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RESSOURCEN/099: Biosprit - Ernteprognosen global weit überschätzt (SB)


Erntezahlen weltweit viel zu hoch eingeschätzt

Neue Studie zeigt eklatante Mängel in den Ertragsprognosen für Biospritpflanzen auf


In den letzten Jahren hat die Biospritbranche einen enormen Zuspruch erfahren. In den Vereinigten Staaten schossen die Raffinerien, die Mais in Ethanol umwandeln, wie Pilze aus dem Boden. In Brasilien verschwand und verschwindet noch immer der Amazonas-Regenwald auch deswegen, weil Plantagenbesitzer mit der Ethanolproduktion ein gutes Geschäft machen. In ostasiatischen Ländern werden artenreiche tropische Wälder vom Monokulturanbau der Palmölindustrie verdrängt. Und in Hungerregionen Afrikas ziehen internationale Konzerne auf ausgedehnten landwirtschaftlichen Flächen Pflanzen (Palmen, Zuckerrohr, Jatropha, etc.) für die Biospritherstellung auf.

Das enorme Tempo, das die Biospritbranche in wenigen Jahren global vorgelegt hat, und die Begeisterung über den Boom flaute zwar 2008 wieder etwas ab, nachdem zunächst die Weltmarktpreise für Getreide und Lebensmittel in die Höhe geschnellt waren, viele Millionen Menschen ihre tägliche Nahrungsmenge reduzieren mußten und Hunger litten und in mehreren Dutzend Staaten deswegen Unruhen ausbrachen, aber der Rückgang der Preise für Biosprit in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 erreicht nicht den Stand vor dem Preisanstieg.

Gegenwärtig befindet sich die Biotechbranche in einer Konsolidierungsphase. Sie kann sich darauf verlassen, daß Biodiesel und Ethanol als Alternative zu Erdöl für Treibstoff etabliert sind, Unsicherheit besteht aber noch darin, wie weit sich die Regierungen künftig auf die Alternative zu Erdöl einlassen werden. Gegenwärtig sacken die Weltmarktpreise für Erdöl und Biosprit ab, es besteht Unsicherheit darüber, wie weit die Entwicklung geht und ob der Trend später einmal wieder in die andere Richtung weist. Dennoch, die Aussichten der Branche sind im Grunde hervorragend, zumal sich der neue US-Präsident Barack Obama sowohl für mehr Umwelt- und Klimaschutz als auch für die Verwendung von Biosprit einsetzt.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wurde kürzlich eine neue Studie veröffentlicht, derzufolge die globalen Erwartungen an die landwirtschaftlichen Erträge, die zu Biosprit verarbeitet werden sollen, bislang viel zu hoch angesetzt wurden. Die prognostizierten Erntemengen lägen meist um 100 Prozent oder mehr, bei Weizen und Erdnüssen sogar um rund 150 Prozent über dem von ihnen berechneten, sehr viel genaueren Wert, schrieben unter anderem Matt Johnston und Tracey Holloway vom Center for Sustainability and the Global Environment (SAGE) der Universität von Wisconsin in Madison am 13. Januar in den Environment Research Letters. [1]

Die Forscher hinterfragen nicht den Nutzen von Ethanol und Biodiesel als Treibstoff. Sie haben nicht das Anliegen, vor den verheerenden Folgen des Biospritbooms für den ärmeren Teil der Weltbevölkerung zu warnen. Vielmehr möchten sie Politik und Wirtschaft eine zuverlässigere Datengrundlage "als Ausgangspunkt" für Berechnungen anbieten. Die Forscher berichten, daß in früheren Ertragsprognosen für die Biospritmenge teilweise nur ein einziges Land oder gar eine einzige Plantage als Berechnungsgrundlage dienten. Die daraus hergeleiteten Ertragsaussichten seien dann in der Regel zu hoch ausgefallen. In der neuen Studie hingegen wurden präzise Daten aus 238 Ländern für 20 typische Biospritpflanzen gewonnen. [2]

Ein zentrales Element der Datenbasis - M3 cropland datasets genannt - ist die Einteilung der globalen landwirtschaftlichen Fläche in ein Raster aus etwa zehn mal zehn Kilometer großen Quadraten, in die Zahlen zu real erwirtschafteten Erntemengen aus rund 22.000 verschiedenen Erhebungen, die um das Jahr 2000 herum weltweit durchgeführt wurden, Eingang fanden und für die nun jeweils nach einem spezifischen Berechnungsschlüssel zu erwartende Ernteprognosen abgegeben werden. Dabei flossen auch häufig vernachlässigte Faktoren ein, wie zum Beispiel die politischen Verhältnisse in einem Anbaugebiet, oder ob eine Region über eine ausreichende Infrastruktur verfügt oder nicht. [3]

Die M3-Datenbank für landwirtschaftliche Erzeugnisse schließt nach Angaben der Forscher Lücken in den weltweiten landwirtschaftlichen Produktionszahlen und auch in den Datensätzen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen.

