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BERICHT/036: Down to Earth - urban human (SB)


32. Weltkongreß der Geographie in Köln

Kritik an Zanemvula, dem Flaggschiff unter Südafrikas Wohnungsbauprojekten



Zu den vielen Erblasten der Apartheid, mit denen sich die südafrikanische Gesellschaft im Allgemeinen und der African National Congress (ANC) nach seiner Regierungsübernahme 1994 im Besonderen konfrontiert sahen und an der sie bis heute zu tragen haben, gehören die unsäglichen Wohnverhältnisse von Millionen Bürgerinnen und Bürgern in den Townships. Viele Menschen hausten oder hausen noch immer in oftmals dicht an dicht stehenden Wellblechhütten, die im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt sind, ohne elektrischen Strom, fließendes Wasser und eine geregelte Abwasserentsorgung. In diesen informellen urbanen Siedlungen können sich Krankheiten wie Diarrhö rasend schnell ausbreiten und vor allem unter den mangelernährten Kindern eine tödliche Ernte einfahren.

Wellblechhütten, dicht an dicht - Foto: Matt-80, 27.6.2005, freigegeben als CC-BY-2.0 Unported via Wikimedia Commons

Soweto-Township Foto: Matt-80, 27.6.2005, freigegeben als CC-BY-2.0 Unported via Wikimedia Commons

In Südafrika mußte also dringend ein Regierungsprogramm aufgelegt werden, damit die Betroffenen ein vernünftiges Dach über den Kopf bekommen. 1994 verabschiedete der ANC das Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm RDP (Reconstruction and Development Programme), das den Bau von jährlich 300.000 Häusern bzw. mindestens eine Million Häusern binnen fünf Jahren vorsah. Zwei Jahre darauf wurde im Artikel 26 der Verfassung bestimmt, daß jeder Staatsbürger Südafrikas das Recht auf einen "Zugang zu angemessenem Wohnen" hat. 1997 wurde das Wohnungsbaugesetz (Housing Act) und im Jahr 2000 ein umfassender Nationaler Wohnungsbau-Kode verabschiedet, um nur einige der Eckdaten des staatlichen Wohnungsbaus zu nennen.

Die von Fachleuten als sehr ehrgeizig angesehenen Ziele wurden zwar nicht erreicht, aber immerhin sind zwischen 1994 und 2000 rund 1,1 Millionen Häuser entstanden und zum Eigentum der Menschen aus den Townships geworden. Es handelte sich vorwiegend um eine Art Streichholzschachtelhäuser, wenngleich mit der möglichen oder bereits vollzogenen infrastrukturellen Anbindung beispielsweise an die Strom- und Wasserversorgung. Zwei bis drei Millionen Häuser für 7,5 Millionen Einwohner wurden im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts noch gebraucht. Mit der Bewältigung dieser Aufgabe ist heute die Housing Development Agency (HDA) befaßt.

Doch es reicht nicht, die Menschen einfach nur aus ihren informellen Wohnverhältnissen herauszuholen und sie in nagelneue Häuschen zu stecken, sagt die Geographin Leizel Williams-Bruinders von der Nelson Mandela Metropolitan University in der südafrikanischen Hafenstadt Port Elizabeth. Man müsse auch dafür sorgen, daß "sozial nachhaltige" Strukturen aufgebaut werden.

Die Wissenschaftlerin hat auf dem 32. Weltkongreß der Geographie, der vom 26. bis 30. August in Köln stattfand, einen rund 15minütigen Vortrag mit dem Titel "Towards the Social Sustainability of Low Cost Housing in South Africa: The Role of Social Capital and Sense of Place in Zanemvula, Port Elizabeth" (In Richtung einer sozialen Nachhaltigkeit kostengünstigen Wohnungsbaus in Südafrika: Die Bedeutung sozialen Kapitals und das Gefühl für den Ort in Zanemvula, Port Elizabeth) gehalten. Nach einem kurzen historischen Abriß unter anderem über die Entstehung der Townships und weiterer raumbezogener Vorgaben als typischer Ausdruck der früheren Politik der Rassentrennung kam die Referentin auf ein Vorzeigeprojekt des Wohnungsbauprogramms der heutigen Regierung Südafrikas zu sprechen.

