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INTERVIEW/079: Fracking nein danke - Ökoökonomischer Widersinn, Uwe Thiele im Gespräch (SB)


"Keimzelle" Ostrohe - Ablehnung des Frackings wächst

Interview am 19. März 2014 mit Uwe Thiele aus der Gemeinde Ostrohe in Dithmarschen


Verkehrsschild 'Durchfahrt verboten' mit Diagonalstrich, in dem der Schriftzug 'Kein Fracking' steht. Unten rechts in der Grafik das Wappen der Gemeinde Ostrohe - Grafik: © Uwe Thiele

Kein Fracking in Ostrohe
Grafik: © Uwe Thiele

Am 15. März hielt der ehemalige Gymnasiallehrer Uwe Thiele aus Ostrohe in einer örtlichen Gastwirtschaft einen Einführungsvortrag zum Thema Fracking. [1] Rund zwei Dutzend Personen waren gekommen, um seine Erläuterungen zu hören, und sie sparten nicht mit eigenen Anmerkungen und Fragen. Man war sich einig: Als Namensgeber für das sogenannte Aufsuchungsfeld "Ostrohe" habe man eine gewisse Verpflichtung, Flagge gegen das Fracking zu zeigen, auch für den Fall, daß man selber vielleicht gar nicht unmittelbar davon betroffen ist, da ein beträchtlicher Teil der Gemeinde als Landschaftsschutz- oder Trinkwasserschutzgebiet ausgewiesen ist. Thiele warnte allerdings die Gäste, daß sie sich in diesem Punkt nicht so sicher sein sollten. Auch in der Nachbarschaft von Schutzgebieten ausgebrachte Bohrungen könnten sich auf den Grundwasserhorizont und die Vegetation dieser Gebiete negativ auswirken.

Am Mittwoch, den 19. März 2014, traf sich der Schattenblick mit Uwe Thiele zu einem Interview, in dem er unter anderem mehr über seine persönliche Motivation, Vorträge gegen Fracking zu halten, preisgab.

Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Uwe Thiele
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wie haben Sie das erste Mal davon erfahren, daß in Schleswig-Holstein Fracking betrieben werden könnte?

Uwe Thiele (UT): Durch die DLZ, die Dithmarscher Landeszeitung. Das war vor drei, vier Jahren. Daraufhin habe ich mich ein bißchen im Internet umgeschaut, was Fracking überhaupt bedeutet. Das kannte ich noch nicht und hatte auch in meinem Studium davon nichts gehört. Je mehr ich mich mit der Materie beschäftigte, um so mehr merkte ich, daß da verschiedene Kräfte gegeneinander wirken.

SB: Ihr Entschluß, etwas gegen Fracking zu unternehmen, ist somit erst im Laufe der Zeit gereift, in der Sie sich immer mehr darüber informiert haben?

UT: Ja, das war kein spontaner Entschluß. Da war ja von Ostrohe die Rede als Name für das Erkundungsgebiet, und da habe ich wissen wollen, welche Auswirkungen das auf meine Immobilien hat. Je mehr man in das Thema einsteigt, um so mehr Informationen bekommt man, wobei ich von Anfang an großen Wert darauf gelegt habe, möglichst sachliche Informationen zu erhalten. Auch in meinem Vortrag über Fracking habe ich versucht, so weit es ging, sachlich zu informieren und nicht emotional zu werden. Manchmal möchte man ja gerne anders, aber damit kommt man nicht viel weiter.

Mir ist damals aufgefallen, daß der Herr Carl von der DLZ sehr sachliche Beiträge geschrieben hat. Daraufhin habe ich mir überlegt, ich könnte selber einmal einen Power-point-Vortrag zum Fracking zusammenstellen. Vor allem lag mir daran, hierbei auf den Begriff "öffentliches Interesse", auf den man beim Thema Fracking unweigerlich stößt, aufmerksam zu machen. Dazu fiel mir spontan die Aktion "Wir sind Dithmarschen" ein. [2] Die war hier in Dithmarschen sehr gut angekommen. Es fand eine Mobilisierung der Öffentlichkeit statt, die ich nicht für möglich gehalten hätte. So wurde "Heimatverbundenheit" gezeigt. Wie auch immer man zu diesem Begriff stehen mag, es wurde ganz deutlich Flagge gezeigt. Etwas Ähnliches wollte ich auch machen. Also habe ich im Internet nach Logos gesucht, die Fracking betreffen, wobei mir keines so richtig gefallen hat, und habe dann ein eigenes entworfen.

