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BERICHT/110: Aus berufenem Mund - Ein fundamentaler Konflikt ... (SB)


Unabgegoltener Zorn - Anti-AKW-Widerstand bleibt

Vorführung des Films "Unser gemeinsamer Widerstand" und anschließende Diskussion am 14. Januar 2016 im Altonaer Museum, Hamburg


Staat und Wirtschaft werden immer mehr einer großen Maschine gleichen, und es kann nicht gestattet werden, dass man ihr Funktionieren stört. Das verlangt der "Sachzwang". [1]

Was der Journalist und Zukunftsforscher Robert Jungk 1977 in seinem Buch "Der Atomstaat - Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit" kategorisch feststellte, ist heute unhintergehbarer Imperativ aller Politik. Sogenannte Sachzwänge beherrschen die Produktionsverhältnisse ebenso wie die Bewältigung existentieller Herausforderungen wie der des Welthungers und der des Klimawandels. Technische Lösungen sind Trumpf vor dem Hintergrund einer sozialdarwinistischen Gesellschaftsdoktrin, die ganz und gar der funktionellen Ratio des Überlebens um seiner selbst willen geschuldet ist. Der subjektive Faktor unbescheidener Lebensentwürfe, der die Inakzeptanz des Fressen-und-Gefressen-Werdens zur Grundlage revolutionärer Grenzüberschreitung erhebt, wird durch den Primat eines Überlebens, das zu Lasten anderer geht, vollständig getilgt. Wer sich der Zwangslogik notgedrungener Vergesellschaftung und der Absorption des Menschen durch die Algorithmen seiner Verwalt- und Verfügbarkeit nicht unterwirft, soll weder Name noch Gesicht haben.

Diese Entwicklung war vor 40 Jahren, als die Utopie auf der Straße lag und mit den eigenen Füßen erlaufen werden konnte, bereits absehbar. Robert Jungk, der den Begriff "Atomstaat" im Februar 1977 auf einer Kundgebung gegen das Atomkraftwerk Brokdorf intuitiv prägte, mahnte in seinem Buch nicht nur eine andere Energiepolitik an, sondern die Einsicht in die Grenzen des Wachstums und die daraus zu ziehende Konsequenz eines weniger verschwenderischen, auch Wachstumsrücknahmen in Kauf nehmenden Lebens. Mit seiner Kritik an den "Machteinflüssen der großindustriellen Technologie" und der "auf Unterwerfung und Ausbeutung zielenden Richtung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts" beflügelte er eine "Internationale" [2] neuer Bürgerbewegungen, die weltweit gegen die Atomindustrie kämpfte und ihrer destruktiven Großtechnologie neue Lebens- und Gemeinschaftsformen entgegenstellte.

In dem Film "Unser gemeinsamer Widerstand" geht es denn auch um mehr als Theorie und Praxis der Aktionsformen, mit Hilfe derer in den 1970er Jahren in Wyhl und Wackersdorf der Bau neuer Atomanlagen vollständig verhindert und an anderen Standorten zumindest verzögert werden konnte. Was die Videogruppe der Bürgerinitiative "Altonaer Museum bleibt!" 2012 in der Folge des GAUs in Fukushima am 12. März 2011 unter diesem Titel produzierte, ist im Kern ein Aufruf dazu, im Widerstand nicht nachzulassen und die Mühen und Schmerzen, die frühere Kämpfe nicht minder erzeugten als sie Freude und Solidarität stifteten, dadurch zu würdigen, daß an sie angeknüpft wird.


