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INTERVIEW/070: Zukunft der Meere - Menschheitsrecht und Menschenpflicht, Michael Stadermann im Gespräch (SB)


Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See

Tagung im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen am 7. Dezember 2013

Interview mit dem Umweltrechtler Michael Stadermann von der Universität Bremen



"Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" lautet der Titel einer bemerkenswerten Vision, die der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) als sein diesjähriges Hauptgutachten veröffentlicht hat.[1] Damit die Meere in Zukunft vor Überfischung, Versauerung, Vermüllung und anderen Umweltverschmutzungen geschützt werden, empfehlen die Experten unter anderem eine Neuorganisation der Verfügungsrechte. Die bislang noch nicht vollständig regulierte Hohe See soll, ähnlich wie bereits der Meeresboden der Tiefsee, als Gemeingut behandelt werden. So würde ein erheblicher Teil der Ausschließlichen Wirtschaftszone, nämlich das Gebiet zwischen der 12- und 200-Meilenzone (in Einzelfällen bis zu 350 Meilen Entfernung vom Festland) einer geteilten Souveränität unterworfen. Die Staaten wären weiterhin für diese Gebiete verantwortlich, aber rechenschaftspflichtig gegenüber einer neu ins Leben gerufenen, globaladministrativen World Ocean Organization (WOO).

Der Umweltrechtler Michael Stadermann von der Forschungsstelle für europäisches Umweltrecht im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Bremen hat das WBGU-Gutachten am 7. Dezember 2013 auf der Tagung "Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See" in Bremen vorgestellt.[2] Am Rande der Tagung ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit, dem Referenten einige Fragen zu stellen.

Portrait des Interviewten - Foto: © 2013 by Schattenblick

Michael Stadermann - Das Gutachten "Menschheitserbe Meer" war stärker an Problemen der Governance ausgerichtet als frühere Gutachten des WBGU
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben für den wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung globale Umweltveränderungen an dem diesjährigen Hauptgutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" mitgearbeitet. Könnten Sie einmal beschreiben, was die typische Aufgabe eines Juristen hierbei war?

Michael Stadermann (MS): Normalerweise besteht die Aufgabe eines Juristen in diesem interdisziplinären Beirat darin zu überprüfen, ob zu bestimmten rechtlichen Fragen bereits ein Gesetz besteht oder, wenn der WBGU vorschlägt, Regulierungen von staatlicher Seite einzuführen, ob diese beispielsweise mit der Verfassung oder dem Europarecht konform sind. Genau für diese "kleinen" Sonderfragen rechtlicher oder auch rechtspolitischer Dimension steuern normalerweise die Juristen ihre Expertise bei.

Mit dem Gutachten "Menschheitserbe Meer" verhielt es sich aber so, daß es wesentlich stärker an Problemen der Governance ausgerichtet war als frühere Gutachten des WBGU, die häufig stark naturwissenschaftlich geprägt sind. Und im Rahmen der Governance stellten sich Fragen wie: Ist das Seerechtsübereinkommen, so wie es ist, nachhaltig genug oder muß es geändert werden? Ist eine komplett neue Governance der Meere notwendig oder kann man die bestehende Governance ausweiten? Gibt es Bedenken, was die Verfassung, die Bestimmungen der Welthandelsorganisation WTO oder das Europarecht betrifft, die zu beachten sind? In diesem Gutachten war tatsächlich die Aufgabe, die die juristische Beirätin Frau Schlacke und ich als ihr Referent hatten, etwas größer, als es üblicherweise der Fall ist.

SB: Sie sprechen von Governance, auch in dem WBGU-Gutachten wird häufiger der Begriff "Meeres-Governance" verwendet. Würden Sie unseren Leserinnen und Lesern einmal erklären, was er bedeutet?

