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KLIMA/765: Zukunftsschadenssteigerungen ... (SB)


"Die Ökosysteme am Tiefseeboden mit ihren an die extremen Lebensbedingungen angepassten Arten sind sehr empfindlich. Eingriffe sind kaum reversibel, die Folgen, z. B. beim Abbau der Manganknollen, wären noch nach vielen Tausend Jahren zu beobachten. Das Wissen über die Ökologie der Tiefsee ist äußerst begrenzt. Die Lebensräume mit ihren Artengemeinschaften sind oftmals einzigartig. Bergbauliche Vorhaben könnten die seltenen Arten und Habitate unwiederbringlich zerstören."
(Umweltbundesamt, 18. August 2021)


Bislang wird auf rund 62 Prozent der Erdoberfläche kein Abbau von Rohstoffen betrieben, obschon dort aus Sicht der Industrie attraktive Lagerstätten existieren. Nicht etwa der Klima- und Naturschutzgedanke steckt hinter dieser ungewöhnlichen Zurückhaltung, sondern schlicht die mangelnde Technologie und Wirtschaftlichkeit sowie der bislang fehlende rechtliche Rahmen. Denn jene Fläche ist von mindestens einem Kilometer Wasser bedeckt und gilt nach dem Seerechtsübereinkommen (SRÜ) größtenteils als "gemeinsames Erbe der Menschheit". Lediglich an sehr wenigen Orten der Erde wird am Tiefseeboden nach Erdöl gebohrt, regelrechten Bergbau findet man hingegen nur in küstennahen, flachen Meeresgebieten.

Zwar bleibt der Tiefseeboden von menschlichen Aktivitäten nicht unberührt - selbst am tiefsten Punkt der Ozeane, dem Marianengraben, hat sich Plastikmüll eingefunden -, doch gilt der Meeresboden sowie die Wassersäule darüber als wenig erschlossen. Daran wird sich so schnell nichts ändern, auch wenn in den letzten Jahren mit Nachdruck das Relief der Ozeanböden ausgemessen wird und inzwischen über 20 Prozent von ihnen kartiert sind. Weniger als ein Prozent dagegen gilt als erforscht. Immer wieder werden neue Arten im, auf dem und oberhalb des Tiefseebodens entdeckt.

Obschon die Tiefseeböden hinsichtlich der dort lebenden Fauna wie weiße Flecken auf der Weltkarte sind, rücken die submarinen Rohstoffe mehr und mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit von Politik und Wirtschaft. Bergbau in der Tiefsee wäre sogar umweltfreundlicher als an Land, wird von interessierten Kreisen behauptet. Ein Narrativ, das sich an die Öffentlichkeit, Politik und nicht zuletzt potentielle Investoren für den anspruchsvollen Tiefseebergbau richtet, aber sowohl den vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Empfindlichkeit des Lebens in der lichtlosen Tiefsee Hohn spricht als auch dem von der Forschung wiederholt bemängelten Erkenntnisstand zu den ökosystemaren Verhältnissen. Man weiß noch viel zu wenig über das Tiefseeleben; mit schwerwiegenden Schäden an der Meeresumwelt ist auf jeden Fall zu rechnen, sollten die "Schätze" am Meeresgrund gehoben werden.


Im Vordergrund zwei Farreid-Glasschwämme, weiter hinten verschiedene Korallen und weitere Schwämme auf einer Mangankruste des 'Ridge'-Seamounts - Foto: NOAA Office of Ocean Exploration and Research, 2017 Laulima O Ka Moana

Artenvielfalt am Tiefseeboden
Tauchboot Deep Discoverer, 25. Juli 2017
Foto: NOAA Office of Ocean Exploration and Research, 2017 Laulima O Ka Moana

Rohstoffhunger und Elektronendurst - unersättliche E-Autos

Ausgerechnet die in diesem Jahr angelaufene UN-Dekade für Ozeanforschung (2021-2030) könnte den entscheidenden Durchbruch für Tiefseebergbau bringen. Als Bestandteil der von Deutschland und der Europäischen Union vorangetriebenen Wachstumsinitiative "Blue Growth", des "Blauen Wachstums" zur Stärkung der maritimen Wirtschaft, soll Meeresbodenbergbau wichtige Rohstoffe für die Elektromobilität liefern. Diese wiederum wird von der Politik als wesentliches Element des Grünen Wachstums gepriesen, mit dem angeblich die globale Erwärmung ausgebremst werden kann. Zwar werden bei der Herstellung von Elektroautos wesentlich mehr Treibhausgase emittiert als bei der von Autos mit Verbrennungsmotoren, aber das wird bei der Förderung der Elektromobilität gerne vernachlässigt. Und weil elektrisch angetriebene Fahrzeuge ihren Strom aus der Steckdose beziehen, gelten sie als sauber, ganz egal, ob jener Strom durch das Verbrennen von fossilen Energieträgern in Kohle- oder Gaskraftwerken generiert wurde oder nicht. Mit E-Autos können die EU-Mitgliedsländer ihre CO₂-Bilanz zur Einhaltung der Flottengrenzwerte schönrechnen.

Vor kurzem hat die Bundesregierung angekündigt, die Elektromobilität bis 2025 mit einer Milliarde Euro zu fördern. Das Geld ist die jüngste in einer Reihe von üppigen Finanzspritzen, mit der die deutsche Autoindustrie subventioniert wird. In diesem Fall werden die mittelständischen Zulieferbetriebe, die in den Aufbau der Batterie- und Ladeinfrastruktur für Elektroautos involviert sind, unterstützt.

Für den Umstieg auf Elektromobilität werden enorme Mengen an Rohstoffen gebraucht, bei einzelnen Mineralen bedeutete dies eine Steigerung um mehrere hundert Prozent innerhalb der nächsten ein, zwei Jahrzehnte. Dabei wird der Wechsel von Verbrennungs- auf Elektromotoren zumindest in den ersten Jahren auf keinen simplen Umstieg, sondern den Aufbau eines weiteren, parallel betriebenen Industriezweigs hinauslaufen. Versinnbildlicht wird dies durch die notwendige doppelte Infrastruktur mit dem vorhandenen Netz an Tankstellen für die Verbrenner und dem im Aufbau begriffenen, engermaschigen Netz von öffentlichen und privaten Ladestationen für E-Autos.

