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INTERVIEW/119: Indikator Salz - Sachlicher Leisten rührt noch am meisten ... Prof. Hans von Storch im Gespräch (SB)


SWIM

23. Salt Water Intrusion Meeting
16. bis 20. Juni 2014 im Husumhus in Husum

Prof. Hans von Storch über "Alarmismus", die (nicht immer eingehaltene) strikte Trennung von Wissenschaft und Politik sowie die sozialen Folgen projektorientierter Forschung für junge Wissenschaftler



Wenn eine wissenschaftliche Hypothese mit großen Unsicherheiten behaftet ist, sollte man das auch dementsprechend kommunizieren oder aber sie gar nicht erst auf den öffentlichen Marktplatz tragen, erläutert Prof. Dr. Hans von Storch im Interview mit dem Schattenblick. Mit dieser Einstellung hat sich der Leiter des Instituts für Material- und Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht und Professor am Meteorologischen Institut in Hamburg schon manchen Disput unter Kollegen "eingehandelt".

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Es ist schon wichtig, die Klimakommunikation so zu handhaben, daß man sie auch noch in zehn, zwanzig Jahren weiterbetreiben kann, beispielsweise durch jene, die heute Doktoranden sind." (Prof. Hans von Storch, 16. Juni 2014, Husum)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Das hat das Organisationsteam der internationalen wissenschaftlichen Tagung "SWIM - Salt Water Intrusion Meeting" nicht daran gehindert, Prof. von Storch zum Tagungsbeginn am 16. Juni 2014 nach Husum einzuladen, damit er dort einen Vortrag zum Thema "participation - the challenge of climate change at the coast" (z. dt.: Partizipation - die Herausforderung des Klimawandels an der Küste) hält.

Er könne zwar das Wort "salt water intrusion" buchstabieren, habe aber nur eine sehr vage Vorstellung davon - das sei es auch schon gewesen, bekannte der auf der Insel Föhr geborene Wissenschaftler. Diese spezifische Unkenntnis tat allerdings der ersten "Lecture" des fünftägigen Treffens keinen Abbruch. Mit großer Ernsthaftigkeit, gewürzt und dargeboten mit einem Schuß nordfriesischem Humor, gab von Storch ein Beispiel, wie seiner Meinung nach wissenschaftliche Daten zum Klima der Öffentlichkeit vermittelt werden sollten.

Vor seiner Weiterreise nach Lund in Schweden, wo bereits ein Workshop zu regionalen Klimamodellen angefangen hatte, war Prof. von Storch bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.


Schattenblick (SB): Sie waren einer der in Deutschland bekanntesten Kritiker des im Jahr 2007 veröffentlichten Weltklimaberichts. Sind Sie mit dem fünften Sachstandsbericht des IPCC, der in diesem Jahr herausgegeben wurde, zufriedener? Oder können Sie auch hier Kritikpunkte bzw. Mängel erkennen und wenn ja, welche?

Prof. Hans von Storch (HvS): Die IPCC-Sachstandsberichte bestehen ja jeweils aus drei Teilen. Im Bericht 2007 war der erste Teil zur Physik offenbar tadellos. Er ist auch bisher nicht kritisiert worden, es ist vermutlich in diesem Fall wieder so. Die Probleme sind im zweiten Teil aufgetreten, weil es dort doch zu einigen Fehlern kam. Was an sich nichts Ungewöhnliches ist, weil in so einem großen Werk natürlich Fehler auftreten. Das Besondere war jedoch, daß es Fehler waren, die alle in eine Richtung gingen.

Vom fünften Sachstandsbericht sind derartige Fehlleistungen bislang nicht bekannt. Vielleicht sollte man noch etwas warten, ob wirklich nichts gefunden wird, aber zunächst einmal scheint es, daß man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Was jetzt im dritten Teil steht, dazu äußere ich mich nicht, weil es da um die politischen und wirtschaftlichen Dimensionen geht. Davon verstehe ich einfach zu wenig als Wissenschaftler.

