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RESSOURCEN/146: EU-Administration setzt umstrittenes Fracking auf ihre Agenda (SB)


EU-Kommissar Oettinger spricht für EU-weite Regeln zum Fracking



EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat im Interview mit der "Welt" (20.5.13) Deutschland dazu geraten, das Potential von Schiefergas zu erkennen "und die nötige Rechtsgrundlage für Demonstrationsprojekte und für die praktische Erprobung" zu schaffen. Dann werde man in einigen Jahren weit klüger sein und auch über die Kosten besser Bescheid wissen. "Das muss man einem Ingenieurland wie Deutschland dringend raten", erklärte Oettinger. [1]

Gegenwärtig wird in Deutschland bereits "die nötige Rechtsgrundlage" für Fracking vorbereitet, aber die sieht womöglich nicht so aus, wie es dem industriefreundlichen Kommissar aus dem Schwabenland gefällt. Die Methode des Frackings wird in Deutschland in Zukunft wahrscheinlich nur unter großen Einschränkungen erlaubt sein. Selbst der kürzlich von Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler (FDP) und Bundesumweltminister Peter Altmeier (CDU) vorgelegte Gesetzentwurf zum Fracking sieht einen umfassenden Grund- und Trinkwasserschutz vor, und dieser Entwurf hat bislang noch nicht den Bundesrat passiert, unter anderem weil Schleswig-Holstein strengere Umweltauflagen fordert.

Das Wort Fracking ist aus englisch 'to fracture' abgeleitet und meint 'aufbrechen'. Seitdem es Ingenieuren gelingt, erdgashaltige Gesteinsschichten in mehreren tausend Meter Tiefe zunächst senkrecht, dann waagerecht anzubohren, um das im Gestein eingeschlossene, unkonventionelle Erdgas (konventionelles Erdgas liegt in großen, zusammenhängenden Blasen vor) zu gewinnen, erleben die Vereinigten Staaten einen regelrechten Erdgasboom.

Während aber die Erdöl- und Erdgaslagerstätten in Schiefergestein, von dem meist in Verbindung mit Fracking die Rede ist, in den USA noch bis über das Ende dieses Jahrhunderts hinaus reichen sollen, schätzt die Bundesanstalt für Geowissenschaften (BGR) die "technisch gewinnbaren" Ressourcen des unkonventionellen Erdgases in Deutschland auf 1,3 Billionen Kubikmeter. Für die USA wird eine Menge von 24 Billionen Kubikmeter angenommen. [2]

Bei einem Verbrauch Deutschlands von gegenwärtig jährlich rund 0,1 Billionen Kubikmeter Erdgas würden die Ressourcen somit dreizehn Jahre reichen. Das heißt, dreizehn Jahre lang könnte Deutschland theoretisch seinen Gasbedarf vollständig decken, dann müßte es wie bisher Gas aus Norwegen, Rußland, Algerien und anderen Ländern importieren. Da natürlich das unkonventionelle Erdgas nur einen Teil der Importe ersetzen würde, verlängerte sich die Frist entsprechend, bis die Gesteinsschichten ausgepreßt sind.

Sowohl die Zahlen zum Erdgasverbrauch als auch zu den geschätzten Vorkommen können sich mit neuen Erkenntnissen stark verändern. Die BGR-Experten schätzen, daß die deutschen Vorkommen bei einer umfänglichen Nutzung "signifikant" zu heimischen Erdgasversorgung beitragen können. Doch sei ein Anstieg der Erdgasproduktion im ähnlichen Maßstab und mit ähnlichen Auswirkungen wie in den USA "nicht zu erwarten".

Der Deutschlandfunkmoderator Christian Bremkamp erweckte am 21. Mai im Interview mit der Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung den Eindruck, daß Oettingers Erklärung zum Fracking überraschend kommt. Angesichts der Umweltrisiken des Frackings fragt der Moderator: "Warum dann jetzt dieser Vorstoß von Energiekommissar Oettinger?" [3]

Es handelt sich mitnichten um einen überraschenden Vorstoß, sondern um die wiederholte Empfehlung des für seine Industriefreundlichkeit bekannten Oettinger, Deutschland solle Fracking betreiben. Erst im April hatte unser Kommissar in Brüssel gegenüber der FAZ gesagt, daß die Debatte über Fracking hierzulande so emotional geführt werde, daß die Methode faktisch zum "Aus" der Forschung führe. Auch mit Blick auf andere Projekte wie den Ausbau der Infrastruktur (Stuttgart 21, neue Start- und Landbahnen, Forderung nach Nachtflugverboten) sagte Oettinger: "Wir müssen bereit sein, gewisse Risiken einzugehen, wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen." [4]

Was unter einem "gewissen Risiko" zu verstehen ist, unterliegt sicherlich einer breiten Interpretierbarkeit. Beispielsweise befinden wir uns zur Zeit in einer erdgeschichtlichen Phase, in der ein gewisses Risiko besteht, daß das von den Menschen erzeugte sechste Massensterben seinen Verursacher höchstselbst mit einschließt. Und das hat unter anderem mit der Verbrennung fossiler Energieträger zu tun, zu denen das unkonventionelle Erdgas zählt.