"Unser Ziel ist: Laden, immer und überall."
Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur Andreas Scheuer
(Pressemitteilung vom 18.08.2021)

Mit der Elektromobilität wächst der primäre Energiebedarf, und der wird in Deutschland nach wie vor hauptsächlich durch fossile Energien gedeckt. Die erneuerbaren Energien haben zwar laut Umweltbundesamt im vergangenen Jahr einen Anteil von 45,5 Prozent am Bruttostromverbrauch erlangt, aber auf den Bruttoenergieverbrauch (Strom, Wärme, Kraftstoffe, Umwandlungs- und Übertragungsverluste) bezogen nur von 19,6 Prozent. Durch den aus Gründen des Klimaschutzes subventionierten "Umstieg" werden also zunächst mehr Treibhausgase emittiert. Erst nach mehreren Betriebsjahren kann sich bei Elektroautos rechnerisch ein Einspareffekt an CO₂ im Vergleich zu Verbrennern einstellen. Darauf wird weiter hinten noch zurückzukommen sein.

Die Verfügbarkeit von Rohstoffen wird von der Bundesregierung als ein Problem angesehen, um das sie sich unbedingt kümmern muss. Denn unter Obertiteln wie Klimaschutz und Industrie 4.0 soll nicht nur die Automobilbranche, sondern die gesamte Wirtschaft umgebaut und die gesamte Gesellschaft digitalisiert werden. Das erfordert einen vermehrten Zustrom an Kobalt, Kupfer, Seltenen Erden und vielen weiteren Rohstoffen, von denen einige aus der Tiefsee geholt werden könnten. Beispielsweise kommt auch der seit 2019 im Aufbau befindliche 5G-Funkstandard nicht ohne spezielle Rohstoffe aus, wie aus der vor kurzem veröffentlichten Auftragsstudie "Rohstoffe für Zukunftstechnologien 2021" der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) hervorgeht.

Die Versorgungslage mit wirtschaftsstrategischen Rohstoffen gilt als potentiell unsicher, wenn ein Land wie China quasi ein Monopol auf Seltene Erden hat oder die Mehrheit des Kobaltbedarfs aus Konfliktgebieten der Demokratischen Republik Kongo gedeckt wird (und wiederum China der größte Raffinadeproduzent ist). Zumal nicht nur Deutschland in Zukunft ein Mehrfaches an spezifischen Rohstoffen braucht, auch andere Industrie- und Schwellenländer prognostizieren einen beträchtlichen Mehrbedarf bis Ende des Jahrzehnts und darüber hinaus. Die weniger wohlhabenden Länder wollen und sollen ebenfalls nicht von dem "Fortschritt" abgekoppelt bleiben.

Die terrestrischen Kobaltressourcen werden mit 25 Mio. Tonnen angegeben, die untermeerischen Manganvorkommen bergen nach Einschätzung der DERA etwa 120 Mio. Tonnen. Auch wenn es Bestrebungen gibt, Kobalt in Akkus für die Elektromobilität zu ersetzen, gilt dieser Rohstoff als typisches Beispiel für die zunehmende Attraktivität von Tiefseebergbau. Kobalt wird für Kathoden in Lithiumzellen verwendet und ist dabei der teuerste unter den Batterierohstoffen, heißt es in einem Themenheft des Helmholtz-Zentrums Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ vom Dezember 2018. Die Deckung von Kobaltbedarfen jenseits von angenommenen 250.000 t im Jahr 2026 sei durch den Abbau von landgebundenen Lagerstätten vermutlich "kaum realisierbar", daher könnte "Kobalt aus marinen Lagerstätten zukünftig zu einer Steigerung des Primärangebots beitragen".


Von der Windmühle (1700) bis zum Windrad (2000) hat sich die Anzahl der notwendigen Rohstoffe vervielfacht - Grafik: Creative Commons (CC BY 4.0) - petraboeckmann.de

Meeresatlas 2017
Grafik: Creative Commons (CC BY 4.0) https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de - petraboeckmann.de

Minenfeld Mining Code

Bevor Bergbau am Tiefseeboden betrieben werden kann, müssen viele Hindernisse bewältigt werden. Einige von ihnen wurden in den letzten Jahren beiseitegeräumt. Zuletzt hat der pazifische Inselstaat Nauru (Bevölkerungszahl knapp 12.000) für einen Schub gesorgt, indem er bei der Internationalen Meeresbodenbehörde (IMB) einen "Trigger-Mechanismus" ausgelöst und die "Zwei-Jahres-Regelung" aus Artikel 15 in Anspruch genommen hat. Bildhaft gesprochen, hat das Land den Hahn des Revolvers gespannt, mit dem die IMB vom 30. Juni 2021 an gerechnet innerhalb von zwei Jahren den Startschuss für Bergbau am Tiefseeboden geben und den "Mining Code" beschließen muss.

Mit dem Trigger, der IMB und der Rolle eines wirtschaftlich winzigen Staats wie Nauru hat es folgende Bewandtnis: Laut dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) verwaltet die IMB das "gemeinsame Erbe der Menschheit", "das Gebiet" oder im Englischen auch "The Area" genannt. Das ist jener Meeresboden, der nicht der nationalen Jurisdiktion unterliegt, also außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen der Nationen liegt. Die Frage, welche Regeln die 1994 gegründete IMB aufstellt, hat Bedeutung für rund 54 Prozent der Erdoberfläche (eigene Angaben), laut dem von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebenen "Meeresatlas" nur noch 43 Prozent, nachdem einigen Staaten eine Erweiterung ihres Kontinentalsockels zuerkannt worden war.

Falls in zwei Jahren kein Mining Code beschlossen wurde, darf Nauru - vorausgesetzt der 36-köpfige IMB-Rat (Council) erteilt grünes Licht und Nauru erhält Schürfrechte - nach den bis dahin als Entwurf vorliegenden Regeln ("Plan of Work") mit dem Meeresbodenbergbau beginnen. Die Lizenz zur Erkundung hat das Land bereits. Sie umfasst eine Laufzeit von 15 Jahren mit der Möglichkeit zur zweimaligen Verlängerung um fünf Jahre. Die Extraktionslizenz würde eine Laufzeit von 30 Jahren haben.

Bereits vor acht Jahren erweckte Michael Lodge, damals Legal Counsel, heute Geschäftsführer der IMB, auf einer Fachtagung in Kiel den Eindruck, der Mining Code könne bald abgeschlossen werden. Damals klang das wie Zweckoptimismus, heute wäre die Erwartung schon besser begründet. Allerdings bestehen nach wie vor hohe Hürden, vor allem hinsichtlich der fast schon sozialistisch anmutenden Idee, dass laut dem Seerechtsübereinkommen die gesamte Menschheit von den Einnahmen aus dem Meeresbodenbergbau profitieren soll.

