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BERICHT/028: Arktis warm, Europa kalt - Eisschmelze im polaren Norden (SB)


Meereis in der Arktis auf Rekord-Minimum geschrumpft

'Blick' schräg von oben auf Nordhalbkugel der Erde - Foto: NASA/Goddard Scientific Visualization Studio

Ausdehnung des Meereises in der Arktis am 16.9.2012. Gelbe Linie: Durchschnittliche Minimalausdehnung des Meereises in den letzten 30 Jahren. Daten vom Scanning Multichannel Microwave Radiometer des Nimbus-7-Satelliten der NASA und vom Special Sensor Microwave Imager auf Satelliten des Defense Meteorological Satellite Program
Foto: NASA/Goddard Scientific Visualization Studio

Zu den auffälligsten Merkmalen des Klimawandels gehört der Rückgang der arktischen Meereisfläche. Ihre Ausdehnung und Dicke stellt eine Art Frühwarnsystem für das globale Klima dar, kaum eine andere Weltregion bildet den Trend zur Erderwärmung deutlicher ab als die nördlichen polaren Breiten. Zugleich dient das arktische Meereis den Wissenschaftlern als typisches Beispiel zur Beschreibung eines sich selbst verstärkenden Prozesses: Schmilzt das Meereis, wird weniger Sonnenstrahlung reflektiert, das Wasser erwärmt sich, was wiederum den Schmelzvorgang des Meereises beschleunigt, und so weiter.

Wegen der generellen Bedeutung der Arktis als Spiegelbild und als treibende Kraft des Klimawandels richtet sich die Aufmerksamkeit zahlreicher Forscher aus Deutschland und anderen Ländern auf diese Region. So befindet sich derzeit das deutsche Forschungsschiff "Polarstern in den hohen Breiten, unweit des geographischen Nordpols. Schwerpunkt der Expedition sind zwar biologische Fragen, aber auf so einer Reise werden selbstverständlich ständig grundlegende Messungen beispielsweise der Wasser- und Lufttemperatur, des Luftdrucks und der Meereisfläche und -dicke vorgenommen.

In diesem Jahr hat sich der Meereis so weit zurückgezogen wie niemals zuvor seit Beginn der regelmäßigen Satellitenmessungen im Jahr 1973. Aus Anlaß dieses Negativrekords lud das Netzwerk KlimaCampus der Universität Hamburg am Mittwoch, den 19. September, zu einer Pressekonferenz in die Hansestadt. Sechs Wissenschaftler, jeder ein Experte auf seinem Gebiet, sowie der Leiter des Deutschen Eisdienstes, referierten zu unterschiedlichen Aspekten des arktischen Meereises, insbesondere hinsichtlich der möglichen Auswirkungen auf das Klima in Europa. Am selben Tag gab die US-Weltraumbehörde NASA eine Presseerklärung heraus mit dem Titel: Das arktische Meereis hat in diesem Jahr und seit den Satellitenaufzeichnungen seine geringste Ausdehnung erreicht. [1]

Referenten sitzen hinter langer Tischreihe - Foto: © 2012 by Schattenblick

Pressekonferenz - Sieben Experten berichten über Meereis-Minimum
Foto: © 2012 by Schattenblick

Noch vor wenigen Wochen hatten Wissenschaftler prognostiziert, daß das Meereis in diesem Jahr vermutlich den Negativ-Rekord aus dem Jahr 2007 unterbieten dürfte. In der kurzen Zeitspanne seit dieser Ankündigung hat sich die Lage vor Ort noch mal drastisch zugespitzt. Ein warmes Tiefdruckgebiet war über die Arktis hinweggezogen, hatte die Eisdecke aufgebrochen und die Schollen auseinandergetrieben. War das Meereis im Jahr 2007 mit nur noch 4,3 Mio. Quadratkilometern Ausdehnung bereits 23 Prozent unter dem vorherigen Minimum geblieben, so wird es 2012 ebenfalls um 23 Prozent unter dem Wert von 2007 bleiben.