Claudia Kemfert erwiderte auf die Frage des DLF-Moderators, es erschließe sich ihr nicht, warum Oettinger "jetzt so intensiv plötzlich das Thema an die Öffentlichkeit bringt".

"So plötzlich" kommt das Thema gar nicht, denn immerhin wird darüber seit einiger Zeit im Bundesrat verhandelt. Wenn das kein ausreichender Anlaß ist, was dann? Noch wichtiger ist aber, daß am Mittwoch, den 22. Mai, der Europäische Rat in Brüssel zusammenkommt. Dort wird Energiepolitik neben der Steuerpolitik das zentrale Thema sein, über das die Staats- und Regierungschefs der EU beraten werden. In der Einladung an seine "lieben Kollegen" mahnte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ein "ausgewogenes, EU-weites Vorgehen bei der Nutzung des Potentials von unkonventionellen Kohlenwasserstoffen" an. [5]

Die Ankündigung Oettingers im "Welt"-Interview, daß man sich seitens der EU dem Thema Fracking widmen werde, und der thematische Schwerpunkt "Energie" auf dem Treffen des Europäischen Rats lassen auf eine gewisse Dringlichkeit schließen, mit der die EU-Administratoren das Thema Fracking voranbringen. Das wiederum geht vermutlich auch darauf zurück, daß die Europäische Union keine einheitlichen Bestimmungen zum Fracking hat, aber mit Kanada in Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen (Comprehensive Economic and Trade Agreement; CETA) steht, das noch in diesem Jahr abgeschlossen werden könnte. [6]

Die EU wäre gut beraten, würde sie vor Unterzeichnung des Vertrags klare Regeln, die sich nicht an den lockersten, sondern - in Anlehnung an das 1992 auf der Rio-Konferenz vereinbarte Vorsorgeprinzip - strengsten Auflagen zum Fracking unter den EU-Mitgliedern orientieren, verabschieden. Ansonsten könnte es geschehen, daß sich einige EU-Länder als Türöffner für kanadische Unternehmen, die Fracking betreiben wollen, instrumentalisieren lassen. Außerdem besteht die Gefahr, daß die Fracking-Unternehmen gegen die EU oder ihre Mitglieder Klage vor einem internationalen Schiedsgericht einreichen, sollten plötzlich nachträglich angeordnete, strengere Umweltauflagen verlangt werden als zu Beginn der Exploration. Ermöglicht würde dies durch den umstrittenen "Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus" (Investor-state-dispute-settlement; ISDS), der in das CETA aufgenommen werden soll. [7]

Beispielsweise hat das US-Unternehmen Lone Pine Resources Inc. im vergangenen Jahr unter Berufung auf Bestimmungen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (North American Free Trade Agreement; NAFTA) Klage gegen die kanadische Provinz Quebec wegen ihres Fracking-Moratoriums eingereicht und 250 Millionen US-Dollar Entschädigung für bereits getätigte Investitionen und entgangene Profite (!) verlangt. [8]

Das NAFTA dient dem CETA als Vorbild und beide zusammen dem Transatlantischen Freihandelsabkommen (Trans-Atlantic Free Trade Agreement; TAFTA), das die EU mit den USA abschließen will und zu dem noch in diesem Jahr die Verhandlungen aufgenommen werden sollen.

Weil mit jedem Abkommen die Unternehmen rechtlich darin gestärkt werden, einen Staat erfolgreich verklagen zu können, muß die EU rechtzeitig rechtssichere Fracking-Bestimmungen erlassen. Das wäre ein plausibler Grund, weswegen EU-Energiekommissar Oettinger das Thema erneut auf den Tisch hebt und weswegen sich auch die Staats- und Regierungschefs der EU damit befassen.


Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article116347546/Das-Umfeld-fuer-tief-greifende-Reformen-ist-ideal.html

[2] http://www.bgr.bund.de/DE/Themen/Energie/Downloads/BGR_Schiefergaspotenzial_in_Deutschland_2012.pdf?__blob=publicationFile&v=7

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/umwelt/2114248/

[4] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/fracking-flughafen-tiefbahnhof-oettinger-deutsche-muessen-risiken-eingehen-12134221.html

[5] http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/president/news/archives/2013/05/pdf/20130508letter-ec_en.pdf

[6] http://ec.europa.eu/enterprise/policies/international/cooperating-governments/canada/

[7] http://schattenblick.com/infopool/politik/meinung/pola1294.html

[8] http://business.financialpost.com/2012/11/23/canadian-taxpayers-could-be-on-hook-for-quebec-fracking-decision/

21. Mai 2013