SB: Prof. Edenhofer, der vor kurzem den dritten Teilbericht des Sachstandsberichts in Berlin vorstellte, empfiehlt eine Reform des EU-Emissionshandelssystems als Maßnahme gegen die Erderwärmung. Und vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung angekündigt, daß sie 900 Millionen CO2-Zertifikate nicht nur vorübergehend, sondern ab 2017 dauerhaft vom Markt nehmen will. Wie beurteilen Sie a) das EU-Emissionshandelssystem im allgemeinen und b) speziell den aktuellen Beschluß der Bundesregierung hinsichtlich seiner beabsichtigten Wirkung?

HvS: Ich kann das nicht wirklich beurteilen. Ich kann mir eigentlich auch nicht vorstellen, daß Herr Edenhofer das empfohlen hat, weil das IPCC keine politischen Empfehlungen abgibt, und deshalb wird er das vermutlich auch nicht getan haben.

SB: Im Interview mit dem Schattenblick. [1]

HvS: Hat er es direkt empfohlen? Hat er gesagt: "Ich empfehle ..."?

SB: Er hat es vielleicht anders formuliert, aber ja.

HvS: Also so, daß man es hört ...?

SB: Genau.

HvS: Ja, das ist schon so, daß es Wissenschaftler gibt, die genau so reden. Wenn man aber genau auf den Buchstaben guckt, dann sind sie eben nicht "policy prescriptive", sondern nur "policy relevant". Aber was der Zuhörer tatsächlich mitnimmt - man hört ja meist etwas schlampig zu - ist was anderes. Das sollte er schon auf Dauer gelernt haben.

Aber ich kann mich zu der Sache selbst nicht äußern, weil ich nichts davon verstehe.

SB: Ist ja auch eine Antwort.

Beim Interview mit dem Schattenblick - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Es gibt nur einen Emissionshandel, der weit genug entwickelt ist, der europäische. Aber den müssen wir reformieren." (Prof. Ottmar Edenhofer, 14. April 2014, TU Berlin)
Foto: © 2014 by Schattenblick

HvS: Ja.

SB: Sie schreiben für den Blog "Die Klimazwiebel", auf dem Sie sich gegen den "Alarmismus" mancher Klimaforscher aussprechen. Anfang Mai gab das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung eine Presseerklärung mit dem Titel "Entkorken der Ost-Antarktis führt zu Anstieg des Meeresspiegels" heraus, in der berichtet wurde, daß das Abschmelzen einer kleinen Menge Eis an der ostantarktischen Küste eine große Wirkung haben und der Meeresspiegel um drei bis vier Meter ansteigen könnte. Leitautor Matthias Mengel sagte: "Ein so erheblicher Meeresspiegelanstieg würde das Gesicht unseres Planeten verändern." Zählen solche Aussagen für Sie zum Alarmismus?

HvS: Zunächst einmal ja. Das sind vermutlich gute wissenschaftliche Resultate, aber angefertigt im Rahmen von einigen Annahmen. Diese Diskussion über solche Ergebnisse sollte zunächst im Rahmen der Wissenschaft geführt werden. Daß das gleich auf den öffentlichen Marktplatz rausgeschleppt wird und dort in die kakophonische Diskussion einfließt, halte ich für nicht sinnvoll. Das führt nur dazu, daß in den entsprechenden Kreisen behauptet wird, es ist sicher, daß das geschieht. Man wird die Hypothese als Tatsache kolportieren.

Ich glaube nicht, daß dieses Vorgehen nützlich ist, insbesondere wenn sich hinterher herausstellt, daß das Resultat vielleicht doch nicht ganz so praxisnah war. Wir hatten eine ähnliche Phase, als es darum ging, daß der Golfstrom zukünftig "umkippen" würde. Das war sehr lustvoll erzählt worden, durchaus auch von Leuten aus dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Bei der Gelegenheit wird dann wissenschaftliche Autorität verspielt. Es war eine gute, interessante Theorie zum Verhalten des Golfstroms, die seinerzeit entwickelt wurde, die sich dann für die Frage des menschengemachten Klimawandels als kaum relevant erwies. Zunächst einmal sollte man solche Hypothesen in wissenschaftlichen Kreisen diskutieren. In dem vorliegenden Falle ging es aber wohl eher darum, der Öffentlichkeit mal wieder ordentlich einen Schreck einzujagen, damit die sich noch stärker darum bemüht, die Emissionen zu mindern.

