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KLIMA/736: Antarktis - immanente Abflußbeschleunigung ... (SB)



Binnen drei Wochen im August, September 2019 kam es in der Stratosphäre über der Antarktis zu einer Erwärmung um 40 Grad C. Während so ein Phänomen auf der Nordhalbkugel rund alle zwei Jahre auftritt, hatte man es auf der Südhalbkugel bislang nur einmal zuvor im Jahr 2002 registriert. Die gegenwärtige Hitzewelle, verheerenden Buschbrände und starken Winde in Australien gelten als eine direkte Folgewirkung dieser "plötzlichen stratosphärischen Erwärmung".

In der medialen Berichterstattung über die Buschfeuer fand bisher wenig Beachtung, daß Teile der Antarktis demselben klimatischen Einfluß ausgesetzt sind wie Australien. Deshalb ist auf dem sechsten Kontinent mit einem verstärkten Verlust des Meereises und daraufhin einem beschleunigten Gletscherabfluß zu rechnen. Mit dem Klimawandel hat das Phänomen anscheinend nichts zu tun, aber nicht auszuschließen ist, daß dessen Folgen durch solche Ereignisse verstärkt werden.

Bereits am 6. September 2019 sagte eine Forschergruppe des Australian Bureau of Meteorology überdurchschnittliche hohe Temperaturen und geringere Niederschläge über Teilen der östlichen australischen Bundesstaaten New South Wales und Queensland voraus. Die Modellrechnung hat sich als überaus treffsicher erwiesen. Australien brennt. [1]

Vergleichbar mit der Arktis existiert auch über der Antarktis in der oberen Atmosphäre (Stratosphäre), die dort ab etwa acht Kilometer Höhe beginnt, zeitweilig ein polarer Jetstream, auch Polarwirbel genannt. In ihm wehen die Winde mit bis zu 200 Stundenkilometern von West nach Ost im Kreis. Die Windströmung entsteht aufgrund der Temperaturdifferenz zwischen der kalten antarktischen Eismasse und dem vergleichsweise wärmeren Südlichen Ozean und wird auch von geographischen Besonderheiten wie Gebirgen modifiziert. Im Frühjahr erwärmt sich die antarktische Landmasse allmählich und schwächt den Polarwirbel, ein Vorgang, der sich normalerweise über mehrere Monate erstreckt. Aber der eben auch binnen weniger Tage oder Wochen ablaufen kann, wenn Luftmassen aus der unteren Atmosphäre (Troposphäre) in die Stratosphäre vorstoßen. Dort stören sie die westlichen Winde, unterbrechen sie und bringen sie manchmal sogar zur Umkehr in die Gegenrichtung, was im vergangenen Jahr eingetreten ist. [2]

In Folge einer Plötzlichen Stratosphärischen Erwärmung wird die westliche Windströmung der Südhalbkugel etwas nach Norden verlagert, was zur Folge hat, daß vor allem im Südosten Australiens weniger Niederschlag fällt und sich diese Region stärker erwärmt. Wohingegen Tasmanien, Neuseeland und die Spitze Südamerikas kalt und naß werden. Die aktuelle Brandkatastrophe und wochenlange Hitzewelle in Südostaustralien sind genau das, was zu erwarten war.

In Australien entstehen zwar immer wieder Hitzewellen, und jedes Jahr brennt es dort mit teils verheerenden Folgen, aber was sich zur Zeit abspielt, hat man in diesem Ausmaß bisher nicht erlebt. Womöglich hat das mit dem zeitlichen Zusammentreffen mit einem anderen Klimaphänomen zu tun, das in der Vergangenheit Australien Hitze und Trockenheit im Frühjahr gebracht hat, dem sogenannten Indischer Ozean-Dipol. In den Jahren, in den dieser als "positiv" bezeichnet wird, erfährt Australien ein trockenes und warmes Frühjahr (dann ist auf der Nordhalbkugel Herbst). Und tatsächlich wird von den aktuellen Buschfeuern gesagt, daß sie außergewöhnlich früh eingesetzt haben.

Von größerer Bedeutung für die Antarktis ist jedoch die Plötzliche Stratosphärische Erwärmung mit der Abschwächung der westlichen Winde. Denn dadurch gelangt vermehrt wärmeres Meerwasser an und unter die antarktischen Schelfeisgebiete der Westantarktis. Betroffen sind insbesondere das östliche Rossmeer und die westliche Amundsensee. In letztere münden einige der am schnellsten schmelzenden Gletscher des südlichen Kontinents. So ist der Massenverlust des in die Amundsensee fließenden Thwaites-Gletschers für vier Prozent des globalen Meeresspiegelanstiegs verantwortlich.

Warme Meeresströmungen sorgen in der Westantarktis bereits in "normalen" Jahren dafür, daß die Grundlinie der Gletscher, also der Bereich, wo die Gletscher mit Land verbunden sind und noch nicht als Schelfeis auf dem Meer schwimmen, immer weiter ins Landesinnere verlegt wird. Ein Vorgang, der mit einer beschleunigten Gletscherschmelze einhergeht. Die Forschung rechnet damit, daß im Zuge des gegenwärtigen Klimawandels die westantarktischen Gletscher einen Schwellenwert überschritten haben und vollständig abschmelzen werden, woraufhin der Meeresspiegel um mehrere Meter steigen wird. Das Phänomen der Plötzlichen Stratosphärischen Erwärmung ist zwar nur ein seltenes Einzelereignis, durch das sich das Klima nicht auf einmal ändert. Doch in dem gegenwärtig offenbar sehr empfindlichen Wechselwirkungsverhältnis zwischen Meerwasser, Luft und Gletscher könnte so ein kleiner "Schubs" vielleicht doch etwas bewirken. Berichte über größere Abbrüche von Schelfeis in der Westantarktis im Laufe dieses Jahres wären ein Hinweis auf diese Vermutung.

Ein Grund mehr, nicht das "Pflichtziel" des Pariser Übereinkommens, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, sondern das "Wunschziel" zum Maßstab zu nehmen und die Temperatur nicht um mehr als 1,5 Grad C steigen zu lassen.


Fußnoten:

[1] https://www.nature.com/articles/d41586-019-02985-8

[2] https://www.stuff.co.nz/science/115841066/extremely-rare-stratospheric-warming-shows-no-sign-of-ending

2. Januar 2020


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