MS: Governance ist ein ziemlich unspezifischer Begriff, der auch gerne etwas verwässert wird. Wir verstehen darunter die Regulierung der einzelnen Nutzungen im Bereich der Meere, und zwar nicht nur von staatlicher Seite aus, sondern beispielsweise bezogen auf die Selbstregulierung der dort aktiv tätigen Unternehmen, was man als "private governance" bezeichnet. Oder auch auf die Kooperation von staatlicher Seite mit privaten Akteuren, die sogenannte "private public governance". Die findet man zum Beispiel im Bereich der Zertifizierungen oder der Kennzeichnung von Produkten. Alles das, also die eher autoritäre Regulierung von seiten der Staaten und die Selbstregulierung innerhalb der tätig werdenden Unternehmen kann man als Governance bezeichnen.

SB: Trifft die bei der Diskussion vorhin vorgebrachte Aussage zu, daß das WBGU-Gutachten eine politische, aber keine rechtsverbindliche Funktion hat?

MS: Ja. Rechtsverbindlich sind die Gutachten per se natürlich nicht. Sie sind als Handlungsempfehlung für die Entscheidungsträger in Deutschland konzipiert, also primär für die Bundesregierung, aber auch für die Parlamentarier. Gleichzeitig soll die interessierte Öffentlichkeit aufgeklärt werden. Aus solchen Empfehlungen heraus ergibt sich natürlich keine Verbindlichkeit für irgend jemanden, die Entscheidungsträger können die Inhalte des WBGU-Gutachtens selbstverständlich ignorieren. Aber häufig werden die Empfehlungen dann doch ernst genommen, weil die Expertise, die hinter den Gutachten des WBGU steht, recht geballt ist. In dem Beirat treffen anerkannte Hochschullehrer aus in der Regel neun unterschiedlichen Disziplinen zusammen. Die machen sich gemeinsam Gedanken zu einem Thema aus dem Bereich der globalen Umweltfragen. Somit kann man dem WBGU eine wissenschaftliche Autorität bescheinigen und damit eine gewisse Brisanz und vielleicht auch Dringlichkeit seiner Aussagen.

SB: Hat es schon eine Reaktion der Bundesregierung auf das Meeresgutachten gegeben? Läßt sich erkennen, daß es ernst genommen wird?

MS: Darauf zu antworten, fällt mir ein bißchen schwer, da ich kein aktiver Referent beim WBGU mehr bin. Allerdings habe ich im Vorfeld dieser Veranstaltung nachgefragt und erfahren, daß das Gutachten durch einzelne Parlamentarier zumindest schon zitiert und rezipiert wird. Und man erwartet mehr Reaktionen auf dieses Gutachten aus dem Ausland als aus dem Inland, weil der WBGU international eine hohe Anerkennung genießt. Die letzten Gutachten wurden international stark diskutiert - generell wird das Thema Meere in vielen anderen Ländern stärker diskutiert als momentan in Deutschland. Es bleibt abzuwarten, wie die internationale Reaktion ausfällt, da die englische Fassung des Gutachtens noch nicht veröffentlicht ist.

SB: Auf der Tagung wurde bislang nicht erwähnt, ob es andere Länder gibt, die ähnliche Gutachten erstellt haben. Wissen Sie etwas darüber?

MS: Davon ist mir nichts bekannt. Dabei ist es natürlich so, und das wurde auch schon von anderen Rednern skizziert, daß die Ideen nicht alle intrinsisch dem WBGU entstammen und dort geboren wurden, sondern es gibt Anleihen bei verschiedenen Vordenkern des Meeresrechts. Frau Mann Borgese[3] wurde genannt und auch Arvid Pardo[4]. Die sind natürlich, man muß ja fast sagen, Philosophen zum Thema Meeresrecht oder Meeresnutzung, die da schon gedankliche Vorarbeit geleistet haben. Daran lehnt sich der WBGU explizit an. Deswegen sind die Gedanken nicht neu.

