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KLIMA/344: Vermehrte Repressionen als Folge des Klimawandels (SB)


Unter dem Druck des Klimawandels wird soziale Ungleichheit vertieft

Europäische Regierungen bereiten die Bürger auf schwere Zeiten vor


Der Klimawandel und seine Folgen könnte den Regierungen in Zukunft einen einzigartigen Vorwand zur Ergreifung von repressiven Maßnahmen liefern. Es ist nicht damit zu rechnen, daß davon irgendein gesellschaftlicher Bereich ausgespart bleibt. Das Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll, das 2012 ausläuft, dürften die Menschen künftig viel deutlicher in Form von Einschränkungen zu spüren bekommen als bisherige Klimaschutzmaßnahmen.

Mit dieser düsteren Vorausschau soll weder der Klimawandel noch das kaum lösbare Problem des wachsenden Mangels an Überlebensressourcen geleugnet werden. Auch steht es außer Frage, daß eine Politik des Weiter-so-wie-bisher die klimatischen Veränderungen und die damit einhergehenden natürlichen Beeinträchtigungen des Lebensraums der Menschen verstärken würden. Wirksame Gegenmaßnahmen sind also dringend geboten, doch müssen sie folgerichtig dann als repressiv bezeichnet werden, wenn die damit verbundenen Einschränkungen und Lasten von oben nach unten verlagert werden - so wie es in anderen gesellschaftlichen Bereichen bereits praktiziert und als vermeintlich naturgegeben akzeptiert wird.

Ein Beispiel: Seit Jahren weiß man, daß vor allem die großen, schweren Autos verhältnismäßig große Abgasmengen emittieren und daß die Industrie ihre Selbstverpflichtung (die offenbar nur vorgetäuscht wurde, denn eine Pflicht hätte erfüllt werden müssen) zur Schadstoffsenkung nicht einhält. Das Aussitzen hat sich für die Konzerne gelohnt, denn nach den letzten Beschlüssen auf EU-Ebene steht fest, daß noch Jahre verstreichen, bis die Autoindustrie die Vorgaben erfüllen muß. Zudem sollen die spritfressenden, hubraum- und emissionsstarken Fortbewegungsmittel bei der geplanten Kfz-Steuerbefreiung von Neuwagen stärker gefördert werden als Kleinwagen.

Auf der anderen Seite wird die Mobilität von finanziell weniger gut gestellten Autobesitzern, die sich kein neueres Fahrzeug leisten können, in weiten Teilen Deutschlands massiv eingeschränkt. Sogenannte Umweltzonen, die von Städten und Gemeinden mit einem Anpassungszwang durch die EU-Feinstaubbestimmungen begründet werden, schießen wie Pilze aus dem Boden. Für ärmere Bundesbürger mit einem älteren Fahrzeug heißt es deshalb in vielen Innenstadtbereichen: Wir müssen draußen bleiben! Die Einschränkung der Freiheit der Mobilität wäre sicherlich erträglicher, wenn die Städte alternativ zum Individualverkehr ein öffentliches Verkehrsnetz aufbauten, das preislich akzeptabel und infrastrukturell entwickelt ist. Das wird jedoch nicht getan. Das öffentliche Netz wird vielerorts vernachlässigt bei gleichzeitiger Erhöhung der Fahrpreise.

Ein weiteres Beispiel für Umlastung der Einschränkungen, die sich aus dem Klimawandel ergeben, auf untere Bevölkerungsschichten: Unternehmen, die Investitionen zur Senkung ihrer Kohlendioxidemissionen tätigen müssen, werden versucht sein, dies auf die Preise ihrer Waren oder Dienstleistungen aufzuschlagen. So werden Verbraucher aus einkommensschwächeren Haushalten im Verhältnis stärker belastet, da sie einen größeren Teil ihrer Einkünfte für den Klimaschutz abtreten müssen. Das gilt zum Beispiel auch für den Benzinpreis: Wer jeden Euro umdrehen muß, bevor er ihn ausgibt, wird von der Steuer stärker belastet als jemand, der sich ein großes Auto leisten kann und über ein hohes Einkommen verfügt.

Weder die politischen Entscheidungen der Bundesregierung noch die der EU-Kommission bieten Anhaltspunkte, die der Vermutung widersprechen, daß die auf die Bevölkerung zukommenden Belastungen durch den Klimaschutz im umgekehrten Verhältnis zur Einkommensverteilung stehen werden. Wer viel besitzt, wird im Verhältnis weniger belastet als jemand, der wenig besitzt. Nun kündigt Bundeskanzlerin Angela Merkel an, daß das nächste Jahr viele schlechte Nachrichten bringen wird. Da es selbstverständlich nicht um Nachrichten geht, sondern darum, was mit ihnen gesagt wird, bedeutet das, daß die Bürger ihre Gürtel werden enger schnallen müssen.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise sattelt auf dem Problem des Klimawandels auf. Die britische Regierung hat kürzlich eine Task Force ins Leben gerufen, die sich mit dem Problem der Nahrungsverfügbarkeit befaßt und die Regierung in Strategien der Nahrungssicherung beraten soll. Umweltminister Hilary Benn erklärte, daß die Briten nicht mehr davon ausgehen könnten, daß ihre Versorgung gesichert sei - das könnte man als das britische Pendant zur Erklärung der Kanzlerin bezeichnen. Es geht an die Substanz.

Wenngleich der Klimawandel abstrakter erscheint als die unmittelbar Armut fördernde Finanz- und Wirtschaftskrise, werden die gesellschaftlichen Umwälzungen in der Folge veränderter klimatischer Verhältnisse fundamental sein. Wenn aber die wahrscheinlich bevorstehenden Einbrüche in der Versorgung mit Nahrung, Energie und anderen Ressourcen gesellschaftlich auf die gleiche Weise gehandhabt werden wie bisher der Mangel verwaltet wurde, wird der Klimawandel die soziale Ungleichheit verstärken. Nur dann bestünde eine Chance, diese Entwicklung zu verhindern, wenn noch vor der Ergreifung von Klimaschutzmaßnahmen die Frage nach dem politischen System aufgeworfen, gründlich diskutiert und dahingehend geklärt würde, daß nichts von dem bleiben darf, das den einen zum Diener und den anderen zum Herrn macht.

4. Dezember 2008