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KLIMA/527: Das Meer holt sich die Atolle der Marshall-Inseln (SB)


Erst Flut, dann Dürre, dann Flut ...

Auf den Marshallinseln häufen sich die Zeiten des Notstands



Wenn die internationale Staatengemeinschaft nicht rasch entscheidende Schritte zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen unternimmt und der allgemeinen Erderwärmung entgegentritt, werden im Laufe dieses Jahrhunderts flache Küstengebiete und kleinere Inseln als Folge des Meeresspiegelanstiegs von der Landkarte verschwinden. Bei dieser häufig zu vernehmenden Mahnung wird die bedrohliche Entwicklung in die Zukunft verlegt, obschon sie für einige Gebiete der Erde bereits Realität ist. An diesem Widerspruch zeigt sich eine gewisse Ignoranz der führenden Wirtschaftsmächte, die zugleich hauptverantwortlich für die Klimaentwicklung sind, gegenüber den existentiellen Nöten kleinerer Staaten.

Buoj, die zu den 52 Inseln des westpazifischen Ailinglaplap-Atolls gehört, welches wiederum zu der Ralik-Gruppe der Marshallinseln gezählt wird, gibt es bald nicht mehr. Das Meer hat sich bereits die Strände genommen, demnächst kommen weiter im Innern der Insel gelegene Einrichtungen wie Straßen und Häuser an die Reihe. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP sagte kürzlich der Präsident der Marshallinseln, Christopher Loeak, der auf Buoj geboren wurde, einige der Strände, auf denen er früher gestanden haben, seien schon untergegangen. [1]

Anderen Atollen ergeht es ähnlich wie Buoj. Abgesehen von den Problemen als Folge des allgemeinen Meeresspiegelanstiegs kommt für die rund 55.000 Einwohner der Marshallinseln noch der fatale Umstand hinzu, daß seit Oktober 2012 starke Nordostwinde den Meeresspiegel um 8 bis 15 Zentimeter haben ansteigen lassen.

Angesichts der jüngsten Hochwasserkatastrophe in Deutschland, bei der die Flüsse nicht um Zentimeter, sondern gleich um mehrere Meter angeschwollen sind, klingt eine solche Spanne wenig beeindruckend. Allerdings verfügen die Bewohner der Atolle meist über keinerlei Schutz gegen das Meer, und jeder Deich im deutschen Binnenland oder an der Nordseeküste ist bereits höher als beinahe das gesamte Buoj-Atoll, das fast überall weniger als einen Meter über das Meer hinausragt. Kommen jetzt noch durch den Sturm aufgepeitschte Wellen hinzu, wird die Inselfläche zunehmend kleiner.

Den Bewohnern der Marshallinseln steht nicht nur das Wasser bis zum Hals, ihnen mangelt es auch an Wasser. Auf den nördlichen Inseln herrscht Dürre, mehr als 5.000 Bewohner mußten eine Zeitlang mit nur einem halben Liter Wasser pro Tag auskommen, und sie besaßen auch nicht genug zu essen. [2] So hatte es auf den Atollen Enewetak und Utirik fast ein Jahr lang nicht geregnet. Die Bewohner leben also inmitten der unendlichen Wasserwüste des Pazifiks und doch müssen sie Durst leiden.

Die Regierung der Marshallinseln rief für die dürrebetroffenen Inseln den Notstand aus, und Hilfsorganisationen flogen Wasseraufbereitungsanlagen ein. Auch die USA erklärten den Notstand für die mit ihnen assoziierte Inselgruppe, wodurch der Weg für staatliche Unterstützung freigemacht wurde. Laut dem Nationalen Wasserberater der Regierung der Marshallinseln, Tom Vance, haben einige Einwohner ihre Insel verlassen und sind dorthin gezogen, wo sich die Wasseraufbereitungsanlagen befinden. Das aber habe bereits zu sozialen Spannungen mit den dort lebenden Einheimischen geführt. [3]

Die Druckerschwärze der Meldungen über das vom Meer bedrängte Atoll Buoj sowie den Dürrenotstand auf den nördlichen Inseln ist kaum getrocknet, da wird schon die nächste katastrophale Entwicklung gemeldet: Die Marshallinseln wurden von Rekordfluten getroffen, die Hauptstadt Majuro ist von Wassermassen eingeschlossen. [4] Betonschutzwälle wurden durchbrochen und überspült, der Flughafen steht unter Wasser, große Gebiete der bevölkerungsreichsten Stadt des Archipels können nicht mehr trockenen Fußes erreicht werden.