Mit dem Zeichen bin ich zum Landrat Jörn Klimant gegangen, weil ich mir den Druck von Aufklebern vorfinanzieren lassen wollte, und der hat meine Bitte an die verschiedenen Parteien und die Freie Wählergemeinschaft UWD weitergegeben. Letztere haben sich bei mir gemeldet, und so habe ich bei ihnen einen Vortrag gehalten. Aufgrund dessen erhielt ich, vermittelt durch Mitglieder, eine Anfrage vom Bürgerverein und habe auch dort einen Vortrag gehalten. Das sprach sich also langsam herum. Mir kommt es jetzt darauf an, daß nach außen hin klar wird: Wenigstens die Ostroher Bürger zeigen Flagge. Auch wenn das erstmal nur 20 Leute bei meinem Vortrag in Ostrohe waren - mit kleinem Mist fängt man an.

Der hiesige Bürgermeister selber ist am Thema Fracking interessiert, doch in den einzelnen Parteien besteht offensichtlich kein so großes Interesse. Das Argument lautet immer, wir liegen sowieso im Trinkwasserschutzgebiet. Doch dahinter verbirgt sich eine falsche Annahme. Die Wasserschutzgebiete für sich genommen sind kein Hinderungsgrund für Fracking. Man könnte zum Beispiel direkt daneben fracken. Inzwischen ist bekannt, daß dann trotzdem Schäden entstehen können.

SB: Wie kommt das kanadische Unternehmen PRD Energy dazu, hier in Schleswig-Holstein für das Ostroher Feld einen Antrag zur Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen zu stellen, also gegebenenfalls Fracking betreiben zu wollen?

UT: Weltweit erkunden Unternehmen, wo es Möglichkeiten für die Gewinnung von Bodenschätzen gibt. Die Firmen, die Öl und Gas vertreiben, suchen sich dann Stellen aus, an denen sich relativ wahrscheinlich eine Lagerstätte befindet. Früher war beim Erdölbohren mehr Zufall im Spiel, aber das ist inzwischen anders. Heute führt man Vorerkundungen durch, indem man Sprengladungen im Boden zündet. So etwas wurde auch hier schon durchgeführt, aber nicht im Zusammenhang mit Fracking.

SB: Wurde in der Nähe der Gemeinde Ostrohe Öl gefördert?

UT: Nein, die einzige Ölförderung der Region fand bei der Mittelplate im Wattenmeer und in Hemmingstedt, südlich von Heide, statt. Dort gibt es eine Schicht mit Ölschiefer, der nicht besonders ergiebig ist. In der Anfangszeit wurde für die Ölgewinnung sehr viel "man power" verbraucht, und es wurden auch Kriegsgefangene eingesetzt. Ich erinnere mich - das war etwas peinlich -, als ich einmal zu einer Zeit, als es die DDR noch gab, mit Schülern nach Buchenwald gefahren war und wir dort große Karten mit Markierungen für Konzentrationslager zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland betrachteten. Plötzlich entdeckten wir, daß da auch Heide angegeben war. Ich fragte, wieso ist hier Heide eingezeichnet, da gab es doch kein Konzentrationslager. Da wurde mir gesagt, daß es in Heide ein Arbeitslager mit Kriegsgefangenen gab, von denen sehr, sehr viele ums Leben gekommen sind.

Elf Meter hohe Betonsäule, am oberen Ende eine Aussparung, in der eine Bronzeplastik den Totenschiffer Charon zeigt, der mit seinem Nachen eine trauernde Mutter mit ihrem toten Sohn über den Fluß Acheron fährt. Die Säule ist von Pflastersteinen und Betonflächen umgeben und liegt inmitten eines welligen Waldgebiets - Foto: Peter Oldekop (Peter Werner), freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Gedenkstätte für sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, von denen hier während des Zweiten Weltkrieges schätzungsweise 3000 umgekommen sind. Gudendorfer Wald in der Nähe von Heide, Januar 2009
Foto: Peter Oldekop (Peter Werner), freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons

SB: Wem gehört eigentlich das Ostroher Moor?

