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RESSOURCEN/220: Meeresboden - tieferstrebender Beutefang ... (SB)



Erstmals wurde eine detaillierte Bestandsaufnahme des weltweiten Ausmaßes der Grundschleppnetzfischerei durchgeführt. Demnach beruhen 25 Prozent des globalen Fischfangs auf dieser extrem zerstörerischen Methode, bei dem die Netze über den Meeresboden gezogen werden und alles mit sich reißen, was sich dort angesiedelt hat oder dort lebt. Untersucht wurden Fischfangmethoden, die in bis zu 1000 Meter Meerestiefe eingesetzt werden. Abgesehen von der Fischerei soll der übrige Meeresboden in Zukunft ebenfalls nicht in Ruhe gelassen werden, denn er birgt Rohstoffe, die für die Industrie von Interesse sind. Wenn Manganknollen vom Tiefseeboden, Schwarze Raucher an den tektonischen Bruchzonen und Kobaltkrusten an den Hängen der untermeerischen Berge abgebaut werden, wie es langfristig geplant ist, würden damit ausgerechnet die artenreichsten Habitate der Tiefsee zerstört. Indem der Mensch das Leben in den Meeren vernichtet, untergräbt er seine eigenen Lebensvoraussetzungen.

Wie der Name schon sagt, wird bei der Grundschleppnetzfischerei das Netz über den Meeresboden gezogen. Gewichte sorgen dafür, daß das Netz möglichst dicht am Boden bleibt. Dabei werden nicht nur Garnelen, Kabeljau, Seezunge und weitere am Boden lebende Fische und Schalentiere gefangen, sondern auch jede Menge andere Meeresbewohner. Zur Zerstörung der Habitate gehört ebenfalls, daß Sedimentfahnen produziert werden, die, je nach Stärke der Meeresströmung, weit davongetrieben werden und andere Habitate bedecken oder aber sich vor Ort absetzen und dadurch den bis dahin vielleicht noch nicht gänzlich zerstörten Lebensräumen den Rest geben.

Bislang wurde noch keine umfassende und gleichzeitig detailgenaue Studie zum Ausmaß der Grundschleppnetzfischerei und ihrer Folgen für das Meer durchgeführt. An der aktuellen Untersuchung sind 57 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 22 Ländern beteiligt. Sie haben 24 Meeresgebiete vor Afrika, Europa, Nord- und Südamerika, Australien und Asien untersucht.

Das Ausmaß der Grundschleppnetzfischerei variiert stark von Region zu Region. Am größten war der Anteil dieser Fangmethode mit mehr als 80 Prozent in der Adriatischen See, am geringsten mit 0,4 Prozent auf dem pazifischen Meeresboden vor Südchile. Im Durchschnitt sind vierzehn Prozent des Meeresbodens bis zu ein Kilometer Wassertiefe von der Grundschleppnetzfischerei betroffen, was laut dem in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Bericht weniger ist, als zuvor angenommen worden war [1].

"Weniger" bedeutet nicht "wenig". Vierzehn Prozent entsprechen beispielsweise ziemlich genau der Siedlungs- und Verkehrsfläche Deutschlands (13,8 Prozent im Jahr 2016), die doch ziemlich prägend für das gesamte Land ist. Daß die Meere bereits so häufig und flächendeckend auf diese bekanntermaßen destruktive Weise befischt werden, könnte als Hinweis darauf gedeutet werden, daß hier Grenzen der Fangerträge erreicht oder sogar überschritten wurden.

In dieser hohen Auflösung sei bislang noch nicht festgestellt worden, wie verbreitet die Grundschleppnetzfischerei ist, berichtete Hauptautor Ricardo Amoroso von der Universität von Washington. Je genauer man werde, desto geringer sei die Gefahr, daß der ökologische "Fußabdruck" dieser Art des Fischfangs überschätzt wird. Simon Jennings, Co-Autor des Berichts, erklärte: "Für die Regionen, in denen die Fußabdrücke der Grundschleppnetze weniger als zehn Prozent der Meeresbodenfläche betrafen, entsprachen die Fangraten für die Bestände der Bodenfische fast immer internationalen Nachhaltigkeitsstandards." [2]