Podium mit Publikum - Foto: © 2016 by Schattenblick

Diskussion mit Karsten Hinrichsen, Dieter Kröger, Antje Kröger-Voss und Friedemann Ohms
Foto: © 2016 by Schattenblick

Am 14. Januar 2016 kam es im Altonaer Museums, wo Antje Kröger-Voss, Dieter Kröger, Bettina Beermann und Friedemann Ohms im Rahmen der Proteste gegen die bislang abgewendete Schließung des Museums die Idee zu diesem Film entwickelt hatten, zu seiner vorerst letzten Aufführung. Seit seiner Uraufführung im Hamburger Centro Sociale im März 2013 war der Film nicht nur an zahlreichen Orten in der Bundesrepublik gezeigt worden, sondern gelangte auch in Japan, in Polen und Frankreich zur Aufführung. Allein die in diesen drei Ländern betriebene Energiepolitik zeigt, daß das Atomzeitalter alles andere als vorbei ist. Im von Erdbeben und Tsunamis bedrohten Japan werden AKWs trotz der Katastrophe von Fukushima, die in der Lesart der Atomwirtschaft als gelungener Belastungstest für Atomreaktoren durch Naturkatastrophen umgedeutet wird, weitergenutzt. Polen will zwei AKWs errichten, angeblich zum Abbau des Kohlestroms, der das Land zu 85 Prozent versorgt. In Frankreich, wo der Film im August 2015 auf dem internationalen Anti-Atom-Camp in Bure, dem geplanten Standort eines atomaren Endlagers, gezeigt wurde, wird immer noch drei Viertel des Stroms auf dieser Basis erzeugt.

Material aus 800 Filmen wurden bei der Produktion des Films gesichtet, um diesen immensen Fundus an audiovisuellen Zeugnissen der Anti-AKW-Bewegung auf ein Format von zuerst drei Stunden und schließlich 75 Minuten zusammenzuschneiden. Diese Arbeit hat sich gelohnt, denn der Film bringt den Überschwang einer Zeit, in der vieles möglich schien, an das heute kaum mehr zu denken gewagt wird, auf authentische Weise hervor. So gründete der Widerstand auch in der verbreiteten Ansicht, sein Leben nicht als Monade des Konsumismus fristen, sondern lieber als Mitglied im Kollektiv der Commune fruchtbar machen zu wollen. Auch wurde der Angriff auf Gesundheit und Bestand von Mensch und Natur nicht nur als Ausfluß vulgären Profitstrebens, sondern immanentes Moment kapitalistischer Vergesellschaftung begriffen.

Das allgemeine politische Bewußtsein war durch den Aufbruch der Jugend in den 1960er Jahren so entwickelt, daß die unter starkem Einsatz staatlicher Mittel geförderte Entwicklung der Atomindustrie auch in ihrer monopolistischen und imperialistischen Dimension begriffen wurde. So war vielen klar, daß die langfristigen Investitionserfordernisse und der anspruchsvolle technische Aufwand der Produktion von Atomkraftwerken nur im Verbund von Staat und Kapital erfolgen konnten. Nicht etwa drohende Versorgungslücken bei der Stromerzeugung waren die wichtigsten Argumente zur umfassenden Subventionierung der Atomindustrie, sondern die Stellung der BRD an vorderster Front innovativer Technologie auf dem Weltmarkt. Es galt den Standort BRD auch in Konkurrenz zu den USA zu entwickeln, um sich auf einem Terrain zu behaupten, das auch von militärstrategischen Interessen beherrscht war, wie etwa die deutsche Rolle bei der Ausstattung Südafrikas und Brasiliens, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hatten, mit den für den Bau von Atomwaffen erforderlichen Anlagen belegte.

Auch der hohe Konzentrationsgrad der an Erforschung und Entwicklung beteiligten Unternehmen der Atomwirtschaft folgte der Staatsräson eines nach dem verlorenen Krieg erneut nach weltpolitischer Bedeutung greifenden Akteurs. Sich global behaupten zu können setzte die Einbindung der eigenen Bevölkerung in die nationalstrategische Planung zwingend voraus, und die Atomwirtschaft wies als technologisch führendes Element industrieller Produktivkraftentwicklung mit zudem hohen Sicherheitsanforderungen ein geradezu exemplarisches Niveau an Abweichung und Widerstand eliminierender Vergesellschaftung auf. Um so ärgerlicher für ihre Akteure war der Widerstand, auf den sie mit ihren Planungen, die anfangs die Errichtung Dutzender von AKWs auf dem Territorium der Bundesrepublik vorsahen, stießen.


