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ATOM/356: Berlusconi-Italien erkauft sich Wohlwollen für Akw-Neubauten (SB)


Saftige Appetizer für italienische Gemeinden, in denen neue Akws gebaut werden, in Aussicht gestellt


Die Spaltung von Atomen hat sich als eine sehr störanfällige Methode der Energiegewinnung erwiesen. Sie ist besonders gefährlich, da durch diese Technologie viele Menschen direkt, mittel- oder langfristig sowie über Generationen hinweg schwere gesundheitliche Schäden erleiden können. Abgesehen von der verheerenden militärischen Atomenergienutzung hat auch ihr Spin-off, die sogenannte zivile Variante, katastrophale Folgen gezeitigt - entweder in Form von Unfällen (Windscale, Three Mile Island, Tschernobyl) oder als Folge eines Dauerbetriebs (radioaktive Verseuchung der Irischen See durch den Nuklearkomplex Sellafield und der Küste vor der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague, um nur zwei von zahlreichen Beispielen zu nennen).

Das scheint die politischen Entscheidungsträger in Italien nicht im geringsten zu bekümmern. Die Regierung Silvio Berlusconis will mindestens vier neue Kernkraftwerke bauen. Die vermeintliche Notwendigkeit dieses Schritts wird mit dem wachsenden Energiebedarf, dem Wunsch, Energieimporte zu reduzieren, und einer fälschlicherweise unterstellten Klimafreundlichkeit der Nuklearenergie erklärt. Faktisch geht es jedoch darum, die industriellen Wachstums- und Hochverbrauchsregionen insbesondere des italienischen Nordens im Rahmen nationaler, europäischer und globalisierter Konkurrenzverhältnisse zu stärken.

Bei einer Emanzipation vom Wachstumszwang der auf Verwertung der menschlichen Arbeitskraft und Kapitalakkumulation gründenden Wirtschaftsweise könnte der Energieverbrauch drastisch gesenkt werden, so daß neue Kernkraftwerke überflüssig würden; ein Umbau der Wirtschaft könnte zu weitgehend autarken Formen der Energieproduktion der Gesellschaft überleiten. Aber nicht im Berlusconi-Italien und nicht in der Europäischen Union. Atomkraftwerke waren von ihrer Einführung an ein Herrschaftsinstrument, und sie sind es geblieben. Sie liefern einen Vorwand für den Ausbau des Sicherheitsstaats und zentralisieren die Energieversorgung, wodurch sie Abhängigkeiten schaffen - die Grundvoraussetzung für herrschaftsförmige Systeme. Das ist ihre Funktion.

1987 hat sich die italienische Regierung aufgrund des Drucks der Bevölkerung, die sich ein Jahr nach der Tschernobyl-Katastrophe in einem Referendum gegen Kernkraftwerke ausgesprochen hat, von der Atomenergienutzung verabschiedet. Nun sollen in Italien neue Akws gebaut werden. Als ein wahrscheinlicher Standort gilt Chioggia, 30 Kilometer südlich von Venedig gelegen. Wer diese Region mit Erdbeben assoziiert, liegt nicht daneben. In der Region Venetien zittert und bebt die Erde regelmäßig, was auch in Venedig zu spüren ist. In der Subregion Friaul kamen am 6. Mai 1976 fast 1000 Einwohner ums Leben. Diese sich nordöstlich an den Großraum Venedig anschließende Region wird regelmäßig von schweren Erdbeben heimgesucht.

Das bekümmert die Betreiber von Kernkraftwerken nicht, weder in Italien noch in anderen Ländern. Noch vor 2013 soll mit dem Bau eines Akw bei Chioggia begonnen werden, ab 2020 soll es elektrischen Strom liefern, meldete die Website contratom.de unter Berufung auf einen Bericht der der Mailänder Tageszeitung ´Corriere della Sera´. [1] Die Entscheidung über die Wahl der Standorte soll bis zum 15. Februar veröffentlicht werden.

Ein großer Vorteil für Chioggia als Standort besteht selbstverständlich darin, daß die erwartungsgemäß radioaktiv belasteten Abwässer des Atomkraftwerks ins Adriatische Meer geleitet werden. Denn das ist sowieso radioaktiv belastet, nachdem dort die Müllmafia Frachter mit verstrahltem Müll versenkt hat ... Als weiterer Standort ist Monfalcone, rund 25 Kilometer nordwestlich von Triest, im Gespräch. Damit würden die Behörden noch näher an die Erdbebenregion von Friaul heranrücken als mit Chioggia.

Ob die Anti-Atombewegung genügend Wucht entfalten kann, um die Regierung von ihren Plänen abzuhalten? Höchst unwahrscheinlich in einem Land, dessen rechtslastiger Regierungschef weite Teile der Medien kontrolliert und der trotz seiner Vita, die eine große Nähe zur Mafia vermuten läßt, in seinem Amt wiedergewählt wurde. Bis jetzt fällt die unter anderem von den Gründen und der Kommunistischen Partei angekündigte Mobilisierung gegen den Bau neuer Atomkraftwerke gering aus - im Unterschied beispielsweise zum Widerstand der Region Basilicata, wo vor einigen Jahren Einwohner Straßensperren errichtet hatten, weil Rom dort ein Endlager für radioaktive Abfälle einrichten wollte.

Die sich als allgemeine Verarmung niederschlagende Wirtschaftskrise könnte den Widerstand der Italiener gegen Akw-Neubauten schwächen. Und die Berlusconi-Regierung setzt auf klassische Argumente, von denen sich Kommunalpolitiker schon immer überzeugen ließen: Teile und herrsche. Das bedeutet in diesem Fall, daß die Gemeinden, in denen Atomkraftwerke gebaut werden, in den nächsten 60 Jahren einen Geldsegen von 17 Millionen Euro pro Jahr erhalten werden. Ob der Präsident der Region Veneto, Gianfranco Galan, der Mitglied der Mitte-rechts-Regierung Berlusconis ist, bei seiner Ansicht bleibt, wonach man in Veneto "wegen der Bodenbeschaffenheit" [3] keine Atomkraftwerke errichten kann, wird sich noch erweisen.

Abgesehen von der Vergabe solch saftiger Appetizer will die Regierung ein Gremium mutmaßlicher Experten einberufen, welche die Bevölkerung "Informationen über die Sicherheit der Anlagen" liefern sollen [4]. Logischerweise bedeutet dies umgekehrt, daß Unsicherheiten der Anlagen nicht zur Sprache gebracht werden sollen ...


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Anmerkungen:

[1] "Italien: Atomrevival - Erstes neues AKW seit 1987 soll vor Venedig entstehen", Contratom.de, 10. Dezember 2009
http://www.contratom.de/news/newsanzeige.php?newsid=20082
Unter Berufung auf: http://www.krone.at/krone

[2] "Rom will Gemeinden für AKW kaufen", junge welt, 24. Dezember 2009
http://www.jungewelt.de/2009/12-24/015.php

[3] "Widerstand gegen angeblich geplanten AKW-Bau nahe Venedig", Der Standard, 10. Dezember 2009
http://derstandard.at/1259281639097/Widerstand-gegen-angeblich- geplanten-AKW-Bau-nahe-Venedig

[4] "Rom will Atom-Gemeinden 'kaufen'", Südtirol Online, 22. Dezember 2009
http://www.stol.it/Artikel/Politik/Rom-will-Atom-Gemeinden-kaufen

26. Dezember 2009