Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REPORT


INTERVIEW/182: Der Blick aus dem All - Raumfahrt tut not ...    Bernhard L. von Weyhe im Gespräch (SB)


Back on Earth

Pressegespräch mit dem ESA-Astronauten Dr. Alexander Gerst, seinem ehemaligen Doktorvater Prof. Matthias Hort und dem Pressesprecher der ESA in Darmstadt, Bernhard L. von Weyhe, am 8. Mai 2015 im Deutschen Klimarechenzentrum der Universität Hamburg

Bernhard L. von Weyhe über die Priorität der Erdsystembeobachtung bei der ESA, die Faszination der bemannten Raumfahrt und Industriespionage im Weltall

Überschwemmungen, Erdbeben und Vulkanausbrüche sind einige der Katastrophen, die von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in den nächsten Jahren noch intensiver per Satellit beobachtet werden sollen. Mit dem neuen Copernicus-Programm werde man in der Lage sein, "binnen zehn, fünfzehn Minuten ein sehr komplettes Lagebild zu liefern", berichtete Bernhard L. von Weyhe am 8. Mai 2015 bei einem Pressegespräch im Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg. Der Pressesprecher der ESA in Darmstadt war kurzfristig für Dr. Maurice Borgeaud eingesprungen, da der angekündigte ESA-Programmdirektor für die Erd- und Umweltbeobachtung es zeitlich nicht mehr rechtzeitig zu dem Termin geschafft hatte.

Pressegespräch mit Prof. Matthias Hort, CLiSAP/CEN-Pressesprecherin Ute Kreis, ESA-Astronaut Dr. Alexander Gerst und dem ESA-Pressesprecher in Darmstadt, Bernhard L. von Weyhe, hinter einem langen Tisch sitzend - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Flutschäden können schnell in den zweistelligen Milliardenbereich gehen, Satelliten sind also eine gute Investition."
(Bernhard L. von Weyhe, 8. Mai 2015, Deutsches Klimarechenzentrum, Hamburg)
Foto: © 2015 by Schattenblick

Anlaß des Pressegesprächs war ein für den Nachmittag angesetzter Vortrag des ESA-Astronauten Dr. Alexander Gerst über seine "Blue Dot"-Mission im vergangenen Jahr auf der Internationalen Raumstation ISS. [1] Der "Faszinationsfaktor der bemannten Raumfahrt ist unschlagbar", das sei keine Frage, erklärte von Weyhe, machte jedoch darauf aufmerksam, daß sich bei der ESA 22 Nationen im Bereich der Erd- und Umweltbeobachtung zusammengetan haben und seit nunmehr fast dreißig Jahren "ein weltweit führendes ziviles Erd- und Umweltbeobachtungsprogramm insbesondere mit Satellitensystemen aufgebaut" haben. Die bemannte und die unbemannte Raumfahrt sind somit zwei Standbeine der Europäischen Raumfahrtagentur.

Im Anschluß an das Pressegespräch stellte sich von Weyhe dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Wer entscheidet bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA mit ihren 22 Mitgliedstaaten darüber, welche Programme durchgeführt werden?

Bernhard von Weyhe (BvW): Die ESA ist eine sogenannte intergouvernementale Organisation, deren Mitgliedsländer im ESA-Rat vertreten sind und sich alle sechs Monate mit dem Management Board der ESA treffen. Dort werden die Prioritäten besprochen. Wir betreiben eine Geo-Return-Policy, eine Politik des Rückflusses der Mittel: Die Länder, die das meiste einzahlen, bekommen auch das meiste heraus. Deutschland und Frankreich bringen im Moment jeweils etwa 25 Prozent des ESA-Budgets auf, so daß diese beiden Länder dann auch politisch und programmatisch einen entsprechend großen Einfluß auf die Entscheidungen haben.

Grundsätzlich genießen bei uns die Erd- und Umweltbeobachtung und Klimaforschung eine sehr hohe Priorität. Sehr wichtig sind auch neue Hightech-Anwendungen für Bürger, Regierungen, öffentliche Entscheidungsträger und Wirtschaft. Ganz spannende Stichworte hierzu sind Telekommunikation, Satellitennavigation, integrierte Anwendung von Telekommunikation, Sat-Nav und wiederum Erdbeobachtungen. Wir sind aber auch eine öffentliche Forschungsorganisation und haben den Zweck und die Vision, Grundlagenforschung zu betreiben. Vergleichende Planetenforschung zum Beispiel: Wie entwickelt sich das Klima auf dem Mars und auf der Venus im Vergleich zur Erde? Daraus können wiederum Klimaforscher Rückschlüsse für die Erde ziehen, ohne daß daraus gleich ein Business-Modell gemacht wird.

