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KLIMA/544: Wärmerekorde, Unwetterkatastrophen und Pseudolösungen (SB)


Warum tut die Politik nicht mehr "gegen den Klimawandel"?



Das Jahr 2014 könnte als das wärmste seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen vor rund 135 Jahren in die Statistik eingehen. Bereits in den Monaten Mai, Juni, August und September wurden nach Angaben der US-Behörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) Rekordwerte registriert, ein Rückgang der Temperatur in den letzten drei Monaten des Jahres wird nicht erwartet. [1]

2014 würde sich an die Reihe jüngster Rekordjahre - 1995, 1997, 1998, 2005 und 2010 - anschließen. Wenngleich Unwetterkatastrophen auch in den Jahren auftreten, in denen keine Rekordwerte registriert werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von extremen Wetterereignissen mit einer Zunahme der globalen Durchschnittstemperatur. Gegenwärtig in mehreren Weltregionen auftretende Dürren und Überschwemmungen lassen ahnen, daß auf der Erde unter dem Zeichen beschleunigter Klimaveränderungen zu leben existentiell gefährlich wird.

In Honduras verlassen zur Zeit die Bauern das Land, weil es dort monatelang nicht mehr geregnet hat; Hunger breitet sich aus. Von der Dürre betroffen sind auch andere zentralamerikanische Länder wie Guatemala, El Salvador und Nicaragua. [2] Gleiches gilt für Brasilien. Dort herrscht seit vier Jahren Dürre. Zu den vielen vom Wassermangel betroffenen Städten gehört auch die 20-Millionen-Einwohner-Metropolregion Sao Paulo. Dort ist das für die Versorgung wichtige Cantareira-Reservoir nur noch zu vier Prozent mit Wasser gefüllt. [3] Viele Flüsse führen so wenig Wasser, daß der Schiffsverkehr eingestellt werden mußte. Im südöstlichen Bundesstaat Minas Gerais brennen die Wälder.

Auch der Nordosten Chinas leidet unter Trockenheit. In der Provinz um die Hauptstadt Peking herum hatten laut der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua im August mehr als 100.000 Menschen nur noch eingeschränkten Zugang zu Trinkwasser. [4] Dagegen kam es in Indien und Pakistan im September zu schwersten Überschwemmungen, bei denen viele hundert Menschen ihr Leben verloren. [5]

Angesichts solcher Rekordwerte und Katastrophenbeispiele, von denen sich noch viele mehr aufzählen ließen, und der Wahrscheinlichkeitsberechnungen des Weltklimarats IPCC, demzufolge eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit nur dann verhindert werden kann, wenn unverzüglich wirksame Maßnahmen gegen die Emissionen von anthropogenen Treibhausgasen ergriffen werden, stellt sich die Frage, warum die Politik nicht entscheidende Schritte gegen die Erderwärmung unternimmt.

Weder in den zurückliegenden Jahren noch den jetzt vom EU-Rat präsentierten "Schlussfolgerungen zum Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030" [6] oder auf der am Sonntag in Bonn zu Ende gegangenen Vorbereitungskonferenz für den bevorstehenden Weltklimagipfel in Peru wurden die erforderlichen Entwicklungen eingeleitet, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Und das ist sowieso bereits ein Wert, der ohne Zustimmung von mehreren Dutzend wirtschaftlich weniger wohlhabenden Staaten, insbesondere kleinen Inselstaaten oder Staaten mit einem flachen Küstenbereich, die wegen des Meeresspiegelanstiegs für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels plädieren, als Zielmarke festgelegt wurde.

Es spielen sicherlich viele Gründe eine Rolle, weswegen die Politik zu keinen wirksameren Maßnahmen gegen die Erderwärmung bereit ist. Zunächst müßte aber die Frage präzisiert werden, wer mit "die Politik" gemeint ist. Die Sphäre der politischen Entscheidungsträger birgt zahlreiche, einander widersprechende Interessen, und genau das ist ein wichtiger Grund, weswegen Klimaschutz nicht in dem Ausmaß unterstützt wird, wie es angesichts der wissenschaftlichen Klimaprojektionen geboten erscheint.

Politische Entscheidungen werden maßgeblich von der Sicherung der eigenen nationalen Vorteilslage im Rahmen der Staatenkonkurrenz bestimmt, ebenso wie umgekehrt die Mißachtung der Interessen anderer Staaten verbreitet ist. Kompromisse, wie sie jetzt der Europäische Rat eingegangen ist, orientieren sich nicht daran, was aus Klimaschutzgründen dringend erforderlich wäre, sondern wie die Vor- und Nachteile der beteiligten Verhandlungsparteien untereinander austariert werden können. Das ist ein gravierender Unterschied, denn der Beschluß der relativ wohlhabenden europäischen Staaten bedeutet in der Konsequenz, daß beispielsweise ein Staat wie Tuvalu vielleicht noch im Laufe dieses, spätestens im nächsten Jahrhundert von der Landkarte verschwindet und andere ärmere Länder in höchste Not geraten.

Auf einer personalisierten Ebene besteht ein möglicher Grund für das Ausbleiben umfassender Klimaschutzmaßnahme darin, daß bei Politikerinnen und Politikern die Einstellung, das ihnen das Hemd näher ist als der Rock, sicherlich nicht unterdurchschnittlich verbreitet ist. Es geht immer auch um die Sicherung der eigenen Berufsperspektive und damit verknüpft um Wählerstimmen.

