Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

INTERVIEW/044: Down to Earth - Desertec, Antwort auf die Wüste? (SB)


32. Weltkongreß der Geographie in Köln



Dr. Thomas Schmitt zum Projekt Desertec

Eine an sich bestechende Idee: Man stellt in der Wüste Nordafrikas Solarthermische Kraftwerke auf, welche die hohe Sonneneinstrahlung nutzen und reichlich elektrischen Strom produzieren. Der würde dann mittels Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) relativ verlustarm nach Europa geleitet.

In nur sechs Stunden empfangen die Wüsten der Erde von der Sonne soviel Energie, wie die gesamten Menschheit innerhalb eines Jahres verbraucht. Theoretisch könnte auf einer Fläche von 125 mal 125 Kilometern in der Sahara elektrischer Strom für den kompletten Bedarf Europas erzeugt werden.

Bei einem Investitionsvolumen von rund 400 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 könnte Europa etwa 17 Prozent seines Bedarfs durch Solarthermische Kraftwerke und andere regenerative Energiesysteme, die im Mittleren Osten und Nordafrika (MENA-Raum - Middle East, North Africa) installiert werden, abdecken. Zu mindestens gleichen Anteilen sollte auch der heimische Energiebedarf der beteiligten Länder gestillt werden. So lautet die Grundidee, die hinter dem Desertec-Konzept steckt.

Karte von Europa und Nordafrika mit Symbolen unter anderem für Solarthermische Kraftwerke und Stromleitungen - Karte: DESERTEC Foundation, www.desertec.org

Skizze einer möglichen Infrastruktur für eine nachhaltige Stromversorgung in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika (EU-MENA). Die durch die roten Quadrate markierten Flächen für Solarkollektoren würden genügen, um in solarthermischen Kraftwerken (CSP) den Strombedarf der Welt (18.000 TWh/a, 300x300 km²), Europas (EU, 3.200 TWh/a, 125x125 km²) und von Deutschland bzw. MENA (Middle East and North Africa, ca. 600 TWh/a, 55x55 km²) zu erzeugen.
Karte: © DESERTEC Foundation, www.desertec.org

Am 13. Juli 2009 wurde auf einer Pressekonferenz beim Versicherungskonzern Münchner Rück in München die Desertec Industrial Initiative GmbH (DII) vorgestellt. Sie soll helfen, dieses Konzept wirtschaftlich umzusetzen. Zu der Pressekonferenz waren nicht nur Vertreter verschiedener, vorzugsweise deutscher Konzerne - beispielsweise Münchner Rück, Deutsche Bank, Siemens, RWE, E.ON - anwesend, sondern auch einer der Erfinder der Desertec-Idee sowie Vertreter von drei deutschen Ministerien. Dadurch erhielt das Projekt einiges an Gewicht.

Von Beginn der Ankündigung der Desertec-Initiative an wurde nicht minder gewichtige Kritik an dem Vorhaben geäußert. Die Einwände lauten: Hier würden kolonialzeitliche Verhältnisse zwischen Afrika als Produktions- und Europa als Nutzungsraum fortgeschrieben. Die Großindustrie versuche, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen und in Zeiten wachsender individueller Stromproduktion mit staatlicher Unterstützung oligopole Strukturen zu sichern. Außerdem sei die Sahara keineswegs menschenleer, und die Wüstenbewohner benötigten wegen der unwirtlichen natürlichen Voraussetzungen ein großes Einzugsgebiet, um zu überleben; es könnte also zur Vertreibung und Verdrängung der angestammten Bevölkerung durch die Desertec-Projekte kommen. Eine Reihe der Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten werde diktatorisch regiert; die Desertec-Beteiligten liefen also Gefahr, repressive Regime zu unterstützen. (Der Sturz mehrerer nordafrikanischer Regierungen, die als Desertec-Partner in Frage kamen, im Zuge des sogenannten arabischen Frühlings bestätigt die Bedenken der Desertec-Kritiker.) Und an dieses Argument anknüpfend: Sonne und Wind sind zwar kostenlos, wie die Desertec-Befürworter betonten, aber entweder seien fossile Energieträger das ebenfalls oder die an der Förderung beteiligten Firmen müssen nur geringe Abgaben leisten. Beispielsweise bezahlen die Konzerne Vattenfall und RWE nichts für die Förderung des Energieträgers Braunkohle in Deutschland. Der Rohstoff ist für sie wie Sonnenenergie: Kommt vom Himmel, kostet nichts. In diesem Fall kommt der Energieträger aus der Erde und kostet gleichfalls nichts.

