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KLIMA/372: Katrina-Opfer klagen gegen Army Corps of Engineers (SB)


Katrina-Katastrophe 2005 von weitreichender Bedeutung für

Verhandlungsbeginn einer Klage gegen das US Army Corps of Engineers wegen unzureichender Befestigung eines Kanals in New Orleans


Im August 2005 und den anschließenden Wochen wurden die Einwohner von New Orleans von zwei Katastrophen heimgesucht. Zum einen von dem Hurrikan Katrina, der vorübergehend die höchste Gefahrenstufe 5 erreichte, aber selbst in abgeschwächter Form noch verheerende Überflutungen an der Südküste der Vereinigten Staaten auslöste. Zum anderen von den Behörden, angefangen von der kommunalen Ebene, für die der Name des Bürgermeister Ray Nagin steht, bis zur Bundesregierung in Washington und einem "Decider" namens George W. Bush, der sich mehr Sorgen über die Verbesserung seines Handicaps beim Golfen als über den Wirbelsturm im Golf zu machen schien.

Eigentlich gab es sogar noch eine dritte Katastrophe. Die läßt sich jedoch weniger an bestimmte Personen, sondern vielmehr an eine Institution festmachen, dem US Army Corps of Engineers. Im Jahr 2008 war die Klage von sechs Einwohner aus New Orleans gegen das Army Corps of Engineers, dem vorgeworfen wird, einen Stichkanal, den Mississippi River Gulf Outlet, im Volksmund "Mr. GO" genannt, für die Schiffahrt gebaut und unterhalten zu haben. Vergangene Woche begannen die Verhandlungen. [1]

Tiefer gelegene Wohnviertel wie St. Bernard Parish, New Orleans East und Lower Ninth Ward wurden durch Deiche und streckenweise einfache Flutwände vor dem Kanal geschützt. Die Konstruktion erwies sich als Verhängnis. Die Katastrophe brach über die hier lebende, vornehmlich afroamerikanische Bevölkerung herein, als der Hurrikan längst weitergezogen war. Bei blauem Himmel und Sonnenschein brachen die Deiche, und binnen Stunden wurden die Stadtviertel überflutet.

Nur auf den ersten Blick scheinen die Chancen der Kläger gegenüber dem Army Corps of Engineers, das durch das "Flood Control Act", einem Bundesgesetz, weitreichende Immunität gegenüber Schadensersatzansprüchen wegen seiner Tätigkeit genießt, gering. Allein die Tatsache, daß der Bezirksrichter Stanwood Duval die Klage zugelassen hat, bedeutet, daß die Forderungen nicht völlig aus der Luft gegriffen sind und daß rechtlicher Klärungsbedarf besteht. Ob die Klage zum gewünschten Erfolg führt, ist völlig offen. [2] Falls ja, so dürfte sich eine Reihe weiterer Klagen gegen die US-Regierung anschließen, wie Elisa Gilbert, eine der Anwältinnen der Klägerseite, vermutet. [1] Deswegen wird das aktuelle Verfahren in den USA mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt.

Der Stichkanal war in den 1960er Jahren aus wirtschaftlichen Gründen gebaut worden, um den Schiffsverkehr von New Orleans zum Golf von Mexiko abzukürzen. Aber wie so häufig bei solch größeren Bauprojekten wird gespart, und es werden die Folgen für die Umwelt nicht beachtet oder zumindest als vernachlässigbar eingeschätzt. In diesem Fall erhöhte sich nach dem Kanalbau der Salzgehalt in den Sumpfgebieten zwischen New Orleans und dem Golf von Mexiko, was zum allmählichen Verlust der Vegetation führte, die nicht zuletzt einen natürlichen mechanischen Schutz gegen Stürme geliefert hatte. Außerdem bildete der Kanal ein Einfallstor für Stürme vom Meer direkt in die Innenstadt.

Überlebende der Katrina-Katastrophe, die über 700 Todesopfer forderte (wobei eine unbekannte Zahl Afroamerikaner von weißen Milizen erschossen wurde), berichteten, daß nach dem Bruch der Spundwände des "Mr. GO" meterhohe Wassermassen mit 150 Stundenkilometern durch die Stadt rasten. Ein Argument der Kläger lautet, daß jene Wände am Kanal zum Mississippi gar keinen Deichschutz darstellen sollten - denn in dem Fall wäre das Army Corps vor Schadensersatzansprüchen gefeit -, sondern eine Befestigung für Schiffsverkehr.

Die Flutwände, die den Mississippi eindämmten, waren von ihrer Basis her nicht genügend befestigt und gaben dem Druck nach. Die frühere Behauptung des Army Corps of Engineers, daß niemand damit rechnen konnte, trifft nicht zu. Es waren Experten des Army Corps of Engineers selbst, die in den achtziger Jahren vor dieser Möglichkeit gewarnt hatten.

Die Katrina-Katastrophe 2005 könnte in mehrerer Hinsicht ein Vorbote für die Folgen des Klimawandels sein. Zum einen rechnen Wissenschaftler damit, daß vielleicht nicht die Zahl, wohl aber die Heftigkeit von Wirbelstürmen im Laufe dieses Jahrhundert, in dem sich die Erde voraussichtlich stark erwärmt, zunehmen wird. Zum anderen droht eine Vernachlässigung der von den Klimawandelfolgen am stärksten betroffenen Menschen durch die Regierungen. In der heutigen Lesart wird zwar die Katrina-Katastrophe als Ausnahme beschrieben, und die US-Behörden haben feierlich gelobt, Erfahrungen gesammelt zu haben und sich künftig besser um die Menschen zu kümmern, aber es geht ja nicht nur um US-Bürger, die von der Administration zuerst im Stich gelassen, später dann herumgeschubst wurden. Die USA, EU und andere wohlhabende Staaten schotten sich gegenüber Einwanderern ab, und die Behauptung, es ginge ausschließlich darum, Wirtschaftsflüchtlinge abzuhalten, ist eine Ausrede, denn in dieser Lesart ist auch der westafrikanische Bauer, dessen Felder aufgrund einer mehrjährigen Dürre nichts abwerfen und der deshalb pleite gegangen ist, ein Wirtschaftsflüchtling, obgleich Westafrika in den letzten Jahren einen Klimawandel erfahren hat und dort weniger Niederschlag gefallen ist.


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Anmerkungen:

[1] "Katrina trial: New Orleans' truth commission", The Christian Science Monitor, 22. April 2009
http://www.csmonitor.com/2009/0422/p02s10-usgn.html

[2] The Latest News, 5. Mai 2008

http://www.hurricanekatrinanews.org/

[3] "Impact of Mr. GO At Center of Landmark Hurricane Katrina Trial", 21. April 2009
http://www.yourlawyer.com/articles/read/16458

27. April 2009