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ATOM/390: Grundwasser rund um das Akw Fukushima Daiichi mutiert zur nuklearen Kloake (SB)


Ausbreitung der Strahlungszone

Rapider Anstieg der Strahlenverseuchung des Grundwassers am Atomkraftwerk Fukushima Daiichi


Die radioaktive Verseuchung des Grundwassers rund um die Reaktoren 1 und 2 des japanischen Akw Fukushima Daiichi nimmt zu. Innerhalb einer Woche um das "mehrere Dutzendfache", meldete am Freitag die englischsprachige Nachrichtenagentur Kyodo [1]. Die Betreibergesellschaft TEPCO vermutet, daß die Strahlenpartikel aus dem benachbarten Turbinengebäude des Reaktors stammen, vielleicht aber auch "von woanders" her. Darüber lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Eine vorstellbare Alternative zum Turbinengebäude als Quelle wäre sicherlich, daß der Reaktordruckbehälter des Meilers 1 beschädigt ist. Dessen genauer Zustand ist nämlich nicht bekannt, lediglich Druck- und Temperaturmessungen geben zu Interpretationen Anlaß. Gesicherte Aussagen sind weder für Meiler 1, 2 noch 3 möglich. So kennt man auch nicht den Wasserstand im Reaktordruckbehälter in den drei Meilern. Laut einem aktuellen Zustandsbericht, der von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH in Köln unter Berufung auf japanische Quellen veröffentlicht wurde [2], liegen die Brennstäbe "teilweise oder ganz" frei von Kühlwasser. Das ist nun wirklich keine besonders präzise Angabe ...

An der Südseite des Verwaltungsgebäudes wurden am 15. April um 9.00 Uhr Strahlungswerte von 540 Mikrosievert/Stunde gemessen. Am weiter vom Geschehen entfernten Haupttor waren es immerhin noch 68 Mikrosievert/Stunde und am Westtor 29 Mikrosievert/Stunde. In Deutschland gelten 0,1 Mikrosievert/Stunde als unbedenklich, aber schon bei 10 Mikrosievert/Stunde wird eine Umsiedlung angeraten. Eine Bodenprobe aus der Nähe des Turbinengebäudes von Reaktor 1 hatte am 6. April für Jod-131 den Wert 72 Becquerel pro Kubikmeter ergeben; am 13. April wurde dort für Jod-131 schon 400 Becquerel registriert. Die Konzentration des langlebigeren Cäsium-134 stieg im selben Zeitraum an der gleichen Meßstelle von 1,4 auf 53 Becquerel pro Kubikmeter. Daraufhin hat die Nukleare Aufsichtsbehörde TEPCO angewiesen, die Grundwasserüberwachung innerhalb des Geländes auszudehnen.

Die Menge an radioaktiv kontaminiertem Wasser nimmt zu, denn die Anlagen müssen laufend gekühlt werden, damit keine weitere Kernschmelze, keine Brände und auch keine Explosionen entstehen. Alles in allem herrscht große Unsicherheit über den Zustand der Brennstäbe sowohl in den Reaktorkernen als auch den Abklingbecken. Man muß sich das so vorstellen, daß diese Bereiche unzugänglich sind und von außen mit Wasser bespritzt werden, weil man hofft, auf diese Weise die Temperatur im Innern senken zu können. Es wird geschlußfolgert, daß die Kühlung erfolgreich ist, denn es hat sich den Angaben zufolge schon seit einigen Wochen keine Explosion mehr ereignet und die Meßfühler registrieren keinen allgemeinen Temperaturanstieg. Allerdings dürfte jüngst den Technikern der Schrecken in die Knochen gefahren sein, war doch die Temperatur im Reaktordruckbehälter von Meiler 3 an einer Meßstelle plötzlich deutlich gestiegen. Weil aber andere Messungen auf keine höheren Temperaturen schließen ließen, vermutet TEPCO einen Fehler im Meßinstrument - selbstverständlich bei dem, das die höheren Temperaturen angezeigt hat, nicht bei denen, die den Anstieg nicht bestätigt haben.

Selbst die Reaktoren 5 und 6 sind keineswegs vollständig gesichert. So konnte TEPCO noch nicht feststellen, ob die Vermutung zutrifft, daß der Hauptkontrollraum der beiden Meiler unbeschädigt ist. Im Dachbereich der beiden Meiler wurden Lüftungslöcher geschaffen, da die Techniker eine Wasserstoffexplosion befürchteten. Welche Mengen an Radionukleotiden aus diesen Lüftungslöchern in die Umwelt entwichen sind und weiterhin entweichen, ist nicht bekannt.

Die Meiler 5 und 6 sind allerdings tatsächlich ein "Nebenkriegsschauplatz" verglichen mit allen übrigen. Der Meiler 4 gilt als unbeschädigt, da der Reaktorkern zur Zeit des Erdbebens und Tsunamis vom 11. März keine Brennelemente enthielt. Aber am 15. März war es im Abklingbecken, das 1331 Brennelemente enthält, zu einer Wasserstoffexplosion gekommen, bei der das Reaktorgebäude schwer beschädigt wurde.

Da die Abklingbecken und Containments laufend gekühlt werden, nimmt die Menge an radioaktivem Wasser entsprechend zu. 60.000 Tonnen müssen bereits gesichert werden, ein Vielfaches dessen dürfte in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten und vielleicht sogar Jahren hinzukommen. Vielleicht wird dann erneut radioaktiv verstrahltes Wasser ins Meer gepumpt, um die Auffangmöglichkeiten für stärker verstrahltes Wasser freizubekommen.

Ein nennenswerter Kühleffekt kommt nur zustande, wenn die heißen Brennelemente laufend umspült werden. So sollte es nicht wundern, wenn irgendwann auch das Grundwasser immer mehr verseucht wird. Möglicherweise zeigt sich die hohe Strahlenbelastung des Untergrunds deshalb erst seit einigen Tagen, weil bis zu dem Zeitpunkt das Erdreich das verstrahlte Kühlwasser, das nicht in Gräben, Becken oder Gebäude gelaufen ist, aufgenommen hat.

Der Anweisung der nuklearen Aufsichtsbehörde, die Gebäudesicherheit des Kernkraftwerks dahingehend zu prüfen, ob die jüngsten Erdbeben zu weiteren Schäden geführt haben, mußte TEPCO eine Absage erteilen. Vor einer solchen Prüfung müßten die Gebäude erst einmal hinsichtlich der radioaktiven Verstrahlung geprüft und gesichert werden. Auch diese Antwort zeigt, wie wenig Zugriff die Betreiber auf den Nuklearkomplex haben.


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Quellen:
[1] "Groundwater radiation level at nuke plant rises: TEPCO", Kyodo
News, 15. April 2011

http://english.kyodonews.jp/news/2011/04/85532.html

[2] "Zustand des Kernkraftwerks in Fukushima I (Daiichi) am 15. April 20 um 10:00 Uhr (MESZ)
http://fukushima.grs.de/

15. April 2011