Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

RESSOURCEN/134: Marcellus Shale enthält weniger Schiefergas als angenommen (SB)


Geologischer Dienst der USA korrigiert Volumenabschätzung zum größten Schiefergasfeld des Landes


Die Förderung von unkonventionellem Erdgas (auch Schiefergas genannt) beruht zwar auf einer alten Technologie, aber erst seit einigen Jahren erfährt sie nicht zuletzt dank technologischer Fortschritte einen ungeheuren Zuspruch. So haben die USA inzwischen Rußland als weltgrößten Gasförderer abgelöst und verfolgen Pläne zur weiteren Produktionssteigerung. Doch eine Neubewertungen sowohl hinsichtlich der technisch förderbaren Ressourcen als auch der Umweltschäden, die beim Aufbrechen (Fracking) des gashaltigen Gesteins (beispielsweise zerklüftetes Schiefergestein) entstehen, könnten den Gaserzeugern die gute Laune verderben.

Die in Paris ansässige Internationale Energieagentur (IEA) ist optimistisch. Sie rechnet damit, daß der Anteile von Gas am globalen Energiemix von gegenwärtig 21 auf 25 Prozent im Jahr 2035 steigen wird; dabei würde der weltweite Bedarf von 1,8 Billiarden Kubikmeter auf 5,1 Billiarden Kubikmeter wachsen. Ob aber die Produktion tatsächlich den Mehrbedarf decken kann, steht auf einem anderen Blatt. So berichtet Karel Beckman von der Website European Energy Review [1] über eine brisante Neubewertung des Gasfördergebiets Marcellus Shale im Nordosten der USA durch den Geologischen Dienst der USA (USGS - US Geological Survey).

Das Marcellus Shale ist das weltweit größte Fördergebiet für unkonventionelles Erdgas und steht innerhalb der Vereinigten Staaten weit an der Spitze. Es umfaßt Regionen in den US-Bundesstaaten Kentucky, Maryland, New York, Ohio, Pennsylvania, Tennessee, Virginia und West Virginia. Das Gasfeld ist für die USA und die Welt das, was beim Erdöl das Fördergebiet Ghawar für Saudi-Arabien. Bislang wurde das förderbare Gasvolumen des Marcellus Shale mit 410 Billiarden Kubikfuß (tcf) - ca. 11,6 Brd. Kubikmeter - angegeben. Nun haben die amerikanischen Experten es auf 84 tcf verringert, also beinahe auf ein Fünftel!

Das Gesamtvolumen an förderbaren Schiefergas der USA beträgt nach Einschätzung der EIA 750 tcf, was die große Bedeutung des Marcellus Shale, das daran einen hohen Anteil hat, unterstreicht. Beckman macht nun darauf aufmerksam, daß der USGS in seiner Pressemitteilung [2] über die Neubewertung dieses Fördergebiets berichtet, es enthalte "bedeutend mehr" Gas als angenommen. Dieser Widerspruch zur obigen Einschätzung geht darauf zurück, daß sich der USGS auf die ursprünglich 2002 veröffentlichten Angaben bezieht. Darin war von einem Gasvolumen von circa 2 tcf ausgegangen worden.

Dieser Zahl gegenüber sei tatsächlich eine Steigerung zu verzeichnen, so Beckman. Aber er zitiert den Geowissenschaftler J. David Hughes vom Post-Carbon Institute, der erklärte, daß laut einer unter Experten weithin verwendeten Abschätzung aus dem Jahr 2009 durch Terry Engelder von der Staatsuniversität Pennsylvania das Gasvolumen des Marcellus Shale 489 tcf beträgt. Die von der EIA im Juli dieses Jahres veröffentlichte Zahl von 410 tcf beruhe auf der Arbeit von Engelders Beratungsfirma INTEK.

Hughes, der früher beim Geologischen Dienst Kanadas gearbeitet hat, schrieb kürzlich unter der Überschrift "Will Natural Gas Fuel America in the 21st Century?" [3] für das Post-Carbon Institute, daß die Gas-Industrie "gefährlich falsche Behauptungen" über die Menge an Naturgas, die Kosten seiner Förderung sowie deren Einfluß auf die Umwelt aufgestellt habe. Die Behauptung, daß die Vereinigten Staaten noch hundert Jahre lang preiswertes Naturgas fördern könnten, sei eine Träumerei. Seiner Einschätzung nach werde die Gasproduktion in naher Zukunft zurückgehen, sollte es nicht gelingen, die Förderung drastisch hochzufahren. Im übrigen, so Hughes, ist unkonventionelles Gas nicht klimafreundlicher als Kohle, wenn man einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren zugrundelege. Deshalb könne es keine Brückentechnologie zu einer umweltfreundlicheren Zukunft bilden.

