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ATOM/442: Three Mile Island und die Häufung von Schilddrüsenkrebs (SB)


Neue epidemiologische Studie zum Nuklearunfall von Three Mile Island von 1979


Der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Three Mile Island (TMI) von Harrisburg am 28. März 1979 zählt zu den schwerwiegenderen unter den vielen Katastrophen der Nuklearindustrie. Im Reaktor 2 der Anlage war es zu einer partiellen Kernschmelze gekommen, und die Techniker im Kontrollraum wußten stundenlang nicht, was überhaupt geschah. Diese Fehlleistung ähnelt so frappant denen der Explosion des Blocks 3 des Akw Tschernobyl in der Ukraine (1986) oder auch der Zerstörung von vier Reaktoren des Akw Fukushima Daiichi (2011), daß man von einer systemimmanenten Kontrollosigkeit der Atomtechnologie sprechen könnte - und dabei sind die zahllosen "kleineren" Störfälle noch nicht einmal berücksichtigt. Auch wenn das Ausmaß des "ernsten Unfalls" (INES-Stufe 5) von TMI noch zwei Stufen unter dem jener beiden bislang schwersten Unfälle in der Geschichte der zivilen Nuklearwirtschaft bleibt, hat dieser offenbar ebenfalls die Krebsrate in der Bevölkerung angehoben.


Der Flug führt in wenigen hundert Metern Höhe knapp am Akw vorbei. Aus zwei von vier Kühltürmen steigt Dampf auf - Foto: JL Johnson, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Kernkraftwerke sind sicher und Flugzeuge stürzen niemals ab ... Blick aus dem Fenster auf das Akw Three Mile Island, United Express flight 3336, 21. April 2012.
Foto: JL Johnson, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Das wird in einer aktuellen Studie des Medizinjournals "Laryngoscope" zwar nicht behauptet, aber angedeutet. Die Vorsicht bei der Einschätzung kommt wohl auch deswegen zustande, weil die teils recht industrienahen Studien, in denen ein Zusammenhang zwischen der Strahlenfreisetzung und Gesundheitsfolgen nicht nachgewiesen werden konnte, die offizielle und damit vorherrschende Ansicht repräsentieren.

Demnach hat eine Forschungsgruppe um den Chirurgen und Schilddrüsenexperten Dr. David Goldenberg vom Penn State Medical Center eine mögliche Korrelation (eine nicht zwingend kausal belegbare Verbindung) zwischen der Freisetzung von Radionukliden aus der partiellen Kernschmelze im Reaktor 2 des TMI und dem vermehrten Entstehen von Schilddrüsenkrebs festgestellt. [1]

Allerdings beruht die genetische Studie nur auf 44 Personen, die im Penn State Hershey Medical Center behandelt worden waren und aus Bezirken stammten, die an Three Mile Island grenzen. Das Ergebnis der Studie lautet, daß die Patienten nach dem Unfall zwischen fünf und 30 Jahren früher an Schilddrüsenkrebs erkrankt sind als Personen, bei denen dieser Krebs vor dem Unfall aufgetreten war. Somit liefert die Studie zumindest einen Anfangsverdacht, wonach der Schilddrüsenkrebs von diesem Unfall ausgelöst worden sein könnte.

Sowohl während des Kernschmelzunfalls als auch in den Tagen und Wochen danach, in denen die Betreiber des TMI absichtlich Wasserstoff und Wasserdampf in die Atmosphäre entlassen haben, um den Druck in der Anlage und die Explosionsgefahr zu reduzieren, waren radioaktive Partikel in die Umwelt gelangt. Dennoch vertritt die Nuclear Regulatory Commission (NRC) - die Atomaufsichtsbehörde der USA - die Ansicht, daß bei dem Unfall so wenig Radioaktivität freigesetzt wurde, daß weder für die Akw-Mitarbeiter noch die Anwohnerinnen und Anwohner eine Gesundheitsgefahr bestanden hat. [2]

Auch Dr. David Goldenberg sagt laut USA Today, daß das Ergebnis seiner Studie keineswegs schlüssig ist. Zwar weise Pennsylvania die höchste Schilddrüsenkrebsrate der USA auf, doch hätten die meisten Fälle nichts mit Three Mile Island zu tun.

Dies ist allerdings nicht die einzige Untersuchung, die einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Auftreten von Krebs zumindest nahelegt. Beispielhaft seien hier die Beobachtungen von Dr. Steven Wing aus dem Jahr 1997 genannt. Der assoziierte Professor für Epidemiologie der School of Public Health der University of North Carolina Chapel Hill hatte in einer peer-reviewten Studie festgestellt, daß eine zwei- bis zehnfache Erhöhung der Lungenkrebs- und Leukämierate in Hauptwindrichtung gegenüber der windabgewandten Richtung des Kernkraftwerks besteht. [3]

Damals hatten einige Bewohner von Symptomen wie Erbrechen, Hautausschlag und Haarausfall berichtet, was typischerweise auf eine sehr hohe Strahlenexposition deutet. Offiziell wurde versucht, diese Symptome auf Streß und Hysterie zurückzuführen. Die zirkelschlüssige Begründung: Da ja (angeblich!) keine hohe Radioaktivität freigesetzt worden war, könne es sich bei den Symptomen nur um einen psychologischen Effekt handeln.

Diese Einschätzung zeugt von der Unbelehrbarkeit der Kernkraftwerksbetreiber und ihrer Sachwalter in der kernenergiefreundlichen Administration. War nicht gerade erst durch den Unfall bewiesen worden, daß sie die Technologie nicht beherrschen? Stundenlang hatten die Techniker keine Ahnung, daß ein Sicherheitsventil verklemmt war und laufend radioaktiver Dampf entwichen ist - um nur eine von zahlreichen Fehlleistungen in diesem Zusammenhang zu nennen. Trotzdem wurde bereits kurz nach dem TMI-Unfall behauptet, man wisse genau, daß es zu keinem starken Radioaktivitätsausbruch gekommen sein.

Der Reaktor 2 von Three Mile Island wurde durch den Vorfall so stark zerstört, daß er nicht wieder in Betrieb genommen werden konnte. Vor kurzem hat das Betreiberunternehmen Exelon Corporation (EXC) angekündigt, daß es Reaktor 1 von TMI im Jahr 2019 abschalten wird. Dann wird das Kapitel des Unglücksreaktors geschlossen. Für die Krebserkrankten hingegen ist die Geschichte von Three Mile Island noch längst nicht zu Ende geschrieben.


Carter vor einer Wand, die übersät ist mit Knöpfen, Schaltern, Leucht- und anderen Meßanzeigen. Hinter ihm drei weitere Personen. - Foto: NRC

Knöpfe, Schalter, Meßanzeigen - folgenschweres Technik-Versprechen. Wer sich darauf verläßt, ist verlassen.
US-Präsident Jimmy Carter besucht den Kontrollraum des Reaktors 2 im Akw Three Mile Island.
Foto: NRC


Fußnoten:

[1] https://www.usatoday.com/story/news/nation-now/2017/06/01/three-mile-island-cancers/359995001/

[2] https://www.nrc.gov/reading-rm/doc-collections/fact-sheets/3mile-isle.html

[3] https://www.unc.edu/news/archives/feb97/wing.html


11. Juni 2017


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