Wie aber sollen Staaten berücksichtigt werden, die selber keinen Meeresbodenbergbau betreiben wollen oder können? Zu dieser Frage gehen die Ideen weit auseinander. Die IMB hat den Vorschlag eingebracht, dass zwischen vier und sechs Prozent der Einnahmen aus dem Erzabbau abgezogen werden, um die Gelder unter den Mitgliedstaaten der IMB zu verteilen. Dabei sollten ärmere Länder und Binnenstaaten besonders berücksichtigt werden. Unklar ist jedoch ebenfalls, inwiefern ärmere Staaten, deren Einnahmen zu einem großen Teil auf terrestrischem Bergbau beruhen, für ihre möglichen Verluste aufgrund der neuen Konkurrenz in Zukunft entschädigt werden. Die Gruppe der afrikanischen Staaten bei der IMB hat dementsprechende Bedenken vorgebracht.

Unter welchem Modus auch immer in Zukunft Tiefseebergbau betrieben wird, die Gefahr, dass einige Staaten und vor allem die wenigen hinter ihnen stehenden Unternehmen in besonderer Weise davon profitieren und dass das "Gemeinsame" am "gemeinsamen Erbe der Menschheit" ein unerfülltes Versprechen bleibt, ist allein schon deshalb groß, weil der gesamtgesellschaftliche Rahmen mit seiner auf Profitmaximierung und Wachstum orientierten Wirtschaftsordnung keine Alternativen duldet.


Beim Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Michael Lodge - Wegbereiter des Tiefseebergbaus
Foto: © 2013 by Schattenblick

Tiefseebergbau - Kapitalisierung des gemeinsamen Erbes der Menschheit

Wie auch immer, es geht um nicht weniger als darum, das Erbe der Menschheit zu verteilen - allen Beteuerungen zum Trotz, dass nicht nur entwickelte und weniger entwickelte Länder, sondern sogar künftige Generationen berücksichtigt werden sollen. Wie speziell das Ziel zu erfüllen ist, bleibt bis heute offen. Luise von Pogrell vom Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS) in Potsdam erinnert in einem Beitrag vom Januar 2021 an den typischen Konflikt zwischen Gesellschaft und einzelnen Unternehmen, wie er von der Klimaschutzbewegung unter den Stichworten "Externalisierung der Umweltschäden" und "Generationengerechtigkeit" diskutiert ist. Die IMB könne das Erbe nicht durch das bestehende "mitgliedstaatliche Repräsentationsformat" verteilen, schreibt sie. Denn die potentiell Begünstigten beschränkten sich auf eine Handvoll Staaten und private Einrichtungen. Damit würde die Entscheidungsfindung der IMB vor allem von geopolitischen Interessen beeinflusst. Das Streben "nach einem kollektiven Best-Case-Ergebnis" sei bedroht. Wohingegen die Umweltkosten von der gesamten Menschheit getragen werden müssten.

Gemäß des Internationalen Seerechtsübereinkommens sollen Entwicklungs- und entwickelte Länder den gleichen Zugang zum gemeinsamen Erbe der Menschheit haben, nicht aber die Industrie. Unternehmen erhalten keine Lizenzen. An dieser Stelle kommt Nauru ins Spiel. Es hat in der Clarion-Clipperton-Zone, dem rund sechs Millionen Quadratkilometer großen "Manganknollengürtel" im östlichen Pazifik, der sich in mehreren tausend Metern Tiefe zwischen Kalifornien und Hawaii erstreckt, von der IMB ein Lizenzgebiet zur Erforschung der dort am Meeresboden liegenden Manganknollen zugesprochen bekommen.

Einschätzungen zufolge liegen in der Clarion-Clipperton-Zone zwischen 21 und 30 Milliarden Tonnen Manganknollen. Zur Erkundung und späteren Ausbeutung ist es Nauru gestattet, die Industrie mit ins Boot zu holen. Daher hat sich das Land mit dem kanadischen Bergbaukonzern The Metal Company (TMC), vormals GreenDeep, zusammengeschlossen und bildet für diesen den "sponsoring state". Auch Deutschland zählt zu den zwei bis drei Dutzend Staaten, die dort oder in anderen Ozeanen Explorationsgebiete erhalten haben. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) führt die Erkundung durch, zu der ebenfalls Untersuchungen der Umweltverträglichkeit zukünftigen Tiefseebergbaus gehören.


Stehend, beim Vortrag, mit Manganknolle in der rechten und Mikrophon in der linken Hand - Foto: © 2019 by Schattenblick

Dr. Carsten Rühlemann, Arbeitsbereichsleiter Marine Geologie und Tiefseebergbau bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, erforscht in der Clarion-Clipperton-Zone die Abdrift von Sedimentwolken.
(Welttag der Ozeane, Berlin, 7. Juni 2019)
Foto: © 2019 by Schattenblick

Goldrausch der Tiefe

Bislang wurden drei Arten von Lagerstätten von Rohstoffen in der Tiefsee ausgemacht. Diese weisen teils deutlich höhere Gehalte an Kupfer, Nickel, Kobalt und Zink auf als die terrestrischen Lagerstätten.

Erstens Manganknollen, auch polymetallische Knollen genannt. Sie enthalten bis zu 27 Prozent Mangan, rund 15 Prozent Eisenoxide sowie jeweils 1 - 2 Prozent Kupfer, Kobalt und Nickel und in noch geringeren Mengen Molybdän und Seltene Erden. Die kartoffel- bis blumenkohlgroßen Knollen liegen vor allem auf den weiten, kaum geneigten Ebenen der Ozeanböden in Wassertiefen zwischen 3.000 und 6.500 Metern, teilweise dicht an dicht, und sind von keiner Sedimentschicht überdeckt. Auch auf untermeerischen Bergrücken wurden bereits Manganknollen entdeckt.

Bei den Manganknollen handelt es sich um Ausfällungsprodukte. Die unter anderem von den kalkhaltigen Einkapselungen mariner Kleinstlebewesen ausgefällten Substanzen lagern sich an Sandkörnern, Kalkschalen oder Haifischzähnen auf dem Meeresgrund an. Dabei wachsen die Knollen in einer Million Jahre um lediglich zwei bis zehn Millimeter.

