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KLIMA/602: Rekordwärme auf Svalbard - selbst die Saatgutbank gerät ins Schwitzen (SB)


Am "kalten Rand" wird es wärmer und wärmer


"Kalter Rand", das ist der Name für Svalbard (Spitzbergen), ein norwegisches Archipel im Arktischen Ozean, nur 1300 Kilometer vom Nordpol entfernt. In diesem Jahr wird die Durchschnittstemperatur in dessen Hauptstadt Longyearbyen erstmals seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen vor über 100 Jahren oberhalb der Gefriergrenze liegen. Ketil Isaksen vom Norwegischen Meteorologischen Institut kommentierte dies mit den Worten: "Das ist schon ein bißchen schockierend. Hätte man mich das vor zehn Jahren gefragt, hätte ich mir solche Werte für 2016 nicht vorstellen können." [1]


Aus schnee- und eisbedecktem Hang herausragender, mehrere Meter hoher Betonzugang, der zum Hang hin abfällt - Foto: Miksu, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Eingang zum über 100 Meter langen Stollen des Global Seed Vault, 20. Mai 2013
Foto: Miksu, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Das hätten sich vermutlich auch die Betreiber des Global Seed Vault, einer Saatgutbank, die tief im Permafrostboden Svalbards angelegt wurde, nicht ausmalen können. Hier lagern mehr als 900.000 Saatgutproben aus 217 Ländern unter trockenen, auf -18 Grad abgekühlten Klimabedingungen. Selbst wenn der Strom für längere Zeit ausfiele, würde dieses "Erbe der Menschheit" aufgrund seiner natürlichen Umgebung nicht auftauen, so die Vorstellung.

Doch schon acht Jahre nach Eröffnung des umstrittenen Global Seed Vault hatte die norwegische Regierung Alarm geschlagen: Der "kalte Rand" zieht sich zurück. Im Jahr 2008 war der Permafrostboden im Eingangsbereich des Depots erstmals aufgetaut. Mittels einer Reihe von Maßnahmen versuchen die Betreiber inzwischen, die Wärmequellen außen vor zu halten. [2]

Wenn die Temperaturen steigen, kommt es auf Svalbard zu weiteren, noch massiveren Veränderungen. In früheren Jahren waren im Monat November die Kara- und die Barentssee rund um Svalbard vollständig von Meereis bedeckt - in diesem Jahr bildet es sich wie in der übrigen Arktis nur sehr zäh. Ob die schätzungsweise 3000 Eisbären auf Svalbard dauerhaft damit zurechtkommen, ist unklar, hat doch das Meereis den Bären immer auch als Jagdrevier gedient.

Die Lufttemperatur von Svalbard liegt in diesem Jahr 6,7 Grad Celsius über dem Durchschnitt, und nach 73 Monaten in Folge, die wärmer als der Durchschnitt der jeweiligen Vergleichsmonate waren, hat sich auch das Wasser spürbar erwärmt. Das Klima der Arktis verhält sich zwar von jeher ziemlich unberechenbar, aber der diesjährige Wärmeeintrag könnte zur Folge haben, daß sich das Meereis im nächsten Jahr früher zurückzieht, wodurch das Meer noch mehr Wärme aufnimmt.

Die Gletscher Svalbards befinden sich bereits auf dem Rückzug, für den Permafrost gilt das gleiche. Wo der Boden bisher dauerhaft gefroren war, dann aber auftaut, besteht die Gefahr von Hangrutschungen und Schlammlawinen. Genau das befürchteten die Behörden Anfang dieses Monats für Longyearbyen und ordneten eine Evakuierung potentiell gefährdeter Gebiete an, nachdem schwere Unwetter mit starken Regenfällen (und nicht etwa Schnee, der um diese Jahreszeit zu erwarten gewesen wäre) die Umgebung der in einem Tal gelegenen Hauptstadt getränkt hatten. [3]