Drei historische Plakate der Anti-AKW-Bewegung - Foto: 2016 by Schattenblick Drei historische Plakate der Anti-AKW-Bewegung - Foto: 2016 by Schattenblick Drei historische Plakate der Anti-AKW-Bewegung - Foto: 2016 by Schattenblick

Exponate der Begleitausstellung in der Säulenhalle des Museums
Foto: 2016 by Schattenblick

Wie "Unser gemeinsamer Widerstand" dokumentiert, wurde die Grundlage zum heutigen Atomausstieg durch das massenhafte Aufbegehren von Menschen gelegt, die nicht erst durch ihre Verstrahlung vom lebensfeindlichen Charakter des atomaren Brandes überzeugt werden mußten. Schon vor den Unfällen in Harrisburg 1979 und Tschernobyl 1986 hatte die Mobilisierung der Bevölkerung an den Brennpunkten des Geschehens den Punkt einer kritischen Masse erreicht, die gesellschaftlich etwas bewegen konnte. Das angesichts der Proteste gegen Stuttgart-21 oder den Bau neuer Stromleitungstrassen heute in der wirtschaftsfreundlichen Presse angestimmte Lamento, in der Bundesrepublik ließen sich bald keinerlei industrielle Großprojekte mehr gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen, geht von einer Gesellschaft aus, die eher von Maschinen denn von Menschen bevölkert ist.

Daß viele Menschen beim Protest gegen den Bau von Atomkraftwerken erstmals mit dem gewaltsam durchgreifenden Staat konfrontiert waren, ermöglichte Aktionsbündnisse sogar zwischen Unionswählern und Linksautonomen, die von wegweisendem Charakter für künftige Formen des sozialökologischen Widerstands waren. Die in dem Film ausführlich geschilderten und illustrierten Repressionsakte können im Zeitalter des Antiterrorkrieges nicht erstaunen. Die Erinnerung daran, daß die staatlichen Gewaltorgane sich schon damals des Terrorismusverdachts bedienten, um bürgerlichen wie linken Protest zu kriminalisieren, zeigt, daß es keineswegs erst der Anschläge von 9/11 bedurfte, um die Sicherung herrschender Verhältnisse auf gewaltsame Weise zu betreiben.

So wird auch die Frage notwendiger Militanz nicht ausgespart, die alle Bürgerinitiativen und Widerstandsgruppen beschäftigte. Allein daß über damals erfolgte Sabotageakte wie das Umlegen von Strommasten in den Medien kaum berichtet wurde, zeigte, daß der Atomstaat befürchten mußte, die Legitimität des breiten Widerstands könne der Legalität seines Gewaltmonopols den Rang ablaufen. Die dem brutalen Vorgehen gegen die Anti-AKW-Demos geschuldete Politisierung bislang aller Radikalität unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger von Wyhl bis Gorleben, von Brokdorf bis Wackersdorf konnte nicht hingenommen werden, wenn die technologische Entwicklung des Standortes Bundesrepublik nicht am massenhaften Einspruch der Bevölkerung scheitern sollte. So sprechen sich die Macherinnen und Macher des Films für ein gleichwertiges Nebeneinander verschiedener Widerstandsformen aus, um die Angriffsfläche für Spaltungsstrategien von vornherein klein zu halten.

Bis heute treibt die Frage, zu welchen Aktionsformen von der bloßen Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit über Aktionen des zivilen Ungehorsams bis hin zur Gewaltanwendung gegen Sachen gegriffen werden soll, die häufig heterogenen Bündnisse des sozialen und ökologischen Widerstands um. Daß Strafanzeigen und Verhaftungen einen tiefen Keil in die bunte Vielfalt der Aktivistinnen und Aktivisten treiben können, betont die Notwendigkeit, von vornherein Praktiken und Strukturen solidarischen Handelns aufzubauen. Die strafrechtliche Verfolgung der Aufrufe zum Schottern von Bahngleisen, auf denen Atommülltransporte rollen, wie deren Beschädigung selbst, die sich durchaus breiter Zustimmung erfreute, sind ein jüngeres Beispiel für eine gegen die Anti-AKW-Bewegung gerichtete Repressionspraxis.