SB: In dem Buch "Die Klimafalle: Die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung" schreiben Sie und Werner Krauß: "Die Kommunikationsstrategie der vergangenen zwei Jahrzehnte bestand im Wesentlichen darin, die möglichen dramatischen Folgen des menschengemachten Klimawandels zu beschreiben." - Teilen Sie die Ansicht mancher Wissenschaftler, die Klimawissenschaft hätte in puncto Öffentlichkeitsarbeit ihre Sache vielleicht zu gut gemacht?

HvS: Zu gut ganz bestimmt nicht. Weil das in diesem Zusammenhang bedeuten würde, daß die Kommunikationsstrategie der Wissenschaft dann gut ist, wenn eine bestimmte Politik implementiert wird. Aber es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, für eine bestimmte Politik zu sorgen, sondern sie soll die Voraussetzungen dafür schaffen, daß Entscheidungen gefällt werden, die gesellschaftlich getragen werden. Im Fall des Klimawandels ist das Gegenteil eingetreten. Es wurde dramatisiert und übertrieben, so daß die Menschen gar nicht mehr vernünftig zuhören, wenn dramatische Aussagen kommen, und sich letztendlich uninteressiert abwenden. Die ursprüngliche Ressource, nämlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die Sorge um die Zukunft, ist verbraucht worden, ohne sie wieder aufzufüllen. Das nennt man unnachhaltige Nutzung einer Ressource. Es ist schon wichtig, die Klimakommunikation so zu handhaben, daß man sie auch noch in zehn, zwanzig Jahren weiterbetreiben kann, beispielsweise durch jene, die heute Doktoranden sind. Das verstehe ich unter Nachhaltigkeit der Klimakommunikation. Statt dessen wird eine Art Remmidemmi-Variante gefahren, die Leute anständig zu erschrecken, in der Annahme, daß die dann blitzartig was tun werden. Tun sie aber nicht, sondern sie stumpfen vor allen Dingen ab.

SB: Die heutige Forschungsförderung, so scheint es, ist viel stärker projektbezogen als früher. Nachwuchswissenschaftler verzeichnen keine durchgängige Berufskarriere, sondern müssen sich immer wieder nach neuen Projekten umschauen. Zudem wird durch Evaluierungsprozesse die Konkurrenz unter den Forschern gefördert. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, daß darunter die Qualität der Wissenschaft leidet, beispielsweise weil sich spektakuläre Forschungsergebnisse besser verkaufen lassen als unspektakuläre?

HvS: Das ist eine schwierige Frage. Klar ist, daß die Situation für junge Wissenschaftler sozial gesehen einfach scheiße ist. Wenn man sich die Leute bei uns im Forschungszentrum anschaut, so fällt auf, daß die, die Kinder haben und verheiratet sind, jene mit den Dauerstellen sind. Umgekehrt sind die, die keine Dauerstelle haben, meist nicht verheiratet und haben meist auch keine Kinder. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber es ist ganz deutlich zu beobachten, daß mit der Art der Anstellung soziale Folgen verbunden sind. Das ist meiner Meinung nach vollkommen unverantwortlich. Zumal sich viele auf diese Ochsentour machen, noch ein Projekt annehmen und noch ein Projekt, und plötzlich sind sie über vierzig. Dann kommt man ja nicht mehr raus aus dieser Geschichte.

SB: Leidet die Qualität der Wissenschaft darunter, wenn dann von Projekt zu Projekt gearbeitet wird und jedesmal auch die Finanzierung gesichert werden muß?

HvS: Nein, ich meine nicht, daß das notwendigerweise mit einer Verschlechterung der Qualität einhergeht. Denn dieses Vorgehen bedeutet ja, daß man sich tatsächlich regelmäßig einer Qualitätskontrolle zu stellen hat. Ob diese Qualitätskontrolle gut gemacht ist, ist eine andere Frage. Zunächst einmal muß man sich darüber klarwerden, was man eigentlich macht, warum man das macht, ob es gute Wissenschaft ist oder vielleicht auch nicht. Das ist an sich positiv. Auch für ältere Herrschaften wie mich ist das letzten Endes ein Stachel im Fleisch, der gut gegen Einschlafen hilft.

