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KLIMA/678: CO2 - Verschiebespiel ... (SB)



99 Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, bei den Klimaschutzverhandlungen in Katowice nicht zuzulassen, daß sich Staaten mittels des CDM (Mechanismus zur nachhaltigen Entwicklung) vom Klimaschutz freikaufen können. Im besten Fall sei der CDM ein Nullsummenspiel, eher noch stiegen mit ihm die CO₂-Emissionen an, heißt es in einem Offenen Brief an die Delegationsleiter der gegenwärtigen UN-Klimaschutzverhandlungen. Außerdem sorge der CDM für die Vertreibung indigener Bevölkerungen aus Gebieten, die für den Klimaschutz nicht angetastet werden dürften [1].

Zum Hintergrund: Es waren die Industriestaaten und eine Handvoll Entwicklungsländer, die, auf lukrative Klimaschutzgeschäfte hoffend, 1997 beim Abfassen des Kyoto-Protokolls auf die Einführung des CDM gedrängt hatten. Die Laufzeit des UN-Klimaschutzabkommens endet 2020. Anschließend tritt das 2015 vereinbarte Übereinkommen von Paris in Kraft. Ob und inwiefern der CDM weiterhin als Bestandteil der Klimaschutzmaßnahme gilt, wird dieser Tage bei der UN-Klimakonferenz COP24 im polnischen Katowice mitverhandelt.

Vom 3. bis 14. Dezember sitzen die Delegierten der Unterzeichnerstaaten des Paris-Abkommens zusammen, um für dessen noch sehr allgemein gehaltenen Ziele ein konkretes Regelbuch zu erarbeiten. Jeder Staat soll anschließend genau wissen, was er noch zu tun hat. Auch geht es um das Problem, daß die von den Unterzeichnerstaaten im Vorfeld des Pariser Übereinkommens eingereichten NDC (National Developed Commitments - Nationale Selbstverpflichtungen) nicht genügen und manche Staaten ihre Bemühungen zum Einsparen von Kohlenstoffdioxid und anderen Treibhausgasen verdreifachen müssen, damit eine Welt entsteht, deren globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad, möglichst nur 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt.

Die Kritik von Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise FIAN, Action Aid und Carbon Market Watch an den CDM macht sich an drei zentralen Punkten fest, auch wenn es sicherlich noch mehr daran auszusetzen gäbe:

1. Der CDM untergräbt den heimischen Klimaschutz: Wenn ein Land CO₂ emittiert, ein anderes die gleiche Menge einspart, ist das bestenfalls ein Nullsummenspiel. Das genügt natürlich nicht, um die Produktions- und Reproduktionsweisen einer jeden Gesellschaft zu dekarbonisieren, das heißt, um sie auf jene Bedingungen umzustellen, unter denen die Treibhausgasemissionen bis spätestens 2050 auf Null zurückgefahren werden. Die Investition in die heimische Wirtschaft hätte weitere Vorteile, zum Beispiel eine saubere Luft.

2. Der CDM hat die Treibhausgasemissionen erhöht: Obschon die Europäische Union ein umfangreiches Emissionshandelssystem aufgebaut hat, bei dem unter anderem CDM-Gutschriften ausgegeben werden, sind nicht nur global, sondern auch innerhalb der EU die Emissionen um rund 580 Millionen Tonnen CO₂ gestiegen. Das liegt laut dem Offenen Brief daran, daß die überwältigende Mehrheit der CDM-Projekte zu keinen echten Emissionsminderungen beiträgt und nur zwei Prozent klimapolitisch integer sind.

3. Durch den CDM werden die Menschenrechte verletzt: Durch einige CDM-Projekte wurden die Menschenrechte, insbesondere die Rechte indigener Völker, verletzt. Zu den katastrophalen Auswirkungen gehören Ausbeutung und Vertreibung lokaler Gemeinschaften, beispielsweise beim Staudammprojekt Barro Blanco in Panama. Der CDM enthalte kein System, durch das solche schädlichen Auswirkungen vermieden oder behoben werden. Darüber hinaus verteilen sich die CDM-Projekte im wesentlichen auf fünf Staaten, wohingegen die am wenigsten entwickelten Länder davon so gut wir gar nicht profitiert haben.

Über diese Kritik an den CDM hinausgehend kann man sogar sagen, daß durch den Klimaschutz das kolonialzeitliche Muster, demzufolge die reichen Länder den ärmeren unter die Arme greifen und ihnen den Fortschritt bringen, ins 21. Jahrhundert befördert wurde. Außerdem manifestiert sich darin ein indirektes Muster, nämlich daß die reichen Länder ihren Abfall - in diesem Fall ihre Abgase in Form von Treibhausgasen - indirekt in den Entwicklungsländern "abladen", indem sie dort den Aufbau umwelt- und klimafreundlicher Technologien finanzieren. Ohne diese "Kohlenstoff-Müllhalde" müßten die reichen Länder selber ran und ihre eigenen Emissionen reduzieren.

Dem noch nicht genug perpetuiert sich durch den CDM das kapitalistische Wirtschaftssystem. Das setzt auf einen steigenden Energiebedarf in Folge von Wachstum, Wachstum und noch mehr Wachstum. Je mehr die Wirtschaft wächst und dabei regenerative und nicht fossile Energieträger verwendet werden, desto mehr CDM-Projekte können generiert werden. "Regenerativ" ist jedoch nicht gleichbedeutend mit kohlenstoffneutral. Wenn beispielsweise schnell wachsende Bäume angebaut werden, deren Holz gehäckselt und über größere Entfernungen zu den Verbrauchern transportiert wird, verbraucht das Treibstoff, und der ist in der Regel fossiler Natur.

In dem Offenen Brief wird zu Recht gefragt, ob die Investitionen wirklich immer, wie gefordert, zusätzlich geleistet oder ob nicht vielmehr Projekte finanziert werden, die sowieso mit der gleichen Technologie gebaut worden wären. Und so wird resümiert: "Klimaziele werden gesetzt, um die globale Erwärmung zu begrenzen, und es gibt keinen eigentlichen Nutzen, wenn man sie nur auf dem Papier erfüllt. Keine buchhalterischen oder technischen Tricks können die Atmosphäre täuschen, und wenn diese so genannten Lösungen Menschen und der Umwelt schaden, sind wir am Ende die Verlierer und Opfer unserer eigenen Kurzsichtigkeit."

Bleibt abschließend zu ergänzen, daß diese Kurzsichtigkeit nicht aus Unwissenheit geboren ist, sondern aus einem benennbaren Interesse jener gesellschaftlichen Kräfte herrührt, die von den Schadensfolgen ihres Einflusses und Wirkens am wenigsten betroffen sind.


Fußnote:

[1] https://carbonmarketwatch.org/publications/open-letter-to-unfccc-heads-of-delegations-on-ending-the-cdm/

6. Dezember 2018


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