Zweitens Kobaltkrusten (auch Mangankrusten oder Tiefseekrusten genannt), die sich in 1000 bis 2500 Meter Meerestiefe an den Flanken submariner Höhenzüge, den Seamounts, befinden. Diese Krusten entstehen wie die Manganknollen über Millionen von Jahren und stammen aus dem kalkhaltigen Schutzschild von Algen, die in 100 Metern Meerestiefe leben. Sterben die Organismen ab, sinken die Kalkhüllen langsam zum Ozeanboden. Auf dem Weg dahin tritt ihre chemische Umwandlung ein, mit der Bildung von Mangan, Eisen sowie einer ganzen Reihe an Spurenmetallen (Kobalt, Kupfer, Nickel, Platin). Die lange Entstehungszeit dieser Krusten zeigt, dass ein Tiefseebergbau wie terrestrischer Bergbau dauerhafte Lücken in die Umwelt reißen würde.

Drittens Massivsulfide, entstanden in Folge vulkanischer Aktivitäten beispielsweise von sogenannten hydrothermalen Schloten, je nach Erscheinungsform Schwarze Raucher oder Weiße Raucher genannt. Die Ablagerungen liegen in 500 bis 5.000 Meter Tiefe und enthalten Elemente wie Schwefel, Zink, Gold, Kupfer, Blei und Eisen sowie Indium, Germanium, Wismut, Selen und die Gruppe der Seltenen Erden.

Die Entstehung der mineralienhaltigen Rauchsäulen wird damit erklärt, dass Meerwasser aufgrund des hohen Drucks, der in der Tiefsee herrscht, durch Poren, Klüfte und Risse in den Meeresboden gedrückt wird, dort auf heißes Gestein trifft, sich erhitzt, aus der Umgebung Mineralien chemisch löst und wieder aufsteigt. Typischerweise sind viele Schwarze Raucher in der Nähe tektonischer Spreizungszonen angesiedelt, wenngleich nicht darauf beschränkt. Das sind Gebiete, in denen Bruchstücke der Erdkruste auseinandertreiben, wobei die Lücken laufend mit Magma aufgefüllt werden, beispielsweise am mittelatlantischen Rücken.

Vor zehn Jahren hatte Papua-Neuguinea dem Unternehmen Nautilus Minerals gestattet, in 1500 Meter Meerestiefe der Bismarcksee solche rohstoffreichen, erloschenen hydrothermalen Schlote abzubaggern. Die IMB hatte keine Befugnis über das Projekt "Solwara 1", da das potentielle Abbaugebiet innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone Papua-Neuguineas lag. Jener Deal zwischen der Regierung des Inselstaats und dem kanadischen Bergbaukonzern wurde von der Zivilbevölkerung stark bekämpft, und später hat auch die Nachfolgeregierung der papua-neuguineischen Vertragspartei gegen das Abkommen opponiert. Nautilus Minerals musste im Februar 2019 Konkurs anmelden, ohne dass es je Tiefseebergbau betrieben hätte. Das Unternehmen hat laut Bloomberg (24.06.2021) Verluste in Höhe von 686 Mio. Dollar erwirtschaftet, für Papua-Neuguinea belaufen sie sich auf 120 Mio. Dollar.


Von Muscheln besetzte, teils rostig wirkende, unregelmäßig geformte Schlote - Foto: MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen (CC-BY 4.0) https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de

Lebensgemeinschaft an einer Hydrothermalquelle in der Bismarcksee in 1.640 Meter Wassertiefe
Foto: MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen (CC-BY 4.0) https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de

Schlag ins Wasser - Mit einer Briefkastenfirma gegen den Klimawandel

Auch wenn es rechtlich zwei ganz verschiedene Vorgänge sind, ob Tiefseebergbau in papua-neuguineischen Gewässern oder in der Area betrieben werden soll, sind die daran beteiligten Unternehmen und Personen die gleichen. Ein kurzer Einblick, der die Verflechtungen verdeutlicht: Die Lizenz, die Nauru 2008 von der IMB für die Area zugesprochen bekam, wurde dem von Nauru gegründeten Unternehmen NORI zugewiesen. Das wurde von dem Australier David Heydon geleitet. Heydon war ab 2002 Chef von Nautilus Minerals (und jahrelang dessen einziger Mitarbeiter), das zu der Zeit eben nicht Lizenzen in der Area, sondern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen pazifischer Inselstaaten ins Visier genommen hatte.

2008 verließ Heydon Nautilus Minerals, das im selben Jahr NORI kaufte, und gründete drei Jahre darauf DeepGreen, das wiederum im selben Jahr NORI übernahm. Um das kapitalintensive Vorhaben des Tiefseebergbaus zu finanzieren, schloss sich im März dieses Jahres DeepGreen, das inzwischen von Haydons Freund Gerard Barron geleitet wird, mit der "Briefkastenfirma" Sustainable Opportunities Acquisition Corp (SOAC) zu TMC (The Metals Company Inc.) zusammen. Mit an Bord: David Heydons Sohn Robert, der auch schon bei NORI und Nautilus Minerals mit seinem Vater zusammengearbeitet hat.

The Metals Company wird mit 2,9 Milliarden Dollar bewertet. Hinter dem Unternehmen stehen schwergewichtige strategische Investoren wie die Reederei Maersk Supply Service A/S, der Rohstoffhandelskonzern Glencore und Allseas (Pipelinebau und Offshore-Dienstleistungen). Laut "BusinessWire" (04.03.2021) hat Barron den Zusammenschluss mit den Worten kommentiert: "Wir freuen uns über die Zusammenarbeit mit SOAC, einem ESG-orientierten Team, das auch vor schwierigen Problemen nicht zurückschreckt." Eine saubere Energiewende sei nicht möglich, ohne dem Planeten "Milliarden von Tonnen Metall zu entziehen", behauptet der umtriebige Australier. Der Abbau von Manganknollen würde die Umweltbelastung "drastisch" verringern. Man engagiere sich "für die Gesundheit der Meere".

ESG ist das Akronym für Environment, Social, Governance und bedeutet, dass ein Unternehmen mit ethischen Kriterien auf den Gebieten Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung für sich wirbt. Die SOAC zählt zu einer neuen Gruppe von börsennotierten Unternehmen, die sich wachsender Beliebtheit erfreut, den SPAC (Special Purpose Acquisition Companies). Diese werden "ausschließlich mit dem Ziel gegründet (...), durch einen Börsengang Geld zu sammeln und dieses Geld dann zum Erwerb und zur Fusion mit einem privaten Unternehmen zu verwenden", heißt es in einer Werbemitteilung des Online-Trading-Unternehmens IG. Die SPAC haben in der Regel keine eigenen Betriebe, sondern sammeln Gelder ein. "Ihre einzige Aufgabe besteht sozusagen darin, ein privates Unternehmen mit starken Wachstumsaussichten zu finden und dieses Unternehmen durch eine sogenannte Rückübernahme an die Börse zu bringen."