Ob diese Prozesse, die Qualität sichern sollen, gut gemacht sind, ob sie zu einer dominanten Mainstream-Geschichte führen, ob wir dadurch mehr alarmierende Nachrichten bekommen, weil sich diese in diesem Kontext besser darstellen lassen, statt der auch manchmal notwendigen, am Ende langweiligeren oder weniger relevanten Resultate, das ist eine andere Geschichte. Aber die Tatsache an sich ist, glaube ich, positiv. Die Wissenschaft hat sich in Deutschland, so weit ich das überblicken kann, seit den achtziger Jahren qualitativ verbessert, nachdem wir im stärkeren Ausmaß diese Projektförderung bekamen. Daß auch Großforschungszentren - ich gehöre ja ebenfalls einem an - regelmäßig begutachtet werden und nicht einfach nur einen Haufen Geld zu verbraten haben, ist schon positiv.

SB: Besteht aus Ihrer Sicht vielleicht nicht nur das Problem, daß sich einige Wissenschaftler in die Politik einmischen, sondern umgekehrt, daß sie eben auch bestimmte Erwartungen der Politik bedienen oder meinen bedienen zu müssen?

HvS: So etwas kommt sicherlich vor. Es ist ja nicht so, daß Politiker wesentlich auf Wissenschaftler hörten, sondern es ist meist so, daß Politiker Meinungen haben und sich dann dazu die passenden Wissenschaftler suchen. Auf diesem Markt ist klar, welcher Bedarf besteht, die politische Rhetorik ist ja bekannt. So sagt sich manch ein Wissenschaftler vielleicht: Na ja, letztendlich wird es mir wahrscheinlich besser gehen, wenn ich diese Rhetorik mit Resultaten bediene. Dies führt dann dazu, daß eine bestimmte Art von Aussagen gemacht werden, durch die vielleicht eine größere Sorge um die Zukunft und westliche Sichtweisen in den Vordergrund gerückt werden.

Ich glaube nicht, daß Wissenschaftler wirklich Einfluß auf die Politik haben, sondern es ist vielmehr so, daß der politische Prozeß zunächst mal primär da ist, und er kann durch wissenschaftlichen Input angefacht werden. Wie gesagt, die Politik sucht sich dann die aus, mit denen man auch gern gesehen werden will, und insbesondere diejenigen, die man dazu benutzen kann, daß man als Politiker - oder frau als Politikerin - dann sagt: Ich mache das nicht aus eigener Entscheidung, sondern weil mir das als alternativlos von Wissenschaftlern ins Notizbuch geschrieben wurde. Was aber gar nicht alternativlos ist. Die Politiker haben völlig legitim selbst entschieden, nur scheuen sie die öffentliche Wahrnehmung eigener Verantwortung.

SB: Wir haben gehört, sie sind Mitbegründer von D.O.N.A.L.D., der Deutschen Organisation Nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus. Dazu fällt mir insbesondere der Spruch "dem Ingeniör ist nix zu schwör" der Figur des genialen Tüftlers Daniel Düsentrieb ein. Was halten Sie von technischen Lösungskonzepten für das Klimaproblem, bei dem beispielsweise gezielt in die Atmosphäre eingebrachte Schwefelpartikel die Erderwärmung reduzieren sollen?

HvS: Ich habe da erhebliche Vorbehalte, weil ich denke, daß Nebenwirkungen auftreten können, die kaum zu übersehen sind - es handelt sich um ein sehr komplexes System - und daß wir bei der Gelegenheit dann Dinge mitverpaßt bekommen, die so bestimmt nicht gemeint waren. Da würde ich schon sehr vorsichtig sein. Andererseits bin ich sehr für technische Lösungen etwa im Bereich der Vermeidung, damit weniger Treibhausgase emittiert werden. Ich glaube schon, daß am Ende das Klimaproblem mit technischen Hilfsmitteln weitgehend gelöst wird, weil die Alternative - eine Verbesserung der Menschheit - zu verwirklichen unrealistisch ist. Somit halte ich Technik schon für wichtig, nur würde ich vor der großen Manipulation des Klimasystems, aufgrund der Komplexität und des fast sicheren Auftretens unerwünschter Nebenwirkungen, abraten.