 Referentin beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Leizel Williams-Bruinders
Foto: © 2012 by Schattenblick

Das Pilotprojekt Zanemvula - ein Xhosa-Name für "kommt mit dem Regen", was laut der HDA den Neuanfang symbolisieren soll [1] - gehört zu der etwa eine Handvoll größeren Wohnungsbau-Projekten der südafrikanischen Regierung und umfaßt die Versorgung von etwa 10.000 Familien in dem Nelson Mandela Bay Metropolitan-Gebiet mit einer Unterkunft. Die Organisation wurde 2009 von der HDA übernommen. Die Menschen werden aus Gebieten, die teilweise überflutungsgefährdet sind, herausgeholt und an einen besseren Standort mit deutlich besseren Wohnverhältnissen umgesiedelt.

Dennoch war im Zanemvula-Projekt und der Ansiedlung vor drei Jahren von zunächst etwa 6000 Menschen (die Zahl sollte sich bis heute mehr als verdoppeln) in ein Reißbrettviertel namens Chatty einiges schief gelaufen - zusätzlich zu der ohnehin knappen Bemittelung, dem zögerlichen Fortschritt des Wohnungsbaus, der teils mangelnden Qualität der Häuser, die dem Sturm nicht standhielten, und der Korruption. Bei der Stadtplanung wurde vergessen, daß man es hier mit Menschen zu tun hat und nicht mit einer willen- und bedürfnislosen Manövriermasse. Junge Menschen pflegen in die Schule zu gehen, ältere für den Einkauf zu sorgen, und irgendwie müssen die Menschen arbeiten, um ihr Brot zu verdienen; manchmal werden sie dabei krank und müssen ins Krankenhaus - diese Erfordernisse und noch einige mehr wurden nur ungenügend oder gar nicht berücksichtigt. Die noch einigermaßen nah gelegenen Schulen waren überfüllt und wollten niemanden mehr aufnehmen, und die Kliniken konnten den Andrang nicht bewältigen. [2]

Die Entfernung zwischen dem ursprünglichen Township, aus dem die Chatty-Bewohner stammten, nahe des Stadtzentrums von Port Elizabeth gelegen, und dem Neusiedlungsgebiet hat sich als eine unbewältigbare Strecke für die Menschen erwiesen, die sich nicht einmal die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr leisten können.

Obwohl schon viele Siedlungen entstanden sind, kommt der Appell Williams-Bruinders nicht zu spät. Noch immer leben laut der Statistikbehörde Südafrikas mehr als 26 Prozent aller Haushalte aus den sechs großen Metropolregionen des Landes in informellen Verhältnissen - Townships, Shantytowns oder auch Slums genannt - und sollen ein eigenes Häuschen erhalten. Auch könnten die bestehenden Neubausiedlungen verbessert werden. Der Ruf nach "sozialer Nachhaltigkeit" ist anscheinend bei der südafrikanischen Regierung angekommen - falls es nicht die Unruhen durch aufgebrachte Einwohner Chattys waren, welche bei den Politikern die Bereitschaft zur Einsicht gefördert haben.

So erklärte vor einem Jahr der Bürgermeister Zanoxolo Wayile von der Metropolregion "Nelson Mandela Bay Municipality", zu der Port Elizabeth, Uitenhage und Despatch im Jahr 2001 verwaltungstechnisch zusammengeschlossen wurden, bei der offiziellen Übergabe von mehr als 800 neuen Häusern für die Bewohner Chattys, die aus den Überschwemmungsgebieten sowie aus informellen Siedlungen Veeplaas und KwaNoxolo stammen: "Wir haben uns dazu verpflichtet, Qualitätshäuser zu bauen, die eine Heimat werden und zu besseren Gemeinden führen. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Regierung einfach nur ein Haus baut, ohne die Integration aller für eine Gemeinde notwendigen Dienstleistungen sicherzustellen." Es sei ein langer Weg für die Chatty-Bewohner gewesen, und der Weg sei noch lang. "Wir müssen noch andere soziale Annehmlichkeiten wie Bäume, Sportplätze, Krankenhäuser und Schulen errichten." [3]

Damit spricht der Bürgermeister einen Punkt an, den Leizel Williams-Bruinders in Wort und Bild in den Vordergrund ihres Vortrags gerückt hat. Zu erkennen war, daß die Häuschen des Siedlungsgebiets Chatty inmitten einer kargen, vegetationsarmen Landschaft, weit weg vom urbanen Leben und offensichtlich auch weit entfernt von jedem urbanen Lebensgefühl errichtet worden waren. Die räumliche Marginalisierung Chattys und die hohe Arbeitslosigkeit der Bewohner trugen zu sozialen Spannungen bei, die sich nicht zuletzt in einer hohen Kriminalitätsrate niederschlugen.