Weltweit zeigt sich immer wieder, daß der Kampf gegen die Vernichtung der Lebenswelten von Mensch und Natur nicht erfolgreich geführt werden kann, wenn er sich ausschließlich nach den Regeln derjenigen richtet, die zivilen Protest auf zahnlose Symbolpolitik einschwören, um ungestört ihren Geschäften nachgehen zu können. Wo die Handlungsmacht staatlicher Akteure auf einem Recht gründet, dem das Unrecht der herrschenden Eigentumsordnung als unhinterfragbare Ausgangsposition eingeschrieben ist, da erweitert sich auch das Handlungsvermögen dagegen gerichteter Bewegungen. Das wiederum treibt die Gegenseite dazu, deren Akteure mit Hilfe von ausgetüftelter PR-Technik, sozialstrategisch durchdachtem Akzeptanzmanagement und materiellen Anreizen in Katalysatoren sozialer Herrschaft zu verwandeln. [3]

Wie zuletzt die von großen Umweltorganisationen unterbundenen Proteste sozialökologischer Basisbewegungen zum UN-Klimagipfel in Paris gezeigt haben, hat sich heute eine transnationale Funktionselite professionalisierter NGO-Aktivistinnen und -Aktivisten etabliert, die ihre Aufgabe als Bewegungsmanager darin erkennen, jeglichem radikalen Protest die Spitze zu nehmen. Die Anfänge dieser Entwicklung lassen sich in die Anti-AKW-Bewegung der 1970er- und 1980er-Jahre zurückverfolgen, als heute in Brüssel und Berlin erfolgreiche Politikerinnen und Politiker dafür Sorge trugen, daß alles in geordneten Bahnen verlief. Der Film "Unser gemeinsamer Widerstand" schildert zwar den entschlossenen und entschiedenen Widerstand an zahlreichen Beispielen, wirft die Frage individueller Teilhaberschaft an den Sicherheiten und Erträgen herrschender Verhältnisse zu wenig auf, als daß daraus Lektionen für künftige Formen streitbarer Selbstorganisation gezogen werden könnten.

Darum geht es den Macherinnen und Machern des Films allemal, wie die Ankündigung einer Demonstration gegen den Weiterbetrieb des AKW Brokdorf am 24. April im Rahmen der Veranstaltung zeigte. Auch die von dem langjährigen Aktivisten Dr. Karsten Hinrichsen, der in den 90er Jahren einen spektakulären Prozeß gegen die Betriebsgenehmigung für das AKW Brokdorf führte, thematisierte Problematik des Rückbaus einmal stillgelegter Atomkraftwerke belegt, daß das Thema weiterhin eine im schlechtesten Sinne strahlende Zukunft hat. Den 120 Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich im Galionsfigurensaal des Altonaer Museums eingefunden hatten, boten der Film wie die anschließende Diskussion viel Anlaß, sich darauf einzustimmen, daß dieses Kapitel bundesdeutscher Widerstandsgeschichte noch nicht zuendegeschrieben ist.


Beleuchtete Fassade am Abend - Foto: © 2016 by Schattenblick

Altonaer Museum im Herzen von Hamburg-Altona
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/kursiv-ueberraschend-aktuell.1310.de.html?dram:article_id=194185

[2] http://www.jungk-bibliothek.at/atomstaat.htm

[3] INTERVIEW/064: Aufbruchtage - Marktplatz der Retter ...    Clive Spash im Gespräch (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0064.html

Bisher zur Filmvorführung "Unser gemeinsamer Widerstand" am 14. Januar 2016 im Altonaer Museum unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

INTERVIEW/197: Aus berufenem Mund - Anti-AKW, der Widerstand ...    Dieter Kröger im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri-197.html

INTERVIEW/198: Aus berufenem Mund - wir wollten viel mehr ...    Friedemann Ohms im Gespräch (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0198.html

26. Januar 2016


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