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KLIMA/287: "Live Earth" - künftige Mangelverwaltung kein Thema (SB)


Let's party!

Lautstark an zentralen Fragen der Klimawandelfolgen vorbei


Die Möglichkeiten, von den dringlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz abzulenken, sind Legion. Eine davon dauert den ganzen morgigen Tag und kommt lautstark daher: Live Earth. In acht größeren Städten der Welt werden Rockfestivals veranstaltet. Das ganze wird von Fernseh- und Radiostationen rund um den Globus sowie im Internet übertragen. Klima-Gurus wie Albert Gore, ehemaliger Vizepräsident der USA, Bono und viele VIPs mehr zeigen sich dem seine vermeintliche Ernsthaftigkeit zelebrierenden Volk und machen auf wahnsinnig betroffen. Aber auch auf heiter! Denn Klimaschutz soll ja auch Spaß machen! Denn man kann was tun: Konzertkarten erwerben beispielsweise oder Sparbirnen kaufen, (vermeintlich) kohlenstoffneutralen Biodiesel verbraten, auf Ökostrom umsatteln, zu Fuß gehen, den Kuchen mit heimischen Äpfeln und nicht denen aus Südafrika decken, seinen Urlaubsflug mit Ablaßzettel von atmosfair "neutralisieren" und so weiter und so fort

Das alles ist schön und gut, vor allem ist es anständig. Eine zentrale Frage wird allerdings ausgeklammert: Wie wird die Administration mit dem Nahrungs- und Wassermangel und dem absehbar schwindenden Lebensraum umgehen? Wenn sich der Mittelmeerraum in eine Wüste wandelt und das Meer die Niederlande und die norddeutsche Tiefebene zu überschwemmen droht, wenn Bangladesh absäuft, aber auch dem Gebirge kein Wasser mehr kommt, wenn die Pazifikatolle von Brechern überrollt werden, der Amazonas-Regenwald zu brennen beginnt und in Mexiko die Kakteen anfangen zu schwitzen - welche Antworten werden die Regierungen darauf haben?

In den letzten Jahren wurden häufiger Berichte von Militärs und Geheimdienstlern lanciert, aus denen hervorging, daß man sich in den Strategiezentralen auf die wahrscheinlichen Folgen des Klimawandels vorbereitet. Es ist erst rund zwei Wochen her, da erklärte der oberste Stabschef der britischen Streitkräfte, Jock Stirrup, bei einem Treffen des Think Tanks Chatham House in London, daß die Erderwärmung eine so große Sicherheitsgefahr sei, daß sich die Militärstrategen darauf einstellen müßten. Selbstverständlich erwähnte Stirrup nicht, daß das Militär vor allem anderen dazu abgestellt werden wird, die zu wenigen Ressourcen gegenüber anderen Ländern und genauso der eigenen Bevölkerung zu verteidigen, zum Wohle einer kleinen Elite. Statt dessen sprach er davon, daß der Klimawandel zur Schwächung und Auflösung von Staaten führen und größere humanitäre Katastrophen auslösen könne und sich das Militär darauf einstellen müsse. Aber bereits seine Befürchtung, daß bewaffnete Gruppen den Klimawandel ausnutzen könnten, deutet an, daß das Militär auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden soll.

Stirrup behauptete, daß ausgerechnet jene Staaten, die bereits heute als fragil gelten, am ehesten vom Klimawandel betroffen sein würden - eine Aussage, die nicht zutrifft, es sei denn, man bezeichnete Kanada und den US-Bundesstaat Alaska als "fragil". Die Arktis erlebt die Folgen der Erderwärmung bereits heute. Es ging dem britischen Stabschef selbstverständlich um etwas anderes, nämlich um die Bedienung des üblichen Bilds von schwachen oder gar gescheiterten Staaten. So etwas kommt bei vielen politischen Analysten gut an. Die fühlen sich dann aufgefordert, Vorschläge für militärische Interventionen zu unterbreiten.

Sollten die Temperaturen tatsächlich das obere Ende der prognostizierten Werte erreichen, erklärte Stirrup, hätte das bis zum Jahr 2040 "ernsthafte physikalische Konsequenzen" ... falls die Dinge nicht allzu schlecht liefen. Ansonsten sehr viel früher, wahrscheinlich "übermorgen", meinte der britische Stabschef.

