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NACHGEFRAGT/0001: ... oder doch Plutonium? (Tricastin) (SB)


Nachgefragt zu dem Schattenblick-Beitrag

UMWELT\REDAKTION

ATOM/324: Der Nuklearunfall von Tricastin - Bevölkerung gefährdet (SB)


Die Andeutung im letzten Abschnitt des Beitrags "ATOM/324":

Die Entwarnung des französischen Umweltministers Jean-Louis Borloo am Donnerstag sollte zu denken geben: "Es besteht keine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung." Bedeutet das, daß zumindest eine mittelbare Gefahr für die Bevölkerung besteht?
(Schattenblick 11. Juli 2008)

hat vielleicht einen noch brisanteren Hintergrund, als man vielleicht zunächst vermutet oder aus dem Artikel selbst hervorgeht. Denn zu der Frage, was nun eigentlich alles in der "uranhaltigen Flüssigkeit" enthalten war, die unter anderem in die Flüsse Rhône, Gaffière und Lauzon gelangt ist, halten sich die zuständigen Behörden nach wie vor bedeckt. Dabei müßten zumindest die Betreiber eigentlich ganz genau sagen können, in welchem Abschnitt des gesamten Prozeßablaufs die vermeintliche Reinigung des fraglichen Kessels (oder waren es doch der überlaufende Kessel in der Aufbereitung und das undichte Auffangbecken?) stattgefunden hat und welche Stoffe und Reste sich zu diesem Zeitpunkt darin befunden haben müssen.

Das sich in Widersprüche verstrickende, offensichtliche Vermeiden der heiklen Einzelheiten, z.B. in den Medien, die hier als Sprachorgane der zuständigen Behörden und des Betreibers dienen, läßt vermuten, daß die "verunfallten" Stoffe keineswegs so harmlos sind, wie man es der breiten Öffentlichkeit glauben machen will.

Tatsächlich dient schon der Begriff Uran der Verschleierung. Denn es gibt verschiedene Klassifikationen dieses Terminus, die für den Laien nicht so leicht zu durchschauen sind.

So wurde in den Medienberichten wahlweise von Natururan oder von abgereichertem Uran gesprochen, beides Begriffe, die weniger brisant anmuten, steckt in dem einen doch die generell beschwichtigende Vorsilbe "Natur" und in dem anderen das beruhigende "abgereichert", was wohl jeder spontan mit weniger konzentriert übersetzt. Und damit befindet er sich schlicht auf dem Holzweg. Die fraglichen Materialien unterscheiden sich nur in den jeweiligen Konzentrationsstufen der verschiedenen Isotope des Urans. D.h. ein bestimmter Bestandteil, Uran- 235, ist in Natururan weniger und in abgereichertem Uran noch schwächer konzentriert.

Dennoch sind alle Isotope des Urans Alpha-Strahler. Das bedeutet, sie geben bei ihrem Zerfall ein sogenanntes Alpha-Teilchen, d.h. den von Elektronen befreiten Atomkern eines Heliumatoms ab. Dieser hat zwar nur eine geringe Reichweite, so daß man sich schon mit einem Blatt Papier davor schützen könnte. Dringt ein Alpha-strahlendes Teilchen jedoch in den Körper oder in die Blutbahn ein, ist die von ihm ausgehende Schädigung um ein Vielfaches größer als bei Beta- oder Gamma-Strahlern.

Anders gesagt, sowohl das für Kernbrennstäbe wichtige und darin höher konzentrierte Uran-235, wie auch das in abgereichertem Uran vorwiegende Uran-238 oder das extrem kurzlebige Uran-234 zerfallen auf die gleiche Weise und sind bei gleicher Aktivitätsmenge mit der radio-toxischen Wirkung von Plutonium-239 oder anderen radioaktiven Schwermetallen mit Alpha-Zerfall wie z. B. Radium-226 oder Thorium-232 vergleichbar.

Natururan enthält alle drei Isotopenarten, d.h. Uran-238 (99,28%), Uran-235 (0,72%) und Spuren von Uran-234.

Darüber hinaus wird der Begriff abgereichertes Uran (oder auch Depleted Uranium, DU) ebenfalls für die Reste verwendet, die aus Wiederaufbereitungsanlagen hervorgehen, in denen Uran-235 aus ausgebrannten Brennstäben neu "angereichert", d.h. aufkonzentriert wird. Sollte es sich bei der in Tricastin ausgetretenen Lösung um solche Stoffe handeln, dann ist garantiert mit bedenklichen Mengen an Plutonium zu rechnen.

Abgereichertes Uran (Depleted Uranium, DU) ist ein Abfallprodukt aus der Herstellung von Kernbrennstoff für Atomkraftwerke. Es besteht typischerweise zu 99,8 % aus Uran-238 und zu 0,2 % aus Uran-235 und enthält kein Uran-234 mehr. Wird es nicht aus natürlichem Uran, sondern aus abgebrannten Brennelementen von Atomkraftwerken gewonnen, kann es auch Spuren von Plutonium-239 enthalten. (FB 8 Physik, Arbeitsgruppe Physikalische Umweltanalytik (AG UWA) Informationen über Uran-Munition
(15. November 2002))

Da Plutonium pro Gramm eine um einen Faktor 57.000 höhere Strahlung besitzt, könnte schon eine Verunreinigung von 0,017 Promille die Strahlenbelastung verdoppeln.

Das heißt nicht, daß sogenanntes natürliches Uran weniger gefährlich wäre. Denn darin befinden sich alle Isotope des Urans, die sämtlich instabil, radioaktiv und außerdem sehr langlebig sind. Ein Teilchen zu gegebener Zeit an einer entsprechenden Stelle im Körper reicht aus, um Leben zu vernichten.

(Weitere Details zu den Materialien und ihrer Toxizität siehe auch im INFOPOOL unter NATURWISSENSCHAFT/CHEMIE: UMWELTLABOR/229: Tricastin - Uran ist vielfältiges, potentes Gift (SB))

Nur eine genaue Aufklärung über Qualität und Menge der ausgetretenen Stoffe könnte hier die Sorge um die Gesundheit der Anwohner in dem betroffenen Gebiet nehmen, oder diese zumindest in die Lage versetzen, entsprechend zu reagieren oder sich zu schützen. Allein die Tatsache, daß dies nicht geschieht und man derzeit wortwörtlich das Thema im Sande verlaufen läßt, spricht letztlich für sich und für die eingangs aufgeworfene Frage ... oder doch Plutonium?.

15. Juli 2008