Auch die Kometenforschung ist extrem spannend, denken Sie an die Mission der Raumsonde Rosetta mit ihrem Lander Philae, die im letzten Jahr ihren Zielkometen erreicht hat. Rosetta kreist jetzt um den Kometen und führt Untersuchungen durch: Woher kommen Kometen, woraus bestehen sie, wie verhalten sie sich? Ist vielleicht vor Urzeiten das Leben auf der Erde durch Kometeneinschlag entstanden? Könnten Kometen oder Asteroiden zu einem Problem für die Erdbevölkerung werden, wenn so ein Gesteinsbrocken direkt auf die Erde zufliegt? Der Film "Armageddon" mit Bruce Willis war natürlich ein bißchen sehr "Hollywood", nichtsdestotrotz ist es statistisch nicht ausgeschlossen, daß irgendwann einmal ein größeres Objekt direkt auf die Erde zufliegt. Dann muß man sich etwas Gutes einfallen lassen und das kann man nicht am Tag unmittelbar davor.

SB: Sie haben eben angedeutet, daß es sehr viele Forschungsbereiche gibt, die eine Satellitenbeobachtung in der Raumfahrt rechtfertigen. In der Öffentlichkeit wird jedoch hin und wieder die Frage aufgeworfen, ob die Raumfahrt nicht zu viele Gelder verschlingt bzw. in dem Bereich Geld verschwendet wird. Wie stellt sich die ESA zu dieser Kritik?

BvW: Eine internationale Klimaforschung, die der Frage nachgeht, wie sich unser Raumschiff Erde - und es gibt nur diese eine - entwickelt, können Sie ohne eine Satellitenbeobachtung nicht machen. Auch Professor Hort von der Geophysik in Hamburg könnte große Teile seiner Forschung an Vulkanen nicht durchführen. Das gleiche gilt für die Beobachtung der Ozeane, der Ozeantemperatur, der Höhe des Meeresspiegels, des Abschmelzens der polaren Eiskappen, und so weiter. Dafür sind Erdbeobachtungsdaten und die dahinterstehenden Systeme unabdingbar. Damit erklärt sich dann schon von selbst, ob wir die Raumfahrtforschung und Raumfahrerei brauchen.

Natürlich haben Sie das Recht, kritisch darüber nachzudenken und zu überlegen, wieviel man investieren und wo man die Schwerpunkte setzen sollte. Wir von der ESA haben bisher eigentlich immer ein sehr positives Feedback erhalten. Und nehmen Sie nur den Astronauten Alexander Gerst. Der hat auf der Raumstation ISS ein unglaubliches Abenteuer erlebt und in der Schwerelosigkeit ganz konkrete, hochkarätige Forschungen zu Materialwissenschaften, Medizin, Biologie, Strahlenforschung, auch zur Physik betrieben und kann damit ganze Generationen von jungen Menschen in Deutschland, Europa und weltweit begeistern. Er ist zur Zeit der coolste Mathe- und Physiklehrer der Republik! Auch das ist Geld wert im weitesten Sinne.


Alexander Gerst beobachtet im ISS-Modul Cupola die Erde - Foto: © ESA

"Je weiter man von der Erde weg ist, desto wichtiger wird sie. Weil Sie einen emotionalen Link, eine Verbindung nach Hause brauchen."
(ESA-Astronaut Dr. Alexander Gerst am 8. Mai 2015 beim Pressegespräch im Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg)
Foto: © ESA

SB: Wie werden die Ergebnisse, die auf der ISS gewonnen werden, verwertet? Hat die Öffentlichkeit Zugriff darauf oder sind sie bestimmten Industriezweigen vorbehalten?