Die Untersuchung geht nicht auf die Gründe ein, warum in einigen Regionen intensiver Grundschleppnetzfischerei betrieben wird als in anderen. Man kann sicherlich vermuten, daß es auch mit der unterschiedlichen Einsicht von Fischern in ökologische Notwendigkeiten bzw. mit den jeweiligen nationalen Fischfangbestimmungen zu tun hat, ob besonders zerstörerische oder sanftere Methoden des Fischfangs betrieben werden. (Wobei es bei "sanft" nicht um das Wohl der Fische geht, denn die müssen in allen Fällen dran glauben.)

Doch abgesehen davon kann man ebenfalls annehmen, daß, wenn sich die Fische im Mittelmeer genauso oberflächennah aufhalten würden wie im Pazifischen Ozean vor Chile, die europäischen Fischer dies berücksichtigen und ihre Netze dementsprechend ausbringen würden. Umgekehrt haben die Fischer in Chile von vornherein wenig Anlaß, Grundschleppnetzfischerei zu betreiben, da die riesigen Schwärme von Anchovis - die wichtigste Fischart, die dort gefangen wird -, in diesem sogenannten ozeanischen Auftriebsgebiet eben nicht am Grund, sondern relativ nah an der Oberfläche anzutreffen sind.

Wenn vierzehn Prozent des Meeresbodens bis in 1000 Meter Wassertiefe bereits von der Grundschleppnetzfischerei in irgendeiner Form beeinträchtigt wurden, dann erscheint es um so gefährlicher, daß in den nächsten Jahren auch der weitere Tiefseeboden in Nutzung genommen werden könnte. Dort befinden sich Rohstoffe, wie sie nicht zuletzt für die Elektromobilität benötigt werden.

Wie lange es noch dauert, bis der Bergbau am Tiefseeboden beginnt, hängt vor allem von den Rohstoffpreisen ab. Aber nicht allein davon. Auch das Interesse der Nationalstaaten und einzelner Unternehmen, technologische Führerschaft auf diesem neuen Gebiet der Rohstoffsicherung und somit Konkurrenzvorteile zu erringen - womöglich dank der rechtzeitigen Sicherung von Patenten -, wäre ein vorstellbares Motiv, weswegen relativ bald damit begonnen wird, die ersten Bergbaumaschinen in die Tiefsee abzusenken, um sie dort arbeiten zu lassen. Selbst wenn es nicht Jahre, sondern Jahrzehnte dauern würde, bis großmaßstäblicher Meeresbodenbergbau betrieben wird, das Unternehmen Nautilus Minerals hat jedenfalls angekündigt, im nächsten Jahr in der zu Papua-Neuguinea gehörenden Bismarcksee in rund 1500 Meter Tiefe mit dem Abbau von Massivsulfiden zu beginnen.

Diese Form der Rohstoffgewinnung würde allerdings nicht in unberührten Ozeanen betrieben, die frei von menschlichen Einflüssen sind. Abgesehen von der Grundschleppnetzfischerei und Überfischung sorgt auch der Anstieg von Kohlenstoffdioxid und Methan in der Atmosphäre sowohl für eine Versauerung als auch Erwärmung der gesamten Ozeane. Korallen gehören zu den ersten Tierarten, denen diese Entwicklung zu schnell geht, die sich nicht anpassen können und sterben. Korallenriffe wiederum sind Lebensraum für zahlreiche weitere Arten, die dann keinen Ersatz haben.

Für rund eine Milliarde Menschen sind Fische und andere Meerestiere das Hauptnahrungsmittel. Global betrachtet scheint es trotz dieses Eiweißbedarfs nicht sehr durchdacht zu sein, um es milde zu formulieren, Grundschleppnetzfischerei zu betreiben und damit die eigenen Überlebensvoraussetzungen zu gefährden.


Fußnoten:

[1] http://www.pnas.org/content/pnas/early/2018/10/03/1802379115.full.pdf

[2] https://www.independent.co.uk/environment/university-of-washington-bottom-trawling-seafloor-report-ecosystems-a8574381.html

12. Oktober 2018


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