Das sei jetzt aber keine Naturkonstante, bemühte sich Prof. Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung auf der Hamburger Pressekonferenz, halb scherzend, halb ernsthaft, um etwas Auflockerung seines Vortrags angesichts einer doch sehr bedenklichen Tendenz. Die schlägt sich deutlich in den Simulationen der Meereisentwicklung nieder, wie sie beispielsweise von Dr. Dirk Notz, Leiter der Forschungsgruppe "Meereis im Erdsystem" am Max-Planck-Institut für Meteorologie der Universität Hamburg, erstellt wurden. Seinen Modellsimulationen zufolge wird das arktische Meereis bis Mitte des Jahrhunderts im Sommer weitgehend verschwunden sein. Eine genauere Antwort sei hier ebensowenig möglich wie bei der Frage, wann ein bestimmter Baum im Herbst all seine Blätter verloren habe. Das könne man nicht exakt vorhersagen, aber daß sie abfallen, wisse man. Notz räumte ein, daß es sich "nur" um Simulationen handelt, aber gab zu bedenken, daß diese in den Bereichen, wo sie mit Messungen abgeglichen werden können, durchaus bestätigt werden.

Kurvendiagramm zur Eisausdehnung - Schaubild: National Snow and Ice Data Center (NSIDC)

Ausdehnung des Meereises (in km²) in den arktischen Sommermonaten 2007, 2012 und im Durchschnitt der Jahre 1979 bis 2000
Schaubild: National Snow and Ice Data Center (NSIDC)

Am Institut für Umweltphysik der Universität Bremen, die die Eisausdehnung regelmäßig erfaßt, kommt man zu ähnlichen Ergebnissen. Dr. Georg Heygster berichtete, daß das Meereis gegenwärtig eine Ausdehnung von etwa 3,37 Mio. Quadratkilometern besäße; der frühere, langjährige Durchschnittswert habe bei 7,5 Mio. Quadratkilometern gelegen. Der Trend der Kurven weise eindeutig nach unten. Ihrem Verlauf folgend könnte die Arktis sogar schon in zehn oder fünfzehn Jahren im Sommer eisfrei sein.

Das ergeben auch die Untersuchungen, die Dr. Lars Kaleschke, Leiter der Arbeitsgruppe für Meereis-Fernerkundungen an der Universität Hamburg, präsentierte. Die Fläche des Meereises wird schon seit Jahrzehnten erfaßt, die Dicke jedoch erst seit einigen Jahren. Er und seine Fachkollegen gehen davon aus, daß sich diese von ursprünglich 2,5 auf einen Meter mehr als halbiert hat. Zuvor waren Forscher vor allem auf Angaben angewiesen, die von U-Booten erfaßt wurden; seit November 2009 kreist der Laser-Satellit SMOS (Soil Moisture and Ocean Salinity) der Europäischen Weltraumorganisation ESA um die Erde. Ursprünglich gebaut, um Bodenfeuchte und Salzgehalt der Ozeane zu erfassen, liefert SMOS Daten des arktischen Meereises bis zu einer Dicke von einem halben Meter. In diesem Bereich liegt die Erfassungsgrenze der hochmodernen Fernerkundungsplattform. Für tiefergehende Messungen der Eismächtigkeit müssen die Forscher manchmal selbst Hand anlegen.

Forscher zieht übermannslangen Spiralbohrer aus Eisloch - Foto: Martin Hartley, National Snow and Ice Data Center (NSIDC)

Arktisforschung ist oftmals Handarbeit Foto: Martin Hartley, National Snow and Ice Data Center (NSIDC)

Aktuelle Messungen, die von der "Polarstern" aus vorgenommen werden, deuten auf eine mittlere Eismächtigkeit von nur mehr 90 Zentimetern. Noch sind nicht alle Daten ausgewertet, aber "es geht hier wirklich an die Substanz des alten, mehrjährigen Eises in der zentralen Arktis", resümiert Kaleschke die jüngsten Forschungsergebnisse. Mehrjähriges Eis wird durch einjähriges ersetzt. Es findet somit eine qualitative Abnahme des Meereises statt. Zudem sei auf jüngsten Satellitenbildern im Bereich des 86. bis 87. Breitengrads Nord ein offenes Loch in der Meereisfläche aufgetaucht. "Das ist auch etwas, was sehr ungewöhnlich ist in diesem Jahr", so der Klimaforscher.