Anscheinend hat SOAC seine Vorstellung von ethischen Kriterien recht weit ausgelegt. Jedenfalls wandten sich Deep Sea Mining Campaign, Greenpeace und Global Witness am 1. Juni 2021 an die US-amerikanische Börsenaufsicht (U.S. Securities and Exchange Commission) und forderten sie auf, den Zusammenschluss von DeepGreen und SOAC zu TMC zu prüfen. Moniert wird eine unzureichende Darstellung der potentiell katastrophalen Umweltrisiken von Meeresbodenbergbau.

"Viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen, und sie versuchen nur, einige negative Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren. Viele Symptome zeigen aber an, dass diese Wirkungen jedes Mal schlimmer sein können, wenn wir mit den gegenwärtigen Produktionsmodellen und Konsumgewohnheiten fortfahren."
("Laudato si - Über die Sorge für das gemeinsame Haus", Papst Franziskus, 24. Mai 2015)

An anderer Stelle wird von Nichtregierungsorganisationen kritisiert, dass der Einfluss der Industrie auf die IMB generell viel zu groß ist. Die Verteilung des gemeinsamen Erbes der Menschheit dürfe man nicht der Wirtschaft überlassen. Die Bedenken wurden im Februar 2019 vollauf bestätigt, als bei der jährlichen Generalversammlung der IMB der offizielle Sitz Naurus nicht von einem Vertreter des Staates, sondern von dem Entrepeneur Gerard Barron eingenommen wurde und dieser dort für Tiefseebergbau werben durfte.

Nauru kommt nach wie vor die Rolle des Sponsorstaats zu, übt jedoch so gut wie keine Kontrolle über die Vorgänge in der "eigenen" Firma NORI aus. Wer einst wen ins Boot geholt hat, spielt inzwischen keine Rolle mehr. NORI ist zu 100 Prozent eine Tochter von TMC. Das Unternehmen darf die Lizenz veräußern, ohne Nauru vorher zu fragen oder Erklärungen abgeben zu müssen, berichtete Bloomberg. Fernerhin ist es Nauru untersagt, NORI zu verstaatlichen oder seine Vermögenswerte zu enteignen; der Transfer der NORI-Einnahmen ins Ausland ist zu garantieren.

TMC arbeitet mit drei südpazifischen Inselstaaten als "sponsoring states" zusammen, neben Nauru sind das Tonga und Kiribati. Damit hat das Unternehmen Zugang zu einem Lizenzgebiet von 224.000 Quadratkilometern Größe. Das ist die rund 14-fache Fläche Schleswig-Holsteins.

Eine effektive Kontrolle zukünftiger Bergbauaktivitäten am Meeresgrund wird weder Nauru noch einem anderen kleineren Staat möglich sein. Auch die IMB hat viel zu wenig Personal, um die ökologischen Folgen des Tiefseebergbaus jemals angemessen überprüfen zu können. Somit besteht die Gefahr, dass die Konzerne letzten Endes doch schalten und walten können, wie sie wollen. Außerdem bleibt nach wie vor ungeklärt, wer die Kosten tragen wird, sollten jemals Umweltschäden eintreten. Würde Nauru in die Pflicht genommen werden und Entschädigungen leisten müssen, wirkte sich das empfindlich auf den Staatshaushalt aus, auch wenn der Inselstaat gegenwärtig einen relativ hohen Staatsüberschuss vorweisen kann.

Gemeint sind selbstverständlich die unerwarteten Umweltschäden, die über jene mit Gewissheit eintretenden Schäden an der Meeresumwelt hinausgehen, die in Zukunft vom Mining Code gestattet werden. Denn die IMB und der Mining Code wurden geschaffen, um Tiefseebergbau zu ermöglichen, nicht aber um ihn zu verhindern. Es gibt nur eine einzige Lösung, um dauerhafte Schäden durch Tiefseebergbau zu verhindern, und das ist die Nulllösung.

Nun drücken die beiden ungleichen Kooperationspartner Nauru und TMC auf die Tube. Das muss nicht, kann aber bedeuten, dass sie in wenigen Jahren mit Tiefseebergbau beginnen. CEO und Chairman Gerard Barron hat bereits 2024 als Beginn von Tiefseebergbau in Aussicht gestellt.


Tennisballgroße, schwarze Manganknolle auf Handfläche - Foto: © 2019 by Schattenblick

Manganknolle - Millionen Jahre altes Zeugnis ozeanischen Lebens
Foto: © 2019 by Schattenblick

Moratorium gegen Meeresbodenbergbau

Viele zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich mehr oder weniger entschieden gegen Bergbau in der Tiefsee ausgesprochen. Dabei weichen die Positionen teils voneinander ab. Die US-amerikanische Non-Profit-Organisation The Pew Charitable Trusts (Pew) bemüht sich darum, dass die Umweltstandards der IMB verbessert werden. Auch fordert die Organisation mehr Transparenz bei den Verhandlungen zum Mining Code. Pew genießt Beobachterstatus bei der IMB und zeigte auch prompt positive Reaktionen, als diese auf Kritik an ihrer Intransparenz eingegangen war. So führt die IMB "technical workshops" durch, zu der unter anderem Gruppen mit Beobachterstatus zugelassen sind und ihre Ansichten einbringen können. "Das ist unserer Ansicht nach eine positive Entwicklung", sagte Andrew Friedman von Pew laut dem "Hakai Magazine" vom 25. Juni 2021.

Wohingegen die 2004 gegen die Schleppnetzfischerei gegründete Deep Sea Conservation Coalition (DSCC), zu der unter anderem Greenpeace, WWF, Ozeanien-Dialog, aber auch wiederum Pew gehören, etwas weiter geht und ein Moratorium auf Tiefseebergbau fordert. In einem Aufruf vom Juli 2019 heißt es dazu, dass ein Moratorium erforderlich sei, bis eindeutig nachgewiesen werden könne, dass es möglich ist, Tiefseebergbau auf eine Weise zu betreiben, dass der effektive Schutz der Meeresumwelt gewährleistet ist und der Verlust der biologischen Vielfalt verhindert wird.

Die EU-Kommission subventioniert zwar die Entwicklung von Technologien zum Meeresbodenbergbau, doch das Europaparlament hat sich ebenfalls für einen Stopp ausgesprochen. Gleiches gilt für die Unternehmen BMW, Samsung, Google und Volvo. Ein Moratorium zu fordern heißt jedoch im Klartext, dass sich Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Industrie vorstellen können, dass Tiefseebergbau im Prinzip machbar ist und es dafür nur noch der geeigneten Voraussetzungen bedarf, beispielsweise der Durchführung weiterer Studien zu den potentiellen Umweltfolgen. Wer ein Moratorium fordert, begibt sich freiwillig in eine schwächere Position und läuft Gefahr, irgendwann Tiefseebergbau zustimmen zu müssen.