Das Gutachten selber hat vielleicht eine gewisse Prägnanz im Gegensatz zu anderen Schriften, die veröffentlicht wurden. Daß eine politische Institution weltweit Vergleichbares veröffentlicht hat, ist mir, wie gesagt, nicht bekannt, aber man kann durchaus bei den einen oder anderen NGOs Forderungen finden, die nicht unbedingt deckungsgleich sind, aber doch große Ähnlichkeit haben mit den Vorschlägen, die man in dem WBGU-Gutachten findet. Vielleicht ist das Besondere daran, daß das Thema Bewirtschaftung der Meere einmal ganz umfänglich und interdisziplinär betrachtet wurde.

SB: Haben Sie als Umweltrechtler ein über die Juristerei hinausgehendes persönliches Interesse an Fragen des Meeresschutzes eingebracht oder haben Sie sich eher in das Thema eingearbeitet?

MS: Da muß ich wirklich gestehen, daß ich mich in das Thema eingearbeitet habe. Dabei habe ich jedoch viele interessante Ansatzpunkte für mich entdeckt. Vorher hatte ich mich relativ wenig mit den Problemen der Meere auseinandergesetzt, vielleicht auch weil ich gebürtig nicht aus einer Region komme, die mich irgendwie mit dem Meer verbindet. Ich stamme ziemlich genau aus der Mitte Deutschlands und habe Urlaub am Meer verbracht, was zu meinen hauptsächlichen Anknüpfungspunkten gehört. Da gewinnt man eine gewisse Verbundenheit zum Meer, aber die geht natürlich nicht so tief wie die Verbundenheit, die zum Beispiel Küstenbewohner empfinden, die von klein auf damit aufgewachsen sind.

Ich entstamme anderen Bereichen des Umweltrechts und habe eher zu Themen des nachhaltigen Konsums und des Kreislaufwirtschaftsrechts gearbeitet. Da findet man auch immer wieder Verknüpfungen mit dem Thema Meer, wie wir eben in einem der Beiträge gehört haben. So sieht die Umweltorganisation NABU enge Verknüpfungen zwischen dem Thema Kreislauf, Wirtschaft und der Verschmutzung der Meere. Deswegen hat man auch da interessante Verbindungen, die mich als Umweltrechtler per se interessieren und faszinieren. Nach meinem Selbstverständnis würde ich mich jedoch nicht als Seerechtler oder Meeresrechtler, sondern eher als Umweltrechtler und Umweltschützer bezeichnen.

SB: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Gelb-schwarze Nacktschnecke auf sandigem Meeresboden - Foto: Dr. Robert Ricker, NOAA/NOS/ORR

Im Meeresschutzgebiet - Keine verformte Badelatsche, sondern quicklebendige Meeresnacktschnecke in 13 Meter Tiefe des Great Barrier Reef, Australien
Foto: Dr. Robert Ricker, NOAA/NOS/ORR


Fußnoten:

[1] http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/hg2013/wbgu_hg2013.pdf

[2] Weitere Berichte und Interviews zur Bremer Tagung unter:

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
BERICHT/062: Zukunft der Meere - Tiefsee in Not (SB)
Unendliche Weiten? Immer weniger Lebensraum für die Meeresbewohner!

BERICHT/063: Zukunft der Meere ... und machet sie euch untertan ... (Genesis, Kap. 1, Vers 28) (SB)
Das WBGU-Gutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" - Befreiung vom Raubbau oder dessen Fortsetzung?

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
INTERVIEW/069: Zukunft der Meere - Pflichten des Fortschritts? (SB)
Interview mit Dr. Onno Groß

[3] Elisabeth Veronika Mann Borgese (1918-2002): Tochter des deutschen Schriftstelllers Thomas Mann. Sie war maßgeblich am Zustandekommen des UN-Seerechtsübereinkommens von 1982 beteiligt und mitverantwortlich dafür, daß die Meere als Gemeingut aufgefaßt werden.

[4] Arvid Pardo (1914-1999): Maltesischer Diplomat und Begründer des UN-Seerechtsübereinkommens.

26. Dezember 2013