Die von der Geographin in ihrem Vortrag präsentierten Fotos von Chatty zeigten eine Siedlungsstruktur - das heißt eine räumliche Anordnung der Häuser zum Straßenverlauf -, die vor dem Hintergrund der geschilderten Trennung der Menschen Ähnlichkeiten mit Umsiedlungsgebieten aufweist, wie sie in Deutschland von der Devastierung von Dörfern für den Braunkohletagebau her bekannt sind. Zwar ist Horno, ein aus der grünen Wiese gestampftes Viertel in der ostdeutschen Stadt Forst für zwangsumgesiedelte Menschen, sicherlich um einiges üppiger ausgestattet als Chatty. Dennoch, es fehlt etwas, trotz des ganzen Komforts.

Pfarrer Mathias Berndt aus dem wegen der Braunkohlegewinnung vom Abriß bedrohten Dorf Atterwasch, ebenfalls in der Lausitz gelegen, sagte im Sommer dieses Jahres in einem Schattenblick-Interview über die Umsiedlung Hornos: "Es sieht aus wie eine neue Vorstadtsiedlung, die es ja auch ist, trägt nur noch den Namen Horno, mit aus der Erde gestampfter Infrastruktur, aber nichts Gewachsenem. Die Hornoer selber sagen: Wir sind umgesiedelt worden, aber die Seele ist nicht mitgekommen." [4]

Williams-Bruinders beim engagierten Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Rückt die Menschen wieder ins Zentrum des Wohnungsbaus in Südafrika!'
Foto: © 2012 by Schattenblick

Als Leizel Williams-Bruinders im Anschluß an ihren Vortrag in einem Gespräch mit dem Schattenblick diese Aussage vernahm, sagte sie, das sei genau wie bei ihnen, dort sage man, 'I lost my stoopsister'. Wörtlich übersetzt heißt es, 'Ich verlor meine Stufenschwester'. Gemeint ist damit, daß die Menschen aufgehört haben, sich auf die Stufen vor ihre Häuser zu setzen und einen Schwatz mit der Nachbarin von gegenüber zu halten. Kurzum, der unbekümmerte soziale Austausch ist verloren gegangen, die Menschen vereinzeln. Es läßt sich vorstellen, daß sich das mit dem Ordnungswunsch einer jeden Regierung, die soziale Konfliktlagen entschärfen will, deckt.

Vereinzelung und Entfremdung sind jedenfalls ein starkes Empfinden der Menschen, die in Chatty angesiedelt wurden. Einige von ihnen kehrten sogar wieder in ihre früheren informellen Siedlungen zurück. Dort haben sie zwar kein fließend Wasser, statt dessen tropft es bei Regen in die Wohnung, und es riecht in dem Viertel vielleicht auch nicht so schön - aber dort treffen sie auf ihre Stoopsisters, mit denen sie tratschen können! Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, hier soll keiner Armutsromantik nachgehangen werden. Abgesehen von der generell unzureichenden Infrastruktur ist das Leben in den Townships knochenhart und gefährlich; es treten alle möglichen Formen der Gewalt auf, wie sie solch eine urbane Armenunterbringung an vielen Orten der Welt provoziert.

"Putting People First", zuerst kommen die Menschen, lautete eine der generellen Forderungen, die in diesem Sommer auf der UN-Nachhaltigkeitskonferenz Rio+20 in Brasilien erhoben wurden. "Rückt die Menschen wieder ins Zentrum des Wohnungsbaus in Südafrika", konkretisiert Williams-Bruinders diesen Appell zum Abschluß ihres Vortrags. Was genau sie darunter versteht, sollte sie in einem Interview mit dem Schattenblick, das in Kürze veröffentlicht wird, näher ausführen.


Fußnoten:
[1] http://www.thehda.co.za/content/page/zanemvula

[2] http://human-settlements.blogspot.de/2010/11/zanemvula-project-loses-impetus.html

[3] http://www.sacities.net/workwith/metropole/news/753-houses-for-chatty-residents

[4] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrn0004.html

Parkbank aus Holz mit Aufschrift NON-WHITES ONLY - Foto: KNewman1, 26.10.2011, als CC-BY-SA-3.0 Unported freigegeben via Wikimedia Commons

Apartheid betraf alle Bereiche des Lebens - Bank vor dem Obersten Gericht nur für Nicht-Weiße
Foto: KNewman1, 26.10.2011, als CC-BY-SA-3.0 Unported freigegeben via Wikimedia Commons

26. Oktober 2012