UT: Das ist ein Landschaftsschutzgebiet, das zum großen Teil dem Angelverein gehört. Der hat die Oberaufsicht vom Kreis übertragen bekommen und viele Flächen gepachtet.

SB: Angenommen, das Unternehmen PRD Energy wollte hier Fracking betreiben, müßte es dazu dann die Flächen dem Kreis oder dem Anglerverein abkaufen?

UT: Zunächst einmal glaube ich nicht, daß die hier direkt ins Moor reingehen würden. Das ist für die Infrastruktur, also für den ganzen Lastwagenverkehr, viel zu umständlich. Allein für den Transport von Wasser für einen einzigen Frackvorgang muß man mit 200 Tanklastwagen rechnen. Dafür muß man entsprechend befestigte Wege haben, das geht nicht auf den normalen Plattenwegen. Da gäbe es nördlich von hier in Richtung Friedrichstadt geeignetere Gebiete mit freiem Feld und ausgebauten Zufahrtswegen. Die werden das dann eher in solchen Bereichen machen. Zumal es dort Flächen gibt, die landwirtschaftlich nicht mehr so interessant sind. Der eine oder andere Landwirt würde dieses Land sicherlich gerne verpachten.

SB: Haben Sie bei Ihren Vorträgen auch schon mal Befürworter des Frackings kennengelernt?

UT: Bei der Veranstaltung beim Kreis [3], zu der auch der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck gekommen war, habe ich jemanden von einer Erdölfirma getroffen. Außerdem den Bürgermeister von Nordhastedt, wo ein Geothermieprojekt entsteht. Der hat dann das eine oder andere Gute gesucht, wobei es nicht speziell um Fracking, sondern generell um solche durchaus riskanten Bohrungen ging. Das gilt natürlich auch für die Geothermie. Darin hat die dortige Gemeinde bereits sehr viel Geld investiert. Ähnliches gilt auch für Niedersachsen. Das Land wird ziemlich sicher nicht gegen Fracking sein. Die bekommen einen schönen Förderzins. Aber für wie lange, und welche Schäden bleiben zurück? Das sind wichtige Fragen.

Plattenweg, Feldmark nördlich von Stelle-Wittenwurth - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Allein für den Transport von Wasser für einen einzigen Frackvorgang muß man mit 200 Tanklastwagen rechnen. Dafür muß man entsprechend befestigte Wege haben, das geht nicht auf den normalen Plattenwegen."
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Anders als beim Abbau von Braunkohle, bei dem beispielsweise das Bundesland Brandenburg auf die Erhebung des Förderzinses verzichtet, müßten die Unternehmen, die nach Erdgas oder Erdöl bohren, einen Zins entrichten?

UT: Beim Fracking ist das so. Das fällt nicht unter das Landesrecht, sondern das ist Bundesrecht. Da ist das Land Schleswig-Holstein jetzt deutlich dagegen, der Kreis ist dagegen, die Gemeinde ist dagegen. Nur, ob in Hamburg ein Eimer Wasser umfällt oder die dagegen sind, das spielt keine Rolle.

Trotz meiner Kritik bin ich manchem gegenüber, was ich im Internet lese, kritisch eingestellt. Bis jetzt habe ich nicht alles, was ich da gefunden habe, übernommen, weil mir einige Sachen dann doch ein bißchen sehr herbeigezogen wirkten. Wir können ganz viel vermuten - ich halte mich lieber an das, was ich relativ sicher als Fakten auf den Tisch habe. Da mag ich manchem durchaus Unrecht tun, das kann sein, aber ich kann es in dem Moment nicht nachvollziehen, und dann nehme ich das auch nicht in meine Argumentation mit auf.

SB: Spielen Sie auf den Film "Gasland" von Josh Fox an?

UT: Zum Beispiel. Es gibt sehr unterschiedliche Darstellungen, wie das Gas in die Wasserleitungen gekommen ist, aus denen dann Flammen schlagen. Es hat schon irgend etwas mit Fracking zu tun, aber nicht mit dem Fracken selber, sondern es gab da - vermutlich - irgendwelche anderen Probleme. Das wird zumindest von der einen Seite behauptet. Die andere Seite sagt, das passiert beim Fracking nunmal.

