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KLIMA/695: Grüner Kapitalismus - Avantgarde der Anpassung ... (SB)



Der Chefin der US-Dependence des Energiekonzerns Shell hat die US-Regierung aufgefordert, strengere Auflagen zur Begrenzung der Methanemissionen aus Installationen der Erdöl- und Erdgasindustrie festzusetzen. Im vergangenen Jahr hatte die Trumpregierung bekanntgegeben, die Umweltgesetze lockern zu wollen, um die Industrie von regulatorischen Einschränkungen zu entlasten. Daß Shell hier vermeintlich gegen seine eigenen Interessen handelt, gründet sich darauf, daß das Unternehmen wie auch die gesamte Branche angefangen hat, sich am Markt neu zu positionieren. Shell weiß, daß fossile Energieträger keine Zukunft haben, da sie nicht mehr zum Wachstum beitragen werden, und setzt auf erneuerbare Energien. Der Kapitalismus der Zukunft ist grün.

Shell hängt sich schon seit längerem ein grünes Mäntelchen um und steigt mit inzwischen ein bis zwei Milliarden Dollar jährliche Investitionen in die Erschließung der Regenerativen ein. Der Name des Erdölkonzerns BP steht seit 2002 nicht mehr für British Petrol, sondern für Beyond Petrol, also "jenseits" des Petroleums. Eine dritte Erdölgesellschaft, ExxonMobil, hat 2017 ein Programm zur Verringerung der Methanemissionen aufgelegt.

Shell-Managerin Gretchen Watkins, Präsidentin der Shell Oil Company USA und Vizepräsidentin für Unconventionals bei Shell, hat in einem LinkedIn-Post die US-Umweltschutzbehörde EPA aufgefordert, die seit 2016 geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu Methanemissionen nicht zu lockern, sondern beizubehalten. Mehr noch, sie würde es sogar unterstützen, wenn die Bestimmungen auch für die bereits bestehenden Erdöl- und Erdgaseinrichtungen verhängt würden. Methan schade der Umwelt, sei ein hochwirksames Treibhausgas, und im übrigen entgehe alles, was an Methan in die Atmosphäre entweicht, dem Geschäft. Unabhängig davon, was die Regierung sage, halte Shell an seinem im vergangenen Jahr beschlossenen Ziel fest, die Methanemissionen bis zum Jahr 2025 auf unter 0,2 Prozent zu verringern. [1]

Anscheinend wollen sich die großen Ölkonzerne mit Ankündigungen, wie umweltfreundlich sie fortan sein werden, gegenseitig übertreffen. So hat BP am 13. März dieses Jahres eine Presseerklärung herausgegeben, derzufolge das Unternehmen mit der Umweltorganisation Environmental Defense Fund (EDF) zusammenarbeitet, um ebenfalls die Methanemissionen zu verringern. [2]

BP nehme dabei eine "führende Rolle" ein, sagte BP-Manager Bernard Looney. Die Kooperation mit EDF sei ein wichtiger Schritt "für uns und unsere Industrie". Wie Shell will man die Emissionen auf 0,2 Prozent verringern. Auch Gretchen Watkins hatte sich auf EDF berufen und erklärt, daß die Organisation Shell als "das Unternehmen mit den weltweit stringentesten Methanzielen" bezeichnet hat.

Die Methankonzentration in der Atmosphäre nimmt seit einigen Jahren weltweit zu, und die Wissenschaft hat noch nicht herausgefunden, woher das Treibhausgas stammt. Wenn nun die großen Ölgesellschaften von sich aus beschließen, etwas gegen ihre Methanemissionen zu tun, dann greifen sie einer drohenden noch schärferen administrativen Regulierung vor. Die Ära Trump könnte schon in zwei Jahren zu Ende gehen. Da würde es den Unternehmen zum Nachteil gereichen, wenn sie sich nicht rechtzeitig auf die Zeit danach vorbereitet hätten. Voraussichtlich wird sich der Klimawandel in den nächsten Jahren noch beschleunigen, so daß auch die industriefreundlichste Regierung wohl nicht umhin kann, Anpassungsmaßnahmen von der Erdölindustrie zu verlangen.

Shell, ExxonMobil und BP sind die drei Großen der Branche. Nachdem Exxon jahrelang öffentlich wider besseren Wissens geleugnet hat, daß ein Klimawandel stattfindet und die Verbrennungsgase aus fossilen Energieträgern irgend etwas damit zu tun haben, will die Branche nun Geschäfte damit machen, die von ihr mitverursachten Schäden zu beheben oder zumindest zu vermeiden, daß sie noch größer werden.

Die Chancen, die globale Erwärmung zu bremsen und die Temperatur auf einem Niveau zu halten, bei dem der Mensch und seine Mitwelt nicht zu Schaden kommen, standen vor 50 Jahren allerdings sehr viel besser als heute. Interne Papiere von Exxon werden von der Website Inside Climate News und anderen Klimaschutzorganisationen so gedeutet, daß sich der Erdölkonzern damals den Kopf darüber zerbrochen hat, wie er die Öffentlichkeit über die von seinen eigenen Wissenschaftlern festgestellte Klimawirkung der Kohlenstoffdioxidemissionen hinwegtäuschen kann, indem er Unsicherheit schürt. [3]

Die gesamte Branche hat, bildlich gesprochen, Leichen im Keller. Als im Jahr 2010 die von BP betriebene Ölplattform Deepwater Horizon in Brand geriet und sank, flossen in den nächsten Monaten rund 800 Millionen Liter Rohöl in den Golf von Mexiko. Eine beträchtliche Menge der klebrigen Masse wurde mit Hilfe von Dispersionsmitteln in winzige Tröpfchen zerlegt und zum Absinken gebracht. BP konnte den enormen Schaden nicht unter den Teppich kehren, aber mittels einer weiteren Umweltverschmutzung in Folge des Chemikalieneinsatzes unter die Wasseroberfläche bringen.

Exxon und Shell zählen zu den Unternehmen, die auch unkonventionelle Lagerstätten mittels der umstrittenen Fördermethode des Frackings sowie die Teersande in Kanada ausbeuten. Keines der drei hier genannten Unternehmen kann als umwelt- und klimafreundlich gelten. Die gesamte Branche ist Teil des Problems, nicht aber einer Lösung, bei der weiterhin privatwirtschaftliche Profite zu Lasten der Gesellschaft generiert werden können, ob mit fossilen oder sogenannten regenerativen Energien. Hinter den Umwelt- und Klimafolgen durch die Förderung fossiler Energieträger steht ein noch viel größeres, unbequemes und weitgehend vernachlässigtes Problem, die soziale Frage.

Der grüne Kapitalismus ist noch immer ein Kapitalismus. Sollten eines Tages alle Erdöl- und Erdgasförderstellen dichtgemacht und durch Windräder und Solarparks ersetzt worden sein, wären beispielsweise Hunger, Armut, fremdbestimmte, gesundheitlich ruinöse Arbeit und all die anderen Schadensfolgen der vorherrschenden Eigentumsordnung nicht behoben, sondern lediglich von einer anderen Farbe übertüncht.


Fußnoten:

[1] https://www.linkedin.com/pulse/shell-supports-direct-regulation-methane-heres-why-gretchen-watkins/

[2] tinyurl.com/y2vfujfy

[3] https://www.spektrum.de/news/wie-exxon-den-klimawandel-entdeckte-und-leugnete/1374674

20. März 2019


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