SB: Halten Sie regionale Klimamodelle mit einer feineren Rasterung des Untersuchungsgebiets, wie sie beispielsweise vom Helmholtz-Verbund Regionale Klimaänderungen - REKLIM - erforscht werden, für weniger fehleranfällig als globale Modelle?

HvS: Nein, regionale Modelle sind nicht besser oder schlechter als globale Modelle, sondern sie zielen auf andere Dinge ab. Regionale Modelle sind genauso fehlerhaft wie globale Modelle; in beiden Fällen werden wesentliche Prozesse nur summarisch behandelt. Auch ist die Zuverlässigkeit der gedanklichen Konstrukte, die hinter diesen Modellen stecken, in beiden Fällen einigermaßen gleich gut.

Die globalen Modelle sind dazu gemacht, vor allem die globalen Strukturen darzustellen. Regionale Modelle können kleinere Strukturen besser darstellen. Es gibt aber auch den Ansatz, den wir auch bei uns selbst anwenden, ein global formuliertes Regionalmodell zu betreiben. Diesem Modell wird qua Konstruktion aufgetragen, nicht die globalen, sondern die regionalen Strukturen zu beschreiben - aber letztere überall. Wir sagen zu diesem Modell: "Die globalen Strukturen sind so und so, akzeptiere diese und verändere sie bestenfalls minimal. Und jetzt sagst du mir, wie konsistent dazu die regionalen Strukturen aussehen - aber eben überall." Das nennen wir ein globales Regionalmodell.

SB: Sie schreiben für den Blog Klimazwiebel. Was verbinden Sie mit dem Begriff "Zwiebel", was wird da geschält - denn dafür steht ja wohl das Bild der Zwiebel?

HvS: Das werde ich Ihnen lieber nicht sagen. [2]

SB: Okay. Nur einmal angenommen, die Computersimulationen der Astrophysiker wären, was die kosmischen Verhältnisse bzw. die Sonnenaktivität betrifft, genauso mit Mutmaßungen befrachtet wie die Klimamodelle. Inwiefern wäre die Erde, also die menschliche Gesellschaft, darauf vorbereitet, wenn jetzt sozusagen eine höhere Sonnenaktivität entfaltet wird? Könnte dann nicht der gesamte anthropogene Einfluß vollkommen überprägt werden? Manche Wissenschaftler behaupten, das sei schon heute so.

HvS: Wenn die Sonne jetzt plötzlich ...

SB: Nein, sie muß ja nicht gleich zur Supernova werden, aber so, daß sie sozusagen eine höhere ...

HvS: Ab einem bestimmten Niveau ist das ganz sicher der Fall. Im öffentlichen Raum tobt ja so eine Debatte - Stichwort "Vahrenholt" [3] - nach dem Motto: Ist es nicht vielleicht vielmehr die Sonne, die da was tut? Ich meine, wir sollten den Themenbereich "Wirkung von veränderlicher Sonnenleistung" als eine alternative Erklärung genauso intensiv diskutieren wie die Erklärung, daß CO2-Emissionen das Klima dominant beeinflussen. Obwohl ich persönlich ziemlich sicher bin, daß es sich am Ende herausstellen wird, daß die veränderliche Sonnenleistung kein signifikanter Konkurrent zur Erklärung über erhöhte Treibhausgaskonzentrationen ist. Aber gerade um sagen zu können, daß die Sonnenleistung kein Konkurrent zu CO2-Emissionen ist, sollte die Forschung mit der gleichen Ernsthaftigkeit in einer ähnlichen Intensität finanziert werden, um zu sehen, wie weit wir mit dieser Erklärung kommen. Und zwar durchaus in der Absicht, um meine Überzeugung zu stärken, daß es am Ende doch eben CO2 & Co. ist und nicht etwas anderes.