In ihren Schlußbemerkungen schreiben die Forscher, ihre Analyse zeige, daß bestehende, allgemein akzeptierte Biospritprognosen "hochgradig unrealistisch" sind. Selbst bei einer "optimistischen Einschätzung" sei es schwer vorstellbar, wie "solche Erntemengen im großen Maßstab in naher Zukunft" erzielt werden könnten. Die Forscher leugnen nicht, daß regional nach entsprechenden Investitionen die Erntemengen von Pflanzen für Biosprit erheblich steigerbar sind. Aber wegen der Fülle an Faktoren und regionalen Besonderheiten ließen sich die Ergebnisse nicht verallgemeinern. Die Studienautoren befassen sich allein mit den prognostizierten Erntemengen für Biosprit. Dennoch gehen die Schlußbemerkungen darüber hinaus:

"Zu verstehen, wo, wie und für welche Nutzpflanzen Ernten global verbessert werden können, wird alle Aspekte der landwirtschaftlichen Produktion betreffen. Jedoch wird dies von besonderer Bedeutung für die Biospritindustrie sein, die einem wachsendem Druck ausgesetzt ist, damit die Umwandlung von frischer landwirtschaftlicher Fläche für die Biospriterzeugung verlangsamt wird."

Mit ihrer Methode wollen die Forscher eine solide Datengrundlage für künftige Berechnungen zur Biospritproduktion bereitstellen. Tatsächlich verweist die Studie jedoch auf eine fundamentale Unzulänglichkeit in den landwirtschaftlichen Produktionszahlen. Da die meisten der 20 berücksichtigten Biospritpflanzen auch für den menschlichen Verzehr geeignet sind, sagt die Studie generell etwas über die offenbar geringe Verläßlichkeit von Agrarproduktionszahlen aus. Könnte es sein, daß selbst die global verfügbare Nahrungsmenge um 150 Prozent überschätzt wurde, wie anscheinend beim Weizen geschehen? Falls das zutrifft, stellt sich die Frage, wie nahe die Menschheit am Kollaps der Nahrungsversorgung steht. Müßten die Analysten in den Regierungen nicht die ersten sein, die solche Berechnungen aufstellen, und was wird unternommen, um dieses nicht zu leugnende menschheitsbedrohende Problem der Nahrung in Angriff zu nehmen? Da diese Fragen kaum mit der, gemessen an der Brisanz der existentiellen Bedrohung, nötigen Breite diskutiert wird, muß man annehmen, daß sie totgeschwiegen werden sollen.

Tatsächlich sterben nach UN-Angaben jedes Jahr weltweit mehrere Dutzend Millionen Menschen, und offiziell haben 962 Millionen Menschen nicht genügend zu essen. Sollte es nicht das erste Anliegen aller Menschen und Regierungen sein, den Mangel zu beheben, anstatt ihn zulasten derjenigen, die sich nicht wehren können, zu organisieren? In diesem Kontext wird häufig die Behauptung aufgestellt, daß es genügend Nahrung für alle Menschen gibt, nur daß sie ungerecht verteilt sei. Und auch, daß bei einer Entwicklung weg vom Fleischverzehr hin zu rein pflanzlicher Nahrung eine größere Zahl an Menschen ernährt werden könnte. Kurzum, das Problem wäre zu lösen, allein es mangele am politischen Willen.

Das soll beruhigen. Denn so unabweislich die vorherrschenden Verhältnisse auch erscheinen mögen, gegenüber der Vorstellung, daß womöglich gar nicht genügend Nahrung für alle Menschen produziert wird und vielleicht generell Fehleinschätzungen zur tatsächlich verfügbaren Nahrung von 100 bis 150 Prozent gemacht wurden, wirkt die Einflußnahme auf die Politik machbarer als eine dauerhafte Lösung des globalen Nahrungsproblems.


*


Anmerkungen:

[1]
Matt Johnston, Jonathan A. Foley, Tracy Holloway, Chris Kucharik, Chad Monfreda: "Resetting Global Expectations from Agricultural Biofuels", Environment Research Letters 4, Januar bis März 2009, 014004, doi:10.1088/1748-9328/4/1/014004.

[2]
Für Biodiesel: Baumwolle, Erdnuß, Kokosnuß, Ölpalme, Raps, Rizinus, Senf, Sesam, Soja, Sonnenblume.
Für Ethanol: Gerste, Hirse, Kartoffel, Kassawa, Mais, Reis, Süßkartoffel, Weizen, Zuckerrohr, Zuckerrübe.

[3]
Wie wichtig Verkehrswege und vor allem Hafenanlagen mit ausreichender Verladekapazität sind, um landwirtschaftliche Erzeugnisse im großen Stil ausführen zu können, wird an Verträgen deutlich, die internationale Konzerne in letzter mit Entwicklungsländern abgeschlossen haben. Ein klassisches Beispiel ist der Vertrag zwischen dem südkoreanischen Konzern Daewoo Logistics und der Regierung Madagaskars (Siehe POLITIK/REDAKTION, AFRIKA/1765). Als Gegenleistung für die auf 99 Jahre angelegte Verpachtung von 1,3 Mio. Hektar Ackerland für den Anbau von Mais und Palmen bekommt die Insel vor allem Verkehrswege und einen neuen Hafen gebaut. Es ist äußerst fraglich, ob Daewoo überhaupt in der Lage wäre, ohne die Bereitstellung solcher Infrastrukturmaßnahmen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse in der vorgesehenen Menge außer Landes zu bringen. Die "Gegenleistung" wäre somit eine Investition, die sowieso angestanden hat. Des weiteren ist zu fragen, ob die Verkehrswege und Hafenanlagen nicht geographisch so abseits liegen, daß sie anderweitig kaum genutzt werden. Ähnliche Fragen stellen sich auch hinsichtlich der jüngsten Vereinbarung zwischen Kenia und dem Emirat Qatar (Siehe POLITIK/REDAKTION, AFRIKA/1783).

20. Januar 2009