Einen ähnlichen Ton schlägt auch der Direktor des National Snow and Ice Data Center (NSIDC), Mark Serreze, in der NASA-Presseerklärung [1] an. "Wir befinden uns hier in unerforschtem Gebiet. Obgleich wir seit langem wußten, daß sich der Planet erwärmt und Veränderungen als erstes und am deutlichsten in der Arktis beobachtet würden, sind nur wenige von uns darauf vorbereitet, wie schnell die Veränderungen tatsächlich eintreten." Den NSIDC-Berechnungen zufolge besaß das arktische Meereis am 16. September eine Ausdehnung von 3,41 Mio. Quadratkilometern.

Werden den Wissenschaftlern schon klar die Grenzen ihrer Möglichkeiten aufgezeigt, die Folgewirkungen der klimatischen Entwicklung präzise vorherzusagen, so lassen sich die gesellschaftlichen Folgen offenbar noch schwerer prognostizieren. Notz deutet allerdings am Beispiel des Temperaturverlaufs auf Grönland der letzten 50.000 Jahre, von denen die letzten 10.000 Jahre vergleichsweise warm und ausgeglichen waren, an: "Der Zeitraum relativ stabilen Klimas geht mit unserer zivilisatorischen Entwicklung einher. Unsere gesamte heutige Infrastruktur ist an dieses Klima angepaßt." Der Rückgang des Meereises habe erhebliche Auswirkungen auf das Klima der Erde. Das werfe automatisch die Frage auf, "ob wir möglicherweise an der Schwelle zu einem neuen Klimazustand stehen, der sich von diesen letzten zehntausend Jahren fundamental unterscheidet."

Das ist als Andeutung unmißverständlich: Die Folgen des Klimawandels rühren an Fragen der zivilisatorischen Entwicklung. Womöglich wird sich die Menschheit in Zukunft auf eine lebensfeindlichere Umgebung einstellen müssen. In früheren wissenschaftlichen Studien wird bereits von einer Verschiebung gegenwärtiger Klimazonen und der Entstehung gänzlich neuer Klimate gesprochen. Beispielsweise rechnen Forscher mit dem Vorrücken der Sahelzone nach Südeuropa.

Was in der Arktis geschieht, ist zwar "geografisch fern, physikalisch jedoch ganz nah", so Prof. Peter Lemke, Leiter des Bereichs Klimawissenschaften des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung im Bremerhaven. Binnen zwei Tagen könne die arktische Kaltluft Spanien, binnen zehn Tagen fast die gesamte Nordhalbkugel erreicht haben.

Eine wahrscheinlich stärkere Verfrachtung arktischer Kaltluftmassen nach Europa ergeben sich aus den Beobachtungen und Berechnungen von Prof. Rüdiger Gerdes, Leiter der Sektion "Meereisphysik" am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. In seinem Vortrag über die mögliche Beeinflussung des Wetters in Europa durch das Meereis erklärte er, daß sich bei einem Vergleich der atmosphärischen Verhältnisse des zurückliegenden Jahrzehnt mit denen der 1990er Jahre eine Verringerung der Luftdruckgegensätze zwischen Arktis und tieferen Breiten gezeigt hat. "Damit verbunden ist unmittelbar eine Abschwächung der vorherrschenden Westwinde." Eine Folge könnten anhaltende Kälteperioden in Europa sein. Denkbar seien aber auch anhaltende Hitzewellen. Generell würden die Verhältnisse extremer werden, so Gerdes.

Wie die hier beschriebenen Trends des Meereisverlustes und der zu erwartenden Klimaentwicklung in der Arktis mit jenen Forschungsergebnissen anderer Institute beispielsweise über die oben erwähnte Klimazonenverschiebung unter einen Hut zu bringen sind, ist sicherlich eine Frage, die in globalen Klimasimulationen Eingang finden wird, wie sie der Weltklimarat für das kommende Jahr in Form seines nächsten umfangreichen Berichts angekündigt hat.

Für die übergreifende Sicht, zumindest unter einem bestimmten Aspekt, war Prof. Anders Levermann zuständig. Der Leitautor des UN-Klimarats für Meeresspiegelfragen erklärte, daß ein Abschmelzen des arktischen Meereises nahezu keinen direkten Einfluß auf den Meeresspiegel hat. Die größere Wärmeaufnahme führe jedoch zu einer globalen Erwärmung, und das könnte indirekte Effekte für den Meeresspiegel haben. Beispielsweise durch Schmelzvorgänge auf Grönland.