Die Beschäftigung mit Hypothesen, denen man weniger zutraut, stärkt die Originalhypothese. Darauf sollte man mehr Forschungen verwenden. Wir fordern die gängige Hypothese der Treibhausgase in der wissenschaftlichen Diskussion nicht genügend heraus. Und herausfordern bedeutet, daß eine Hypothese stärker wird - falls sie den Vergleich mit alternativen Vorschlägen überlebt - und nicht schwächer. Ich möchte unsere Haupthypothese stärker machen, und dazu müßten die Forscher ab und zu mal im kalten Wasser baden.

SB: Sie sprachen eben in Ihrem Vortrag auch davon, daß Wissenschaft zunächst eine solidere Datenbasis braucht, um an die Gesellschaft herantreten zu können.

HvS: Das würde ich nicht sagen, nein. Das war nicht meine Intension. Zum Beispiel die Tatsache, daß wir einen Meeresspiegelanstieg und einen Temperaturanstieg haben, das ist sehr weitgehend unstrittig. Das sind Dinge, die wir ganz mühelos an die Gesellschaft geben können, ebenso wie daß wir als einzige passende Erklärung dafür die Treibhausgase haben. Nur, wenn es jetzt um einzelne Spekulationen geht, wie die, die Sie vorhin angesprochen haben, da würde ich sagen, laß uns das mal einen Augenblick lang in unseren Elfenbeintürmen besprechen, damit es ein bißchen ausreift. Das gilt für hochspekulative Sachen. Oder man müßte der Öffentlichkeit eben erzählen, es ist spekulativ und ich habe fünf andere Erklärungsmethoden - ich kann momentan nicht sagen, welche zutrifft.

SB: Ist das ein bißchen ein Phänomen des gegenwärtigen Medienzeitalters, daß jetzt auch von seiten der Wissenschaft viele Thesen schnell rausgeschossen werden?

HvS: Ja, das ist so. Die Medien haben ja einen Bedarf, und in der Medienlogik ist das auch vernünftig. Wer beschädigt wird, sind die Wissenschaftler oder die Wissenschaft. Weil sozusagen der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit entsteht, was für unsere wissenschaftliche Deutungsautorität nicht gut sein kann. Aber für die Medien ist dies Vorgehen durchaus vernünftig.

Das hat einmal der Klaus Hasselmann sehr schön beschrieben. "Die Launen der Medien" hieß seine Replik [4]. Darin hat er geschildert, daß Journalisten erst einmal richtig auf die Pauke hauen, indem man die Originalstory noch ein bißchen upsext und ordentlich Wind macht. Danach kann man die Story nochmal verwursten, aber anders herum: "Wissenschaftler übertreiben alles." Dann dekonstruiert man die vorher medial konstruierte Geschichte und stellt fest, daß sie falsch sei. Natürlich ist sie falsch, weil sie ja vorher aufgebauscht wurde! Das ist medial gesehen eigentlich auch vernünftig, wenn man Leserinteresse und Verkaufszahlen steigern will.

Zwei Satellitenaufnahmen. Auf dem linken Foto hat der Gletscher noch nicht gekalbt, auf dem rechten Foto ist deutlich ein Riß zwischen Eisberg und Gletscherzunge zu erkennen - Foto: NASA Earth Observatory

Gefundenes Fressen für die Medien (hier sogar in drei Akten):
Akt 1, die Sensation: Zwischen dem 9. und 11. November 2013 reißt vom Pine Island Gletscher in der Antarktis ein 20 mal 35 Kilometer großer Eisberg ab!!!
Akt 2, die Dekonstruktion: So etwas kommt laut NASA alle fünf bis sechs Jahre vor.
Akt 3, es bleiben Fragen: Der als "B-31" bezeichnete Eisberg ist rund 50 Prozent größer als seine Vorgänger in diesem Gebiet.
Aufnahme durch Operational Land Imager an Bord des Satelliten Landsat 8, links: 28. Oktober 2013, rechts: 13. November 2013
Foto: NASA Earth Observatory

SB: In Ihrem Vortrag sprachen Sie davon, daß die wissenschaftlichen Projektionen eine Spanne haben und eine Entwicklung schwer vorherzusagen ist, weil viele verschiedene Faktoren daran beteiligt sein können, so daß man es erst einmal genau evaluieren muß ...

