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GENTECHNIK/306: Gesetzentwurf ermöglicht GVO-Freisetzung und erschwert Anbauverbot (SB)


Anhörung im Bundestag - Opt-out heißt Opt-in


Bislang war der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland weitgehend verpönt. Wohingegen andere Mitgliedsländer der Europäischen Union, wie zum Beispiel Spanien, Gentechsaat bereits auf einer großen Fläche ausgebracht haben. Der Versuch, eine einheitliche Regelung zu schaffen, hat dazu geführt, daß der Rat der EU-Umweltminister am 12. Juni 2014 die Lösung der damals politisch ziemlich festgefahrenen Lage darin sah, sich dem grundsätzlichen Ja zum Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) nicht in den Weg zu stellen und es jeder Regierung zu überlassen, die Freisetzung in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu verbieten.

Nun ist es Aufgabe der Einzelstaaten, die EU-Vorgabe in nationales Recht umzusetzen. Dazu hat die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt, der zwar eine sogenannte Opt-out-Regelung von der GVO-Freisetzung vorsieht, aber dennoch darauf hinauslaufen könnte, daß mehr und mehr Bundesländer der Kraft des Faktischen nachgeben und gentechnisch veränderte Pflanzen zulassen. Denn wenn jedes Bundesland bei jeder einzelnen GVO-Pflanze, für die ein Unternehmen einen Freisetzungsantrag eingereicht hat, nur für sich allein entscheiden kann, ob es die Opt-out-Regelung in Anspruch nimmt oder nicht, wird es einen Flickenteppich an Zulassungen, Teilzulassungen und Verboten geben. Die Vermutung liegt nahe, daß dadurch das Risiko einer Kontamination derjenigen Bundesländer, die es vorziehen, gentechnikfrei zu bleiben, steigt.

Darüber hinaus sind die Bedingungen, nach denen die Bundesländer die Opt-out-Regelung in Anspruch nehmen können, dermaßen streng gefaßt, daß sie kaum zu erfüllen sind - abgesehen vom bürokratischen Aufwand, der auf die zuständigen Landesbehörden zukommt. Dem noch nicht genug, wurde in den Entwurf der Bundesregierung zum sogenannten Vierten Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes [1] ein Absatz 6 in Paragraph 26 neu eingefügt, durch den die Möglichkeit nicht ausgeschlossen wird, daß GVO-Pflanzen, die illegal in GVO-freien Regionen wachsen, nicht sofort vernichtet werden müssen. Beispielsweise dann nicht, wenn sie "zur unmittelbaren Verarbeitung" vorgesehen sind. Hier haken Umweltverbände aus gutem Grund ein, denn es bleibt unklar, wie lange diese Frist sein wird. Steht so eine Pflanze unmittelbar vor der Blüte, würde möglicherweise die weiträumigere Ausbreitung nicht verhindert. Jedenfalls wird hierdurch das Nulltoleranz-Gebot der EU grundsätzlich aufgeweicht. [2]

Am Montag, den 16. Januar 2017, fand eine öffentliche Anhörung des Agrarausschusses des Deutschen Bundestags statt, bei der Expertinnen und Experten ihre Stellungnahmen zu dem Gesetzentwurf abgeben konnten. Vor dem Hintergrund, daß es innerhalb der EU einflußreiche Interessen gibt, GVOs generell zuzulassen - vielleicht auch mit Blick auf die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA -, stellt die Opt-out-Regelung zumindest einen Zeitgewinn dar, ab wann bislang gentechnik-kritische Länder wie Deutschland umkippen.

Eine Umsetzung des Gesetzes in deutsches Recht könnte die Bundesrepublik zu einem Land machen, in dem zukünftig GVOs im größeren Umfang freigesetzt werden. Zwar würde dies von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt, aber den Protest dauerhaft auf breiter Front zu mobilisieren, fällt auch auf anderen gesellschaftlichen Streitfeldern schon schwer. Die Ablehnung der Gentechnik ist hierzulande nicht mehr in aller Munde. Das drastische Ausbremsen der Energiewende, der Abschluß des Freihandelsabkommens CETA zwischen EU und Kanada, die Fortsetzung des Braunkohleabbaus und der Kohleverstromung in Deutschland zeigen beispielhaft, daß die Regierung durchaus bereit ist, sogar gegen die Proteste beträchtlicher Teile der Bevölkerung zu handeln.

Legt man die Intentionen des Entwurfs zum Gentechnikgesetz zugrunde, könnte dies auch bei der Grünen Gentechnik eintreten. Wobei der Entwurf so gehalten ist, daß er den Umstand verschleiert, die Sicht der GVO-Befürworter aus Wirtschaft und (wirtschaftsnaher) Wissenschaft stärker abzubilden als die der Kritiker. Ist das Zufall oder handelt es sich hier um einen sehr bewußt formulierten Gesetzesvorschlag, der als Opt-out-Regelung formuliert ist, aber faktisch auf eine konzernfreundliche Opt-in-Regelung hinausläuft? Vielleicht war dieses Signal die fehlende Würze, die das Unternehmen Bayer noch gebraucht hat, um sich den weltweit führenden Gentechnikkonzern Monsanto einzuverleiben ...


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/jd4yden

[2] tinyurl.com/hl3nrn5

16. Januar 2017


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