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NACHGEFRAGT/0003: Zum Thema Verunsicherung über ADI-Werte (SB)


Nachgefragt zu dem Schattenblick-Beitrag

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KOLLATERALSCHADEN/005: Sikkation - Ein Grund zu fragen (SB)


Bemängelt wurde an unserem Bericht "KOLLATERALSCHADEN/005: Sikkation - Ein Grund zu fragen (SB)" die unzureichende Herleitung und Erläuterung der fachlichen Begriffe, besonders "bezüglich der Meßgröße ADI" so ein Leser. Er würde sich angesichts der in unserem Bericht aufgeführten Datentabellen "auf der Stelle zu Tode fürchten", wenn er nicht wüßte, daß der ADI-Wert nicht aus der LD50, sondern aus dem NOEL-Wert hergeleitet wird und mit einem Sicherheitsfaktor von hundert bis tausend belegt würde..." [Zur Erläuterung: LD50 ist die Menge einer Substanz, bei der, wenn sie verfüttert wird, die Hälfte (50%) einer Population stirbt. Anm. d. SB-Red.]


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Nun, die genaue Herleitung des ADI (= "acceptable daily intake", deutsch: vertretbare Tagesdosis, d.h. die tolerierbare Menge eines Stoffes, die ein Mensch ein Leben lang täglich aufnehmen können soll, ohne Schaden zu erleiden) könnte einen kritischen Leser möglicherweise erst recht das Fürchten lehren. Es handelt sich dabei auch gar nicht um eine "Meßgröße", wie viele denken, sondern um einen künstlich, d.h. willkürlich festgelegten Richt- oder Grenzwert.

Selbst die exakte Erklärung des Zustandekommens von ADI- oder ARfD-Werten (= Akute Referenzdosis, d.h. die höchste Dosis bei der noch keine akute Gefährdung ensteht, wenn sie einmalig aufgenommen wurde) sowie ihre Herleitung aus dem NOEL bzw. NOAEL (= No Observable (Adverse) Effect Level, deutsch: Dosierungslevel, bei der kein beobachtbarer (nachteiliger) Effekt auftritt, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die festgelegten Werte das Recht des Menschen auf Gesundheit keinesfalls gewährleisten können. Auch hier werden wissenschaftliche Arbeiten zugrunde gelegt, die nicht alle Faktoren, Wechselwirkungen und längerfristigen Folgen genau berücksichtigen können, da es sich um Fütterungsversuche mit Mäusen oder Ratten handelt. Zunächst wird nämlich im Tierversuch durch allmähliche Dosierungssteigerung einer bestimmten Einzelsubstanz beobachtet, wie viele Milligramm dieses Stoffes von den Tieren vertragen werden kann, ohne daß sie Symptome zeigen. Die zu untersuchende Substanz wird angeboten, aber auch zwangsweise zugefüttert, wenn die Tiere die damit kontaminierte Nahrung verweigern, was einen nicht unerheblichen Streßfaktor darstellt, der sich auch auf das Gesamtbefinden auswirkt.

Nun wäre es ohnehin sehr schwer, an Mäusen oder Ratten Befindlichkeitsstörungen oder Unwohlsein festzustellen, da die Kommunikation zwischen Tieren und Menschen einseitig aus Verhaltensstudien und ihren Interpretationen durch Forscher besteht, die darüber hinaus nur bestimmte Reaktionen erwarten. Also wird letztlich eine Dosierung bestimmt, bei der eine eindeutig erkennbare Schädigung auftritt, während der erste für die Tiere spürbare, aber von außen nicht erkennbare, nachteilige Effekt theoretisch schon wesentlich niedriger liegen kann.