Wenn letzteres zuträfe, müßten diese Fracking-Risse bei uns über tausend Meter bis zu den Aquiferen, den wassertragenden Schichten, wandern und diese müßten dann ausgerechnet noch von den Trinkwasserbrunnen angebohrt werden. Dann könnte so etwas passieren. Aber: Ich nehme es zur Kenntnis, daß so etwas gefilmt und dort gesagt worden ist, aber ich würde das nie in meinen Vortrag übernehmen. Das ist mir einfach ein bißchen sehr aufgebauscht.

Durch solche Bilder werden natürlich viele Leute aufgeschreckt. Die wissen nicht, was Fracking ist, aber die wissen, daß da Gas aus dem Wasserhahn kommt. Da ist natürlich wieder der Lehrer in mir (lacht), der sagt: Vorsicht. Es gibt genug Argumente gegen Fracking. Da müssen nicht solche Sachen auch noch dabei sein.

SB: In Ihrem Vortrag sagten sie, daß Immobilien an Wert verlieren, wenn in der Nähe gefrackt wird. Wäre das für Sie ein Argument, das für sich steht?

UT: Das ist definitiv so, und was ein Landwirt bei der Veranstaltung gesagt hat, daß gegenwärtig die Landpreise steigen, da vermischen sich verschiedene Sachen. Wenn ich einem Landwirt sage, du machst 20 Prozent Verlust bei deiner Grünfläche, wenn die hier fracken und das Land trockenfällt, dann ist das ein Argument. Aber wenn da jetzt plötzlich noch ganz andere Faktoren eine Rolle spielen, beispielsweise daß mehr Grünland für die Massenproduktion wie den Maisanbau gesucht wird, dann hat auch dieser Landwirt recht mit seiner Einschätzung. Das hat aber nichts mit der anderen Entwicklung zu tun, und das gilt zum Beispiel auch nicht für die Grundstücke. Dabei geht es ja darum, daß beispielsweise Leute, die aus den Industriegebieten wie dem Frankfurter Raum hier hochgezogen sind, als sie pensioniert waren - also durchaus gutgestellte Menschen, die dann hier oben teure Häuser kaufen, um einen gesunden Lebensabend zu verbringen in einer wunderschönen Landschaft -, dann nicht mehr kommen, wenn dann hier die Tanklastwagen rumrattern. Damit wäre die Altersvorsorge, die in solche Immobilien gesteckt wurde, weniger wert.

Mehrere Seen, durch flache Wälle voneinander getrennt. Im Hintergrund der Fernsehturm von Heide - Foto: © 2014 by Schattenblick

Ostroher Moor - einst Abbaugebiet von Torf
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Das Moor würde vielleicht nicht unmittelbar zum Wasserlieferanten für Fracking, aber besteht die Gefahr, daß über eine Art natürliche Drainage das Moor trockenfallen könnte, wenn man Wasser von woanders abpumpte?

UT: Das Moor wird hier überwiegend durch Quellen von den Anhöhen gespeist. Inwieweit jetzt Aquifere für das Trinkwasser mit diesen Wasserreservoiren verbunden sind, ist noch relativ unklar. Man würde es erst merken, wenn es zu spät ist. Eigentlich ist die Entfernung zwischen Oberflächenwasser und den Frackingbereichen zweieinhalb Kilometer. Das ist also ziemlich weit. Jetzt kommt es darauf an, was dazwischen liegt: Gibt es da wirklich wasserdichte Schichten oder entstehen in ihnen durch das Fracking Risse? Genau das kann man vorher nicht genau sagen. Da kann man noch so viele Sonar-Untersuchungen durchführen - es werden ja Sprengladungen von oben in den Boden entlang einer Linie eingebracht, und an den Echos, die von unten kommen, kann man ablesen, wo größere Vorkommen zu finden sind. Daraus könnte man aber nicht schließen, ob es da im Untergrund einen Riß gibt, der müßte ja nur fingerdick sein. So eine hohe Auflösung haben diese Verfahren nicht. Man weiß nicht genau, was hier für ein Unterboden ist. Das wird zur Zeit nach den vorliegenden Papieren erkundet.

SB: Es werden gegenwärtig noch keine Vor-Ort-Untersuchungen beispielsweise mit Sonar durchgeführt?

