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KLIMA/386: Diskurs über Herrschaft und Klimawandel bleibt aus (SB)


Freie Fahrt für neue Herrschaftsformen

Klimaschutzdebatte führt bereits zur Immunisierung der Bevölkerung


Unermüdlich rufen Umweltorganisationen und engagierte Aktivisten dazu auf, das allgemeine Bewußtsein für den Klimawandel zu schärfen. Die Menschen müßten begreifen, daß der westliche Standard des Energieverbrauchs untragbar ist und sich die Lebensverhältnisse für viele Menschen dramatisch verschlechtern werden, wenn nicht durch die Reduzierung von Treibhausgasemission die globale Erwärmung aufgehalten wird. Außerdem benötige die Menschheit mehrere Planeten, wollten alle Bewohner das gleiche Ausmaß an Konsum in Anspruch nehmen, wie es ihnen von den Bevölkerungen in den Industriestaaten vorgelebt wird.

Es hat allerdings den Anschein, als habe der frühere Schwung der Umweltbewegung nachgelassen. Bei aller Dramatik der Prognosen - in der Wahrnehmung der Deutschen findet der Klimawandel woanders statt. Warum also sich Sorgen machen, fragen sie sich. Andere empfinden durchaus die Dringlichkeit der Fragestellung, daß man etwas zur Verhinderung des Klimawandels tun müsse, überantworten die Problembewältigung aber vollständig den Institutionen. Eine weitere, rasch wachsende Gruppe bekommt den wirtschaftlichen Druck so hautnah zu spüren, daß aus ihrer Sicht der Klimawandel ein reines Luxusproblem ist, dem sich nur Leute widmen können, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen und nicht jeden Cent umdrehen müssen. Als vierte Gruppe wären noch jene zu erwähnen, bei der die ständigen Warnungen vor dem bevorstehenden Klimawandel zu einer Immunisierung geführt hat und die nichts mehr von dem Thema wissen wollen.

Auch in den USA sind solche Tendenzen zu beobachten, wobei sich zwar seit Amtsantritt Barack Obamas als Präsident vordergründig eine Menge getan hat und seine Regierung darum bemüht ist zu demonstrieren, daß sie den Klimawandel ernst nimmt, aber in den Vereinigten Staaten tritt noch eine weitere "klimamüde" Bevölkerungsgruppe in Erscheinung, die der sogenannten Klimaskeptiker. Die Spanne der Ansichten, die hierunter gezählt werden, reicht von der Behauptung, daß nicht der Mensch Hauptverursacher der gegenwärtigen Erderwärmung ist, bis zu der These, daß der Klimawandel gar nicht stattfindet.

All die hier erwähnten Personengruppen laufen allerdings Gefahr, einer Fehleinschätzung zu unterliegen, und darin unterscheiden sie sich nicht von vielen, die sich teils intensiv um den Klimaschutz bemühen, womöglich sogar initiativ sind und an Demonstrationen oder Klima-Camps teilnehmen. Die Fehleinschätzung beruht darin, nicht zu erkennen, wie sich die Administrationen auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten. Es gibt gute Gründe, davon auszugehen, daß der globale Krieg gegen den Terror nur ein Vorgeplänkel für künftige Ressourcen- und Regulationskriege bildet. Seit 2001 haben sich die westlichen Staaten zuvor nicht für möglich gehaltene, weitreichende Befugnisse zu Lasten der Bürger angeeignet und sind darüber hinaus mit oder ohne UNO-Mandat unverhohlen imperialistisch aufgetreten (Angriffskriege auf Afghanistan, Irak, zunehmend auch Pakistan; Aufhebung der Souveränität Somalias durch den UN-Sicherheitsrat).

Der Krieg gegen den Terror dürfte in den nächsten Jahren von einem Krieg "gegen" Klimawandel und Ressourcenknappheit abgelöst werden. Dieser Feind trägt kein menschliches Gesicht, aber es werden Menschen sein, die darunter zu leiden haben, daß die militärisch dominanten Staaten der Erde Eroberungs- und Plünderungsfeldzüge organisieren und ihren Einfluß ausdehnen. Die bevorstehenden Ressourcensicherungskriege wären nur unzureichend beschrieben, wollte man sie beispielsweise darauf beschränken, daß die führenden Militärmächte Erdölgebiete erobern und sich das Schwarze Gold unter den Nagel reißen wollen. Dazu wird es zwar auch kommen, aber wichtiger ist ihnen die Erweiterung des eigenen Einflusses. Die Konflikte in Afrika - gegenwärtig in Sudan, der Demokratischen Republik Kongo, Madagaskar, Somalia und Simbabwe sowie, was häufig vernachlässigt wird, in Westsahara - verweisen auf eine kriegerische Zukunft der gesamten Weltbevölkerung.

