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RESSOURCEN/208: Die Gegenseite - Illegalisierungskampagnen des FBI ... (SB)



Im Oktober 2016 liefen die Proteste gegen den Bau der Dakota Access Pipeline auf Hochtouren. Im US-Bundesstaat North Dakota sollte noch ein letzter Abschnitt der umstrittenen Röhre verlegt werden, nur wenige hundert Meter vom Standing Rock Reservat entfernt und mitten durch heiliges Land, in dem die Ahnen der Indigenen bestattet worden waren. Dem noch nicht genug, führte die geplante Trasse unter dem Fluß Missouri hindurch, der den Oahe-Stausee speist. Ein Leck in der Pipeline, wie es in der Erdölinfrastruktur der USA häufiger auftritt, würde das wichtigste Trinkwasserreservoir des Reservats kontaminieren.

Nachdem die Reservatsbewohner von Standing Rock und dem weiter südlich gelegenen Cheyenne River bereits zwei Drittel ihrer Weideflächen durch den 1962 eingeweihten Oahe-Stausee verloren hatten und fast die Hälfte der Bewohner gezwungen war, in höher gelegene, weniger ertragreiche Gebiete umzusiedeln - mit der Folge einer gravierenden Verarmung -, droht ihnen nun der Verlust ihrer Lebensader. "Wasser ist Leben" lautet folgerichtig ein auf zahlreichen Protestkundgebungen gegen den Pipelinebau häufig anzutreffendes Motto.

Im Zuge der bis Februar 2017 anhaltenden Auseinandersetzung um die DAPL, wie die Pipeline verkürzt genannt wird, waren mehrere hundert Personen verhaftet worden. Gegen die meisten von ihnen wurde noch kein Verfahren eröffnet, und sie befinden sich auf freiem Fuß. Nicht jedoch Red Fawn Fallis. Die damals 37jährige vom Volk der Oglala Sioux gehörte zu denen, die sich in besonderer Weise gegen den Bau der Pipeline engagiert hatten und stand, wie man heute weiß, unter Beobachtung der Bundespolizei FBI.

Am 27. Oktober 2016 hatten bewaffnete Polizeikräfte auf dem Highway 1806 einen Kordon aufgebaut und den Bewohnerinnen und Bewohnern eines Protestcamps den Weg versperrt. Auf Videoaufnahmen einer Drohne, die nahezu senkrecht über dem Geschehen schwebte, ist zu erkennen, wie sich Red Fawn Fallis auf einem Quad den Demonstrierenden von hinten nähert, von ihrem Fahrzeug absteigt und am Rande der Straße auf die Polizeikette zugeht. Plötzlich springt ein Sicherheitsmann auf sie zu und reißt sie um. Nach Polizeiangaben haben zwei Deputies die Frau am Boden fixiert und versucht, ihr einen Revolver aus der linken Hand, die verdeckt unter ihrem Bauch gelegen haben soll, zu entwinden. Drei Schüsse soll Red Fawn Fallis aus dieser Lage heraus abgegeben haben, bevor sie entwaffnet und abgeführt werden konnte.

Mehr als ein Jahr lang saß sie deswegen in Untersuchungshaft, ohne daß Anklage gegen sie erhoben worden wäre. Man will ein Exempel an ihr statuieren, sagten im vergangenen November beim People's Climate Summit in Bonn die beiden indigenen Water Protectors (Wasserschützer) Nataanii Means und Rafael Gonzales gegenüber dem Schattenblick. [1] Beide hatten sich an den Protesten gegen die DAPL beteiligt, Means gehörte zu jenen, die vorübergehend festgenommen worden waren.

Möglicherweise wird die Einschätzung der beiden Wasserschützer fundamental bestätigt. So schrieb am 11. Dezember 2017 der investigative Journalist Will Parrish für "The Intercept" [2], daß der Revolver, mit dem jene drei Schüsse abgegeben worden sein sollen, Red Fawn Fallis' Liebhaber gehört hat, und daß dieser ein Informant des FBI gewesen war. Selbst als er noch mit der Inhaftierten telefoniert habe, soll er ihr gegenüber seine Funktion verheimlicht haben.

Bei dem bezahlten FBI-Informanten handelt es sich um den 46jährigen Heath Harmon aus dem Fort Berthold Reservat im Westen North Dakotas. Mindestens zwei Monate lang hatte er die Widerstandslager gegen die DAPL von innen her ausgespäht. Seine Romanze mit Red Fawn Fallis zog sich schon mehrere Wochen hin, bevor es zu dem Vorfall kam, bei dem auch er zugegen war. Er besaß den Auftrag, für das FBI herauszufinden, ob es in den Standing Rock Camps Bombenmaterial und ähnliches gab, berichtete Parrish unter Berufung auf Gesprächsmitschnitte, die dem "Intercept" vorliegen. Darin spricht Harmon über seine FBI-Kontakte, liefert jedoch keine Hinweise auf gefährliche Waffen seitens der Protestierenden, wohl aber darauf, daß er selbst einen Revolver Kaliber .38 in einem Trailer der Wasserschützer des Rosebud Camps versteckt hatte.