UT: Nein, PRD Energy darf noch nicht in den Boden eindringen. Aber es wurden ja früher schon einmal Bohrungen ausgebracht, die noch gar nichts mit Fracking zu tun hatten.

SB: Trifft es zu, daß es bei den Erkundungen allein um die Frage geht, ob sich eine Förderung lohnt, und nicht, ob diese umweltverträglich wäre?

UT: Die Umweltverträglichkeitsprüfung fällt flach, sie ist nicht notwendig.

SB: Aber nur eine negative Umweltverträglichkeitsprüfung wäre ein Fakt, um das Fracking nicht genehmigen zu müssen.

UT: Es gibt noch ein paar andere Argumente. Wenn beispielsweise direkt nachgewiesen werden könnte, daß das Wasserreservoir beeinträchtigt wird.

Das einzige, wo man als Bürger Flagge zeigen und was bremsen kann, ist die Erkundung des öffentlichen Interesses. Zeigen, was die Öffentlichkeit will. Es sind jede Menge Rechtsanwälte dabei - das war auch bei der Veranstaltung beim Kreis so -, die versuchen die Deutungshoheit über den Begriff, was öffentliches Interesse ist, zu erlangen. Das halte ich für schlimm. Auch für undemokratisch. Weil da eben die Meinung jedes einzelnen Bürgers überhaupt nicht durchdringt. Eigentlich sollte es genügen, wenn ein Bürger sagt: "Ich will das nicht. Aus!" Und wenn alle Ostroher erklären: "Wir wollen das einfach nicht und wollen das auch gar nicht begründen." Das müßte reichen.

SB: Auf welche Weise können die Rechtsanwälte aus der Industrie die Deutungshoheit erlangen?

UT: Indem sie es als juristischen Begriff definieren, der in den entsprechenden Kommentaren zu den Urteilssprüchen steht und in relativ kurzer Zeit zu einem gebräuchlichen Begriff wird. Irgendwann kommt das dann wahrscheinlich noch in andere Gesetze und wird dann genau definiert. Es gibt ja zu den Gesetzen immer die entsprechenden Kommentare, was einerseits ganz nützlich ist, wenn man Begriffe genau definiert. Aber in diesem speziellen Fall, bei dem Begriff "Öffentlichkeit", werden wir praktisch alle entmündigt. Ich bin kein Jurist, aber ich sehe das so.

SB: Als die Öffentlichkeit von dem Aufsuchungsantrag von PRD Energy erfuhr, war faktisch schon alles gelaufen, wie man an dem Schriftverkehr mit dem Landesbergbauamt Claustal-Zellerfeld ablesen kann, den Sie teilweise auf Ihrer Webseite veröffentlicht haben. [4] Erinnert das nicht an die Geschichte "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams, wo eines Tages die Bulldozer schon vor der Haustür standen und behauptet wurde, der Termin für die Räumung hätte doch ausgehangen - im Fall des Frackings wäre das vermutlich irgendwo im Keller des Kreisamts gewesen?

UT: (lacht) Aber es ist alles rechtens! Das hängt unter anderem - aber nur "unter anderem" - damit zusammen, daß das Bergrecht uralt ist und aus einer Zeit stammt, in der es diese ganzen Techniken noch gar nicht gab und in der das Umweltbewußtsein auch ganz anders war. Es bestand bei den Politikern oder wem auch immer offensichtlich kein Interesse an einer Änderung des Bergrechts, weil man auf diese Weise Geld verdient hat. Wir sind ein relativ ressourcenarmes Land - ein bißchen Braunkohle, ein wenig Erdöl -, aber wir können auf jeden Fall energetisch nicht autark leben. Auch mit Atomkraftwerken nicht, weil wir kein spaltbares Uran haben. Das einzige, was wir haben, ist Wind, ein wenig Sonne und Wasser. Aber die Wasserkraft reicht nicht, daß man damit Städte versorgen könnte. Mit Wind könnte man schon eine ganze Menge erreichen, davon haben wir ja genügend. Allerdings ist das nicht billig erkauft, wenn man sich die Landschaft anguckt. So wie meine Frau und ich sie noch kennengelernt haben, als wir hierhergezogen sind und mit dem Fahrrad die ganze Umgebung abgefahren haben, gab es noch keine "Spargel" in der Landschaft. Nur einzelne, verrostete Türme, in denen Wasser für die Landwirtschaft gezogen wurde.

