Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

ATOM/372: Erkundung Gorlebens geht weiter - Regierung wirft Bevölkerung den Fehdehandschuh hin (SB)


Endlagerstandort Gorleben wird ab 1. Oktober weiter erkundet

Regierung erwägt Privatisierung des Endlagers


Die Bundesrepublik Deutschland verfügt bislang über kein Endlager für hochradioaktiven Abfall aus Atomkraftwerken. Der katastrophale Umgang mit der Asse - einem Endlager für schwach- und mittelaktive Strahlenstoffe - sowie die von Anfang an von Geheimniskrämerei bestimmten Erschließungsarbeiten des Salzstocks Gorleben, die fälschlicherweise unter "Erkundung" firmieren, geben keinerlei Anlaß zu der Annahme, daß eine kritische wissenschaftliche Expertise Einfluß auf die offenbar vorgefaßte politische Entscheidungsfindung zu diesem Endlagerstandort haben wird. Vom 1. Oktober 2010 an werde der Salzstock weiter erkundet, teilte am Dienstag der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) dem Kabinett mit. [1]

Damit wird der Bevölkerung, in der sich große Teile gegen die Atomkraft im allgemeinen wie auch ein Endlager in Gorleben im besonderen aussprechen, der Fehdehandschuh vor die Füße geworfen. In fünf bis sieben Jahren sollen die Erkundungsarbeiten abgeschlossen sein. Die rechtlichen Voraussetzungen für ein Ende des zehnjährigen Gorleben-Moratoriums sind offenbar erfüllt. Das betrifft den Rahmenbetriebsplan für die untertägige Erkundung des Salzstocks bis zum 30. September 2020 und den Hauptbetriebsplan für die Durchführung konkreter Erkundungsarbeiten bis zum 30. September 2012. Dafür habe das Bundesamt für Strahlenschutz die erforderlichen Salzrechte nachgewiesen, heißt es.

Wie ein Mantra wiederholt die niedersächsische Regierung, daß die Erkundungsarbeiten ergebnisoffen durchgeführt werden sollen. Die grüne Landtagsabgeordnete Miriam Staudte brachte die Kritik an dieser Formulierung auf den Punkt: "Wenige hundert Meter vom Bergwerk stehen 91 Castoren, daneben befindet sich die Pilotkonditionierungsanlage, die den Atommüll in einlagerungsfähige Gebinde umverpacken soll, die Strecken unter Tage sind riesige Tunnel - was ist daran ergebnisoffen?" [2]

Der jüngste Clou: Laut der "Süddeutschen Zeitung" [3] wird im noch nicht rechtskräftigen Atomgesetz, das vor kurzem die Bundesregierung mit den vier großen Energieversorgern E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW ausgehandelt hat, die Option einer Privatisierung des Endlagers in Gorleben in Betracht gezogen. Damit würde das Bundesamt für Strahlenschutz, das aufgrund fachlicher Bedenken gegen die Endlagerpläne manchesmal Sand ins Getriebe gestreut hat, vollständig an Kompetenz in dieser Sache einbüßen und die Verantwortung für das Endlager in die Hände einer kommerziell arbeitenden Einrichtung fallen. Das gilt auch dann, wenn sich diese in Staatsbesitz befindet.

Ein wesentlicher Effekt dieses Schachzugs besteht darin, daß das Unternehmen weitgehend autonom arbeitet und der Staat nur noch die Einhaltung der Gesetze kontrolliert. "Die Interessen des Bundes können effektiver über seine Unternehmensbeteiligung durchgesetzt werden", schrieb die Süddeutsche Zeitung. Nur die Energiewerke Nord (EWN) kämen dafür in Frage, der größte Eigentümer von Atommüll in Deutschland. Dessen einziger Gesellschafter ist das Bundesfinanzministerium. EWN ist für den Rückbau der ostdeutschen Atomkraftwerke und der Forschungsanlagen in Karlsruhe und Jülich verantwortlich.

