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KLIMA/748: Hunger - Ernteausfälle und Verteilungskrämpfe ... (SB)



Seit dem plötzlichen Preisanstieg für Grundnahrungsmittel 2007/2008 und 2011 hat sich an den Voraussetzungen dieses existenzbedrohenden Phänomens nichts geändert. In den letzten Jahren schwankt der Index für Lebensmittelpreise der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO Food Price Index) stark, und das auf einem zunehmend höheren Niveau.

Den Hintergrund der aktuell starken Preisschwankungen bilden unter anderem Ernteeinbußen, die gleichzeitig in verschiedenen Weltregionen aufgrund von extremen Witterungsbedingungen (Dürren, Überschwemmungen, etc.) auftreten. Das hatte Ende vergangenen Jahres und noch im Januar dieses Jahres zu steigenden Preisen geführt. Wohingegen die Ausbreitung des Coronavirus, durch die die Nachfrage nach bestimmten Produkten wie auch allgemein der Welthandel verringert wird, im Februar zum Absacken des Food Price Index beigetragen hat. Allerdings liegt er noch immer deutlich über dem Preisniveau von 2017, 2018 und Januar bis November 2019. [1]

Außerdem ist zusätzlich zur wachsenden Volatilität ein langfristiger Trend zur Verteuerung der Lebensmittelpreise zu beobachten. Auch diese Entwicklung unterliegt Schwankungen, aber generell zeigt die Kurve nach oben. Vom Klimawandel aufgrund der globalen Erwärmung ist zu erwarten, daß Volatilität und langfristiger Trend in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch verstärkt werden. Möglicherweise deutet die Zunahme der Zahl der Hungernden von 785 Millionen im Jahr 2015 auf 822 Millionen im Jahr 2018 bereits auf diese Entwicklung. [2]

Mit einer Trendumkehr ist nicht zu rechnen, denn die Zahl der Menschen wächst, die landwirtschaftliche Nutzfläche kann kaum noch ausgedehnt werden, und es verzehren immer mehr Menschen Fleisch, für das Futter anstatt Getreide für den menschlichen Verzehr angebaut wird. Auch die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu Treibstoff verstärkt die Negativentwicklung.

Außerdem sagen nahezu alle Klimamodelle voraus, daß die landwirtschaftlichen Flächen in Zukunft einer stärkeren Belastung ausgesetzt sein werden. Sei es aufgrund von Naturkatastrophen (Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen, Buschbrände, Hurrikane) oder Salzwasserintrusion in Folge des ansteigenden Meeresspiegels. Auch hat in vielen Ländern der organische Anteil der Böden abgenommen, so daß es irgendwann schwieriger werden dürfte, die Erntemengen zu halten oder gar zu steigern.

Die Grüne Gentechnik konnte bislang nicht die Versprechungen erfüllen, die die Agrarlobby "im Kampf gegen den Hunger" verbreitet hat. Nun soll es eine neue, hinsichtlich ihrer langfristigen Folgen noch unerforschte Stufe des mikrobiologischen Eingriffs, das Genom-Editing, richten und die dringend notwendige Ertragssteigerung leisten, um eben nicht nur die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, sondern die gesamte Weltbevölkerung. Das wird in den einschlägigen Berechnungen zur Nahrungsproduktion in der Regel unterschlagen.

Der FAO Food Price Index ist eng an den Ölpreis gekoppelt. Es wäre also zu erwarten, daß der Index weiter sinkt, da in jüngster Zeit auch der Weltmarktpreis für Erdöl geradezu in den Keller gerauscht ist. Doch kommt die Zeit, da die erdölexportierenden Staaten mit ihrem schwarzen Gold höhere Einnahmen erwirtschaften wollen und die Preise wieder anziehen. Auch die weltweite Sars-CoV-2-Epidemie könnte, vergleichbar mit der jährlich auftretenden Influenza, so sehr in die Normalität Einzug halten, daß Handel und Wirtschaft zumindest teilweise wieder das Ausmaß wie vor Beginn des Ausbruchs im Dezember vergangenen Jahres in China zurückkehren. Beides würde bedeuten, daß die Verringerung des FAO Food Price Index im Februar dieses Jahres nur vorübergehenden Charakter hat. Für diese Annahme sprechen auch die aktuellen, witterungsbedingten landwirtschaftlichen Einbrüche in einer Reihe von Ländern, über die Bloomberg berichtete. [3]

Beispielsweise erlebt Thailand die schwerste Dürre seit 40 Jahren; Teile Australiens und Neuseelands leiden noch immer unter Trockenheit. Die außergewöhnliche Wärme in Deutschland und anderen europäischen Ländern tat der Landwirtschaft nicht gut. Das Wintergetreide hatte gar nicht die Gelegenheit, Abwehrkräfte gegen Frost zu entwickeln. Sollte es nun doch noch zu einem Kälteeinbruch kommen, wäre dieses Getreide gefährdet. Auch die regional sehr hohen Niederschlagsmengen, die dazu geführt haben, daß die Felder unter Wasser stehen, beeinträchtigen den Pflanzenanbau - wenngleich dadurch wenigstens die niedrigen Grundwasserstände teilweise wieder aufgefüllt wurden. Für die Europäische Union rechnet man in diesem Jahr mit einem Ernterückgang von mindestens fünf Prozent.

Für die Menschen in den ärmeren Ländern stellt die Volatilität der Lebensmittelpreise ein großes Problem dar, da sie 60 bis 80 Prozent ihrer Einkommen für Lebensmittel ausgeben und solche Preisschwankungen auf dem Weltmarkt genauso wenig abfedern können wie Einbrüche der lokalen Nahrungsmittelproduktion aufgrund von beispielsweise Extremwetterereignissen, Heuschreckenschwärmen oder Pflanzenkrankheiten.

Die Anbindung kleinbäuerlicher Strukturen an den Weltmarkt kann zwar zur Ernährungssicherheit beitragen, aber auch das genaue Gegenteil bewirken, eben weil die Preise stark schwanken. Jedenfalls entstand in Folge der Globalisierung eine wachsende Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern vom Finanzkapital der Spekulanten. Die starke Volatilität der Lebensmittelpreise schlägt durch die gesamte Wertschöpfungskette quasi bis zum Eßtisch der Menschen in den ärmeren Ländern durch. Das ist einer der Gründe, weswegen zwischen Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität unterschieden werden muß. Wer die Verfügungsgewalt über das hat, was er produziert, und sich am besten noch in dörflichen Gemeinschaften und Korporativen zusammenschließt und absichert, hat gut Chancen, Hunger und Mangelernährung erfolgreich zu bekämpfen. Wer dagegen den Spekulationen auf dem Weltmarkt schutzlos ausgeliefert ist, wird mit Interessen konfrontiert, auf die er keinerlei Einfluß hat und in deren Wahrnehmung er oder sie gar nicht auftaucht.


Fußnoten:

[1] http://www.fao.org/worldfoodsituation/foodpricesindex/en/

[2] https://www.globalhungerindex.org/de/results.html

[3] https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-03-09/extreme-weather-events-expose-vulnerability-of-crops-globally?srnd=green

11. März 2020


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