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KLIMA/394: Strategisches Gerangel vor dem Kopenhagen-Gipfel (SB)


Globaladministration und Klimaschutz


Wenn im Dezember in Kopenhagen Verhandlungen über internationale Klimaschutzmaßnahmen geführt werden, dann werden dort Weichen gestellt, die zu bislang noch völlig unausgeloteten gesellschaftlichen Entwicklungen überleiten könnten. Abgesehen von historischen Zäsuren, wie sie die beiden Weltkriege bildeten, dürften in der jüngeren Zivilisationsgeschichte der Menschheit nur wenige Schwellensituationen von ähnlicher zukunftsweisender Tragweite zu finden sein, wie sie die nächste UN-Klimaschutzkonferenz COP-15 darstellt. Das gilt in jedem Fall, also selbst dann, wenn sich die Staats- und Regierungschef auf keine konkreten Ziele zur Senkung der Treibhausgasemission einigen und der gegenwärtige neoliberale Kurs einfach "nur" fortgesetzt wird.

Denn Passivität innerhalb eines Systems schier überwältigender, als "natürlich" nur unzureichend bezeichneter Kräfte schützt niemanden davor, eben diesen Naturgewalten ausgeliefert zu sein. Den meisten wissenschaftlichen Prognosen zufolge werden Extremwetterereignisse zunehmen; es wird zu vermehrten Dürren und Überschwemmungen kommen, und auch die Intensität von Hurrikanen wird wachsen. Ebenso ist mit einem Anstieg des Meeresspiegels zu rechnen, was enormen Druck auf die Siedlungsflächen und landwirtschaftlichen Produktionsgebiete weltweit ausüben wird. Sollte es also zu keinen klimarelevanten Vereinbarungen kommen, wäre sowieso als Antwort auf akute Katastrophen mit einer Notstandsgesetzgebung und damit einer sozialfeindlichen Staatlichkeit zu rechnen, wie sie beispielsweise nach dem Hurrikan Katrina im August 2005 in New Orleans zum Ausdruck und zum Ausbruch kam und in modifizierter, das heißt verdaulich wirkender Form sehr ähnlich in rund drei Monaten im Rahmen von Klimaschutzmaßnahmen vereinbart werden könnte.

Im übrigen verhält sich die Menschheit alles andere als passiv, wenn sie das Gasgemisch der Atmosphäre durch unzählige Brandherde, vom einfachen Holzfeuer im Kreis einer Handvoll unbehauener Steine bis zur betonummäntelten nuklearen Glut, so verändert, daß sich die Erde insgesamt aufheizt.

Die Kopenhagener Klimakonferenz knüpft an das 1997 beschlossene, 2005 in Kraft getretene Kyoto-Protokoll an. Dessen Wirksamkeit als Klimaschutzmaßnahme wird allgemein als unzureichend und hauptsächlich von symbolischem Wert angesehen. Wenngleich dies im Sinne der wissenschaftlichen Anforderungen, die an einen Klimaschutz zu stellen wären, zutrifft, wird bei dieser Einschätzung vernachlässigt, daß mit dem Abkommen zumindest der Grundstein für administrative Regulationen gelegt wurde, die tief in die globalen Produktionsweisen und Lebensverhältnisse der Menschen eingreifen. Darauf baut das Kopenhagener Protokoll auf und setzt den eingeschlagenen Weg fort.

Kein gesellschaftlicher Bereich wird davon unberührt bleiben, keinem wird es erspart , nach den administrativ vorgegebenen Kriterien der Klima- und Umweltfreundlichkeit bemessen zu werden. In einer Welt mit sieben, acht oder neun Milliarden Menschen werden existentiell wichtige Sourcen schneller schwinden denn je, zugleich wird die als Endlager für Schadstoffemissionen aller Art genutzte Atmosphäre noch stärker belastet als bisher, was zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität vieler Menschen führen und als Vorwand dienen könnte, ein Regime zu errichten, in dem dann auch die Atemluft dem Eigentumsbegriff unterworfen wird. Der CO2-Zertifikathandel ist ein erster Schritt in diese Richtung. Atemluft zum Eigentum zu machen und sie dadurch zu verknappen erweitert nicht etwa die Möglichkeiten der Menschen zur Überlebenssicherung, sondern beschränkt sie, wie an den Beispielen Boden und Wasser abzulesen ist.

Eingedenk der fundamentalen Veränderungen durch den Klimawandel, der nicht nur das Verhältnis Staat zu Bürger, sondern auch das der Staaten zueinander bestimmen wird, versuchen die Regierungen im Vorfeld der Kopenhagener Klimakonferenz sich strategisch vorteilhaft zu positionieren und umgekehrt andere dazu zu nötigen, daß sie ihre eigenen Ansprüche zurücknehmen. So haben Deutschland und Frankreich bereits die Möglichkeit der Einführung von Strafzöllen angedeutet, sollten die Schwellenländer nicht auf die ihnen von den Europäern abverlangten Zugeständnisse eingehen. Insbesondere der französische Präsident Nicolas Sarkozy sieht in den Klimaschutzauflagen für die heimische Industrie einen Nachteil gegenüber den aufstrebenden Schwellenländern, sollten deren industriellen Produktionsweisen nicht den gleichen Klimaschutzstandards unterworfen werden.

Auf der anderen Seite fordert China, daß bei den Verhandlungen nicht die gesamte Kohlendioxidmenge eines Staates zum Maßstab für Klimaschutzmaßnahmen erhoben wird, sondern die Pro-Kopf-Emissionen. Denn dabei liegt das bevölkerungsreichste Land der Erde noch weit unterhalb der USA und anderer Industriestaaten und müßte konsequenterweise nicht so weitreichende Bürden aufgehalst bekommen wie diese.

Diese beiden Beispiele zeigen, daß "Klimaschutz" von ungeheuer weitreichender Bedeutung ist. In Kopenhagen wollen die vorherrschenden gesellschaftlichen Kräfte ihre Vorteilsposition, die eng an die Wachstumsdoktrin gebunden ist, welche eine zentrale Rolle bei der gegenwärtigen Zunahme der Treibhausgasemissionen spielt, nicht etwa aufgeben, was konsequent wäre, sondern stärker befestigen denn je. Das soll der Green New Deal richten, dem sich die Obama-USA ebenso wie die EU, China und andere ausgesprochen oder unausgesprochen verpflichtet haben. Wobei der Wachstumsbegriff von jeher falsche Erwartungen weckt. Wachstum bedeutet nicht, daß die Lebensqualität allgemein wächst, sondern daß der Verbrauch und die endgültige Zerstörung von Sourcen um sich greift und der dadurch erzeugte Mangel gegen die Mehrheit der Menschen in Stellung gebracht wird. Wie nicht zuletzt der wachsende Hunger ausgerechnet in den nahrungsproduzierenden ländlichen Regionen beweist.

21. September 2009