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KLIMA/656: USA - Emissionsschäden unerwartet hoch ... (SB)



Die Erdgasindustrie möchte sich als klimafreundliche Alternative zur Kohleverbrennung präsentieren und hofft, abgesehen von einer allgemeinen Umsatzsteigerung, Finanzmittel aus den milliardenschweren Budgets für Klimaschutzmaßnahmen an sich ziehen zu können. Erdgas ist wie Kohle und Erdöl ein fossiler Energieträger, bei dessen Verbrennen Kohlendioxid (CO2) entsteht. Das wird üblicherweise in die Luft entlassen und trägt dazu bei, daß sich das von der Erde reflektierte Sonnenlicht nicht im All verflüchtigt, sondern von den CO2-Molekülen in der Atmosphäre aufgehalten wird. Je höher der CO2-Gehalt, desto höher die globale Durchschnittstemperatur. Darauf deuten sowohl die real gemessenen Klimadaten als auch die paläoklimatischen Analysen von Eisbohrkernen, Seesedimenten, Baumringen und anderen erdgeschichtlichen Archiven hin.

Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Ausmaß Erdgas weniger klimaschädlich ist als Kohle, darf jedoch nicht nur die Verbrennung und Freisetzung von - verglichen mit Kohle und Erdöl - geringeren CO2-Mengen ins Kalkül gezogen werden. Zu berücksichtigen ist auch, daß Erdgas einen geringeren Wirkungsgrad hat als Erdöl.

Wichtiger noch als die Fragen nach den Emissionen aus der Erdgasverbrennung und dem Wirkungsgrad des Erdgases ist, daß bei der Förderung und dem Transport sehr viel Methan (CH4), des Hauptbestandteils von Erdgas, entweicht. Methan kommt eine sehr viel größere Treibhausgaswirkung zu als CO2. In vielen Publikationen wird ihm eine durchschnittlich 25fache Klimawirkung von CO2 zugesprochen, sogar im fünften Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change) aus dem Jahr 2014 wird dieser Wert verbreitet. Die Gas-Aktivistin Frida Kieninger von der Organisation Food and Water Europe macht jedoch auf die Praxisferne und damit Haltlosigkeit dieses Werts aufmerksam. Er sei aus Vergleichbarkeitsgründen auf einen Hundertjahreszeitraum berechnet, Methan habe jedoch eine Halbwertszeit von 12,5 Jahren, berichtete sie im vergangenen November auf dem People's Climate Summit in Bonn. [1]

Dann ist statistisch die Hälfte des Methans zerfallen (zu CO2), und daß die verbliebene Hälfte dann weniger klimarelevant ist als die ursprüngliche Gesamtmenge, kann nicht verwundern. Geht man von einem 20-Jahres-Zeitraum aus, steigt die Klimawirksamkeit auf das 87fache gegenüber CO2. Der Wert muß sogar als noch höher angenommen werden, sagte Kieninger, denn wenn die Energiewende nicht innerhalb der nächsten rund zehn Jahre gelingt, galoppiert die globale Erwärmung unaufhaltsam davon. Über den Zeitraum einer Dekade entfaltet Methan jedoch sein volles Treibhausgaspotential, das in dieser Spanne um mehr als das 100fache über dem von CO2 liegt.

Warum sind solche Berechnungen wichtig? Weil die Erdgasindustrie ihre Klimabilanz schönredet. Beispielsweise geht die Umweltschutzbehörde der USA, EPA (Environment Protection Agency), davon aus, daß in den Vereinigten Staaten 1,4 Prozent des geförderten Erdgases, bzw. Methans ungenutzt entweicht. Potentielle Quellen sind Bohrlöcher, Pipelines, Ventile, Kompressoren, Verbrennungsmotoren, Tanks, etc. Forscher der Colorado State University haben die Angaben überprüft und kommen nach umfangreichen Messungen zu einem anderen Ergebnis. Im Durchschnitt entweichen 2,3 Prozent des Methans, ergo ist die Klimawirksamkeit der US-Gasindustrie um 60 Prozent höher als behauptet. [2]

Allein die USA setzen pro Jahr 13 Millionen Tonnen Methan aus Leckagen frei. Daran sind unter anderem 500.000 aktive Erdgasbohrlöcher, 3,3 Millionen Kilometer Pipelines und viele Millionen weitere Installationen beteiligt. Die Forschergruppe hatte über einen Zeitraum von fünf Jahren Tausende Messungen der Methanemissionen von über 700 unterschiedlichen Gasinstallationen durchgeführt. Vor kurzem wurden ihre Untersuchungsergebnisse bereits im Journal "Science" veröffentlicht.

Nimmt man jetzt noch Kieningers plausible Berechnung hinzu, steht Erdgas schon viel weniger gut da als behauptet. In diesem Sinne ist Erdgas nicht klimafreundlich, sondern klimaschädlich. Somit wäre die Nullösung, bei der überhaupt kein fossiler Energieträger mehr gefördert und verbrannt wird, die entscheidende Klimaschutzmaßnahme und nicht ein bloßer Fahrspurwechsel in die gleiche Richtung, nämlich auf eine Erde zu, die nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem heutigen Planeten hat.


Fußnoten:

[1] Der Vortrag Frida Kieningers vom November 2017 auf dem People's Climate Summit in Bonn und ein Interview mit ihr sind im Schattenblick unter INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT nachzulesen:
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ... Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)

[2] https://theconversation.com/the-us-natural-gas-industry-is-leaking-way-more-methane-than-previously-thought-heres-why-that-matters-98918

13. Juli 2018


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