BvW: Im Bereich der Erd- und Umweltbeobachtung und Klimaforschung stehen unsere Daten grundsätzlich frei zur Verfügung. Die können Sie auf dem ESA-Web-Portal abrufen, das ist kein Problem. Die Daten sind allerdings Rohdaten, was bedeutet, daß es sich um sehr komplexe wissenschaftliche Daten handelt, die normalerweise von den Partnerwissenschaftlern in ihren jeweiligen Instituten ausgewertet werden. Ein großer Teil der Forschung, der auf der ISS-Raumstation betrieben wird, ist öffentlich zugänglich. Die Ergebnisse und Erkenntnisse können Sie im Internet bei der ESA, NASA, bei den Russen, Japanern, Kanadiern, etc. abrufen.

Ein Teil der Forschung ist in der Tat vertraulich, da betreiben verschiedene Industriekonzerne ganz konkrete Projekte für die Erforschung neuer Produkte: Motorenblöcke, die effizienter sind, Triebwerksschaufeln, die weniger Treibstoff verbrauchen, auch viele medizinische Produkte und neue Medikamente, zum Beispiel zu Osteoporose, Immunschwäche und Krebserkrankungen. Das alles wird im All getestet, das wird dort beobachtet und erforscht - teilweise von öffentlich-rechtlichen Forschungsinstituten, teilweise von Privatunternehmen, die ein industrielles Interesse haben.

SB: Kommen da manchmal Probleme auf wie zum Beispiel Industriespionage oder zumindest die Befürchtung, daß so etwas stattfinden könnte?

BvW: Mir hat mal ein Kollege aus der Raumfahrtbranche gesagt, wenn sie abgehört werden, ist das irgendwo ein Ehrenhinweis, das heißt, sie sind interessant. Ja, wir werden abgehört, ja, es gibt großes Interesse an der Forschung, an den Technologien, auch an den Internetsystemen der ESA und ihrer Partner, keine Frage, aber wir sind darauf auch gut vorbereitet. Wenn jemand unsere Klimadaten hacken möchte, bitteschön, wenn er dann bessere Klimaforschung damit betreiben will, sehr gerne!

SB: Auf der Erde haben sich in letzter Zeit starke Spannungen zwischen dem Westen und Rußland aufgebaut. Wirken sich diese auf die Zusammenarbeit zwischen ESA und den russischen Partnern im Weltall aus?

BvW: Die Raumfahrt ist traditionell immer ein Bereich der Kooperation zwischen den Nationen sowohl innerhalb Westeuropas als auch zwischen den führenden Industrie- und Forschungsnationen weltweit wie den USA, Rußland, aber auch China, Japan, Indien und Brasilien. Das ist unabdingbar und sehr wichtig. Und gerade in diesen Zeiten der leider Gottes auch relativ intensiven Spannung ist es schön zu sehen, wie zum Beispiel in der bemannten Raumfahrt das Programm mit der ISS-Raumstation weiterläuft. Da sitzen Europäer, Russen und Amerikaner zusammen, betreiben Forschung, erleben auch dieses Abenteuer "Exploration im All", und untereinander gibt es keine Spannungen. Die Raumfahrer verstehen sich hervorragend, sie sind gute Freunde, haben seit Jahren zusammen trainiert und versuchen, friedliche Forschung zum Nutzen der Menschheit zu betreiben. Dementsprechend ist die Raumfahrt, gerade auch die bemannte Raumfahrt, ein Beitrag zur besseren Völkerverständigung. Das betrifft ebenfalls die Klimaforschung. Wir alle haben ein Interesse daran zu wissen, was auf unserem Heimatplaneten passiert, einschließlich der Russen und Chinesen.

SB: Ein Stichwort, das heute noch nicht gefallen ist bei möglichen Nutzungsmöglichkeiten, ist die Satellitenbeobachtung der Flüchtlingsbewegungen zum Beispiel im Mittelmeer. Wäre das ein Anwendungsgebiet?