HvS: Als Wissenschaftler schon, aber in der politischen Konsequenz nicht.

SB: Sollte die Politik dann nicht vom Worst-case-scenario ausgehen?

HvS: Das würde ich nicht sagen. Das hängt jetzt von Ihrer persönlichen Art und Weise ab, wie Sie mit Risiken umgehen. Wenn Sie sagen: Ich gehe immer davon aus, daß das Schlechteste eintritt, dann ist das legitim, dann können Sie das machen. Wenn Ihr Kollege aber sagt: Nein, ich gehe immer vom besten Fall aus, dann ist das auch legitim.

Viele Amerikaner haben einen anderen Umgang mit Risiko als viele Deutsche. Wir gehen meist von einer pessimistischeren Annahme aus - das ist auch legitim. Legitim ist aber nicht, gleichzeitig zu behaupten, die Amerikaner seien saublöd, weil sie von anderen Annahmen ausgehen. Dort haben eben viele eine andere Risikoumgangskultur. Man sollte schon so liberal sein zu akzeptieren, daß in anderen Ländern andere Sitten existieren. Ich persönlich würde nicht vom "worst case" ausgehen, sondern würde sagen, daß am Ende eine subjektive Beurteilung erforderlich ist, die mit eigenen persönlichen Werten zu tun hat. Es gibt keine richtigen und falschen Werte. Also bitte, verfahre jeder so, daß er oder sie sich wohlfühlt in der eigenen Wertewelt!

Das Dumme ist nur bei diesen globalen Problemen, wenn viele Leute sagen, daß sie jetzt alle aufhören, Treibhausgase zu emittieren, und dies auch von denen fordern, die das nicht wollen. Dann wird es schwierig.

SB: Angesichts der fast eine Milliarde Menschen, die nicht genug zu essen hat und jetzt schon unter häufig klimatisch unvorteilhaften Bedingungen am Existenznotminimum lebt - wie sehen Sie das, ist die ganze Klimadebatte ein Luxusproblem?

HvS: Kann ich Ihnen nicht sagen. Das ist ja die Lomborg-Debatte. [5] Welche Probleme haben wir? Wieviele Probleme sind wir in der Lage, mental aufzunehmen und uns damit zu beschäftigen? Und wie priorisieren wir sie? Das sind legitime politische Fragen, die ich als Person für mich beantworten kann, aber nicht als Wissenschaftler. Diese Frage muß man sich stellen. Wenn wir kollektiv in Deutschland sagen: Nein, wir finden das Klimaproblem ist wirklich das böseste, übelste Problem, das wir überhaupt haben, es muß am dringendsten gelöst werden, dann sehe ich dies als eine legitime politische Entscheidung, die ich persönlich allerdings nicht voll mittrage. Für mich gibt es noch andere wesentliche Probleme ähnlichen Kalibers.

SB: Ist das vielleicht ein Mittel, um von anderen Problemen abzulenken?

HvS: Das ist immer eine Möglichkeit. Wissen Sie, mir wurde in diesem Frühjahr deutlich vorgeführt, was eine Limitierung von Kohlenutzung bedeuten kann. Ich war unterwegs auf einem Fluß in Afrika mit einem schönen, bequemen europäischen Schiff, mit einem warmen Bett und viel Licht und Fernsehen und was man alles braucht. Ich fuhr diesen Fluß hinauf an Dörfern vorbei und manchmal hielten wir auch an und haben schöne Ausflüge gemacht. Am Abend lag das Schiff auf dem Fluß, und wir aßen gut, aber am Ufer war nichts mehr zu sehen. Da war ein Dorf, und es war nicht zu sehen. Die Menschen dort hatten keinen Strom. Und wenn dann einer einen Herzanfall hat, dann hat er eben einen Herzanfall im Dunkeln. Was mache ich mit dem Energiebedarf von diesen Menschen? Deshalb finde ich die Forderung, Kohle ist per se verboten, problematisch. Aber so eine Forderung kann man stellen, aber man sollte sich darüber klar sein, daß dahinter eine Werteentscheidung steht. Wenn Menschen dann hingehen und sagen: "Du mußt gegen die Nutzung von Kohle entscheiden! Das ist wissenschaftlich unabweisbar, daß du so entscheidest!" Dann muß ich sagen, das ist nicht in Ordnung.

