtige Firma mit eigenen Angestellten agiert. Das gilt für mich nicht, denn meine Tätigkeit ist stets ehrenamtlich gewesen. Insgesamt gibt es bei Greenpeace in Deutschland zwischen vier- und fünftausend Ehrenamtliche. Die Bundesrepublik ist damit weltweit das Land mit den meisten Greenpeace-Freiwilligen.

SB: Wie viele engagierte Menschen waren es, als Sie damals anfingen?

IB: Anfangs waren es nur ein paar Verrückte, die sich einen alten Fischkutter, die "Phyllis Cormack", gekauft haben und damit aufs Meer hinausgefahren sind, um gegen die Atombombenversuche der Amerikaner zu protestieren. Zwar haben sie sie nicht verhindern können, doch daraus ist dann später die Kampagne gegen die Waltötung geworden. Inzwischen ist Greenpeace zum großen internationalen Konzern angewachsen. Das muß man nicht negativ bewerten, denn es gibt unzählige Baustellen auf unserem Planeten, die abgearbeitet werden müssen, und dazu sind eben viele Menschen mit Idealen erforderlich.


Boitin und Krautzig am Stehpult - Foto: © 2018 by Schattenblick

Ingrid Boitin & Silvia Krautzig vom GeoKino*Kollektiv
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Haben Sie sich im Rahmen Ihrer Arbeit bei Greenpeace auf einen bestimmten Themenbereich spezialisiert - etwa die Plastikproblematik?

IB: Die Meere an sich sind mein großes Thema - und das, obwohl ich mich eigentlich eher von den Bergen als vom Wasser angezogen fühle. Und dennoch berührt mich das sehr, die zunehmende Bedrohung, die für die Meereslebewesen von den Menschen ausgeht. Schließlich kommt alles Leben auf unserer Erde ursprünglich aus dem Meer. Des weiteren interessiere ich mich für die Themen Arktis und Antarktis. Die Polarregionen spielen für das Weltklima eine wichtige Rolle. Wenn das Eis an den Polen schmilzt, wird das Sonnenlicht nicht mehr wie im bisherigen Umfang ins All hinaus zurückreflektiert. Dann staut sich im Meer und in der Atmosphäre die Wärme des Sonnenlichts und der Klimawandel gerät noch weiter aus dem Lot. Die großen Industrienationen ignorieren die Gefahren dieser Entwicklung und schielen auf die zunehmenden Möglichkeiten des Fischfangs und der Förderung von Öl und Gas in den arktischen Regionen.

SB: 2017 stand für Greenpeace die Bekämpfung des Plastikmülls an oberster Stelle. Hat die letztjährige Kampagne Früchte getragen?

IB: Es fanden auf geschäftsführender Ebene Gespräche und Verhandlungen mit diversen Regierungen und internationalen Organisationen statt. Diese wissen, daß Greenpeace das Thema im Blick hat, wir nicht lockerlassen und immer wieder den Finger in die Wunde legen werden. Wenn staatlicherseits uns bzw. der Öffentlichkeit Veränderungen und Verbesserungen versprochen werden, machen wir uns dafür stark, daß sie auch tatsächlich umgesetzt werden. Bei Plastik wie bei allen Themen gilt das über das Kampagnenjahr hinaus. Man muß dranbleiben.

SB: Hat die Kampagne von Greenpeace gegen Plastikmüll zu einer größeren Sensibilisierung in der Öffentlichkeit geführt?

IB: Ich denke schon. Bei der EU ist die Diskussion über ein generelles Verbot von Einwegplastik wie zum Beispiel Geschirr, Teller, Besteck, Strohhalme, Luftballonhalter und Wattestäbchen voll im Gange.

SB: Rechnen Sie bald mit einem solchen Verbot?

IB: Aus Rücksicht auf die europäische Industrie soll es erst in ein paar Jahren in Kraft treten. Das halte ich für Schwachsinn. Warum nicht eher? Ich finde, es gibt noch viel mehr zu tun. Einwegplastik ist nur ein Teil des Problems. Mikroplastik in der Kosmetik zum Beispiel gehört meines Erachtens ebenfalls verboten.


Interviewszene in der ersten Reihe des Hörsaals - Foto: © 2018 by Schattenblick

Ingrid Boitin und SB-Redakteur
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Eine 2017 veröffentlichte Studie hat ergeben, daß der größte Teil an Plastikmüll, das ins Meer gelangt, aus sechs Ländern in der asiatisch-pazifischen Region stammt. Die Volksrepublik China stand ganz oben auf der Liste, gefolgt von Indonesien, den Philippinen, Vietnam, Sri Lanka und Thailand. Könnte Deutschland, das als führend in der Müllbeseitigung und Wiederverwertung gilt, diesen Ländern nicht bei der Schaffung besserer Strukturen helfen?

IB: Vielleicht, aber man darf nicht vergessen, daß die Europäer und die Nordamerikaner zu diesem Problem beigetragen haben, indem sie seit Jahren größere Mengen Plastikmüll nach China exportieren. Müll ist schließlich ein Riesengeschäft.

SB: Heißt das, daß der Plastikmüll, der über die großen Flüsse Asiens ins Meer gelangt, ursprünglich aus den USA, Kanada und den EU-Staaten kommt?

IB: Soweit würde ich nicht gehen. Er trägt aber auf jedem Fall zu der Umweltzerstörung bei. Ich denke jedoch, daß der größte Teil dieser Plastikobjekte, die dort ins Meer gelangen, der Müll der Bevölkerungen in den genannten Ländern ist.

SB. Wie könnten deutsche Regierungsstellen oder auch die EU diesen Ländern bei der Müllproblematik helfen?

IB: Das kann ich nicht beantworten. Wir als Greenpeace sind jedenfalls in diesen Ländern tätig, bilden Freiwillige aus, arbeiten mit Wissenschaftlern und anderen Nicht-Regierungsorganisationen zusammen und führen unsere Kampagnen durch.

SB: Welches Fazit würden Sie als Expertin aus dem Film ziehen, den wir heute abend gesehen haben?

IB: Obwohl ich vieles davon schon kannte, ging mir die Dokumentation sehr unter die Haut. Das Leiden der Tiere schockiert mich immer am meisten, denn sie sind so unschuldig. Wir sind es, nicht die Tiere, die den Planeten zerstören.

SB: Vielen Dank, Frau Boitin, für das Gespräch.


Verwester Albatroßkadaver mit Plastikmüll in der Bauchgegend - Foto: © 2009 by Chris Jordan (via U. S. Fish & Wildlife Service HQ) via Wikimedia Commons freigegeben als CC-BY-2.0-Lizenz

Ein weiteres Opfer der menschlichen Sorglosigkeit
Foto: © 2009 by Chris Jordan (via U. S. Fish & Wildlife Service HQ) via Wikimedia Commons freigegeben als CC-BY-2.0-Lizenz


10. Juni 2018


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