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KLIMA/474: Ökonomisierung der Klimakatastrophe - EU fördert CCS-Technologie (SB)


Milliarden Euro für den Green New Deal

EU legt weltweit größtes Investitionsprogramm für CCS-Technologie und erneuerbare Energien auf


Als die Industriestaaten in den neunziger Jahren über Maßnahmen gegen die Erderwärmung berieten, bestand von sozialkritischen Kreisen innerhalb der Umweltbewegung noch die Erwartung, daß die Wachstumsideologie der Wirtschaft wenigstens partiell aufgegeben und der Weg zu einer gänzlich anderen, nicht mehr von Verbrauch und Eigentumsanhäufung bestimmten Produktionsweise eröffnet würde. 1997 erfolgte die Ernüchterung. Zu behaupten, daß das damals beschlossene Klimaschutzabkommen von Kyoto der Wirtschaft Schlupflöcher ließ, wäre maßlos untertrieben. Mit dem Kyoto-Protokoll wurden ihr fundamental neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet, und es wurde sogar eine neue Währung geschaffen: Kohlenstoffzertifikate. Wasser, Land, Pflanzen und Tiere waren vor langer Zeit in Wert gesetzt worden, nun sollte auch einer der letzten Naturstoffe, die Atemluft, ökonomisiert werden.

Da Luft schwerlich geteilt und anderen Menschen vorenthalten werden kann, ohne daß die Betroffenen binnen kürzester Frist sterben, war sie aus eben diesem Grund als gesellschaftliches Herrschaftsmittel ungeeignet. Luft hatte sich der ansonsten üblichen Aneignung entzogen. Nun sollte der Gebrauch der Luft nicht nur als Luftraum oder Funkwellenmedium, sondern auch als bis dahin ungeregeltes Endlager für Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2) ökonomisiert werden. Ein Konzept, das theoretisch zu einer Mehrbelastung der großen Emittenten hätte führen können, wurde zu einer fulminanten Geschäftsoption transformiert.

Anstatt daß die Produzenten der klimarelevanten Abgase ihren Ausstoß drastisch reduzierten, um die Erderwärmung auszubremsen und die vor allem für ärmere Länder verheerenden Folgen abzumildern, wurden sie mit einer neuen Währung, den CO2-Zertifikaten, beschenkt. Mit diesen konnten die Unternehmen Handel treiben und mußten zumindest anfangs keinerlei Emissionsreduzierungen vornehmen. Außerdem erhielten die am CO2-Handelssystem beteiligten Unternehmen die Möglichkeit, ihre Produktionsabläufe beizubehalten und sich von der Verpflichtung zur CO2-Emissionsminderung freizukaufen. Der CO2-Zertifikathandel entwickelte sich in der Europäischen Union zu einem umsatzstarken Geschäftsfeld, das auch vor den üblichen Folgen der legalen und illegalen Aneignung, wie sie in jeder Branche vorkommen, nicht gefeit war. Es kam zu unmittelbaren Betrügereien im Kohlenstoffhandel, es findet Korruption statt, und Dorfbewohner verlieren ihr traditionelles Verfügungsrecht über die Nutzung einer Naturressource, weil diese plötzlich in einen anderen Verwertungsrahmen gestellt wird, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das Kyoto-Protokoll hat hinsichtlich des Anspruchs seiner Unterzeichner, Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, fast nichts gebracht, das räumen selbst ihre Befürworter ein. Die Aussicht, daß ein Nachfolgeprotokoll des 2012 auslaufenden Klimaabkommens unterzeichnet wird, stehen nach dem totalen Desaster der UN-Klimakonferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen schlecht. Dessen ungeachtet wird die Ökonomisierung der Klimakatastrophe munter vorangetrieben. Am Dienstag gab die EU-Kommission bekannt, daß sie mindestens acht innovative Projekte, die sich Technologien zur Kohlenstoffbindung und -speicherung (CCS - Carbon Dioxid Capture and Storage) widmen, "in erheblichem Maße finanziell" unterstützen wird [*]. Dabei geht es um keine Peanuts. Die hier angesprochene NER-300-Initiative, die auch 34 weitere Projekte zum Green New Deal finanziell unterstützen will, wird mit einem Investitionsvolumen von neun Milliarden Euro angegeben. Mit dieser Unterstützung sollen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihre Klimaschutzziele bis 2020 verwirklichen.

NER bedeutet New Entrants Reserve. Damit ist die Reserve für "neue Marktteilnehmer" des EU-Emissionshandelssystem ETS (EU Emissions Trading System) gemeint. Finanziert wird sie durch den Verkauf von 300 Millionen Emissionsrechten, die nach dem gegenwärtigen Kurs 4,5 Milliarden Euro wert sind. Weitere 4,5 Mrd. Euro sollen durch die Projektträger und Mitgliedstaaten ergänzt werden. Die Unternehmen, die sich einen Teil der Gelder ergattern wollen, müssen ihre Projektvorschläge binnen drei Monaten einreichen.

Bis zu 50 Prozent der Gelder sollen in die CCS-Technologie fließen. Hierbei geht es um Verfahren, wie die bestehenden Produktionsverhältnisse trotz des Klimawandels bewahrt und weiterentwickelt werden können. Das Kohlendioxid, das beispielsweise in Kohlekraftwerken als Abgas anfällt, würde abgefangen und verflüssigt, um es in unterirdische Lager zu pressen oder auf andere Weise zu verbringen. Der Energieaufwand, der zur Einsparung des aufgrund des vorangegangenen Energieaufwands produzierten Kohlendioxids betrieben werden muß, ist nach heutigem Stand der Technik gewaltig.

Mit der CCS-Technologie wird Kohlekraftwerken und anderen Großemittenten jenes Abgases, das maßgeblich für die globale Erwärmung verantwortlich gemacht wird, eine grüne Maske übergestülpt. Dahinter verbirgt sich die Fortschreibung einer technologischen Entwicklung, die nicht nur mit der Inwertsetzung und anschließenden Zerstörung der sogenannten Umwelt einherging, sondern die vor allem die Verwertung menschlicher Arbeitskraft und Physis qualifiziert hat. Weder mit dem Abfangen von CO2-Emissionen noch dem Bau von Solarthermischen Kraftwerken oder Windenergieanlagen werden die vorherrschenden Produktions- und Reproduktionsbedingungen mit ihrer auffälligsten Folge der krassen Einkommenunterschiede im geringsten in Frage gestellt.


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Quelle:
[*] "Klimawandel: Kommission startet umfangreiches
Investitionsprogramm für innovative emissionsarme Technologien",
IP/10/1476, 9. November 2010

http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/10/1476&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en

10. November 2010