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RESSOURCEN/241: Fracking - gegen besseres Wissen ... (SB)



Die Europäische Union läßt sich auf den Deal mit den USA ein und kauft von dort per Fracking gefördertes Erdgas. Dafür wird in Europa eine umfangreiche Infrastruktur mit Pipelines, Pumpstationen, Verladehäfen, Fabriken zur Kunststoffherstellung aus Erdgas, etc. aufgebaut. Das läuft nicht nur in die entgegengesetzte Richtung dessen, was an klimapolitischen Maßnahmen erforderlich wäre, um die globale Erwärmung zu bremsen, die EU ist damit auch mitverantwortlich für künftige Schäden und Verluste durch die Erdgasförderung.

Jedenfalls war es an den Pipelines und anderen Erdgasinfrastruktureinrichtungen der USA innerhalb von neun Jahren zu 5.500 Unfällen gekommen. Dazu gehörten 300 Explosionen und 800 Brände, 125 Personen verloren ihr Leben, 30.000 Menschen mußten evakuiert werden. Die Unfälle erzeugten einen Schaden in Höhe von mehr als vier Milliarden Dollar. Darüber berichtete vor gut einem Jahr die Internetseite FracTracker, die Daten der Pipeline and Hazardous Materials Safety Administration (PHMSA) ausgewertet hat. [1]

Die zwischen 2010 und 2018 erhobenen Zahlen haben bis heute ihre Relevanz nicht verloren. Das zeigt sich an jüngeren Unfällen im Zusammenhang mit der Förderung, dem Transport und der Verarbeitung von Erdgas. [2]

Die Verhältnisse in den USA sind sicherlich nicht eins zu eins mit denen in der Europäischen Union gleichzusetzen, schon allein weil FracTracker nicht nur die Gasleitungen von den Unternehmen zu den Kunden in die Bilanz einbezogen hat, sondern auch die Installationen von den Erdgas- und Erdölfördergebieten zu den verarbeitenden Betrieben.

Dennoch wirft es ein anderes Licht auf die vermeintlich saubere Nutzung von Erdgas als angeblich unverzichtbare Brückentechnologie bis in eine Zeit, in der erneuerbare Energien an ihre Stelle treten sollen, wenn berichtet wird, daß sich im Erdöl- und Erdgaspipelinenetz der USA alle elf Tage eine Explosion ereignet und alle vier Tage ein Feuer ausbricht. Dabei handelt es sich um konservative Angaben, da die PHMSA manche Unfälle nur als ein Ereignis auflistet, auch wenn hinter diesem beispielsweise 60 bis 70 Brände stehen.

So wie am 13. September 2018 in den Städten Lawrence, Andover und North Andover des Merrimack Valleys im US-Bundesstaat Massachusetts. Allein dort mußten 30.000 Menschen ihre Häuser verlassen. Zu der Serie an Bränden und Explosionen in drei Städten war es gekommen, weil bei Reparaturarbeiten ein Drucksensor vergessen worden war. FracTracker schildert in seinem Report noch weitere Unfälle, die von den Behörden verharmlosend dargestellt werden, beispielsweise indem schwere Explosionen nur als Brände ausgewiesen werden.

Die EU-Kommission hat 55 Gasprojekte als "Projekte gemeinsamen Interesses" ausgewiesen und damit eine Weichenstellung vollzogen, die unvereinbar mit den notwendigen Klimaschutzmaßnahmen ist. [3] Jüngere wissenschaftliche Studien legen nahe, daß der sogenannte Methanschlupf aus den Erdgasinstallationen um 25 bis 40 Prozent größer sein muß als bislang angenommen. Die natürlichen Methanemissionen habe man deutlich überschätzt, berichtete eine Forschergruppe in "Nature". [4]

In einer weiteren Studie, die kürzlich in "Science" veröffentlicht wurde, war festgestellt worden, daß mit dem Auftauen des Permafrosts seit Ende der letzten Eiszeit nur wenig Methan freigesetzt wurde. Diese Studie hob auf die Feststellung ab, daß somit auch in Zukunft mit keinen nennenswerten Methanemissionen aus den Permafrostregionen zu rechnen ist. [5]

Aber vielleicht bedeutet auch das, daß menschengemachte Methanemissionen eine größere Bedeutung haben als bislang vermutet. Denn der Methangehalt der Atmosphäre steigt an, obgleich das Erdgas eine Halbwertszeit von nur rund zwölf Jahren hat. Das heißt, es baut sich relativ schnell ab. Bleibt der Wert weiter hoch, bedeutet das, daß ständig Methan nachgeliefert werden muß. Auf rund zwölf Jahre bezogen hat Methan aber das bis zu 87mal größere Treibhausgaspotential als Kohlenstoffdioxid.

Indem die EU-Kommission 55 Gasprojekte mit aus den Steueraufkommen der Nationalstaaten abgezweigten Milliarden Euro subventioniert, unterstützt sie nicht nur einen fossilen Energieträger, bei dessen Verbrennung Emissionen entstehen, die mitverantwortlich für die riesigen Schäden aufgrund der globalen Erwärmung sind, sondern auch eine besonders zerstörerische Fördermethode. Beim Fracking wird eine erdgashaltige Schiefer- oder Sandsteinschicht angebohrt und horizontal zerrüttet. So kann das Gas aus den vielen kleinen Aufschlüssen und Spalten zusammenströmen und aufsteigen. An der Oberfläche wird es von den Frackfluiden - einem Cocktail aus zahlreichen chemischen Substanzen, Wasser und Sand, der unter extrem hohem Druck in den Untergrund gepreßt worden war - getrennt.

Rechnerisch wird ein erheblicher Teil der Energie, die man aus dem Erdgas gewinnt, für solche Vorgänge verbraucht. Aber auch die Verflüssigung von Erdgas zu LNG (Liquid Natural Gas) und der anschließende Transport beispielsweise in Flüssiggastankern quer über den Atlantik erfordern einen hohen Energieeinsatz. Es muß also viel mehr Erdgas gefördert werden, nur um es an die Verbraucherinnen und Verbraucher heranbringen zu können.

Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht irritierend, den Verlust von Menschenleben in Folge der Erdgasexplosionen in den USA als externalisierte Kosten der Erdgasnutzung einzustufen, aber sollen deswegen solche Verluste bei der Bewertung des Für und Wider von Fracking unter den Tisch fallen? Es gibt viele gewichtige Gründe, die gegen Fracking sprechen, die menschlichen und materiellen Verluste sollten dazugerechnet werden.


Fußnoten:

[1] https://www.fractracker.org/2018/12/pipeline-incidents-impact-residents/

[2] https://www.ecowatch.com/enbridge-pipeline-explosion-ohio-2626715195.html

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-740.html

[4] https://www.nature.com/articles/s41586-020-1991-8

[5] https://science.sciencemag.org/content/367/6480/907.full

28. Februar 2020


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