In Afrika spricht man vom Rohstoff- bzw. Erdölfluch, da die mit der Förderung beauftragten Konzerne kaum Abgaben für die Ressourcen entrichten müssen, riesige Gewinne machen und lediglich eine kleine heimische Oberschicht an der Beute beteiligt wird, während die große Mehrheit der Gesellschaft in Armut verharrt. Es ist nicht erkennbar, daß der "Rohstoff" Sonnenenergie unter dem vorherrschenden Wirtschaftssystem mit seinen profitorientiert arbeitenden, konkurrenzgetriebenen Unternehmen zur Entwicklung grundsätzlich anderer Produktionsverhältnisse führen wird als jener mit einem Fluch behafteter.

Das entscheidende Stichwort ist "vorherrschendes Wirtschaftssystem". In dem auf den ersten Blick so bestechend wirkenden Desertec-Konzept scheint nicht die Utopie einer kostenlosen oder zumindest preisgünstigen Energieversorgung auf, sondern die Dystopie wachsender administrativer Verfügungsgewalt durch zentralistische, den einzelnen in tiefe Abhängigkeit haltende Versorgungsstrukturen.

Blick von oben auf Felder mit nachführbaren Spiegeln und zentralem Turm - Foto: Solúcar, 1.3.2007, CC-BY-3.0 Unported, freigegeben via Wikimedia

Solarwärmekraftwerk PS10 (im Aufbau) in der Nähe von Sevilla, Andalusien
Foto: Solúcar, 1.3.2007, CC-BY-3.0 Unported, freigegeben via Wikimedia

Inzwischen sind drei Jahre vergangen, in denen die Desertec-Initiative anscheinend wenig von der Stelle gekommen ist. Vor kurzem hat Siemens angekündigt, seine Mitgliedschaft bei der DII zum Jahresende auslaufen zu lassen. Andere Unternehmen spielen mit ähnlichen Gedanken. Zu den Gründen für den Ausstieg gehört die Vorsicht der spanischen Regierung, die keine Zusage über den Bau einer Übertragungsleitung von Marokko kommend über die Straße von Gibraltar zur iberischen Halbinsel und von dort weiter nach Mitteleuropa machen will. Die Entscheidung der spanischen Regierung dürfte damit zu tun haben, daß das Projekt teuer ist und unkalkulierbare Risiken birgt. Aber vielleicht will Spanien auch eine Trumpfkarte in der Hinterhand behalten, um sich gegen das Dominanzstreben der deutschen Regierung innerhalb der Eurozone behaupten zu können. Spaniens Standpunkt gilt in der Branche als schwerer Schlag gegen Desertec.

Ein weiterer, schwergewichtiger Grund ist der weltweite Preisverfall bei Solarzellen. Die werden in China so günstig produziert, daß die ursprünglichen Wirtschaftlichkeitsberechnungen der DII zu Solarthermischen Anlagen hinfällig sind. Siemens verabschiedet sich bereits von seinen Solarprojekten und damit auch von dem entsprechenden Anteil an der DII. Davon unbenommen bleibt, daß der deutsche Konzern weiterhin mit seiner HGÜ-Technologie und anderen Elementen des Stromtransfers im Geschäft bleibt.

Außerdem war in der Zwischenzeit ein gewisser Widerspruch zwischen dem offiziellen Standpunkt der DII und dem Vorgehen von Siemens bekannt geworden. Die DII arbeitet mit Marokko zusammen, beteiligt sich aber eigenen Angaben zufolge nicht an Projekten in der von Marokko völkerrechtswidrig besetzen Westsahara. Siemens hingegen kooperiert mit einem marokkanischen Unternehmen beim Aufbau eines Windparks mit 44 Windenergieanlagen bei Haouma sowie Foum El Oued in der Westsahara.