Zunächst hatte Harmon gegenüber der Polizei angegeben, daß sein Revolver zwei, drei Wochen zuvor gestohlen worden sei. Später machte er jedoch eine andere Aussage. Gegenüber Mitarbeitern der ATF und des BCI (Bureau of Criminal Investigation) erklärte er, daß er die Waffe noch wenige Tage zuvor gesehen habe.

Red Fawn Fallis wurde inzwischen vom Untersuchungsgefängnis in ein Rehabilitationszentrum verlegt. Der nächste Verhandlungstag ist auf den 29. Januar angesetzt. Womöglich kommen bis dahin oder im Laufe der Verhandlungen weitere Details über die zwielichtige Rolle des FBI-Informanten ans Licht. Es wäre nicht das erste Mal, daß das FBI denjenigen, die es ausspäht, regelrechte Fallen stellt, in die sie hineintappen sollen, um ihnen eine Schuld zuzuschieben und sie ins Gefängnis zu stecken. Auf diese Weise werden die widerspenstigsten Personen aus dem Verkehr gezogen; gleichzeitig dient ihr Schicksal der Abschreckung aller anderen, die sich gegen die Bevormundung durch die vorwiegend weiße Elite des Landes und eine Lebensweise zur Wehr setzen könnten, die dem Extraktivismus huldigt.

Parrish hat inzwischen mehrere Berichte über den Vorfall veröffentlicht. Aus ihnen geht deutlich hervor, daß die Proteste gegen den Abbau von Teersanden in Kanada, Fracking, die Erdölsuche im Nordpolarmeer und allgemein die Erdölinfrastruktur sowie die Demonstrationen für die Rechte der ursprünglichen Bevölkerung von den Exekutivorganen der USA als Brutstätte des heimischen Terrorismus angesehen werden.

An dieser Einstellung hat sich seit der Entstehungszeit der radikalen American Indian Movement (AIM) Ende der 1960er Jahre nicht das geringste geändert - und die Bewegung war ja nur deshalb entstanden, weil die Rechte der Indigenen mit Füßen getreten wurden, und das Beharren auf die ihnen zugestandenen Rechte die seit Jahrhunderten Unterdrückten genau dahin gebracht hatte, wo sie standen: zusammengedrängt auf Reservate, verwaltet von teils korrupten Stammesmitgliedern, der Sprache und Kultur beraubt, alles in allem eingespeist in eine Gesellschaft, die für indigene Anliegen nur dann ein offenes Ohr hat, wenn es der cineastischen und folkloristischen Unterhaltung dient. Konsequenterweise hat sich die AIM nicht nur gegen die weiße Mehrheitsgesellschaft gewandt, sondern auch gegen Stammesmitglieder, die beispielsweise Reservatland für den Uranabbau verkauft haben. Ressourcenkämpfe sind keine Erfindung der heutigen Zeit.

Red Fawn Fallis ist die Tochter von Troy Lynn Yellow Wood, die in den 1970er Jahren das Colorado-Chapter der AIM mitgegründet hat. Außerdem ist Fallis die Cousine von Nataanii Means, der wiederum Sohn des bekannten Indianerführers Russell Means ist. Der war schon in der Gründungsphase zur AIM gestoßen und hatte in Cleveland eine Ortsgruppe gebildet. Die heutige Protest- und Widerstandsgeneration steht vor den gleichen gesellschaftlichen Widersprüchen wie die Generation ihrer Eltern, die sich sprichwörtlich im Fadenkreuz des FBI befanden, und ist prinzipiell keinen anderen Repressionen ausgesetzt. Und dies, obgleich die öffentliche Ordnung, die das FBI angeblich verteidigt, um vieles mehr durch den ungebremsten Abbau, Transport und Verbrauch von fossilen Energieträgern und anderen Ressourcen als durch die Protestbewegungen gefährdet ist. Das zeigen die vielen Klimawandelfolgen auch in den USA, wie das Auftauen des Permafrostes in Alaska, die Verstärkung von Wirbelstürmen und Überschwemmungen sowie das häufige Auftreten von Dürren, unter anderem mit der Folge schwerer Waldbrände.


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0151.html

[2] https://theintercept.com/2017/12/11/standing-rock-dakota-access-pipeline-fbi-informant-red-fawn-fallis/

4. Januar 2018


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