SB: Herzlichen Dank, Herr von Storch, für das Gespräch.

Vorderfront mit Eingang - Foto: © 2014 by Schattenblick

Veranstaltungsort in Husum, der "grauen Stadt am Meer"
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] In dem autorisierten Interview mit dem Schattenblick heißt es:

Schattenblick: Das europäische Emissionshandelssystem ist, vorsichtig formuliert, suboptimal gelaufen. Gibt es irgendwo in der Welt einen Emissionshandel, den man als Vorbild betrachten könnte? Oder ist das noch Theorie?

Ottmar Edenhofer: Das ist Theorie. Es gibt nur einen Emissionshandel, der weit genug entwickelt ist, der europäische. Aber den müssen wir reformieren. Dazu sind im wesentlichen zwei große Reformschritte nötig: Erstens müssen wir alle Sektoren mit einbeziehen. Nicht nur den Stromsektor, sondern auch den Transportsektor und den Wärmemarkt. Zweitens brauchen wir einen Mindestpreis für die Zertifikate, damit Investoren auch in Zeiten des Konjunkturabschwungs Sicherheit haben, daß sie für kohlenstofffreie oder -arme Technologien auch eine ausreichende Rendite erhalten. Außerdem muß man die Zertifikate auktionieren, das wird bereits gemacht, und die "Cap" senken, also die Gesamtmenge des durch Zertifikate gedeckten Treibhausgas-Ausstoßes enger begrenzen. Mit diesen vier Maßnahmen käme man einen großen Schritt weiter, dann wäre der europäische Emissionshandel tatsächlich Vorbild für die Welt.
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0096.html

[2] Die Antwort ist Programm. Eigenem Bekunden zufolge orientiert sich der Blog die "Klimazwiebel" am Leitbild des "Honest Brokers", wörtlich übersetzt des "ehrlichen Maklers". Darunter versteht man Wissenschaftler, die ihr Wissen dazu nutzen zu beschreiben, welche Folgen die verschiedenen Entscheidungsoptionen haben - und zwar alle. Dieser Rat priorisiert nicht bestimmte Optionen, sondern hilft, alle gegeneinander im politischen Prozeß abzuwägen. Dadurch unterscheiden sich ehrliche Makler von "advocate scientists", die vor allem die Vorteile einer Option und die Nachteile der anderen Optionen beschreiben, oder gar die möglichen Optionen auf nur eine - vorab gewünschte - Option reduzieren.

[3] Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning schrieben das Buch "Die kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet" (2012), in dem sie Thesen vertreten, die dem sogenannten Klimaskeptizismus zugeordnet werden - um einen bereits eingeführten, wenngleich fragwürdigen Begriff zu verwenden.

[4] Prof. Klaus Hasselmann, emeritierter Professor für Meteorologie am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Seine Replik erschien in der Wochenzeitung "Die Zeit".
http://www.zeit.de/1997/32/Die_Launen_der_Medien/komplettansicht

[5] Björn Lomborg ist Dozent an der Copenhagen Business School und leitet das Copenhagen Consensus Center. Er hält die Umsetzung des Klimaprotokolls von Kyoto (u.a. mit der von der Politik verordneten Senkung von Treibhausgasen) für zu teuer und fordert einen effizienteren Einsatz von Geldern, mit denen jetzt noch versucht wird, von bereits relativ niedrigen Treibhausgasemissionen auf noch niedrigere Werte zu gelangen. Bei dem von Lomborg initiierten Kopenhagener Konsens wird die globale Erwärmung als eine von mehreren "Herausforderungen der Menschheit" (wie z. B. Hunger, Aids, Wassermangel, aber auch Korruption und Einschränkung des Handels, etc.) bezeichnet und einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen.



Bisher zu der Husumer Veranstaltung erschienen:

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT:
BERICHT/081: Indikator Salz - eingekreist und nicht geflohen (SB)
Bericht über das internationale Experten- und Fachkräftetreffen zur Versalzungsgefahr des Grundwassers in Küstengebieten

24. Juni 2014