Fair Oceans bezeichnet das Moratorium als unzureichend und fordert einen Stopp des Tiefseebergbaus, und zwar nicht allein aus Gründen des Schutzes der Meeresumwelt, sondern auch aus entwicklungspolitischen Gründen. Die Initiative bezeichnet den Versuch der Wirtschaft, sich als wahre Klimaschützerin zu präsentieren, als Greenwashing. Das zusätzliche Angebot von Metallen aus der Tiefsee auf dem Weltmarkt würde nicht die Energiewende sichern, sondern die Rohstoffpreise stabilisieren und damit das fortlaufende industrielle Wachstum gewährleisten.

Wohingegen der WWF in einer umfassenden Stellungnahme der Argumentation Barrons und anderer Befürworter des Bergbaus in der Tiefsee insofern etwas abzugewinnen scheint, als dass ihr zumindest nicht entschieden entgegengetreten wird. In einer Studie des WWF vom September 2020 wird anerkannt, "dass für den kohlenstoffarmen Übergang große Mengen an neuen Materialien benötigt werden und dass der Tiefseebergbau das Potenzial hat, einen Teil dieser Materialien zu liefern". Gefordert wird ein Abwägen zwischen dem Rohstoffbedarf und den "wahrscheinlich" negativen Auswirkungen des Tiefseebergbaus "auf die biologische Vielfalt, das Funktionieren der Ökosysteme der Erde und die nachhaltige Gewinnung von Metallen und Mineralien".

Wie bereits ausgeführt, werden die Folgen des Bergbaus an den Ozeanböden nicht "wahrscheinlich", sondern ganz sicher negativ sein. Wenn nun die Geographin und Ozeanographin Dawn Wright in einem Artikel der "Washington Post" (17.08.2021) als Klimaschutzmaßnahme eine raschere Kartierung der Ozeanböden fordert, so sind die Folgen dieser Idee problematisch. Denn schon immer ging die Ausbeutung von Menschen und ihrer Mit- und Umwelt mit einer Kartierung einher. Jene bathymetrischen Karten des Meeresbodens könnten genau der Türöffner sein, der den Bergbauunternehmen noch gefehlt hat, um zukünftig auch in anderen Gebieten als den hinlänglich bekannten Zonen ihre metallischen Zähne in die Ozeanböden zu graben.


Kräftige schwarze Rauchwolken aus untermeerischen Schloten - Foto: MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen (CC-BY 4.0) https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de

Schwarzer Raucher am Mittelatlantischen Rücken in 2.980 Meter Wassertiefe
Foto: MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen (CC-BY 4.0) https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de

Trübe Aussichten

Die drei potentiellen Tiefseelagerstätten - Manganknollen, Seeberge und hydrothermale Schlote - sind meeresökologisch höchst bedeutsam. Sollte in der Tiefsee jemals Bergbau im industriellen Maßstab betrieben werden und in den 19 bisher von der IMB nur zur Erkundung freigegebenen, jeweils 75.000 Quadratkilometer großen Gebieten Manganknollen abgebaut werden (desweiteren beziehen sich sieben Lizenzen zu je 10.000 Quadratkilometer auf Massivsulfide und fünf je 3000 Quadratkilometer große Lizenzgebiete auf Kobaltkrusten), wäre mit krassen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen. Gleichzeitig würde sich eben jenes Geschäftsmodell durchsetzen, wie es vom landgebundenen Bergbau hinlänglich bekannt ist, mit den teils desaströsen sozialen Folgen.

Wahrscheinlich wird es beim Tiefseebergbau unmittelbar keine Kinderarbeit wie in der DR Kongo geben, wie Barron zu betonen nicht müde wird, aber gilt das auch für die Häfen, zu denen die Rohstoffe transportiert werden, oder die Weiterverarbeitungsbetriebe? Wird den Menschen in der DR Kongo, auf deren Leib und Leben die Wertschöpfungskette aufgebaut wird, eine weniger lebensfeindliche Alternative geboten, so dass es die Familien gar nicht nötig hätten, die Arbeitskraft ihrer Kinder in den Bergwerken zu verwerten?

Die Angaben, wie groß die Fläche sein wird, die ein einziges Unternehmen zerstört, das Manganknollen vom Meeresgrund abbaggern will, bewegen sich zwischen 100 und 600 Quadratkilometern pro Jahr. Ein Verlust von Tiefseearten wird nicht zu vermeiden sein. Manganknollen bieten einen einzigartigen Lebensraum, sind sie doch die einzigen festen Substanzen in einer ansonsten von feinen Sedimenten bestimmten Meeresumwelt. Darauf hat sich das Leben eingestellt. Korallen, Anemonen und Schwämme können sich nicht an lockeren Sedimenten anheften; sie benötigen Hartsubstrate. Zudem wurde beobachtet, dass die Schwämme auf den Manganknollen wiederum von Tintenfischen zur Eiablage genutzt werden. Hätten sie eine Alternative? Noch ist unklar, welche Ausdehnung submarine Ökosysteme überhaupt haben.

Beim Abbau der Knollen würden Sedimente aufgewirbelt, wie es sie in diesem "ansonsten kristallklaren Wasser" (Umweltbundesamt) normalerweise nicht gibt. Die Sedimente können verfrachtet werden und auch andernorts die Nahrungsaufnahme der Lebewesen behindern oder die am Boden lebende Fauna bedecken. Schwämme sind ortsfest, sie können sich nicht in Sicherheit bringen. Noch gravierender als an den tiefen Ozeanböden wäre die Sedimentverfrachtung an den untermeerischen Bergrücken und Schwarzen Rauchern, weil dort teils kräftigere Strömungen mit wechselnden Richtungen auftreten, ähnlich wie beim Wetter in der Atmosphäre.

Mitsamt den Manganknollen würden über die kilometerlangen Vakuumschläuche auch Sedimente zu den Frachtschiffen an der Wasseroberfläche gepumpt. Dieser "Beifang" dürfte auf keinen Fall einfach so über die Bordwand gekippt werden. Doch selbst wenn dieses sogenannte Produktionswasser beispielsweise über einen Kilometer lange Schläuche zurückgepumpt würde, bildeten sich von den Austrittsöffnungen an kegelförmige Sedimentwolken. Die werden verdriftet und benötigen sowieso sehr, sehr lange Zeit, bis sie zum Meeresboden abgesunken sind. Pro 1000 Jahre lagern sich in der Tiefsee nur wenige Millimeter Sedimente ab. Im schlechtesten Fall würden die künstlich eingebrachten Schwebwolken ebenfalls so lange in der Wassersäule bleiben und die gesamte Biosphäre entsprechend lange Zeit massiv beeinträchtigen. Auch über die Belastung mit Lärm und Licht, wie sie Bergbau mit sich bringt und in den tiefen Meeresregionen unbekannt ist, ist so gut wie nichts bekannt.