Fünf Jahre lang soll Siemens die Wartung der Anlagen übernehmen. In dieser Zeit und darüber hinaus wird das Unternehmen zur Legitimation eines Regimes beitragen, das insbesondere unter den schweren Repressionen ausgesetzten Sahrauis wegen seiner Menschenrechtsverletzungen gefürchtet wird. Einwohner der Westsahara, die sich für ihr Selbstbestimmungsrecht einsetzen, müssen mit langjährigen Gefängnisstrafen und Folter rechnen. Selbst der parteiübergreifende Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestags hatte bei einer Delegationsreise vom 13. bis zum 17. Juni 2011 in die Region von Folter und Verschleppungen der Sahrauis berichtet. Das von Siemens betriebene Windenergieprojekt läuft nicht unter dem Titel Desertec, dennoch wirft diese Kooperation kein gutes Licht auf die Initiative.

Referent bei der Diskussion im Anschluß an seinen Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Thomas Schmitt
Foto: © 2012 by Schattenblick

Am Abschlußtag des 32. Weltkongresses der Geographie, der vom 26. bis 30. August 2012 an der Universität Köln stattfand, hielt PD Dr. Thomas Schmitt vom Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multikultureller Gesellschaften in Göttingen ein etwa 15minütiges Referat zum Thema "Postfordistic energy policies? Desertec and the reregulation of energy supply between Europe and North Africa" (Postfordistische Energiepolitiken? Desertec und die Reregulation der Energieversorgung zwischen Europa und Nordafrika). Darin stellte der Kulturgeograph das Desertec-Konzept vor und antwortete auf einige Nachfragen. Im Anschluß an die Veranstaltung führte der Schattenblick ein Interview mit Dr. Schmitt.

Schattenblick (SB): Solarthermische Kraftwerke benötigen normalerweise Wasser zur Kühlung. Wollte man das Kühlwasser nochmals verwenden, müßte es seinerseits gekühlt werden. Wasser in der Sahara - woher soll das kommen und wie könnte man es kühlen?

Dr. Thomas Schmitt (TS): Das Argument haben die Kritiker von Desertec schon frühzeitig vorgebracht. Dabei wurde auch ein bißchen das Katastrophenszenario an die Wand gemalt, daß zugunsten einer Energieproduktion in Europa das knappe Wasser der Sahara oder anderer Wüsten der Region genutzt wird. Die Befürworter von Desertec widersprechen diesem Argument. Man würde von der normalerweise üblichen Wasserkühlung, wie wir sie von unseren thermischen Kraftwerken in Europa her kennen, auf das Prinzip der Luftkühlung umschalten. Das Prinzip der Luftkühlung ist zwar ungewöhnlich und weniger effizient, aber durchaus eingeführt. So gibt es Kohlekraftwerke in Südafrika, die nach diesem Prinzip funktionieren.

Darüber hinaus haben die Desertec-Protagonisten erklärt, daß das Problem der geringeren Energieeffizienz abnimmt, wenn man nur die Fläche vergrößere, auf die das Kraftwerk zurückgreifen könne. Und das sei bei einem Raum wie der Sahara kein Problem. Also, ich bin ja in technischer Hinsicht ein Laie, was bedeutet, daß ich mich auf entsprechende Aussagen von Ingenieuren stützen muß. Aber ich halte das Argument der Wasserknappheit, das gegen Desertec spricht, für weitgehend widerlegt. Das schließt nicht aus, daß es im Einzelfall zu Konflikten kommen kann.

Die Befürworter von Desertec erklären zudem, daß mit Hilfe des solarthermisch erzeugten Stroms Meerwasser entsalzt werden kann. Das könnte helfen, die Wasserknappheit in Nordafrika und im Nahen Osten zu lindern.

SB: Wobei daraufhin die Kritiker argumentieren, daß das entsalzte Meerwasser womöglich zur Kühlung der Solarthermischen Kraftwerke und nicht zur Linderung des Trinkwassermangels verwendet wird.

TS: Ja.

SB: Sie sprachen in Ihrem Vortrag von der Gespaltenheit der Ökobewegung über Desertec. Es gibt Befürworter wie Greenpeace und Kritiker wie Eurosolar mit seinem inzwischen verstorbenen Präsidenten Hermann Scheer. Könnte es sein, daß die Umweltbewegung deswegen gespalten ist, weil die einen mehr den großmaßstäblichen industriellen Ansatz kritisieren, während die anderen lediglich die Idee sehen und erklären, man nähme doch nur Wüstenstrom, das störe doch niemanden? Ist letzteres vielleicht zu blauäugig gedacht, bedenkt man die mögliche Konkretisierung Desertecs?