Ideen wie "Generationengerechtigkeit", wie sie in der Umwelt- und Entwicklungsdebatte diskutiert werden, finden im westlichen Kulturkreis nicht viele Anhänger. Verantwortungsbewußt gegenüber späteren Generationen zu handeln taucht allerdings in dynastischen Systemen auf, beispielsweise in Gestalt von Herrscherhäusern und Familienbetrieben. Aber in beiden Fällen wird nur die Sicherung des eigenen Hauses angestrebt, nicht aber die einer Gesellschaft insgesamt. Im Gegenteil, die Gesellschaft hat sogar erst die Entstehung von privilegierten Dynastien ermöglicht und sichert ihren Bestand zu Lasten aller anderen.

Auch Religionen enthalten häufig die Idee des Fortbestands von bestimmten Werten über Generationen hinweg, beispielsweise die Bewahrung der Schöpfung. Aber erstens ist auch dieses Anliegen interpretierbar - ein Erdölmanager kann sehr religiös sein und sich dennoch an Geschäften mit dem klimaschädlichen Energieträger bereichern, ohne daß er oder sein Lebensumfeld das als Widerspruch empfinden - und zweitens wäre dieser Bewahrungsaspekt in eine umfassende Weltanschauung und -praxis eingebettet, die mit anderen als den klimabedingten Zwangsverhältnissen, denen sich Menschen dann zu fügen hätten, einhergehen.

Es gibt natürlich indigene Gemeinschaften, von denen man sagen könnte, daß sie weitgehend verantwortungsbewußt gegenüber ihrer Nachwelt leben. Wahrscheinlich kennen viele von ihnen den Begriff "Generationengerechtigkeit" nicht, brauchen ihn auch nicht, eben weil sie so leben, wie sie leben. Auch die Idee des dynastischen Fortbestands dürfte vielen von ihnen fremd sein, und was die Religion betrifft, so hat sie bei den meisten von ihnen nie zur Ausbildung eines institutionellen Apparats wie in unserem Kulturkreis geführt.

Um aber hier nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, den "Naturmenschen" idealisieren zu wollen, sei daran erinnert, daß "Indigene" ein von außen herangebrachter, kolonialistischer Sammelbegriff ist, hinter dem sich sehr verschiedene Lebensweisen verbergen, die mitunter auch zu Lasten späterer Generationen oder anderer Stämme gehen.

Ein letzter hier zu erwähnender Grund, weswegen keine wirksameren Maßnahmen zur Verhinderung der globalen Erwärmung ergriffen werden, könnte darin liegen, daß ein Plan B existiert: Schreitet der Klimawandel voran, werden sich die Verhältnisse in vielen Staaten so sehr verschlechtern, daß dann Hochrisikotechnologien der Klimabeeinflussung trotz zu erwartender Nebenwirkungen plötzlich attraktiv erscheinen. Die Rede ist von Geoengineering, auch Climate Engineering genannt.

Die Mehrheit der Teilnehmer der ersten internationalen Climate Engineering Conference 2014, die das IASS (Institute for Advanced Sustainability Studies) vom 18. bis 21. August in Berlin veranstaltet hat, lehnt Geoengineering entweder strikt ab oder sieht darin bestenfalls einen Rettungsanker, sofern alle Stricke reißen und die Erderwärmung davongaloppiert. [7]

Aber allein die Existenz eines "Plans B" und damit die Aussicht, doch noch davonkommen zu können, verringert den Handlungsdruck auf die Politik. Damit soll nicht behauptet werden, daß die politischen Entscheidungsträger ohne einen "Plan B" schon längst weitergehende Klimaschutzziele vereinbart hätten. Aber seitdem sich die Natur- und Sozialwissenschaften verstärkt mit dem Thema befassen, wird es auch von seiten der Politik aufgegriffen und könnte sich in den Köpfen der politischen Entscheidungsträger als vielleicht unerwünschte, aber irgendwann unverzichtbare Option festsetzen.

Was bleibt? Es gibt den Menschen nicht, der all die hier beschriebenen Negativeigenschaften, die zur Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses in Richtung Erderwärmung führen, abgelegt hätte. Die Debatte darüber, was daran zu ändern ist, müßte noch geführt werden und beginnt nicht mit der Verbreitung administrativer Luftverschmutzungszuteilungen und technologischer Scheinlösungen.


Fußnoten:

[1] http://www.ncdc.noaa.gov/sotc/global/2014/9

[2] http://tinyurl.com/m7vtj68

[3] http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/17478-kein-wandel-ausser-klimawandel

[4] http://www.derwesten.de/panorama/duerre-bedroht-hunderttausende-in-china-und-mittelamerika-id9753686.html

[5] http://www.dw.de/indien-und-pakistan-%C3%BCberflutet-und-%C3%BCberfordert/a-17922147

[6] Näheres dazu unter: http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umkl-543.html

[7] Der Schattenblick hat die Konferenz mit einer Reihe von Berichten und Interviews unter dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" in dem Pool UMWELT → REPORT auf- und nachbereitet.

26. Oktober 2014