In geschlossener Meereisdecke ist noch ihre Entstehung aus pfannkuchenförmigen Eisstücken zu erkennen - Foto: Andy Mahoney, National Snow and Ice Data Center (NSIDC)

Verdichtetes Pfannkucheneis (Avannaa Qaanaaq, Nordgrönland) Foto: Andy Mahoney, National Snow and Ice Data Center (NSIDC)

Die sommerliche Schmelzfläche nimmt normalerweise rund 50 Prozent des grönländischen Eisschilds ein, so wie es noch am 8. Juni dieses Jahres registriert wurde. Plötzlich, nur vier Tage darauf, war der Wert auf 95 Prozent gestiegen. Das könne man nicht direkt mit dem arktischen Meereis in Verbindung bringen, so Levermann, dafür reichten weder Statistik noch physikalisches Verständnis aus. Aber: "Es wird wärmer in den hohen nördlichen Breiten. Das ist teilweise auf den Rückgang des arktischen Meereises zurückzuführen und das führt zum Schmelzen auf Grönland."

Gegenwärtig wird als Hauptgrund für den Anstieg des Meeresspiegels die Wärmeausdehnung des Wassers angenommen, die zweitwichtigste Ursache ist die Gletscherschmelze in den Gebirgen. Erst dann kommen Schmelzvorgänge der Eisschilde auf Grönland und der Antarktis ins Spiel. Hier nimmt der Trend jedoch zu, und mit Bezug auf jüngere Forschungsergebnisse seines Kollegen Jason Box von der Staatsuniversität Ohio berichtete Levermann, daß sich die oberflächliche Kristallstruktur des Eises dergestalt verändert hat, daß weniger Sonneneinstrahlung reflektiert und deutlich mehr Wärme absorbiert wird. Folge: Der Eisverlust nimmt zu.

Den Blick zurück von der globalen Sicht des Klimageschehens auf unmittelbare menschliche Belange richtete Dr. Jürgen Holfort, Leiter des Deutschen Eisdienstes beim Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie in Hamburg. Nicht alles Eis werde von den Satelliten erkannt, wußte er zu berichten. Eine Information, die sicherlich für die Interpretation von Satellitenbildern wichtig ist. Die Wissenschaftler selbst wissen das allerdings, denn als eisfrei gilt eine Fläche selbst dann, wenn noch bis zu 15 Prozent von ihr mit Eis bedeckt ist. Ob das aber alle Kapitäne wissen, die in die Arktis fahren, ist laut Holfort wohl fraglich. In diesem Jahr sei ein Passagierschiff ohne Eisklasse durch die Nordwestpassage Kanadas gefahren. Das hätten sie, die sich um die Seeschiffahrt im Eismeer kümmern, "nicht so toll" gefunden.

 Nahezu geschlossene Eisdecke zwischen Inseln und Landfläche in Nordkanada - Foto: National Snow and Ice Data Center, University of Colorado, Boulder

Parry Channel der Nordwest-Passage - Aufnahme vom 17.7.2012 mit dem Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer (MODIS), Terra-Satellit, NASA
Foto: National Snow and Ice Data Center, University of Colorado, Boulder

Meereis binnen zwei Wochen weitgehend verschwunden - Foto: National Snow and Ice Data Center, University of Colorado, Boulder

Parry Channel der Nordwest-Passage - Aufnahme vom 3.8.2012 mit dem Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer (MODIS), Terra-Satellit, NASA
Foto: National Snow and Ice Data Center, University of Colorado, Boulder

Auch wenn der Anlaß, weswegen ein so großes Aufgebot an Forschern, die Vorträge von jeweils nur rund fünf Minuten gehalten haben, für ein einziges Thema aufgefahren wurde, nicht speziell an dessen Brisanz gelegen habe, wie die Moderatorin der Pressekonferenz, Ute Kreis, Sprecherin des Hamburger Exzellenzclusters CliSAP (Integrated Climate System Analysis and Prediction, z. Dt.: Integrierte Klimasystemanalyse und -vorhersage) gegenüber dem Schattenblick sagte, betrachten die Wissenschaftler die Entwicklung in der Arktis mit einer gewissen Sorge. Das zeigt allein die Aufteilung der Vorträge und die Art der angesprochenen Probleme. Da ist von sich selbst verstärkenden Prozessen die Rede, von Kippunkten, ab dem sich das Klima unaufhaltsam ändert, von überraschenden Phänomenen, von noch nicht genauer zu bestimmenden Einflüssen auf das Wetter in Europa, und nicht zuletzt von zunehmenden wirtschaftlichen Aktivitäten in den polaren Breiten.