Grüne Umarmungsstrategie - Maritime Wirtschaft setzt zum finalen Würgegriff an

DeepGreen bzw. heute TMC gibt sich umweltbewusst. Sowohl über traditionelle Medienkanäle als auch Soziale Medien präsentiert sich das Unternehmen gesprächsbereit und erweckt den Anschein, bereitwillig auf Kritik eingehen zu wollen. Beispielsweise heißt es in einem Tweet von DeepGreen, den Bloomberg verlinkt hat: "Wenn die Daten zeigen, dass polymetallische Knollen keine sichere Lösung für den Planeten und Menschen sind, kann Greenpeace auf uns zählen, dass wir an seiner Seite stehen, um Tiefseebergbau zu stoppen."

Schon David Heydon hatte in den Nuller Jahren behauptet, mariner Bergbau sei weniger umweltschädlich und viel klimafreundlicher als terrestrischer Bergbau. In der Wirtschafts- und Finanzwelt hat sich diese Ansicht inzwischen durchgesetzt. Barron wiederum hat im Interview mit Kitco News (22.04.2021) den Eindruck zu erwecken versucht, dass die Tiefsee im Gegensatz zum tropischen Regenwald weitgehend unbewohnt ist. Beim Meeresboden handele es sich um "eines der am wenigsten dicht besiedelten Gebiete mit der geringsten Biomasse auf unserem Planeten", erklärte er. Wo das Unternehmen die Knollen einsammeln wolle, gebe es 1500-mal weniger Biomasse als in Indonesien, wo Nickel terrestrisch abgebaut werde.

"Ich will die Ozeane schützen. Ich betrachte mich selbst als Umweltschützer."
(Gerard Barron, Kitco News, 22. April 2021)

Barron unterschlägt allerdings wesentliche Schadensfolgen. So betrachtet er allein den Meeresboden, von den Auswirkungen der ins Meer zurückgepumpten Sedimente auf die gesamte Wassersäule schweigt er. Nach welchem Konzept die marinen Bergbauunternehmen vorgehen werden, steht noch nicht fest, doch wird in diversen Darstellungen gezeigt, dass das Produktionswasser in rund 1000 Meter Tiefe abgelassen werden könnte und dann mehrere tausend Meter bis zum Grund absinkt. Die Biomasse an Fischen in den mittleren Tiefen, durch die sich die Sedimentwolken auf ihrem langen Weg zum Grund hindurchbewegen würden, beträgt das Hundertfache des jährlichen globalen Fischfangs. In den mittleren Wassertiefen leben mehr als 90 Prozent der weltweiten Biosphäre.

Wie sehr wird das Leben in der komplexen Nahrungskette durch die Sedimente gestört? Kann ausgeschlossen werden, dass mit den Sedimenten toxische Substanzen wie Schwermetalle in die Nahrungskette gelangen? Das sind nur einige der Fragen, die auch in wenigen Jahren noch nicht beantwortet werden können.

Obwohl der Tiefseeboden selbst vergleichsweise nahrungsarm ist und eine relativ geringe Biomasse aufweist, wie Barron zutreffend sagt, hat sich dort eine besondere Artenvielfalt entwickelt. Dr. Sabine Christiansen vom Potsdamer IASS macht in dem Beitrag "Tiefseebergbau: Darf man alles tun, was man tun kann?" vom 13.07.2015 darauf aufmerksam, dass die Lebensräume der Tiefsee eine höhere Diversität pro Flächeneinheit aufweisen als der tropische Regenwald! Darüber hinaus erinnert sie daran, dass sich die einmal gestörten Gebiete am Tiefseeboden lange Zeit nicht regenerieren.

Schleppspuren, die bei mehreren deutschen Schiffsexpeditionen zwischen 1988 und 1998 im Südostpazifik im Rahmen des Projekts DISCOL (DISturbance and reCOLonization experiment) mit einer Egge auf dem Meeresboden hinterlassen worden waren, sind auch nach Jahrzehnten noch deutlich zu sehen. Die bewegliche Meeresfauna wie Seegurken ist zwar wieder in die umgepflügten Gebiete zurückgekehrt, nicht aber das sesshafte Leben wie Schwämme, teilte das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel mit (29.05.2019). GEOMAR war an dem Projekt JPI Oceans MiningImpact 2015 beteiligt, bei dem unter anderem das Jahrzehnte zuvor umgepflügte Gebiet untersucht und auch fotografiert worden war.

Wenn nun Meeresbodenbergbau industriell betrieben wird und mehrere Unternehmen zeitgleich tätig sind, kann dann ausgeschlossen werden, dass Kumulationseffekte eintreten und die Summe der Schädigungen größer sein wird, als es die Berechnungen zu einzelnen Unternehmungen erwarten lassen? Eine weitere von zahlreichen Fragen, die ungeklärt sind und womöglich auch dann nicht geklärt werden, wenn es den Manganknollen, Kobaltkrusten und Schwarzen Rauchern längst an den Kragen geht.


Etwa 50 bis 100 Zentimeter großer Glasschwamm ragt wie ein Kunstwerk aus einem Feld mit dicht gepackten Manganknollen - Foto: NOAA Office of Ocean Exploration and Research, 2017 Laulima O Ka Moana

Glasschwamm inmitten von Manganknollen nördlich des Johnston-Atolls
Foto: NOAA Office of Ocean Exploration and Research, 2017 Laulima O Ka Moana

Über die Produktionssteigerung aus der Klimakrise - ein Trugschluss

Ob die Rohstoffe an Land oder am Meeresboden abgebaut werden, Elektroautos schützen sicherlich die Autoindustrie vor Maßnahmen zur notwendigen Abkehr vom Wachstumszwang, sie schützen aber nicht vor der globalen Erwärmung. Zwar können durch Elektroautos theoretisch nach einigen Jahren die gesellschaftlichen CO₂-Emissionen gesenkt werden, aber der extrem hohe Ressourcenverbrauch für den Bau der Autos, Ladestationen, Trafos und sonstigen Infrastrukturbestandteilen bleibt bestehen. Fortschritte in der Batterietechnologie lassen sogar vermuten, dass die aktuell auf den Markt gebrachten E-Automodelle relativ schnell wieder verschwinden und sich die Menschen, sofern sie es sich leisten können, in wenigen Jahren die dann vermutlich besseren E-Autos zulegen, weil diese eine größere Reichweite haben werden oder sich schneller aufladen lassen. Das könnte aber bedeuten, dass ein vergleichsweise hoher Anteil dieser Fahrzeuge ausgemustert wird, noch bevor genügend Zeit bleibt, die energetischen Vorteile langfristig auszuschöpfen oder im Zweifelsfall sich energetisch überhaupt zu amortisieren.