Hierzu wurden in jüngster Zeit allerdings einander widersprechende Analysen vorgelegt. So schrieb im vergangenen Monat eine Forschergruppe in den Environmental Research Letters [4], daß die energetische Nutzung des Schiefergases aus dem Marcellus Shale um 20 bis 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen erzeugt als die Kohleverstromung, solange bei dieser noch keine CCS-Technologie (carbon capture and storage) verwendet werde. Bei dem höchst umstrittenen Konzept der CCS-Technologie wird ein Teil der Kohlendioxidemissionen eines Kohlekraftwerks abgefangen, verflüssigt und gelagert.

Vor einiger Zeit gelangten jedoch Wissenschaftler der Cornell Universität zu der Einschätzung, daß die Produktion von unkonventionellem Erdgas klimaschädlicher als Kohle sein kann. [5] Vor dem Hintergrund dieses Expertenstreits fällt nun auf, daß selbst die US-Regierung vor einiger Zeit eine Neubewertung des Frackings verlangt und vorgenommen hat. [6] Dabei war es nicht darum gegangen, den Gashahn zuzudrehen, aber die Industrie wurde aufgefordert, transparenter zu arbeiten, beispielsweise die beim Aufbrechen des Untergrunds verwendeten potentiell umweltschädigenden Chemikalien zu veröffentlichen, und strengere Umweltauflagen einzuhalten. Die jüngste Entwicklung in der politischen Landschaft der Vereinigten Staaten läßt hingegen wiederum einen gegenteiligen Trend erkennen. Das Weiße Haus scheint gewillt zu sein, dem Druck seitens der republikanischen Mehrheit im Kongreß nachzugeben und der Umweltschutzbehörde EPA Befugnisse zu entziehen. Inwiefern sich das auch auf die heimische Gasförderung auswirkt, wird sich zeigen.

In den USA, Deutschland und anderen Ländern hat sich Widerstand gegen das Fracking breitgemacht, die Protestbewegung gewinnt in der Bevölkerung an Zuspruch. Dennoch: Weder gibt es Signale, daß die Gegner des Frackings in der Mehrheit sind, noch kann damit gerechnet werden, daß die Neubewertung des Fördervolumens des Marcellus Shale durch den Geologischen Dienst der USA Skepsis schüren und den Trend, immer mehr Gebiete in die Förderung einzubeziehen, aufhalten wird.

Der weltweit wachsende Energiebedarf bestimmt die Politik, nicht die Sorge um die Umwelt und Unversehrtheit der Bevölkerung. Die vergleichsweise preiswerte Förderung von fossilen Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und selbst hochwertiger Steinkohle neigt sich dem Ende zu. Uran bietet keine Alternative, weil auch hier die natürlichen Reserven, je nach Einschätzung, 60 bis 100 Jahre reichen, und die Schnelle-Brüter-Technologie hat bislang noch nicht das gebracht, was sich ihre Anhänger davon versprechen.

Deshalb muß man wohl davon ausgehen, daß die Förderung von unkonventionellen Erdgas in den USA und anderen Ländern weiterhin vorangetrieben wird und daß gewisse regulatorische Maßnahmen durch die US-Regierung eher der Beschleunigung denn der Ausbremsung dienen.

Fußnoten:

[1] "Shale gas: controversy and resources", Karel Beckman, European Energy Review, 1. September 2011
http://www.europeanenergyreview.eu/site/pagina.php?id_mailing=199&toegang=84d9ee44e457ddef7f2c4f25dc8fa865&id=3179

[2] "USGS Releases New Assessment of Gas Resources in the Marcellus Shale, Appalachian Basin", USGS Pressemitteilung, 23. August 2011
http://www.usgs.gov/newsroom/article.asp?ID=2893

[3] "Will Natural Gas Fuel America in the 21st Century?", David Hughes, Post-Carbon Institute, 29. Mai 2011
http://www.postcarbon.org/reports/PCI-report-nat-gas-future.pdf (93 MB)

[4] "Life cycle greenhouse gas emissions of Marcellus shale gas", Mohan Jiang et al., 5. August 2011
http://iopscience.iop.org/1748-9326/6/3/034014/fulltext
Environ. Res. Lett. 6 (July-September 2011)
doi:10.1088/1748-9326/6/3/034014

[5] "Natural gas greenhouse emissions study draws fire", Nature online, 15. April 2011, doi:10.1038/news.2011.242
http://www.nature.com/news/2011/110415/full/news.2011.242.html?WT.ec_id=NEWS-20110419

[6] Nähers dazu unter dem Index:sb RESSOURCEN/132: Unkonventionelles Gas - klimaschädlicher als Kohle und Gift fürs Trinkwasser? (SB)

5. September 2011