Es werden nicht nur Touristen angelockt, welche wenigsten einmal im Leben durch die Nordwest-Passage schippern wollen, sondern auch Unternehmen. Hatten sich zur Zeit des Ost-West-Konflikts in dieser unwirtlichen Region der Erde die U-Boote der NATO und des Warschauer Pakts gegenseitig belauert - die Daten zur Eisdicke sind ein Abfallprodukt davon -, so belauern sich heute die Nationen und Unternehmen auf der Jagd nach Erdöl, Gold und anderen Rohstoffen. Dabei ist der Startschuß längst gefallen. So hat die Regierung des US-Bundesstaats Alaska schon im Jahr 2009 einer Erdölgesellschaft grünes Licht zum Ausbringen von drei Testbohrungen in der Tschuktschensee vor der Nordküste Alaskas erteilt - zynischerweise zeitgleich mit einer Serie von Erdölverschmutzungen im arktischen Fördergebiet namens North Slope.

Die Internationale Maritime Organization (IMO) will einen "Polar Code", eine Art Knigge für das Benehmen in der Arktis, erstellen. Die bereits bestehende Arctic Council Declaration (Deklaration des Arktischen Rates) und andere Abkommen, die auf die Arktis anwendbar sind, gelten als nicht umfassend und detailliert genug, um zumindest den Anschein zu erwecken, Umweltverschmutzungen könnten ernsthaft verhindert werden, wenn erst der Run auf die Bodenschätze und den Fischreichtum vollends ausgebrochen ist.

Der Klimaforscher Notz berichtete von seinen Forschungsergebnissen - die sich weitgehend mit den Resultaten und Einschätzungen der anderen Wissenschaftler decken dürften -, daß weder die Sonne noch der Zufall, sondern die Zunahme des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) die plausibelste Erklärung für den Meereisverlust in der Arktis ist. Die Sonneneinstrahlung habe in den letzten 30, 40 Jahren eher ab- als zugenommen und könne den Rückgang des geringer werdenden Meereises nicht erklären. Denn: "Es ist kein physikalischer Mechanismus bekannt, mit dem eine schwächer werdende Sonne dazu führt, daß Eis schmilzt."

Simulationen zufolge könnte das Meereis im nächsten Jahrhundert sogar im Winter verschwinden. Das wäre etwas, das es seit Hunderttausenden von Jahren nicht gegeben hat. Notz resümiert: "Der Rückgang des arktischen Meereises ist ein konkretes Anzeichen einer möglichen tiefgreifenden Klimaveränderung. Er ist sehr wahrscheinlich primär von Menschen verursacht. Er ist nicht durch die Sonne verursacht, da die Sonne in den letzten Jahrzehnten eher schwächer geworden ist. Und er wird sich bei anhaltend hohem CO2-Ausstoß immer weiter fortsetzen."

Wegen der kaum abzusehenden Folgen für das Weltklima sollte man sich eigentlich wünschen, daß der Klimawandel in der Arktis nicht so schnell abläuft wie das sich jetzt schon abzeichnende Tempo, mit der die Ausbeutung der arktischen Bodenschätze vorangetrieben wird. Aber das bleibt wohl eine vergebliche Hoffnung, hängt doch das eine mit dem anderen zusammen. Man hat es hier gewissermaßen mit einem sich selbst verstärkenden Prozeß zwischen der ökonomischen Sphäre des Menschen und den ökologischen Folgen ihrer Vorherrschaft zu tun: Die Verbrennung fossiler Energieträger treibt den Treibhauseffekt an, dieser löst eine Eisschmelze in der Arktis aus, wodurch Lagerstätten für fossile Energieträger zugänglich werden ... Die auf der Hamburger Pressekonferenz versammelten Experten lieferten einen beunruhigenden Einblick in die "Kollateralschäden" dieser Entwicklung.


Fußnoten:
[1] "Arctic sea ice reaches lowest extent for the year and the satellite record", National Snow and Ice Data Center (NSIDC), 19. September 2012 http://nsidc.org/news/press/2012_seaiceminimum.html

Forscher stehen oder sitzen beisammen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Informeller Austausch zwischen Wissenschaftlern im Anschluß an Pressekonferenz
Foto: © 2012 by Schattenblick

21. September 2012