Je nach Zusammensetzung des Strommixes, mit dem ein E-Auto geladen wird, hat es erst nach mehreren Jahren einen Vorteil gegenüber dem Verbrenner. Würde der regenerative Anteil am Strommix 100 Prozent betragen, amortisieren sich die Treibhausgasemissionen nach rund 37.500 km gegenüber dem Benziner und 40.500 km gegenüber dem Diesel, schreibt die Lobby-Website Elektroautos-News (09.11.2019) unter Berufung auf eine im Auftrag des ADAC durchgeführte Studie. Das entspreche etwa drei Jahren Betriebszeit bei angenommenen 15.000 Fahrkilometern jährlich. Umgekehrt holt ein Elektroauto, das ohne jeglichen Ökostrom fahren würde, den Benziner erst nach 127.500 km oder 8,5 Betriebsjahren und den Diesel nach 219.000 km oder 14,6 Betriebsjahren emissionsmäßig ein.

Vor dem Hintergrund der beschleunigt ablaufenden globalen Erwärmung bleibt überhaupt nicht mehr die Zeit, um vom Verbrenner auf Elektroauto umzuschwenken. Treibhausgasemissionen müssen hier und heute reduziert werden, und das in einem beträchtlichen Ausmaß. Die Zeit rinnt davon. In einem vor kurzem von der spanischen Website CTXT vorab an die Öffentlichkeit gebrachten Entwurf der Zusammenfassung der Arbeitsgruppe III des Weltklimarats (IPCC) durch die Initiative "Scientist Rebellion" wird berichtet, dass der weltweite Höhepunkt der Treibhausgasemissionen bereits im Jahr 2025 stattfinden muss. Andernfalls steige die globale Durchschnittstemperatur um mehr als jene zwei Grad Celsius, auf die sich die Vertragsstaaten 2015 im Klimaübereinkommen von Paris geeinigt haben.

Es bleiben also nur noch drei bis vier Jahre für eine radikale Abkehr von der vorherrschenden Produktionsweise. Wäre der Mensch mit der Vernunft gesegnet, die er für sich reklamiert, hätte er längst wirksame Maßnahmen ergriffen, um die globale Erwärmung aufzuhalten. Das Abbaggern und Verwerten von submarinen Rohstoffen hat rein gar nichts mit Klimaschutz zu tun, sondern mit Geschäftemacherei. Und die findet vor dem Hintergrund statt, dass die Wirtschaft stets nach neuen Geschäftsfeldern und Investitionsmöglichkeiten sucht. Insbesondere die Finanzwelt ist an einer Kapitalisierung bislang unerschlossener Naturverhältnisse interessiert.

Das verdeutlicht ein Kommentar im Wirtschaftsmagazin "Forbes" vom 24. Februar dieses Jahres, in dem Sachzwänge postuliert werden. Bis zum Jahr 2040 würden weltweit drei Milliarden vollständig elektrisch betriebene Fahrzeuge und jährlich zusätzlich zehn Billionen Kilowattstunden elektrischer Strom gebraucht werden, um die geringe Chance zu wahren, die Klimaziele zu erreichen. Mit Recycling und Bewahrung von Metallen sei das nicht zu schaffen. Darum müsse man Manganknollen vom Meeresboden abbauen.

Dazu ist zu fragen: Wer braucht drei Milliarden Elektroautos? Geradezu naiv mutet eine Aussage auf der Website actiencheck.de (05.03.2021) an, derzufolge TMC "zum entscheidenden Faktor für den E-Mobilitätssektor werden" könne. Es liefere "einen spannenden Ansatz", um den Bedarf an Rohstoffen sicherzustellen. Hier stellt sich die Frage, ob nicht auch der Untergang der "Titanic" spannend aussieht, zumindest wenn man im Fernsehsessel sitzt und nicht von den Fluten mitgerissen wird, die ein durch den Klimawandel verstärkter plötzlicher Starkregen oder Wirbelsturm mit sich gebracht hat?

Einige Umweltschutzgruppen, die Meeresbodenbergbau ablehnen, begründen dies unter anderem damit, dass dank neuer Forschungen bestimmte Rohstoffe gar nicht mehr gebraucht würden. Beispielsweise würde IBM Research an Batterien mit nickel- und kobaltfreien Kathoden arbeiten, schreibt Fauna & Flora International (01.09.2021) in dem redlichen Bemühen, Gründe gegen Tiefseebergbau zu liefern. Diese Argumentation greift allerdings zu kurz, denn ihr könnte auch die Industrie zustimmen und würde sogar darin gestärkt, ihr Geschäftsmodell fortzusetzen; womöglich mit einem Nachhaltigkeitssiegel von Umweltverbänden versehen.

TMC, aber auch jene sich ethisch sauber gebenden Konzerne BMW, Volvo, Samsung und Google, die ein Moratorium auf Tiefseebergbau unterstützen, weisen ihre unternehmerischen Profitinteressen als gesellschaftliches Gesamtinteresse aus. Alle geben vor, das Klima schützen zu wollen, niemand spricht von der Notwendigkeit, sich als kapitalistisch handelndes Unternehmen neue Profitfelder erschließen und die Produktion steigern zu müssen.

Wenn in den Kathoden der Lithium-Ionen-Batterien kein Kobalt aus Tiefseebergbau verarbeitet würde, dann eben Kobalt aus terrestrischen Bergwerken. Oder anstelle von Kobalt würde vermehrt Nickel und Mangan verwendet. Oder ein ganz anderer Rohstoff, eine ganz andere Akku-Technologie ... vor dem Hintergrund der akuten Klimakrise, die unverzüglich in Angriff genommen werden müsste, damit die Schadensfolgen insbesondere für die wirtschaftlich benachteiligten Menschen nicht entufern, kann man sich nicht über die Produktion von immer mehr Waren aus dem Dilemma herausstehlen.

6. September 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 167 vom 11. September 2021


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