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KLIMA/606: Keine weiße Weihnacht am Nordpol? (SB)


Wärmetrend in der Arktis setzt sich fort

Klimaschutzmaßnahmen von Industriestaaten wie der Bundesrepublik Deutschland kommen viel zu spät


Am Nordpol ist es um diese Jahreszeit rund um die Uhr dunkel. Die Sonne schafft es nicht mehr über den Horizont, so daß die Region aus dieser Richtung zur Zeit keine direkte Wärmestrahlung erhält. Deswegen herrschen dort normalerweise Temperaturen von -22 bis -26 Grad Celsius. Nicht so in diesem Jahr. Da zeigt das Thermometer zehn bis zwölf Grad höhere Temperaturen an, und sie könnten um die Weihnachtszeit herum sogar über den Gefrierpunkt klettern, da sich von Ostgrönland her außergewöhnlich warme Luftmassen nach Norden aufgemacht haben. [1]

Mit diesem Wetterextrem setzt sich der diesjährige Trend auf spektakuläre Weise fort. Bereits im November war gemeldet worden, daß sich das arktische Meereis so langsam zurückbildet wie in keinem Winter zuvor. Das warme Wetter sorgt dafür, daß nicht nur die Eisfläche kleiner, sondern auch die Eisdicke dünner bleibt als normalerweise. Damit werden in diesem Winter die besten Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich der Trend im kommenden Jahr fortsetzt - so wie der ungewöhnliche Jahreswechsel 2015/16 die Voraussetzungen für die diesjährigen Extreme geschaffen hat.

Die Arktis wird als der Kanarienvogel des Erdklimas bezeichnet. Damit wird darauf angespielt, daß im Kohlebergbau ein im Käfig eingesperrter Vogel durch seinen Tod anzeigt, daß sich unter Tage gefährliche Gase zusammenbrauen. Übertragen auf die Arktis bedeutet es, daß diese die starken Einflüsse, denen der gesamte Planet ausgesetzt ist, als erste anzeigt. Wobei der für Weihnachten angekündigte schwere Sturm in Europa, der von den meteorologischen Verhältnissen in den Hohen Breiten ausgelöst wird, noch zu den harmlosen, relativ schadensarmen Folgen zählen dürfte. [2]

Möglicherweise erleben wir in den letzten beiden Jahren das Überschreiten eines Kippunkts in der Arktis, die sich aufwärmt, wenn das Meereis verschwindet. Eine Eisfläche vermag etwa 70 Prozent der Sonnenenergie zurückzustrahlen, eine Wasserfläche jedoch nur 6 Prozent. Das bedeutet, daß sich das Meer überall dort, wo sich noch kein Eis gebildet hat, um diese Wärmedifferenz aufheizt. In diesem Jahr ist das Gebiet rund um den Nordpol nur zu 80 Prozent von Eis bedeckt, normalerweise müßte es zu 95 Prozent vereist sein.

Die Erwärmung der Arktis ist eine Anomalie, die weitere Wetteranomalien auslöst und eine Entwicklung anzeigt, die das Klima und damit das Gesicht der Erde wandeln wird. Durch den Meerespiegelanstieg werden die Landmassen der flachen Küsten verschwinden und ganze Inseln untergehen, deren Bewohner dann in die Flucht getrieben werden. Generell werden die Klimaverhältnisse unberechenbarer und die Wetterextreme zunehmen.

Zwar wurde beispielsweise der syrische Bürgerkrieg nicht monokausal durch den Klimawandel ausgelöst, doch hat das sowieso durch regelmäßig auftretende Dürren geplagte Land in den Jahren vor Beginn des Aufstands im Jahr 2011 gegen die Regierung eine mehrjährige Jahrhundertdürre erlebt. Das hat die sozialen Spannungen verstärkt.

Das Klima allein hätte die derzeitige Massenflucht aus dem Land nicht ausgelöst. Wenn sich aber die Verhältnisse weiter zuspitzen und, wie von der Wissenschaft prognostiziert, Klimazonen entstehen, in denen kein Mensch mehr leben kann, dürfte das sehr wohl weitere, viel umfangreichere Massenfluchtbewegungen erzeugen. Außerdem können die ärmeren Staaten den Anstieg des Meeresspiegels kaum kompensieren und müssen wichtige Siedlungs- und Agrarflächen sowie Infrastruktureinrichtungen aufgeben. Gleiches gilt irgendwann auch für die reicheren Staaten.

Wobei es kein Zufall ist, daß durch die Überschwemmungen, die der Wirbelsturm Katrina in New Orleans und Umgebung bewirkt hat, vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten betroffen waren. Das gleiche gilt für die Verhältnisse der Nationen untereinander wie auch für die innerhalb einer Gesellschaft: Der Klimawandel verstärkt nicht nur die meteorologischen, sondern auch die sozialen Extreme; das Wohlstandsgefälle wird zunehmen.

Vor diesem Hintergrund hat die außergewöhnliche Entwicklung am weit entfernten Nordpol viel mit den hiesigen Lebensumständen zu tun, und das nicht nur in zukünftiger Hinsicht, sondern auch im Rückblick: Es waren und sind zu einem erheblichen Teil die Treibhausgasemissionen der Industriestaaten, die den menschlichen Anteil an der globalen Erwärmung maßgeblich bestimmen. [3] Und es ist das Beharren darauf, den einmal eingeschlagenen Weg des Wirtschaftswachstums nicht verlassen zu wollen, das den sich abzeichnenden Klimatrend fortschreibt.

Ein Beispiel für Beharrung ist ausgerechnet der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung. Unter anderem ist in ihm kein Ausstieg aus der Kohleverstromung in den nächsten Jahrzehnten vorgesehen. Zwar soll die Ära der Benzin- und Dieselfahrzeuge im Individualverkehr zu Ende gehen, aber statt dessen sollen Elektrofahrzeuge über die Straße rollen, und die haben auf Jahre hinaus eine schlechtere Ressourcenbilanz als Benziner und Dieselfahrzeuge. Nach wie vor werden in Deutschland Anträge auf die Errichtung von Ställen für die Massentierhaltung genehmigt, obgleich diese Produktionsweise und nicht zuletzt der gegenwärtig hohe Fleischkonsum erheblich zum Klimawandel beitragen. Drei Beispiele, die zeigen, daß die Bundesregierung glaubt, es sich leisten zu können, Maßnahmen gegen den Klimawandel auf die lange Bank zu schieben. Die Arktis sagt jedoch etwas anderes.


Fußnoten:

[1] http://www.wetter.com/news/nordpol-bis-zu-50-grad-ueber-normal_aid_22308.html

[2] http://www.nytimes.com/2016/12/21/science/arctic-global-warming.html

[3] https://wwa.climatecentral.org/analyses/north-pole-nov-dec-2016/

22. Dezember 2016


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