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KLIMA/407: Barcelona - Absage an Klimaschutzvertrag (SB)


Angesichts absehbar katastrophaler Entwicklungen leisten sich führende Wirtschaftsmächte ein Scheitern der Klimaschutzverhandlungen


Kein Klimaschutzabkommen mit konkreten Zielen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen, sondern ein politisches Rahmenabkommen gilt inzwischen offiziell als das maximal Erreichbare beim kommenden Klimagipfel in Kopenhagen. Der dänische Ministerpräsident Lars Loekke Rasmussen und auch der Leiter des UN-Klimasekretariats, Yvo de Boer, stellten klar, daß es aller Voraussicht nach keine Einigung über ein Nachfolgeprogramm des 2012 auslaufenden Kyoto-Protokolls geben wird. Daran werden auch die Verhandlungen auf der gegenwärtigen UN-Vorbereitungskonferenz in Barcelona nichts ändern. Welche Konsequenzen hat das?

Wenn in den nächsten Jahren nicht noch ein überraschender Schwenk vollzogen und doch noch eine Einigung zur drastischen Minderung des Energieverbrauchs erzielt wird, so daß die Erderwärmung um zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt werden kann - was für einige Entwicklungsländer bereits verheerende Folgen hätte -, werden sich die Lebensverhältnisse von Milliarden Menschen dramatisch verschlechtern. Das behaupten keine Personen, die mit apokalyptischen Prophezeiungen ihre religiöse Botschaft verbreiten und Geschäfte mit der Angst der Menschen machen wollen, sondern internationale Wissenschaftler aus aller Herren Länder.

Bereits in den 2007 veröffentlichten Einschätzungen des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) warnten die Forscher davor, den Klimawandel nicht ernstzunehmen, und sie mahnten bei den Politikern an, international verbindliche Maßnahmen zur Verringerung der Erderwärmung zu ergreifen. Einige der vor zwei Jahren vom IPCC angenommenen Worst-case-Szenarien werden schon jetzt von der Wirklichkeit eingeholt.

Man muß also annehmen, daß sich die Regierungsvertreter, die zur Zeit in Barcelona verhandeln und im Dezember nach Kopenhagen reisen werden, sehr genau wissen, was in den nächsten Jahren und Jahrzehnten klimatisch geschehen wird. Forscher sagen ein Verschieben der Klimazonen und die Entstehung neuer klimatischer Verhältnisse voraus. Der Meeresspiegel wird steigen und kleine Inselstaaten sowie niedrig gelegene Landstriche - beispielsweise ein Drittel Bangladeschs - überflutet werden. Zugleich werden Schmelzwässer der Anden und des Himalaya, auf die viele Millionen Menschen dringend als Trinkwasserquelle angewiesen sind, nach und nach ausbleiben.

In Folge dieser und vieler weiterer von Wissenschaftlern vorausgesagter Veränderungen des Weltklimas, der Meeresströmungen und Windsysteme werden Bevölkerungswanderungen globalen Ausmaßes einsetzen. Das alles ist den Regierungen durchaus klar. Sie bereiten sich auch darauf vor, nur daß das nicht an die große Glocke gehängt und in Barcelona oder Kopenhagen ausgehandelt wird. Die USA sichern ihre Grenze zum klimatisch gefährdeten Mexiko, China seine Grenze zu Nordkorea, und die Europäische Union wehrt im Süden und Osten Flüchtlinge aus ärmeren, politisch unsicheren, aber häufig auch klimatisch benachteiligten Regionen ab. Zudem wird der Klimaschutz im Lissabon-Vertrag zum Primärrecht ernannt, so daß die Einzelstaaten an nationalen Einflußmöglichkeiten auf Klimaschutzmaßnahmen verlieren und sich unter Umständen dem von EU-Brüssel reklamierten höheren Interesse werden beugen müssen.

Die Sturheit, mit denen die politischen Entscheidungsträger auf den UN-Klimaschutzverhandlungen an ihren Positionen festhalten, gehen nur bedingt auf nationale Eigendünkel zurück. Sollten die oben angedeuteten klimatischen Entwicklungen eintreten, und von nichts anderem kann man angesichts des Stands der Wissenschaft ausgehen, so erhält die Weigerung der führenden Wirtschaftsmächte zu ernsthaften Klimaschutzmaßnahmen eine sehr, sehr persönliche Note. Denn es sind nicht die Regierungsvertreter der Industrie- und Schwellenländer, deren persönliche Lebensgrundlage in Gefahr gerät, wenn sich das Klima ändert. Es sind nicht die Merkel und die Obama, die mit ihrer wenigen Habe auf dem Kopf ein Überschwemmungsgebiet verlassen müssen, falls das Meer steigt, oder sich im heißen Sand der ostafrikanischen Dürrezone die Füße bis zur nächsten ausgedörrten Wasserstelle wundlaufen, um einmal die ansonsten allzu abstrakt bleiben Prognosen zum Meeresspiegelanstieg und zur Dürreentwicklung ins Bild zu fassen.

An den Verhandlungstischen in Barcelona und demnächst in Kopenhagen sitzt das Establishment. Das hat völlig andere Probleme als viele Milliarden Menschen. Ihm geht es nicht um Klimaschutz, sondern um die Sicherung liebgewordener Privilegien sowie um eine optimale Positionierung mit Blick darauf, daß eine neue globaladministrative Struktur geschaffen und die Verfügungsgewalt neu aufgeteilt wird.

Wenn die USA, die Europäische Union oder andere Verhandlungspartner warnen, daß der Klimawandel auch eine Frage der Sicherheit ist, dann meinen sie damit ihre eigene Sicherheit und die des vorherrschenden Systems, das ihnen zu allerlei Privilegien verhilft, nicht aber die existentielle Sicherheit beispielsweise von Bauern in Afrika, Asien oder Südamerika. Denn wären die Regierungsvertreter um deren Sicherheit besorgt, so hätten sie längst wirksame Maßnahmen ergriffen, um den Hungertod von jährlich 35 Millionen Menschen oder den chronischen Hunger von inzwischen über eine Milliarde Menschen zu verhindern.

Die Not dieser Menschen dient allenfalls als Vorwand zur Durchsetzung immer neuer Maßnahmen, mit der die globale Ordnung gesichert werden soll, seien es Strukturanpassungsmaßnahmen, Entschuldungsinitiativen, Doha-Runden, EU-AKP-Verhandlungen oder eben Klimaschutzvereinbarungen.

4. November 2009