Windrad und Biogasanlage in Weidelandschaft mit wenigen Büschen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Windräder, Biogasanlagen und in Zukunft noch Fracking-Bohrtürme dazwischen? In der Nähe von Wennemannswisch bei Heide
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: In Schleswig-Holstein haben sich bereits mehrere Initiativen gegen Fracking gebildet. Wären Sie zur Zusammenarbeit bereit, wenn man auf Sie zukäme und vorschlüge, man könnte doch mal etwas gemeinsam auf die Beine stellen?

UT: Wenn da eine Gruppe auf mich zukommt, so wie jetzt zum Beispiel nach Ihrem Bericht im Schattenblick, habe ich erst einmal ganz große Ohren und einen ganz aktiven Computer, mit dem ich im Internet recherchiere. Ich würde dann herauszufinden versuchen, mit welchen Argumenten gearbeitet wird, ob ich mich denen anschließen kann und ob ich das mir und meiner Familie zumuten möchte, was dann auf uns zukäme. Ich werde zum Beispiel nie auf eine Barrikade gehen oder mich an Schienen anketten, allein aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht.

SB: Das wäre aber auch schon eine sehr weitgehende Aktionsform.

UT: Das wäre für mich keine Lösung. Aber Argumente sammeln - durchaus. Wenn ich jedoch merke, es wird mehr emotional als rational gearbeitet, dann ziehe ich mich gleich wieder zurück. Das wäre mir schlichtweg zu anstrengend.

SB: In Großbritannien gibt es inzwischen schon drei ständig besetzte Prostestlager im Zusammenhang mit Fracking-Installationen, um diese zu behindern. Die britische Regierung hat vor, das ganze Land zu fracken ...

UT: Das geht aber auch nur ein paar Jahre! Das ist auf Dauer keine Lösung. Für mich wäre es eine Lösung, das ganze Erdgas und Erdöl als Sparkasse anzusehen. Die Bodenschätze sollten im Boden gelassen werden für Zeiten, in denen gar nichts mehr geht. Die Mengen sind nicht so groß, um Schleswig-Holstein flächendeckend mit billigem Brennmaterial versorgen zu können. Also, wenn das jemand behauptet, schwindelt er schlichtweg. Zum Beispiel ist auch die Ölförderung von der Mittelplate eigentlich völlig unnötig. Sehr viel mehr Öl wird mit Tankern nach Brunsbüttel gebracht und dann über Pipelines zur Raffinerie in Hemmingstedt gepumpt. Ich habe einmal mit Schülern dort im Labor gearbeitet. Der Erdölanteil von der Mittelplate ist lächerlich gering.

Natürlich wird gesagt, daß jeder Liter, den man rausholt, ein bißchen Gewinn bringt. Aber nicht so viel, daß man da unter Umständen das ganze Wattenmeer mit gefährden kann! Im Moment läuft das ja alles gut, aber wir haben noch keine starke Sturmflut gehabt. Da weiß ich nicht, wie es dann aussähe.

SB: Herr Thiele, vielen Dank für das ausführliche Gespräch.

Watt bei Ebbe, in der Ferne die Bohrinsel - Foto: C. Löser, freigegeben als CC-BY-3.0-DE via Wikimedia Commons

Bohrinsel Mittelplate A - permanenter Risikofaktor einer Ölverseuchung des schleswig-holsteinischen Wattenmeers, 1.8.2010
Foto: C. Löser, freigegeben als CC-BY-3.0-DE via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] Einen Schattenblick-Bericht zu der Veranstaltung finden sie unter:
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0069.html

[2] Im Jahr 2006 wollte die schleswig-holsteinische Landesregierung eine Kreisgebietsreform auf den Weg bringen, was in Dithmarschen eine breite Protestwelle auslöste. Man wollte nicht zum möglichen Großkreis "Südwestholstein" gehören. "Wir sind Dithmarschen" lautete der Slogan, den man überall auf Plakaten, Autoaufklebern und Wimpeln lesen konnte.

[3] Im Kreishaus Heide fand am 27. Januar 2014 eine öffentliche, sehr gut besuchte Veranstaltung zum Thema Fracking statt, zu der unter anderem der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck angereist war.

[4] http://www.ostroher-moor.de/frack09.htm


21. März 2014