Letztlich sind sämtliche Atolle der Marshallinseln, nicht nur Majuro, von Wassermangel betroffen, denn das vordringende Salzwasser verdirbt die natürlichen Wasserspeicher. Das vertragen weder die Brotfruchtbäume noch andere Nutzpflanzen.

In den Kommentarspalten der Berichterstattung über die Marshallinseln wird häufig der Eindruck zu erwecken versucht, daß die Probleme der Inselbewohner nichts mit dem Klimawandel zu tun haben, sondern hausgemacht sind. Da werden dann verschiedene Argumente vorgebracht, die darauf hinauslaufen, den Bewohnern selbst die Schuld für ihre mißliche Lage zuzuweisen. Hätten sie dieses oder jenes gemacht oder unterlassen, dann gäbe es auch keine Probleme, wird behauptet.

Bei diesen Erklärungsversuchen wird übersehen, daß es den Bewohnern der Marshallinseln und anderer flacher Inselstaaten aufgenötigt wird, sich - in der Lesart der Kommentatoren - vernünftig zu verhalten, weil andere es an eben dieser Vernunft missen lassen. Ansonsten würden die Industriestaaten und Schwellenländer nicht dermaßen viele Treibhausgasemissionen erzeugen, bis daß das 2-Grad-Ziel überschritten wird. Das besagt, daß die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit, die vor rund 200 Jahren begann, steigen sollte. Statt dessen würden jene Staaten das 1,5 Grad-Ziel einhalten, wie es die die kleinen Inselstaaten fordern, damit sie überleben können.

Doch darüber wird auf der Bühne der internationalen Klimapolitik schon lange nicht mehr diskutiert, bzw. eigentlich wurde dieses Ziel von denen, die Einfluß darauf hätten nehmen können, niemals ernsthaft in Erwägung gezogen. Den Bewohnern der Atolle vorzuhalten, daß sie gefälligst irgendwelche Anpassungsmaßnahmen ergreifen sollten, ist schon reichlich unverfroren. Da spiegelt sich in jenen Kommentaren die gleiche Mißachtung gegenüber der klimabedingten Not in den ärmeren Ländern wider wie in den Handlungen der politischen Entscheidungsträger, die hauptsächlich gewichtige Reden auf gewaltigen Klimakongressen halten oder, so am 25. Juni US-Präsident Barack Obama, Studierende mit vagen Verheißungen vereinnehmen wollen. [5]

Da liegt die Vermutung nahe, daß jene besserwisserisch anmutenden Leserkommentare ausgerechnet aus jenen Wirtschaftsräumen stammen, die stets davon profitiert haben, ihre technologische Weiterentwicklung bedenkenlos von Treibhausgasemissionen begleiten zu lassen. Es sind jedenfalls nicht die Bewohner der Marshallinseln, die den westlichen Industriestaaten und aufstrebenden Wirtschaftsnationen aufzwingen, Gebiete ihres Territoriums aufzugeben.


Fußnoten:

[1] http://www.spacedaily.com/reports/Rising_seas_washing_away_Pacific_leaders_home_island_999.html

[2] http://www.abc.net.au/news/2013-06-13/an-australia-increases-drought-assistance-to-marshall-islands/4750408

[3] http://www.abc.net.au/news/2013-06-06/an-marshalls-drought-destroys-food-supplies2c-raises-tensions/4736522

[4] http://tcktcktck.org/2013/06/welcome-to-climate-change-record-tides-engulf-drought-stricken-marshall-islands/

[5] http://www.energiezukunft.eu/klimawandel/obamas-klimarede-bleibt-wirkungslos/

27. Juni 2013