Hier kommt der Klimawandel ins Spiel. Es ist gar nicht wichtig, ob er stattfindet oder nicht, wie die Klimaskeptiker trotz erdrückender Gegenbeweise behaupten. Der Klimawandel oder etwas Entsprechendes würde erfunden werden, um Regulationsmechanismen zu installieren und zu legitimieren, die den Fortbestand der Herrschaft in Zeiten des Mangels an Rohstoffen, vor allem an Nahrung und Süßwasser, sichern sollen. In der heutigen Weltordnung leiden mehr als eine Milliarde Menschen Hunger. Weitere ein, zwei Milliarden Menschen sind verarmt - wer diese Welt "in Ordnung" findet, zählt sich offenbar zu den Gewinnern und hofft, daß er ein Anrecht auf die ihm bislang eingeräumte privilegierte Position hat.

Der Mangel und seine Verwaltung werden jedoch nicht auf die Entwicklungs- und Schwellenländer beschränkt bleiben. Deshalb wäre die oben erwähnte Fehleinschätzung noch zu präzisieren: Wer behauptet, der Klimawandel fände gar nicht statt, oder glaubt, ihn mit Appellen an ausgerechnet jene gesellschaftlichen Adressaten in Angriff nehmen zu können, die gar nicht daran interessiert sind, ihre relativ gesicherte Position aufzugeben, täuscht sich über das Ausmaß des Konflikts. Ob man das zur Kenntnis nehmen will oder nicht, der Kampf gegen den Klimawandel ist Bestandteil des Sozialkampfs - und die andere Seite bringt ihre Waffen längst in Stellung.

So wurde in den USA im vergangenen Jahr erstmals ein aktiver Kampfverband, der zuvor am irakischen Häuserkampf beteiligt war, in die Heimat verlegt, um im Falle von Naturkatastrophen administrative Zwangsmaßnahmen gewaltsam durchsetzen und soziale Unruhen niederringen zu können. In Deutschland geschieht etwas Ähnliches. Hier wächst die Zusammenarbeit zwischen Militär und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen schleichend und stetig. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und andere Sicherheitspolitiker versuchen permanent, die grundgesetzlich vorgegebene, strikte Trennung von Bundeswehr und Polizei zu perforieren. Auch hiesige Politiker beschwören das Angstgespenst des Terrorismus, wobei die Vorwände nachgerade lächerlich sind. (Sorry, aber die drei von der "Sauerlandgruppe" gehen bestenfalls als Witzfiguren durch, wenn man sie schon nicht als Rekruten der Geheimdienste bezeichnen will.)

Das Pendant zur Forderung des Einsatzes der Bundeswehr im Innern erleben die Afghanen derzeit: Ihr Dörfer werden von deutschen Soldaten mit Mörsergranaten beschossen. Damit wurde wieder einmal eine Grenze überschritten. In der Lesart von Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen hat sich jedoch die Trennung von Innen- und Außenpolitik überlebt. Wenn man diese Behauptung konsequent weiterdenkt, sind die afghanischen Dörfer genausowenig "außen" wie deutsche Dörfer "innen" - wen genau töten dann die deutschen Soldaten? Sind es "nur" Afghanen, oder wird nicht vielmehr am fernen Hindukusch der deutsche Souverän unter Beschuß genommen?

Klimawandel, Ressourcenverknappung und administrative Gewaltregulation - angesichts dieser Entwicklung erfüllt die Umweltschutzbewegung, so es ihr nicht gelingt, die Herrschaftsmechanismen und -absichten aufzudecken, die Funktion eines Abstellgleises. In aller Ruhe und letztlich ungestört von der Klimadebatte, können unter dem Vorwand des Klimaschutzes völlig neue Herrschaftsformen etabliert werden. Die allgemeine Verelendung der Lebensverhältnisse im Rahmen des neuen Mangelregimes wird gewiß nicht vor den Festungsmauern der Europäischen Union oder Nordamerikas haltmachen.

Nachdem bereits Boden und Wasser weltweit dem Eigentumsbegriff unterworfen wurden, was dem ausschließlichen Zweck dient, anderen Menschen die Nutzung vorzuenthalten, um sie zur Unterwerfung zu nötigen, wird gegenwärtig daran gearbeitet, ähnliche Verfügungsformen auch auf die Luft anzuwenden. Könnte man einem Menschen die Atemluft wegnehmen, um sie ihm portionsweise unter der Bedingung wieder zurückzugeben, daß er dafür arbeitet, wäre das längst geschehen. So wie bei Boden und Wasser. Mit Verschmutzungsrechten, also der Verhängung des Rechts, Gase in die Atmosphäre entlassen zu dürfen, wurde ein Anfang gemacht.

Die aus der Science-fiction entlehnte Vorstellung von Städten, die durch riesige Glaskuppeln von der giftigen Atmosphäre außerhalb geschützt sind und in denen ein kleiner Kreis von Privilegierten lebt, während außerhalb Siechtum vorherrscht, wirkt vor dem Hintergrund der zu beobachtenden Trends gar nicht so weltfremd, wie es den Anschein hat. Das globale Problem des Klimawandels losgelöst von den gegenwärtigen Vorbereitungen zur Qualifizierung der Verfügungsgewalt in Angriff nehmen zu wollen hieße deshalb, das Spiel der Herrschaft mitspielen zu wollen.

9. August 2009