Angesichts solcher Pläne entpuppen sich Sanders Erklärungen, wonach eine Art "gläserne Erkundung" des Salzstocks Gorleben unter Beteiligung von Kommunalpolitikern und Bürgern (aus dem Wendland) möglich sein soll, als hohle Worte. Am Ende zieht sich der Staat aus der Verantwortung. Der Versuch der Landesregierung, durch solche Maßnahmen den Konflikt zu entschärfen, ist offensichtlich, haben doch Atomkraftgegner massive Proteste angekündigt. Für den 23. Oktober sind Demonstrationen entlang der Castor-Transportstrecken in die Atommüllzwischenlager Gorleben, Ahaus und Lubmin anberaumt, im November wird "geschottert" (Gleisbette unbefahrbar gemacht durch Entfernen von Schotter), und, und, und. Die Großdemonstration gegen die Atompolitik der Regierung mit rund 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 18. September in Berlin hat gezeigt, daß sich ihr abgesehen von Oppositionsparteien und organisierten Anti-Atom-Bewegungen auch viele unorganisierte Bürgerinnen und Bürger angeschlossen hatten. Die Bewegung ist also sehr breit aufgestellt.

Sander scheint gelernt zu haben, daß Gorleben schwerlich an der Bevölkerung vorbei zum Endlager ausgebaut werden kann, und hat sich auf die Taktik der Bürgereinbindung und vermeintlichen Transparenz verlegt. Der Bund solle dazu gebracht werden, alle geologisch günstigen wie auch kritischen wissenschaftlichen Berichte vollständig auf den Tisch zu legen, so der Landesumweltminister. Und mit Blick auf Asse erklärte er, daß die Abfallbehälter für ein Endlager herausholbar sein sollten - falls Sicherheitsprobleme auftauchten oder neue Techniken zur Entsorgung entwickelt würden. Eine internationale Expertengruppe soll die Erkungungsarbeiten begleiten und die Ergebnisse dahingehend prüfen, ob sie internationalen Standards genügen.

Keine Hinweise lieferte Sander dafür, daß er der Forderung der Gorleben-Kritiker nachzukommen gedenkt und den Salzstock dem Atomrecht unterwirft. Bisher wird er nach dem Bergrecht, das weniger scharfe Bestimmungen hat, erkundet. Am Beispiel der Atompolitik wird transparent, was Bundeskanzlerin Angela Merkel sich schon immer gewünscht hat: Jetzt wird durchregiert. Diese Einstellung könnte zu ihrem politischen Aus führen. Die Grünen, die sich von jeher den Atomausstieg auf die Fahne geschrieben haben, erlangen mehr und mehr Zulauf, und die Die Linke verknüpft den Atomausstieg mit der Förderung erneuerbarer Energien, der Rekommunalisierung der Energieproduktion und drängenden sozialen Fragen wie dem Verbot von Stromabschaltungen von Haushalten wegen ausstehender Stromrechnungen. Da das Thema Umweltschutz die Bundesbürgerinnen und -bürger bewegt und viele von ihnen über ein geringes Einkommen verfügen, könnte sich der ökologisch-soziale Ansatz in den nächsten Jahren mehr und mehr durchsetzen.


*


Anmerkungen:

[1] "Gorleben: Niedersachsen prüft Tauglichkeit als Endlager", Handelsblatt, 21. September 2010
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/gorleben-niedersachsen-prueft-tauglichkeit-als-endlager;2659133

[2] "Nun ist es amtlich: Endlager Gorleben kann ab 1.10.2010 weiter gebaut werden", wendland-net.de, 21. September 2010
http://wendland-net.de/index.php/artikel/20100921/weitere-erkundung-von-gorleben-sander-informiert-kabinett-14440

[3] "Pläne der Regierung Neue Herren für Gorleben", Süddeutsche Zeitung, 21. September 2010

22. September 2010