Im vergangenen Jahr waren bereits eine Person durch eine Schneelawine ums Leben gekommen und mehrere verletzt worden - und das im Dezember! Das schwerste Unwetter seit dreißig Jahren hatte die Schneemassen losgerissen. Normalerweise ist mit Lawinen erst im Frühjahr zu rechnen, wenn die Temperaturen wieder steigen. Aber das Wort "normalerweise" in Verbindung mit Wetter und Klima können die Einwohner von Svalbard aus ihrem Wortschatz streichen. [4]

Svalbard wird allerdings auch als "Thermometer der Erde" bezeichnet, was bedeutet, daß hier der Zustand des gesamten Planeten angezeigt wird. Ohne diese Analogie überstrapazieren zu wollen, ist festzustellen, daß die Insel früher dazu beigetragen hat, daß die Erde "erhöhte Temperatur" aufweist. Auf Svalbard wurde im großen Umfang Braun- und Steinkohle abgebaut. Das sind die Energieträger, bei deren Verbrennung am meisten CO2-Emissionen entstehen, durch die sich wiederum das globale Klima verändert. Die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, mit dem Abkommen von Paris dem Klimatrend Einhalt zu gebieten, wirken hilflos angesichts der Geschwindigkeit, Beständigkeit und ungeheuren Wucht, mit dem sich gegenwärtig die Erdsysteme zu verändern scheinen.

Wenn in der Wissenschaft festgestellt wird, daß die Erde auf Verhältnisse zusteuert, wie sie seit Menschengedenken nicht bestanden haben, und daß diese Entwicklung bereits eingeleitet wurde, wäre dann nicht zu fragen, ob der Mensch ihnen nicht gleichfalls auf nie dagewesene Weise begegnen müßte, und zwar seit vorgestern, weil seit gestern schon zu spät wäre? Das beträfe nicht allein die globale Erwärmung, sondern weitere Bereiche, die teilweise mit dem Klimawandel verschränkt sind wie Artensterben, weltweite Verluste an Böden, Absenken der Grundwasserhorizonte, Trinkwassermangel, Desertifikation, etc.

Wenn ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland, die den Ausstieg aus der Kohleverstromung auf die lange Bank geschoben hat, als Vorbild im Klimaschutz angesehen wird, dann könnte Svalbard eines Tages zum Ferienziel für Strandurlauber werden ...

... allerdings auch nur vorübergehend, denn zeitgleich damit werden Menschen aus dem Süden nach Norden fliehen, weil unter der sengenden Sonne gänzlich neue Klimazonen entstehen, die für niemanden mehr bewohnbar sind. Daß ein solches Szenario für diejenigen, die sich im Ringen um die perspektivisch profitabelsten Plätze an den Fleischtöpfen in einer vorteilhaften Position gegenüber ihren Artgenossen wähnen, noch nie ein Motiv gewesen ist, etwas anderes zu machen, hat die Zivilisationsgeschichte des Menschen hinreichend bewiesen.


Straßenverkehrs-Warnschild vor Eisbären, darunter zweites Schild mit norwegisch für: 'Gilt auf ganz Svalbard' - Foto: Hagman, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Wird Svalbard zur touristischen Konkurrenz für die sonnenverwöhnte Riviera? Das Problem mit den Eisbären jedenfalls könnte sich wie von allein lösen. Wenn sich das Eis zurückzieht, verschwinden vielleicht auch die Eisbären.
Foto: Hagman, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] http://www.csmonitor.com/Environment/2016/1126/Svalbard-above-freezing-Shocking-temps-have-huge-consequences

[2] http://derstandard.at/2000047674954/Sorge-um-Welt-Saatgutbank-auf-Spitzbergen

[3] http://www.wetteronline.de/wetternews/2016-11-07-fs

[4] http://www.spiegel.de/panorama/norwegen-schneelawine-toetet-einen-menschen-in-spitzbergen-a-1068752.html


29. November 2016


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