BvW: Die Erd- und Umweltbeobachtung der ESA hat vor allem einen zivilen Zweck: Klimaforschung, Wettervorhersage und ähnliches. Aber sie ist eben auch Schritt für Schritt ein Mittel der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Das muß man so sagen. Sie können aber heute auch als Deutschland und als Europa nur eine europäische Außenpolitik betreiben, wenn Sie Augen und Ohren im All haben. Und die ESA liefert in der Tat zum Beispiel über die Sentinel-Satelliten Informationen über die Lage im Mittelmeer, wo es welchen Schiffsverkehr gibt, oder auch über Umweltverklappungen. Wenn von einem Schiff im Mittelmeer Öl oder Benzin abgelassen wird, dann kann man das relativ schnell finden. Wenn Drogen- oder Waffenschmuggler übers Mittelmeer fahren, dann helfen wir mit, diese zu entdecken. Auch die Flüchtlingsströme haben wir zumindest in Teilen im Blick und geben dann den Zivilschutzbehörden der Küstenwache Informationen, wo diese Schiffe entlangkommen, die ja teilweise in einem desaströsen Zustand sind. Da kann die Raumfahrt auch dazu beitragen, Menschenleben zu retten, um Leute aus Seenot zu befreien und der Küstenwache relativ schnell die notwendigen Informationen zu liefern.

SB: Gerade im Zusammenhang mit der NSA-Affäre wird in der Bevölkerung schon mal die Befürchtung geäußert, daß durch eine Satellitenbeobachtung so etwas wie ein gläserner Bürger geschaffen wird, den man nicht so gerne hätte. Was sagen Sie zu solchen Bedenken?

BvW: Ich glaube nicht, daß durch die Satellitenbeobachtung das Phänomen des gläsernen Bürgers großartig verändert wird. Wir leben heute in einer modernen Industrie- und Informationsgesellschaft und wir gehen auf die vernetzte Gesellschaft der Zukunft zu. Wenn wir Annehmlichkeiten wie mobile Kommunikation, Satellitennavigation, mobilen Kommerz, E-commerce und ähnliches haben wollen, dann müssen wir gewisse Grauzonen und kritische Faktoren in Kauf nehmen. Nichtsdestotrotz leben wir in einer Demokratie und ich glaube, unsere Volksvertreter und auch unsere Regierung passen gut darauf auf, daß die Privatsphäre und der Datenschutz eingehalten wird. In der Raumfahrt ist das definitiv so, darauf haben wir ein sehr wachsames Auge.

SB: Wir haben jetzt sehr viel über Nutzungsmöglichkeiten der erdnahen Beobachtung gesprochen. In welchem Verhältnis steht diese zu der Idee zum Beispiel einer Reise zum Planeten Mars, die nochmal eine ganz andere Dimension anspricht?

BvW: Explorationsflüge zum Mars, zur Venus und zu Kometen sind Grundlagenforschung. Das gilt auch auch für die Erkundung der Sonne, die im weitesten Sinne eine Quelle für das Leben auf der Erde ist. Das alles zu erforschen ist einfach der Wunsch des Menschen, an den Rand des Wissens und des Bekannten zu kommen und über die Grenze hinauszugehen. Unbemannt mit Raumsonden, aber dann eines Tages vielleicht bemannt mit Astronauten. Noch befinden wir uns heute mit der Raumstation in der Nähe der Erde, wir werden aber sicher in den nächsten Jahren irgendwann wieder eine bemannte Mission zum Mond haben und mittelfristig - ich hoffe, ich erlebe das dann noch in ein paar Jahrzehnten - sehr wahrscheinlich auch mal bemannt zum Mars fliegen. Der Wille des Menschen ist da, und der Mensch ist und bleibt ein Entdeckerwesen.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Sentinel 1A im Orbit - Foto: © ESA

Sentinel 1A ist Bestandteil des Copernicus-Programms der ESA und liefert bei jedem Wetter zu jeder Tageszeit Radardaten von der Erdoberfläche.
Foto: © ESA


Fußnoten:


[1] Im INFOPOOL → UMWELT → REPORT sind bisher unter dem kategorischen Titel "Der Blick aus dem All" zu Pressegespräch und Vortrag mit dem ESA-Astronauten Dr. Alexander Gerst erschienen:

BERICHT/100: Der Blick aus dem All - ein Hauch Atmosphäre ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0100.html
INTERVIEW/179: Der Blick aus dem All - lernen von anderen Planeten ... ESA-Astronaut Dr. Alexander Gerst im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0179.html
INTERVIEW/180: Der Blick aus dem All - Vulkanaschewanderung ... Prof. Matthias Hort im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0180.html
INTERVIEW/181: Der Blick aus dem All - Pionierarbeit und Zugewinn ... Prof. Lars Kaleschke im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0181.html

19. Mai 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang