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INTERVIEW/096: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen - Der Beitrag Politik ... Prof. Ottmar Edenhofer im Gespräch (SB)


Science & Policy: Exploring Climate Solutions

Gemeinsame Veranstaltung des IPCC, der Technischen Universität Berlin und der Stiftung Mercator zur ersten öffentlichen Präsentation der Ergebnisse der AG III zum 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats

Interview mit Prof. Ottmar Edenhofer am 14. April 2014 an der TU Berlin



"Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten", sagt Prof. Ottmar Edenhofer, und hinter dieser zugespitzten Aussage stecken fünf Jahre Forschungsarbeit ganzer Teams international vernetzter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Professor für die Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin, Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Direktor des "Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change" (MCC) ist auch Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe III "Klimaschutz" zum 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC).

Damit die globale Durchschnittstemperatur in diesem Jahrhundert nicht um mehr als zwei Grad Celsius gegenüber dem Beginn der Industrialisierung steigt, müßten unverzögert und entschlossen die Emissionen von Treibhausgasen reduziert werden, lautet eine Schlußfolgerung des IPCC-Berichts. Zu den Vorschlägen, auf welche Weise dies geschehen könnte, wird die Steigerung der Energieeffizienz ebenso wie der Schwenk von fossiler (Kohle, Gas, Öl) auf erneuerbare Energie gerechnet. Aber auch die gesellschaftlich umstrittene Verflüssigung und Lagerung von Kohlendioxid (Carbon (Dioxide) Capture and Storage, CCS) sowie die Atomenergie werden von den IPCC-Forschern aus Gründen des Klimaschutzes befürwortet. Ihren Berechnungen nach würde ein jährliches Wirtschaftswachstum von 1,6 bis 3,0 Prozent nur um 0,06 Prozentpunkte geringer ausfallen, wenn die von ihnen empfohlenen Klimaschutzmaßnahmen von der Politik umgesetzt werden.

Nach der ersten offiziellen Präsentation des Berichts der Arbeitsgruppe III vor rund 1200 Zuhörern und mehr als 100 Medienvertretern am 14. April 2014 im Audimax der TU Berlin wurde im Lichthof des Hauptgebäudes der Technischen Universität zum Empfang geladen. Im Rahmen dessen beantwortete Prof. Edenhofer dem Schattenblick einige Fragen:

Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Prof. Ottmar Edenhofer
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Nach einer Woche Wort-für-Wort-Verhandlungen - machen Sie jetzt eine Woche Urlaub?

Prof. Ottmar Edenhofer (OE): Nein, morgen schreiben wir am Synthesebericht und am Mittwoch bin ich London. Am Donnerstag müßte ich normalerweise meine Vorlesung am Freitag vorbereiten, weil auch ein Co-Chair ein normales Amt hat - bei mir ist es meine Tätigkeit als Professor hier an der TU Berlin -, aber diese Woche, Karfreitag, habe ich frei und darf Ostern feiern.

SB: Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hat die Menschheit mehr Treibhausgase emittiert als jemals zuvor, heißt es in dem am Sonntag vorgelegten Bericht der Arbeitsgruppe 3 des IPCC. Ein wirksamer Klimaschutz habe noch gar nicht richtig begonnen. Woran liegt es? Hat sich die Wissenschaft in den früheren IPCC-Berichten nicht deutlich genug ausgedrückt?

OE: Die Wissenschaft hat sich deutlich ausgedrückt. Sie müssen aber sehen, was die Besorgnisse der Politik sind, und diese Besorgnisse muß man ernst nehmen. In den Schwellen- und Entwicklungsländern wollen die Menschen von der Armuts- in die Mittelschicht. In China sind in den letzten dreißig Jahren eine Milliarde Einwohner in der Mittelschicht angekommen. Ähnliches gilt für Indien.

Ich habe in meinem Vortrag gezeigt, dass immer noch eine starke Korrelation zwischen Einkommen und fossilem Energieverbrauch besteht. Auch wir haben eine Industrieentwicklung durchgemacht, in der wir am Anfang im wesentlichen einen Agrarsektor hatten, in dem kaum Treibhausgase emittiert wurden. Dann sind wir zu einem Middle-income-country gewachsen, und plötzlich haben der Energie- und der Transportsektor zugenommen. Danach folgte die Industrie. Somit erleben wir einfach nur, daß die Schwellen- und Entwicklungsländer die Industrieentwicklung, also den strukturellen Wandel der Industrieländer, Schritt für Schritt wiederholen. Jetzt von ihnen zu verlangen und zu sagen: "Ihr müßt nun fleißig eure Treibhausgasemissionen reduzieren", halte ich für schwierig, solange diese Länder für sich keine klare Perspektive sehen, dass Wirtschaftswachstum und Klimaschutz tatsächlich vereinbar sind. Das ist ein wesentliches Hemmnis.

SB: Das europäische Emissionshandelssystem ist, vorsichtig formuliert, suboptimal gelaufen. Gibt es irgendwo in der Welt einen Emissionshandel, den man als Vorbild betrachten könnte? Oder ist das noch Theorie?

OE: Das ist Theorie. Es gibt nur einen Emissionshandel, der weit genug entwickelt ist, der europäische. Aber den müssen wir reformieren. Dazu sind im wesentlichen zwei große Reformschritte nötig: Erstens müssen wir alle Sektoren mit einbeziehen. Nicht nur den Stromsektor, sondern auch den Transportsektor und den Wärmemarkt. Zweitens brauchen wir einen Mindestpreis für die Zertifikate, damit Investoren auch in Zeiten des Konjunkturabschwungs Sicherheit haben, daß sie für kohlenstofffreie oder -arme Technologien auch eine ausreichende Rendite erhalten. Außerdem muß man die Zertifikate auktionieren, das wird bereits gemacht, und die "Cap" senken, also die Gesamtmenge des durch Zertifikate gedeckten Treibhausgas-Ausstoßes enger begrenzen. Mit diesen vier Maßnahmen käme man einen großen Schritt weiter, dann wäre der europäische Emissionshandel tatsächlich Vorbild für die Welt.

SB: Wurde in Ihrer Arbeitsgruppe diskutiert, wie eine Welt gesellschaftlich organisiert sein wird, in der das Worst-case-scenario eingetreten ist?

OE: Das ist eher ein Thema der Arbeitsgruppe 2. Grundsätzlich muss man folgendes verstehen: Wir verzeichnen seit der Industrialisierung einen globalen Temperaturanstieg von 0,8 Grad Celsius. Für einen Temperaturanstieg von vier Grad fehlt das historische Vorstellungsvermögen, wie so eine Gesellschaft beschaffen sein wird. Das kann niemand genau prognostizieren. Aber man kann sich sehr leicht vorstellen, dass es eine Welt verstärkter Migration sein wird und dass es eine Welt sein wird, in der die internationale Arbeitsteilung nicht mehr funktioniert, weil etwa Afrika zu wenig Geld haben könnte, um Nahrungsmittel zu importieren.

Es geht meines Erachtens auch weniger darum, wie genau diese Gesellschaft dann ausschaut. Wir müssen anerkennen, dass wir in einer Welt irreversibler Risiken leben. Die Risiken des ungebremsten Klimawandels unterscheiden sich fundamental von den Risiken der Vermeidung. Die Risiken der Vermeidung kann man handhaben. Wenn man beispielsweise bei der Bioenergie einen Fehler macht, kann man das korrigieren. Anders dagegen das Klimasystem: Was wir bis 2050 an Kohlenstoff in der Atmosphäre ablagern, bestimmt das Klima in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts und darüber hinaus.

SB: Wie schätzen Sie die Möglichkeit ein, daß im Falle einer davongaloppierenden Erderwärmung Marktmechanismen, die jetzt noch als Klimaschutzmaßnahme greifen, als obsolet betrachtet werden könnten und statt dessen dirigistische Maßnahmen des Klimaschutzes ergriffen werden oder werden müßten?

OE: Je länger wir warten, um so stärker und gravierender ist die Eingriffstiefe in die Wirtschaft. Wir können jetzt einen Weg gehen, auf dem wir mit graduellen Anpassungen eine Änderung herbeiführen. Es ist ein großer Vorteil, dass wir uns noch nicht in eine irreversible Situation verrannt haben. Wenn wir aber länger warten und gleichsam sagen, wir fahren bis kurz vor die Wand und müssen dann noch umdrehen, dann wird es eben schwieriger.

SB: Hat Klimapolitik nicht ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie ein Zukunftsszenario entwirft, also über eine zukünftiges Entwicklung redet, aber auch ohne Klimawandel aktuell auf der Erde bereits eine Not herrscht und beispielsweise 850 Millionen Menschen hungern?

OE: Das ist richtig, ein Problem der Klimapolitik besteht darin, dass sie sich oft auf lange Zeithorizonte bezieht. Aber aus meiner Sicht ist das nicht alles. Wenn etwa eine CO2-Besteuerung oder eine CO2-Bepreisung eingeführt wird, werden dadurch Mittel verfügbar. Die kann man in Infrastruktur für Gesundheit und Bildung vor allem in den Entwicklungsländern investieren. Denken Sie daran, wie man heute mit wenigen Mitteln sauberes Trinkwasser herstellen und so die Lebensqualität und den Gesundheitszustand der Menschen drastisch verbessern kann. So etwas ließe sich über eine CO2-Steuer finanzieren. Die Aussage, das eine sei langfristig und das andere kurzfristig, greift zu kurz. Man kann mit politischen Instrumenten das Langfristige und das Kurzfristige zusammenbringen.

SB: Herzlichen Dank, Prof. Edenhofer, für das Gespräch.

Prof. Edenhofer stellt sich im Kreis seiner Familie dem Pressefotografen, Lichthof des TU-Hauptgebäudes - Foto: © 2014 by Schattenblick

Im Kreis der Familie
Foto: © 2014 by Schattenblick

16. April 2014