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KLIMA/740: Fracking - Erdgas aus den USA ... (SB)



Als gingen nicht Millionen Menschen für mehr Klimaschutz auf die Straße, hat der Industrieausschuß des EU-Parlaments der milliardenschweren Subventionierung von Erdgasprojekten zugestimmt. [1] Damit wird vor allem die Einfuhr und Verarbeitung von Fracking-Erdgas aus den USA finanziell gefördert, obschon das besonders umweltschädlich ist.

Die Initiative zur Erdgassubventionierung als "Projekte gemeinsamen Interesses" (engl. abgekürzt PCI) ging von der wirtschaftsfreundlichen EU-Kommission aus, wurde anschließend dem von Wirtschaftsinteressen dominierten Industrieausschuß des EU-Parlaments vorgelegt und dürfte demnächst vom EU-Parlament und dem wirtschaftsnahen EU-Ministerrat abgesegnet werden. So geht Demokratur: Jede(r) hat das Recht zu demonstrieren ... doch die Entscheidungen treffen immer noch die Regierungen.

Im Oktober vergangenen Jahres hatte die EU-Kommission die vierte Liste von "Projekten gemeinsamen Interesses" [2] verabschiedet, die auch 55 (von insgesamt 151) Vorhaben enthält, die mit der Erdgaswirtschaft zu tun haben und über die Fazilität Connecting Europe (CEF) bis zu 50 Prozent mit EU-Steuergeldern finanziert werden können. Sei es für den Bau von Terminals, um Flüssiggas aus den USA anzulanden, sei es für Pipelines zum Transport von Gas oder andere Erdgasinfrastruktureinrichtungen. Die Umweltschutzorganisationen Friends of the Earth Europe (FoEE) und Food & Water Europe, die seit Jahren die für Laien meist undurchsichtigen administrativen Vorgänge und regulatorischen Wechselverhältnisse zwischen den verschiedenen EU-Ebenen verfolgen, kritisieren, daß die PCI-Projekte "keine vorgeschaltete klimaschutzrelevante Folgenabschätzung" durchlaufen müssen. [3]

Das geschmeidige Durchwinken von Erdgasprojekten wirft ein bezeichnendes Licht auf den "Green Deal", den die neue EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen angekündigt hat. Bis Mitte des Jahrhunderts soll die EU "klimaneutral" sein, also nicht mehr Treibhausgase emittieren, als aufgefangen werden. Details sind noch nicht bekannt, jedoch läßt sich vermuten, daß die heute beschlossenen Investitionen in die Gasinfrastruktur über diesen Zeitpunkt hinaus getätigt werden. Die EU wäre dann nur rechnerisch, nicht aber real kohlenstoffneutral, und es muß Kompensationen geben.

Dafür steht ein Repertoire an Rechenvarianten zur Verfügung, beispielsweise indem in Entwicklungsländern "klimafreundliche" Projekte, die ansonsten angeblich "schmutziger" wären, finanziert werden oder indem der Atmosphäre aktiv Kohlendioxid entzogen wird, das dann entweder unterirdisch gespeichert - unter anderem in ausgeschöpften Erdgasfeldern - oder in die industrielle Verwertungskette eingespeist wird. Hier ließe sich ein neuer profitträchtiger Industriezweig aufbauen: Abscheiden von Kohlendioxid aus den Abgasen von Kraftwerken, Verflüssigung des Kohlendioxids und dessen Lagerung (Carbon Capture and Storage, CCS).

Was unter massiver Zerstörung der Umwelt abgebaggert, aus dem Untergrund herausgepumpt oder per Fracking aus dem erdöl- oder erdgashaltigen Gestein herausgebrochen wurde, verschwindet wieder im Untergrund. Das ergibt jedoch kein Nullsummenspiel, denn zwischen Förderung und Speicherung liegt eine extrem zerstörerische Verwertungskette, für deren Erhalt Menschen ihre körperliche Unversehrtheit hingeben und wofür die Umwelt geschädigt und die tierische Mitwelt verdrängt oder vernichtet wird.

Das Beratungsunternehmen Artelys hat einen Bericht vorgelegt, wonach 32 der aufgelisteten Erdgasprojekte gar nicht erforderlich und die voraussichtlichen Subventionen in Höhe von 29 Milliarden Euro aus dem Fenster geworfenes Geld sind. [4] Um in diesem Bild zu bleiben: Und es sind die USA, die das Geld auffangen, denn die setzen der EU, respektive Deutschland, die Pistole auf die Brust, damit sie sich von russische Gaslieferungen verabschieden und statt dessen das teurere Gas aus den USA erwerben.

Der luxemburgische Energieminister Claude Turmes kritisiert die EU-Politik und Verschwendung von Steuergeldern: "Wir riskieren, 29 Milliarden für stranded assets ["gestrandete Vermögenswerte", d.h. bereits getätigte Investitionen in Unkenntnis späterer Maßnahmen seitens der Politik] zu verschwenden und gleichzeitig unser Energiesystem für die nächsten 40 Jahre in die weitere Abhängigkeit von Erdgas zu drängen." [5]

Inwiefern der Green Deal der EU-Kommission Einfluß auf die Erdgasförderung nimmt, wird sich erst zeigen, wenn er konkretisiert wird. Das soll bis spätestens Ende März geschehen. Es ist allerdings nicht so, daß die EU-Kommission den Klimaschutz erfunden hätte und jetzt alle Welt gebannt darauf schauen muß, welche Vorstellungen sie hat. Seit vielen Jahren besteht kein Zweifel daran, daß fossile Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas im Boden bleiben müssen, damit die globale Erwärmung - eine Folge von menschengemachten Treibhausgasemissionen - nicht zu klimatischen Verhältnissen führt, die für viele Menschen und Tiere das Ende wären.

Durch den Anstieg des Meeresspiegels würden weiträumige urbane und agrarisch genutzte Landmassen unter Wasser liegen; es würden Gletscher schmelzen, die eine wichtige Trinkwasserquelle sind, und ganze Klimazonen von Dauerdürren heimgesucht. Mit zwischenstaatlichen kriegerischen Konflikten um Ressourcen und Lebensraum ist aus diesen und weiteren Anlässen fest zu rechnen. Das ist keinen apokalyptischen Phantasievorstellungen entsprungen, sondern Resultat wissenschaftlicher Projektionen. Die Verbrennung von Erdgas hat keinen Platz in einer Welt, in der solche verheerenden Folgen vermieden werden sollen.


Fußnoten:

[1] Da es sich hierbei um einen Delegierten Rechtsakt handelt, dürfen EU-Parlament und EU-Rat immer nur über die gesamte Liste abstimmen. Das bedeutet konkret, daß mit einem Nein zu der Liste auch Projekte aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien abgelehnt würden.

[2] https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/c_2019_7772_1_annex.pdf

[3] https://www.dnr.de/eu-koordination/eu-umweltnews/2020-klima-energie/geld-fuer-fossiles-gas-nickt-auch-der-ausschuss-ab/

[4] https://www.artelys.com/wp-content/uploads/2020/01/Artelys-GasSecurityOfSupply-UpdatedAnalysis.pdf

[5] https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/milliardenausgaben-fuer-unnoetige-gasprojekte/

27. Januar 2020


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