Mit Stirrups Anmerkungen wird die Reihe der hochrangigen Militärs, die sich in letzter Zeit zum Klimawandel geäußert haben, fortgesetzt. Am 9. Mai 2007 hatte der US-Luftwaffengeneral i. R. Charles Wald vor dem Committee on Foreign Relations des US-Senats eine Stellungnahme zum Thema "Klimawandel und Nationale Sicherheit" abgegeben. Darin forderte er die Politiker auf, Klimawandel zur Frage der nationalen Sicherheit zu erklären. Wörtlich sagte er:

"Über die eher konventionellen Bedrohungen hinaus, denen wir traditionell begegnen, sollten wir uns meines Erachtens schon jetzt ebenfalls darauf vorbereiten, Antworten auf die Folgen dramatischer Bevölkerungswanderungen, pandemischer Gesundheitsfragen sowie signifikanter Nahrungs- und Wasserverknappungen als mögliche Folgen eines bedeutenden Klimawandels zu geben."
(aus: www.acus.org/docs/070509-Wald_Testimony_CFR.pdf. Übersetzung: Schattenblick)

Wald und andere Generäle und Admirale im Ruhestand hatten bereits Mitte April 2007 in ihrem Report "National Security and the Threat of Climate Change" gefordert, daß die nationalen Sicherheitskonsequenzen des Klimawandels voll in die Strategien der nationalen Sicherheit und nationalen Verteidigung integriert werden sollten. Auch rieten sie dazu, die Geheimdienste in die Bewertung der Klimafolgen hinsichtlich der nationalen Sicherheit einzuspannen, und das Verteidigungsministerium sollte ein Gutachten zum Einfluß des steigenden Meeresspiegels, extremer Wetterereignisse und anderer denkbarer Klimawandelfolgen der nächsten dreißig bis vierzig Jahre erstellen. Warum wohl? Zeitlich noch etwas weiter zurück haben die US-Senatoren Durbin, Hagel und Feinstein ein Gesetz eingebracht, in dem eine "Nationale Nachrichtendienstliche Einschätzung" zum globalen Klimawandel gefordert wird.

Im Februar 2004 ließ der renommierte US-Verteidigungsexperte und Geheimdienstberater Andrew Marshall im Auftrag des Pentagon eine Studie zur Klimaentwicklung erstellen und hat zu diesem Zweck Peter Schwartz, ehemaliger Forschungsmanager beim Ölkonzern Royal Dutch/Shell und CIA-Berater, sowie Doug Randall vom Global Business Network der kalifornischen Denkfabrik Monitor Group, hinzugezogen. Die drei Experten forderten von der US-Regierung, daß der Klimawandel "unverzüglich zur wichtigsten politischen und militärischen Frage" erklärt werden müsse. Die nationale Sicherheit der USA sei ebenso gefährdet wie die globale Stabilität. Ein "plötzlicher Klimawandel könnte den Planeten an den Rand der Anarchie bringen, weil Länder eine nukleare Bedrohung entwickeln könnten, um die schwindende Versorgung mit Nahrung, Wasser und Energie zu sichern".

Vor diesem Hintergrund wirkt das Rockspektakel "Live Earth" wie ein tumber Reflex auf Entwicklungen, die noch gar nicht erkannt, geschweige denn in Angriff genommen wurden. Der verächtliche Umgang der administrativen Kräfte mit den Flutopfern von New Orleans nach dem Hurrikan Katrina war kein Versehen und keine Ausnahme, sondern Programm. Die Systeme der künftigen Mangelverwaltung werden längst auf den Weg gebracht, wie die obigen Beispiele aus dem militärisch-geheimdienstlichen Bereich zeigen. In den acht Metropolen rund um den Globus wird keine kollektive Antwort auf eine potentielle Bedrohung gegeben, sondern statt dessen die gesteigerte Individualisierung abgefeiert - beste Voraussetzung zur bevorstehenden Durchsetzung administrativer Mangelkontrollmaßnahmen.

6. Juli 2007