Die hieraus abgeleiteten Dosierungen (bei denen noch kein bzw. gerade ein beobachtbarer (nachteiliger) Effekt auftritt) sind also auch schon Schätzwerte (also keine Meßwerte), die sich selbst nach entsprechendem Extrapolieren nicht wirklich auf den Menschen übertragen lassen. Und doch wird der jeweilige NOEL oder NOAEL auf diese Weise ermittelt, der wiederum die Grundlage des ADI bildet. Hierfür wird der NOEL nur durch einen Sicherheitsfaktor von ca. 100 dividiert, wobei dieser "Sicherheitsfaktor" nicht immer gleich sein muß. Er soll die Übertragbarkeit des Experiments auf andere Individuen der Testspezies (10x) und auf den Menschen (10x) gewährleisten (10x10 = 100) und kann somit je nach Substanz herauf- bzw. herabgesetzt werden. D.h. schon der Sicherheitsfaktor ist ein willkürlich festgelegter Schätzwert, für dessen Höhe es keine schlüssige Begründung gibt, ebensowenig wie für den daraus resultierenden ADI-Wert. Man kann also nur hoffen, daß die Verantwortlichen im Hinblick auf ihre eigene Betroffenheit den Wert hoch genug ansetzen.

Nur bei Stoffen, die keine Giftigkeit oder sonstige Schädlichkeit haben, kann man mit Sicherheit von einem unbegrenzten ADI (= ADI not limited) ausgehen, allerdings brauchen diese mit Sicherheit auch keinen ADI-Wert.

Für alle anderen ADI-Werte gibt es keine Garantie, daß sie überhaupt angemessen auf menschliche Verhältnisse übertragen worden sind. Ob richtig geschätzt wurde, zeigt sich dann erst nach Jahren der Anwendung.

Auch das weitere Dividieren und verringern dieser Größe durch einen nach bestem Wissen wie Gutdünken festgelegten Sicherheitsfaktor (z.B. 100) kann bestenfalls den Verbraucher in Sicherheit wiegen, wobei zugegebenermaßen die bewußte Furcht vor möglichen Gefahren aus dem Essen ein auch nicht gerade unerheblicher und keineswegs gesundheitsfördernder Streßfaktor ist.

Ansonsten sorgt gerade der vermeintlich hohe Faktor dafür, daß der ADI von Seiten der Verantwortlichen nicht ernstgenommen wird. So wird die Ansicht verbreitet, es sei gar nicht so schlimm, diesen Wert hin und wieder zu überschreiten. Mag sein, daß das auch stimmt, der Mensch verträgt wohl mehr toxische Stoffe, als er glaubt. Nur ist zu befürchten, daß die Willkür, mit der solche Sicherheitspuffer festgelegt werden (wobei man die ADI-Werte ausdrücklich nicht als verbindliche Festlegung, sondern ausschließlich nur als Empfehlung versteht), den fahrlässigen Umgang nicht nur mit Chemie, sondern auch mit ihren Grenzwerten fördert. Darüber hinaus geht man gemeinhin davon aus, daß die ADI-Werte so gewählt wurden, daß sie z.B. durch die tägliche Nahrungsaufnahme ohnehin nicht erreicht werden können.

Wie ernst diese Werte genommen werden, läßt sich schon daran ablesen, daß es für viele Regelungsbereiche eigene Obergrenzen gibt, die sich nur noch auf den ADI, ARfD oder NOEL beziehen wie die MAK-Werte (Maximale Arbeitsplatzkonzentration), die RHG (Rückstandshöchstgehalt) in Lebensmitteln, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Verantwortlich für die ADI-Werte sind die folgenden Gremien:

- Europäische Union: Wissenschaftlicher Lebensmittelausschuß bei der EU-Kommission (Scientific Committee on Food, SCF)

- International: JEFCA-Committee (Joint FAO / WHO Expert Committee on Food Additives)

- Ernährungs- und der Gesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (FAO; Food and Agriculture Organisation of the United Nations / WHO; World Health Organisation)

In Deutschland lassen sich die derzeit gültigen Werte beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erfragen.

20. Dezember 2010