TS: Aus meiner Sicht gibt es im wesentlichen zwei plausible Kritiken an Desertec, ohne daß ich diesen Kritiken jetzt voll und ganz zustimmen würde. Aber ein Teil der Kritiker sagt, daß es die großen Energiekonzerne waren, die bisher auf fossile Energiequellen, Energieressourcen und eben Atomkraft gesetzt haben und daß aus der Logik der Energiewirtschaft heraus der Wechsel zu klein- und mittelständischen Erzeugern notwendig ist. Desertec sei ein Vehikel für die großen Energiekonzerne, um noch weiter im Geschäft zu bleiben. Das ist ein ganz zentraler Kritikpunkt, der genannt wird. Desweiteren spielte hier mit rein, daß an Desertec die alten Feindbilder der Umweltbewegung - RWE, E.ON - , beteiligt sind. Was dann natürlich auf Ablehnung stößt.

Ich bin der Meinung, daß man das ein Stück weit mit einer gewissen Distanz zur Kenntnis nehmen und den großen Playern durchaus eine Chance geben sollte, sich im Bereich der Erneuerbaren Energien zu positionieren - sofern das nicht zu einer Unterdrückung des heimischen Ausbaus der Erneuerbaren Energien führt.

Dr. Thomas Schmitt und SB-Redakteur beim Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Erörterung von politisch strittigen Fragen
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: In Ihren Vortrag erwähnten Sie den Bau eines Solarthermischen Kraftwerks in Tunesien. Wenn wir richtig informiert sind, wird das Projekt zwar von Desertec zur Kenntnis genommen und begrüßt, aber nicht betrieben. Besteht auf dem Wachstumsmarkt "Nordafrika" bereits Konkurrenz?

TS: Ja, offensichtlich. Die TuNur-Gesellschaft möchte in Tunesien große Solarthermische Kraftwerke errichten. Auch das ist natürlich erstmal nur eine Absichtserklärung, von der wir nicht wissen, ob in zehn Jahren von diesen in den Pressemitteilungen angekündigten Anlagen irgendetwas stehen wird. Das ist alles noch sehr spekulativ, aber man sieht an diesem Beispiel, daß das Feld in Bewegung und die Desertec-Idee attraktiv ist. Die Frage wird einfach sein, ob die beteiligten Staaten dieses Projekt so unterstützen, daß es realisiert werden kann. Allein auf privatwirtschaftliches Betreiben hin wird Desertec, bei dem ja unter anderem Stromleitungen gelegt werden müssen, zumindest mittelfristig zum Scheitern verurteilt sein und höchstens langfristig eine Chance haben.

SB: Vor kurzem wurde berichtet, daß Photovoltaikanlagen aus China so billig im Verhältnis zu Solarthermischen Anlagen geworden sind, daß die ursprünglichen Wirtschaftlichkeitsberechnungen zur Desertec-Initiative überholt sind. Wie schätzen Sie das ein, ist das Projekt Desertec aus ökonomischen Gründen bereits gestorben?

TS: Da habe ich vermutlich denselben Kenntnisstand wie Sie. Befürworter von Desertec würden natürlich umgekehrt sagen, daß irgendwann auch die Solarthermietechnik kostengünstiger wird. Der Preisverfall bei der Photovoltaik, der ja - abgesehen vom Arbeitsplatzabbau in Deutschland - natürlich prinzipiell zu begrüßen ist, macht der Realisierung des klassischen Desertec-Konzepts mit Solarthermie-Anlagen eben etwas komplizierter und schwieriger. Nicht von ungefähr will RWE, soweit ich informiert bin, sein erstes größeres Solarprojekt in Marokko mit Photovoltaik und nicht mit Solarthermie machen.

SB: Herr Schmitt, herzlich Dank für das Gespräch.


Weitere Berichte und Interviews vom Weltkongreß der Geographie 2012 in Köln finden Sie, jeweils versehen mit dem kategorischen Titel "Down to Earth", unter → INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT und → INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW.

9. November 2012